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©Getty Images Thomas Barwick
Nachhaltiger Konsum
„Weniger moralischen Zeigefinger und mehr Fokus auf Lebensfreude“
von Julia Dopjans

Klimawandel, Krieg, Inflation: Die immer schnellere Abfolge von politischen und wirtschaftlichen Krisen verlangt den Menschen aktuell viel ab. Was das für den nachhaltigen Konsum und den Handel bedeutet – und warum Verzichts-Denken nicht die Lösung sein kann –, erklärt Dr. Robert Kecskes von der GfK im Interview.

one: Herr Dr. Kecskes, in Ihrem Nachwort zur gemeinsamen Studie von CPS GfK, des DNP sowie der REWE Group haben Sie folgendes Fazit gezogen: „Der Konsum wird in Zukunft zweifellos nachhaltiger sein, denn die Klimakrise wird uns keine andere Wahl lassen. Die Frage ist daher nicht, ob, sondern mit welcher Dynamik sich ein nachhaltigerer Konsum ausweiten wird.“ Was bremst Ihrer Meinung nach denn aktuell den nachhaltigen Konsum aus?

Robert Kecskes ©Reinhard Rosendahl Robert Kecskes:
Der von den Menschen empfundene Wohlstandseinbruch nach der Ukraine-Krise hatte eine sofortige Veränderung des Kaufverhaltens zur Folge, das sehen wir in der Studie deutlich und dürfte niemanden überraschen. Wir haben ja alle die steigenden Verbraucherpreise und sinkenden Reallöhne mitverfolgt. Dadurch hat sich die Bereitschaft, für Bio, regionale Produkte und nachhaltigere Verpackungen mehr Geld auszugeben, 2022 und auch 2023 teilweise sehr deutlich verringert. In den Jahren zuvor hatte der nachhaltige Konsum in allen Dimensionen bei allen Haushaltstypen noch deutlich zugenommen. Doch meines Erachtens liegt der Grund, warum es momentan nicht so schnell vorangeht, noch woanders: Wir erleben auf gesellschaftlicher Ebene massive Anerkennungskämpfe. Und dafür sind die Eliten in unserem Land mitverantwortlich.

one: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Robert Kecskes: Den 'einfachen Leuten' wird von den 'Eliten' unterstellt, sie würden nach dem Motto „erst das Fressen, dann die Moral“ leben. Und dass, obwohl es viele Menschen gibt, die nachhaltiger konsumieren möchten und sich bemühen – auch wenn es nicht immer klappt. Das ist ein massiver Entzug von Wertschätzung, der dazu führt, dass Menschen irgendwann sagen: Ich tu doch schon so viel – wenn das nicht reicht, dann lass ich es eben ganz. Eine Erschöpfung und Müdigkeit tritt ein.  

Das sehe ich aktuell als eine der größten Herausforderungen: Die Menschen sind müde und erschöpft, sie müssen sich permanent auf neue Dinge einstellen. Sie haben Angst um ihre finanzielle Situation und die ihrer Kinder. Sie versuchen ihr Bestes. Und dann kommen die ‚Eliten‘ aus der Konsumwirtschaft, der Politik und anderen Bereichen und heben den Finger – das erschöpft die Menschen und führt zu Reaktanz*. 

one: Es braucht also aus Ihrer Sicht mehr Anerkennung für das Bemühen um eine nachhaltigere Lebensweise?
Robert Kecskes: Ganz genau. Es ist sicher objektiv richtig, dass wir mehr Fahrt reinbekommen müssen, um den Planeten zu schonen. Aber indem wir immer sagen „ihr seid zu langsam, ihr seid zu langsam“ wird das nicht klappen. Wir müssen erstmal positiv bestärken: Das ist schon super, was ihr da macht, und wir unterstützen euch dabei, damit es voran geht. Wir diskutieren Verantwortung häufig aus einer Position der Privilegierten. Ich kann mir nachhaltigen Konsum leisten, die meisten Menschen in meinem Umfeld können sich das leisten. Aber das ist nicht die Mehrheit, darüber sollten wir uns bewusst sein. Viele haben im Alltag ganz andere Probleme, das sollten wir auch mal anerkennen. Und Handel und Hersteller müssen stärker am Vertrauensverhältnis zu den Konsument:innen arbeiten. 

one: Inwiefern?
Robert Kecskes: Konsumentinnen müssen sich darauf verlassen können, dass das, was versprochen wird auch eingehalten wird. Warum sollte sich – sehr provokativ formuliert – ein Konsument viel Mühe geben und loyal sein, wenn dann ein Hersteller über Shrinkflation und ähnliches versucht, einen anderen Preis durchzusetzen? Das macht die Menschen wütend. Wir sehen in Studien, dass viele Menschen zwar noch bereit sind, für nachhaltigere Verpackungen etwas mehr zu zahlen – diese Bereitschaft geht aber seit 2020 zurück. Denn irgendwann fragt sich der Konsument: Warum soll ich eigentlich die Kosten dafür übernehmen, warum kann nicht der Hersteller oder Händler einen Teil tragen? Das muss dann auch getan und positiv transportiert werden. Wir haben eine gesellschaftliche Aufgabe, die kann und sollte Spaß bringen. Die sollte auch guten Geschmack und Qualität bieten. Die kostet aber mehr – und das darf nicht komplett auf die Konsument:innen abgewälzt werden.

©Getty Images Sonja Rachbauer one: Empfinden das die Konsument:innen denn so?
Robert Kecskes: Ja, viele Menschen vertrauen der Industrie nicht mehr. Sie können eine berechtigte Preiserhöhung durchaus nachvollziehen, sie sehen ja an ihrer eigenen Gasrechnung, dass die Kosten insgesamt steigen. Sie glauben aber, dass die Situation ausgenutzt und Preise über Gebühr erhöht werden. Schauen wir mal auf die aktuelle Situation: Die Erzeugerpreise sind in Deutschland zuletzt deutlich gesunken. Vor allem Energie wurde billiger. Nahrungsmittel verteuerten sich allerdings weiter, dabei erwarten die Menschen eigentlich, dass die Preiserhöhungen der letzten Jahre zurückgenommen werden und die Preise eher sinken. Das sahen sie aber lange nicht, und das ist für sie ein Indikator dafür, dass die Hersteller die Situation auszunutzen. In der Form: Ach, die Menschen gewöhnen sich an alles, auch an höhere Preise, die müssen wir nicht wieder zurücknehmen. Da muss wieder mehr Vertrauen reingebracht werden. Das ist ganz entscheidend, um auch wieder so etwas wie eine gewisse Aufbruchstimmung zu erzeugen, die seit Kriegsausbruch in der Ukraine verschwunden ist. Heute, nach dem ersten Quartal 2024, sehen wir, dass sich etwas bewegt. Die Preise, vor allem der Handelsmarken, gehen teilweise wieder zurück. Dies setzt die Hersteller noch einmal unter Zugzwang.

one: In der Studie schreiben Sie, dass der Preis ein Werkzeug ist, um den Markt zu stützen, jedoch nicht ausreicht, um den nachhaltigen Konsum wirklich voranzutreiben. Was braucht es denn darüber hinaus?
Robert Kecskes: Wir brauchen ein positives Zukunftsnarrativ. Laut einer Erhebung der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen im Jahr 2022 würden 56 Prozent der Erwachsenen bis 34 Jahre in Deutschland lieber in der Vergangenheit als in der Zukunft leben. Im Jahr 2013 waren es nur 30 Prozent. Das ist schon eine Aussage.  Sie wollen nicht zurück zur alten Welt ohne Handy und Digitalisierung, aber wenn sie in die Zukunft schauen, dann brennt es dort und da wollen sie nicht hinlaufen. Ich bin überzeugt: Wir können am Horizont wieder die Sonne aufgehen lassen und Menschen motivieren, Veränderungen voranzutreiben.

one: Wie könnte dieses positive Zukunftsnarrativ denn aussehen? Was braucht es dazu?
Robert Kecskes: Für den Handel bedeutet das zum Beispiel, eine konkrete Vision vom Sortiment und der Nahrung der Zukunft zu entwerfen und dabei auch Befürchtungen zu entkräften. Bei vielen Menschen kommt aktuell nur an, dass wir verzichten müssen – es beispielsweise kein Fleisch mehr geben wird oder keine Milch. Natürlich wird es das in Zukunft noch geben! Aber unter anderen Bedingungen hergestellt.

©Getty Images ViktorCap

one: Warum reagieren Ihrer Ansicht nach überhaupt so viele Menschen negativ auf den Begriff Verzicht?
Robert Kecskes: Ich habe neulich bei der Philosophin Eva von Redecker einen Begriff gelesen, der das ganz gut beschreibt: Sie nennt es „Phantombesitz-Schmerz“. Der setzt immer dann ein, wenn man glaubt, es würde einem etwas geraubt, worauf man ein Anrecht hat. Das lässt sich ganz gut auf Ernährung und Konsum übertragen: Die Currywurst ist ein schönes Beispiel, da entbrannte ja 2021 eine große Debatte, an der sich sogar Ex-Kanzler Schröder beteiligte, weil die Menschen Angst hatten, ihnen würde jetzt auch noch die Currywurst weggenommen. Dabei ist das Quatsch. Die Currywurst wird es weiterhin geben, aber vielleicht ist in Zukunft die heutige Billig-Currywurst aus Haltungsstufe 1 die teuerste, weil sie am umweltschädlichsten ist, und wir haben eine viel umweltfreundlichere, bezahlbare Version. Da wünsche ich mir ich mir mehr positive Bilder, nicht immer das Reden über Verzicht. Damit die Menschen nicht nur sagen: Heutzutage weiß man ja gar nicht mehr, was man sagen darf …

©Getty Images Kzenon one: …oder essen darf.
Robert Kecskes: Genau. Viele haben das Gefühl, ihnen wird ihr Essen gestohlen. Das fühlt sich nicht gut an und dafür engagieren sie sich nicht. Dem können wir nur etwas entgegensetzen, wenn wir zeigen, dass die Angst unbegründet ist. Stattdessen wartet eine kulinarische und trotzdem nachhaltige Welt auf uns, wenn wir es gemeinsam angehen. Dazu müssen wir konkrete Bilder entwerfen, damit die Menschen sagen: Ja, das finde ich attraktiv, lasst uns gemeinsam schauen, wie wir dahin kommen.  „Jedes Unternehmen dazu beitragen, dass wir unseren Planeten retten, das ist eine soziale Nachhaltigkeitsverantwortung. Aber das steht nicht im Widerspruch zum wirtschaftlichen Erfolg.“Robert Kecskes, GfKone: Braucht es dazu nicht auch für Handel und Industrie einen Anreiz?
Robert Kecskes: Natürlich muss jedes Unternehmen dazu beitragen, dass wir unseren Planeten retten, das ist eine soziale Nachhaltigkeitsverantwortung. Aber das steht nicht im Widerspruch zum wirtschaftlichen Erfolg. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass der wirtschaftliche Erfolg der Zukunft unter anderem in den Alternativen der Produktion von tierischen Nahrungsmitteln beziehungsweise mehr pflanzlichen Nahrungsmitteln liegt – kurz gesagt einer „planetary health diet“.

one: Was verstehen Sie unter einer „planetary health diet“?
Robert Kecskes: Eine Ernährungsweise, die die Gesundheit des Menschen und der Erde gleichermaßen schützt. Wir stehen vor der Herausforderung, wie wir zehn Milliarden Menschen ernähren können, ohne die Ressourcen des Planeten Erde überauszubeuten. Wer zur Lösung beiträgt, wird auch langfristig wirtschaftlich erfolgreich sein. Auf dem Weg dahin sind dann auch immer mal Preissenkungen gefragt, das ist gar keine Frage. Das ist eine Wellenbewegung. Aber die Welle steigert sich in Richtung zu mehr Nachhaltigkeit, zu voll planetarischer Ernährung. Ich bin mir sicher: Wirtschaftlicher Erfolg und das Durchsetzen von Nachhaltigkeitsstandards werden Hand in Hand gehen.

Im Handel gibt es einen Spruch: Die Verbraucher:innen stimmen mit den Füßen ab. Was braucht es, damit nachhaltigere Produkte auch von der breiten Masse gekauft werden, und nicht nur von einer kleinen Bubble der Privilegierten, von denen wir eingangs sprachen? Vom Preis mal abgesehen

„Ich glaube der Handel tut gut daran, Freude am Leben, Genuss und Spaß in den Vordergrund zu stellen, und das Thema Nachhaltigkeit selbstverständlich mitlaufen zu lassen.“Robert Kecskes, GfK Weniger moralischer Zeigefinger und mehr Fokus auf Lebensfreude. Viele haben das Gefühl, sie tun schon genug und sie können gar nicht mehr tun, weil sie am Rand ihrer Möglichkeiten sind, sowohl ökonomisch als auch mental. Ich glaube der Handel tut gut daran, Freude am Leben, Genuss und Spaß in den Vordergrund zu stellen, und das Thema Nachhaltigkeit selbstverständlich mitlaufen zu lassen. Raus aus der Dystopie. Nicht immer hören, was alles schlecht ist, sondern einen positiven Spirit im Sinne von: Wir haben jetzt die Möglichkeit, Zukunft zu gestalten. Und dann sind die Menschen auch bereit, so lange sie es können, einen höheren Preis dafür zu zahlen. 

one: Wir sehen in der Studie aber auch, dass immer mehr Haushalte immer weniger Geld zur Verfügung haben. Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die Rolle der Discounter, die darauf reagieren müssen?
Robert Kecskes: Der Discounter kann ein wichtiges Bindeglied zu den Menschen sein, die zwar wollen, aber vielleicht nicht immer können. Wenn wir uns zum Beispiel die Geschichte von Bio anschauen, dann ist Bio erst durch die Discounter und Handelsmarken in den Mainstream gelangt. Vorher hat sich Bio lange nicht durchgesetzt. Und dann kam der Handel und hat den Kund:innen vermittelt: Du bekommst von uns Gesundes und Nachhaltiges zu einem Preis, den du dir leisten kann. Die Botschaft, die mitschwingt: Gesunde gute Produkte sind nicht nur für die Eliten und für die Reichen, sondern für alle Teile der Bevölkerung.

one: Stellen Sie fest, dass die Menschen, die sich sehr viel oder fast alles leisten könnten, überproportional nachhaltig konsumieren? 
Robert Kecskes: Wir sehen schon, dass Menschen, die sich viel leisten können, mehr Geld für nachhaltige Produkte ausgeben – weil sie es können. Aber das steigt nicht unbedingt proportional zum Einkommen. Handelsmarken sind zum Beispiel für alle Einkommensgruppen relevant. Der entscheidendere Faktor ist häufig der Bildungsstand. Wenn wir also nachhaltigeren Konsum als Gesellschaft vorantreiben möchten, dann müssen wir dort ansetzen: Was lernen Kinder in Kindergarten und Schule über Ernährung? Vermitteln wir ihnen nicht nur Wissen, sondern auch Spaß daran? 

©Getty Images Mila Bond

 

one: Umfragen zeigen, dass viele Menschen das Gefühl haben, nicht mehr einschätzen zu können, was ein nachhaltigeres Produkt überhaupt ist.
Robert Kecskes: 
Das ist ein ganz großes Problem. Zwei Punkte finde ich da wesentlich: Zum einen, mal wieder, das Thema Vertrauen. Können Kund:innen sich darauf verlassen, dass das, was auf einem Produkt beworben wird, auch eingehalten wird? Der zweite Punkt ist: Was ist überhaupt nachhaltig, oder nachhaltiger? Viele Menschen ernähren sich nicht von heute auf morgen komplett nachhaltig, sondern sukzessive nachhaltiger. Dafür muss es verschiedene, verlässliche Angebote geben. Die Haltungskennzeichnung ist zum Beispiel aus meiner Sicht sehr nachvollziehbar.

one: Sind mehr gesetzliche Standards die Lösung?
Robert Kecskes: Sie können ein Teil der Lösung sein – ebenso aber auch Brancheninitiativen. Alles, was einen einheitlichen Standard schafft. Es würde die ganze Diskussion nach vorne bringen, wenn Händler und Hersteller gemeinsame Interessen verfolgen und einen Mindeststandard festlegen, der stetig angehoben wird. Das passiert ja schon teils erfolgreich.

one: Gibt Ihnen die Studie irgendwo Anlass zur Hoffnung, wenn Sie in die Ergebnisse gucken? 
Robert Kecskes: Ich bin durchaus Optimist. Nicht in dem Sinne, dass ich sage: Es wird alles gut, wir müssen nur warten. Sondern ich glaube, dass wir alle Möglichkeiten haben, die Welt zu verändern.  Die jüngeren Generationen, für die viele Fragen ‚planetarischer‘ Ernährung ganz selbstverständlich auf der Agenda stehen, werden sehr viel gestalten. Die ganz junge Generation ist zornig, auf das, was die älteren Generationen ihnen hinterlässt, die Millennials, etwas älter und deutlicher stiller, aber ebenso engagiert wie die Jungen, kommen in Positionen, an Schaltstellen, wo sie vieles gestalterisch beeinflussen können. Weniger Fleisch essen, mehr pflanzliche Alternativen – in 20 Jahren ist das Mainstream. Das macht mir Hoffnung. Wir dürften jedoch nicht den Fehler machen, die komplette Verantwortung dort abzuladen. Wenn wir die Dystopie in eine Utopie verwandeln wollen, sind alle gefordert. Die älteren Generationen müssen ihre Phantombesitz-Schmerzen überwinden.

©Getty Images Rawpixel

Zur Person
Robert Kecskes ist Senior Insights Director Germany bei Consumer Panel Services GfK.

 

*innerer Widerstand gegen Einschränkungen durch äußeren Druck

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