nach oben
nach oben
Charlotte Rosendahl zum Nutri-Score
„Rosinenpicken gibt es nicht“ 
von Stefan Weber

Charlotte Rosendahl, Geschäftsleitung Qualitätsmanagement, erläutert, mit welchen Herausforderungen die Einführung des Nutri-Score für die REWE Group verbunden ist, wo die Kennzeichnung ihre Grenzen hat und warum ein Produkt manchmal ein besseres Nährwertprofil besitzt, als auf der Verpackung steht.

one: Zu fett, zu süß, zu viele Kalorien: Viele Bundesbürger ernähren sich falsch. Wer sich dazu noch wenig bewegt, legt an Gewicht zu und wird anfällig für Erkrankungen. Wie kann da der Nutri-Score helfen?
Charlotte Rosendahl: Der Nutri-Score gibt Verbraucherinnen und Verbrauchern eine gute Orientierung beim Lebensmitteleinkauf. Sie können mit einem Blick erkennen, wie ausgewogen das Nährwertprofil eines Produkts ist. Statt umständlich Angaben über Eiweiß-, Zucker- oder Salzgehalt auf der Rückseite von Verpackungen zu studieren, zeigt ihnen eine fünfstufige farbige Skala auf der Vorderseite oder am Regal an, wie die Inhaltsstoffe zu bewerten sind. Einfacher geht es nicht.

Charlotte Rosendahl (Foto: Achim Bachhausen) one: Die Farben sind an eine Ampel angelehnt – von dunkelgrün bis rot. Das heißt: Wir kaufen nur noch grün gekennzeichnete Produkte und alles wird gut?
Charlotte Rosendahl: So einfach ist die Sache leider nicht. Der Nutri-Score soll informieren, er soll das Bewusstsein für eine ausgewogene Ernährung stärken und es leichter machen, ähnliche Produkte miteinander zu vergleichen. Der Score sagt aber nichts darüber aus, ob ein Lebensmittel gesund oder ungesund ist. Natürlich darf man auch Produkte essen, die mit einem roten E, der schlechtesten Bewertung, gekennzeichnet sind. Entscheidend sind die Portionsgröße bzw. die verzehrte Menge, aber auch persönliche Lebensumstände, wie der Grad an Bewegung und die sonstigen individuellen Ernährungsgewohnheiten.

„Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen mehr wissen über die Qualität von Lebensmitteln und die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung.“
Charlotte Rosendahl

one: Kritiker des Nutri-Score verweisen gerne auf das Beispiel des natürlichen Fruchtsafts, der im Nutri-Score schlechter abschneidet als Cola light…
Charlotte Rosendahl: Das ist für mich als Ökotrophologin natürlich paradox. Aber klar, Fruchtsaft hat einen hohen Anteil an natürlichem Zucker und damit auch an Energie – beides wird im Nutri-Score negativ bewertet. Aber man darf daraus eben nicht den Schluss ziehen, Cola light sei gesünder als natürlicher Fruchtsaft. Solche Fehldeutungen und Ungenauigkeiten zeigen, dass der Nutri-Score Teil einer Bildungsoffensive zum Thema Ernährung sein sollte. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen mehr wissen über die Qualität von Lebensmitteln und die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung.

one: Die REWE Group hat bereits im Juni vergangenen Jahres als einer der Ersten im deutschen Lebensmittelhandel begonnen, Eigenmarken-Produkte mit dem Nutri-Score zu kennzeichnen. Mit der Veröffentlichung der entsprechenden Verordnung im Bundesgesetzblatt im November 2020 ist endlich klar, dass Unternehmen den Nutri-Score rechtssicher verwenden können. Wie sieht der weitere Zeitplan bei der REWE Group aus? 
Charlotte Rosendahl: Wir werden sowohl bei REWE als auch bei PENNY sämtliche Eigenmarken-Artikel für die der Nutri-Score vorgesehen ist mit dem Nutri-Score kennzeichnen. Das ist eine freiwillige Maßnahme und passiert nicht etwa in einer Hauruck-Aktion, sondern ist Teil des Tagesgeschäfts. Immer wenn eine Verpackung gelauncht wird, erfolgt eine entsprechende Umstellung. Gestartet sind wir im letzten Jahr mit den Naturgut-Produkten von PENNY. Bis auch der letzte Artikel gekennzeichnet ist, wird es eine Weile dauern. Denn unter unseren Eigenmarken sind auch Konserven, die lange haltbar sind und deren Verpackung seltener überarbeitet wird. Um die Kunden dennoch zeitnah zu informieren, platzieren wir den jeweiligen Nutri-Score zusätzlich auch am Regal.

„Wir haben keine Angst, den Kunden die Wahrheit zu sagen. Und ich bin mir sicher, dass sie diesen Mut zu schätzen wissen.“
Charlotte Rosendahl

one: Also kein Rosinenpicken nach dem Motto: Die grün zu kennzeichnenden Produkte zuerst? 
Charlotte Rosendahl: Ein klares Nein! Wir markieren von Beginn an selbstverständlich auch Artikel, deren Nährwertprofil so ist, dass sie mit Orange oder gar Rot gekennzeichnet werden müssen.

one: Wenn sich die Verbraucher am Nutri-Score orientieren, dürften ungünstig eingestufte Produkte schon bald weniger gefragt sein.
Charlotte Rosendahl: Ja, das ist denkbar. Aber wir müssen das abwarten, schließlich verfügen wir über keinerlei Erfahrungen. Einen Einfluss hat sicherlich, wie rasch auch Markenartikler den Nutri-Score verwenden. Wenn im Regal ein rot markierter Schokoriegel neben einem vergleichbaren, aber nicht gekennzeichneten Riegel liegt, könnte das problematisch sein. Aber an diesem Punkt sollte die Ernährungsbildung greifen und jedem klar machen, dass jeder Schokoriegel selbstverständlich Zucker und Fett enthält. Wir bei der REWE Group machen das transparent. Wir haben keine Angst, den Kunden die Wahrheit zu sagen. Und ich bin mir sicher, dass sie diesen Mut zu schätzen wissen.

one: Auch auf die Gefahr hin, dass so viel Offenheit vielleicht nicht alle sofort gut finden?
Charlotte Rosendahl: Wir haben beim Thema gesunde Ernährung bereits vor Jahren ganz bewusst die Rolle des Vorreiters im deutschen Lebensmittelhandel übernommen und fühlen uns dabei sehr wohl. Schließlich arbeiten wir schon seit 2013 daran, unsere Produkte salz- und zuckerärmer zu machen, ohne dass die Sensorik  darunter leidet. Da ist die Verwendung des Nutri-Score nur konsequent. Denn weniger Salz und weniger Zucker gehen positiv in die Berechnung des Nutri-Score ein. Anders ausgedrückt: Durch die Salz- und Zuckerreduktion haben wir schon viele Eigenmarkenprodukte auf einen besseren Nutri-Score umgestellt.

„Wir erwarten jetzt, dass die Zahl der Befürworter des Nutri-Score in der Markenindustrie in Deutschland und in Europa wächst.“
Charlotte Rosendahl

one: Wie offensiv gehen Markenartikel-Hersteller das Thema Nutri-Score an?
Charlotte Rosendahl: Teile der Industrie sind  bei diesem Thema noch zurückhaltend. Dabei ist aber auch sicher zu berücksichtigen, dass die Gesetzgebung zur Nutzung des Nutri-Score in Deutschland erst seit November des vergangenen Jahres offiziell abgeschlossen ist.

Durch diese Rechtssicherheit erwarten wir jetzt, dass die Zahl der Befürworter des Nutri-Score in der Markenindustrie in Deutschland und in Europa wächst. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass die Nachfrage und der Druck aus dem Markt aber auch von Seiten der Politik so groß wird, dass die Verbraucher schon bald eine große Auswahl von Produkten haben, die mit dem Nutri-Score gekennzeichnet sind. Erst dann können sie tatsächlich vergleichen. Es ist wie bei vielen Themen: Wenn einer anfängt, ziehen andere irgendwann nach. 

one: Welche Herausforderungen sind für die REWE Group mit der Kennzeichnung aller Eigenmarken-Artikel verbunden – abseits der Unsicherheit, wie die Kunden auf ungünstig bewertete Produkte reagieren?
Charlotte Rosendahl: Eine Herausforderung ist sicher, Änderungen an den Rezepturen vorzunehmen und zu kommunizieren. Wir sind ständig bestrebt, unsere Produkte besser zu machen, also zum Beispiel den Zucker- und Salzgehalt zu verringern. Eine solche Optimierung hat oft auch Auswirkungen auf den Nutri-Score, der dann jedes Mal möglichst zeitnah geändert werden müsste. Das kann aufgrund der Verpackungsrhythmen jedoch nicht immer sofort gelingen.

„Auf dem Papier ist es einfach, die Rezepturen für einen günstigeren Nutri-Score zu verändern. Aber was nützt das, wenn das Produkt später die Verkostung nicht besteht?“

one: Welche Rolle kommt dem Qualitätsmanagement bei der Kennzeichnung der Eigenmarken-Artikel mit dem Nutri-Score zu?
Charlotte Rosendahl: Als Verantwortliche für die Qualität unserer Produkte sind wir die fachkompetente Schnittstelle zu den Lieferanten und zu unserem Einkauf. Wir koordinieren und helfen, den Nutri Score richtig umzusetzen und Probleme zu lösen. Zu unseren Aufgaben gehört auch, den Nutri-Score korrekt zu berechnen. Dazu nutzen wir fest definierte Formeln, die wir in unserem System hinterlegt haben. In einem zweiten Schritt betreiben wir klassisches Qualitätsmanagement: regelmäßige Laboranalysen, Geschmackstests, Kennzeichnungsüberprüfungen auch mit Blick auf zukünftige Entwicklungen sowohl national als auch auf EU-Ebene.  

one: Wer die Berechnungsformel kennt und Einfluss auf die Rezepturen nehmen kann, ist möglicherweise schnell versucht, ungünstige Produktbestandteile zu reduzieren, wenn dafür die Nutri-Score-Ampel von, sagen wir, Gelb auf Grün springt?
Charlotte Rosendahl: Ja, diese Aussicht ist verlockend. Aber wir dürfen die Sensorik nicht vergessen. Auf dem Papier ist es einfach, die Rezepturen so zu verändern, dass ein günstigerer Nutri-Score dabei herauskommt. Aber was nützt das, wenn das Produkt später die Verkostung nicht besteht. Auch gibt es Lebensmittel, bei denen ein bestimmter Salz- oder Zuckergehalt wichtig ist für die Produktion und mikrobiologische Stabilität der Produkte. Trotzdem: Für uns ist es ein ständiger Ansporn zu prüfen, ob ein kleiner geschmacksneutraler Optimierungsdreh an der Rezeptur nicht möglicherweise einen Effekt auf den Nutri-Score haben kann. Wenn das der Fall ist, setzten wir das sehr rasch um.

Sortimente bei REWE und PENNY
Von Nutri-Score bis Food for Future

REWE und PENNY überarbeiten ihre Sortimente bereits seit mehreren Jahren, um Kundinnen und Kunden eine gesunde Ernährung leicht zu machen. Von der Einführung des Nutri-Score bis zur Ausweitung des veganen Sortiments.

Zum Jahreswechsel hat REWE den Nutri-Score bei verarbeiteten Lebensmitteln der REWE-Eigenmarken von „ja!“ bis REWE Bio eingeführt. Zusätzlich erhalten viele REWE-Rezepte auf der Webseite ein neues Symbol, den REWE Ernährwert.

PENNY hatte den Nutri-Score bereits im Sommer 2020 als einer der Vorreiter im deutschen Lebensmittelhandel auf ersten Eigenmarken-Produkten eingeführt. Den Auftakt machten über 50 dauerhaft gelistete Artikel der PENNY Bio-Eigenmarke Naturgut. Im September vergangenen Jahres hatte PENNY mit „Food for Future“ als erster Discounter eine warengruppen-übergreifende vegane Eigenmarke vorgestellt. Neben den Artikeln, die bereits dauerhaft ins Sortiment aufgenommen wurden, gab es Anfang des Jahres zahlreiche zusätzliche Aktionsartikel, darunter Jackfruit-Gerichte (Curry und Gulasch), veganer Hot Dog und vegane Pizzen.

„Wir ziehen das aus Überzeugung durch“

„Food for Future“ hat sich mittlerweile so gut im Markt etabliert, dass PENNY sein veganes Angebot nun deutlich ausweitet. „Aufgrund der starken Konsumentennachfrage und der hohen Abverkaufsquoten unserer Aktionen haben wir in der KW 3 das Listungssortiment in 1.200 Filialen erweitert“, sagt Alexander Blume, Eigenmarkenmanager bei PENNY. Das Sortiment umfasst neben den Fleischersatzprodukten wie veganes Hack, Patties, Schnitzel, oder Nuggets auch Alternativen für Käse und Joghurt auf Soja-Basis.

„Die Anzahl der Menschen steigt, die sich als Flexitarier bezeichnen und damit regelmäßig bewusst auf Fleisch verzichten. Dabei spielen Tierwohl und Klimaschutz als Kaufmotive eine zentrale Rolle. PENNY begleitet mit Food for Future diesen Trend aktiv. Gerade der Januar ist der Monat der guten Vorsätze. Wir zeigen mit unserem veganen Aktionssortiment, dass Fleischalternativen schmecken und Spaß machen. Darüber hinaus weiten wir aber auch das Angebot an dauerhaft gelisteten veganen Alternativen systematisch aus. Denn im Gegensatz zu so manchen Neujahrsvorsatz ziehen wir das aus Überzeugung durch“
Marcus Haus
Bereichsleiter Marketing bei PENNY
Mein Kommentar
Kommentieren
Auch interessant
Newsletter