Lars Breuer
Ich bin an Mukoviszidose erkrankt, einer vergleichsweise seltenen, angeborenen Stoffwechselstörung. Sie sorgt für ein Ungleichgewicht im Salz-Wasser-Haushalt der Zellen und macht den Schleim, der die Zellen bedeckt zähflüssig. Besonders betroffen ist die Lunge. Deshalb muss ich häufiger husten und wirke auf Fremde so, als sei ich ständig erkältet. Manche Betroffene versuchen, die Erkrankung zu verbergen. Das habe ich nie gemacht. In der Schule nicht, während der Ausbildung als Industriekaufmann nicht und auch nicht in der Zeit meines berufsbegleitenden General Management-Studiums an der FH Brühl.
Auch in meiner Bewerbung für einen Stelle im Learningcenter der REWE Group im Sommer 2017 habe ich erwähnt, dass ich an Mukoviszidose erkrankt bin. Toll, dass ich den Job bekommen habe, denn das Thema Personalentwicklung hat mich schon im Studium sehr interessiert. In den ersten Tagen bei REWE habe ich mit jedem meiner direkten Kollegen ein Kennenlerngespräch geführt und bei dieser Gelegenheit auch mein Handicap geschildert. Das möchte ich jedem raten, der gesundheitlich eingeschränkt ist: Redet offen darüber! Kommuniziert, wie ihr behandelt werden möchtet!
„Ich möchte so behandelt werden wie alle anderen. Nur keine Sonderbehandlung.“Lars Breuer Mir ist wichtig, dass kein großes Ding um meine Erkrankung gemacht wird. Ich möchte so behandelt werden wie alle anderen. Nur keine Sonderbehandlung. Wenn ich wegen meiner Krankheit irgendetwas nicht machen könnte, würde ich das sagen. Im Moment ist das Gott sei Dank nicht der Fall. Gut, es gibt Tage, an denen ich merke: Heute ist es nicht so cool, drei Etagen hoch zu laufen. Dann nehme ich den Aufzug. An einem Tag in der Woche muss ich bereits um 15 Uhr gehen, da geht es zur Physiotherapie. Die Kollegen wissen das und machen keine blöden Bemerkungen, weil ich so früh weg bin.
Auch wenn es schwer fällt – es ist wichtig, die Krankheit zu akzeptieren. Oder vielleicht sogar eine Stärke daraus zu machen. Ich denke, dass jeder, der mit diesem Handicap einen Job erledigt, zeigt, dass er enorm motiviert und diszipliniert ist. Denn Disziplin ist für Mukoviszidose-Patienten ganz wichtig. Atemübungen, Inhalieren, Tabletten nehmen – das lernt man von klein an regelmäßig zu tun. Meine Mutter hat mich immer dazu angehalten, hat mir bei Übungen assistiert. Heute ist Inhalieren für mich genauso selbstverständlich wie Zähneputzen. Morgens und abends und bei Bedarf vielleicht auch noch ein drittes Mal.
Sonst führe ich ein Leben ohne große Einschränkungen. Vor ein paar Monaten bin ich von Aachen nach Köln gezogen, weil ich die Pendelei satt hatte. Jetzt habe ich ein wenig mehr Zeit. Die will ich nutzen, um meinen Blog („www.der-muko-coach.de“) besser zu pflegen und mich in einer Selbsthilfegruppe zu engagieren – so wie ich es zuvor auch in Aachen gemacht habe. Das ist eine gute und wichtige Sache, da dort etwas zum Wohle der Betroffenen beweget werden kann. Sport? Ja, sehr gerne! Auch wenn ich nie einen Marathon laufen werde, versuche ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten fit zu halten. Wenn es um Fußball geht, muss es für mich nicht immer Bundesliga sein. Ich gehe gerne schon einmal zu einem Spiel von Fortuna Köln ins Südstadion.
Eine Sache ist mir wichtig. Meine Erkrankung hat mich sensibel gemacht für das Thema Organspende. Ich wünsche mir, dass sich jeder darüber Gedanken macht. Wenn er der Meinung ist, das komme für ihn nicht in Frage – in Ordnung. Nur gar nicht darüber nachdenken, das geht nicht!
Ein Tag im Frühjahr 2014 stellte mein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf. Auf dem Heimweg von der Arbeit wurde ich an einer Bushaltestelle von einem Auto erfasst. Bei dem Zusammenprall erlitt ich mehrere Beckenbrüche. Acht Monate lag ich im Krankenhaus, es folgten zahlreiche Rehamaßnahmen, insgesamt war ich 22 Monate krankgeschrieben. Dann stand fest: Meinen alten Job als Verkäuferin mit Kassiertätigkeit bei PENNY, wo ich seit 2005 beschäftigt bin, werde ich in dieser Form nicht mehr ausüben können.
Das Laufen fällt mir sehr schwer. Ich kann nicht mehr zwischen den Regalen hin- und herflitzen wie ich das früher gemacht habe. Für mich kommt nur eine sitzende Tätigkeit in Frage. PENNY hat mir das ermöglicht, indem ich nun ausschließlich an der Kasse sitze. 20 Stunden pro Woche, meist verteilt auf drei oder vier Tage. Mehr würde ich gesundheitlich gar nicht schaffen.
„Es wäre schlimm für mich, wenn ich ganz weg wäre vom Arbeiten.“Kerstin Wiese Ich mache den Job gerne, vor allem die Spätschicht bis 22 Uhr. Dann kommen nicht nur ältere Leute, sondern auch Berufstätige. Dann ist viel los im Laden. Ich mag den Kontakt zu den Kunden. Das war schon so, als ich nach dem Schulabschluss 1979 ein paar Jahre zur See gefahren bin. Es wäre schlimm für mich, wenn ich ganz weg wäre vom Arbeiten, wenn ich den ganzen Tag in meiner Wohnung sitzen würde. Die Arbeit sorgt dafür, dass ich meine Schmerzen vergesse. Nach 30 Minuten im Markt spüre ich nichts mehr – weil ich abgelenkt bin. Weil so viel los ist, dass ich keine Gelegenheit habe, darüber nachzudenken.
Nach dem Unfall sind mein Mann und ich umgezogen - in ein Haus schräg gegenüber des PENNY-Marktes, bei dem ich arbeite. Das war ein großes Glück, denn zuvor war ich eine Stunde mit Bus und Bahn unterwegs gewesen, um meinen Arbeitsplatz zu erreichen. Das wäre mit meiner Gehbehinderung nicht möglich.
Hier im Markt sind 15 Mitarbeiter beschäftigt. Neben mir gibt es eine weitere Kollegin mit einem Behindertengrad von 50 Prozent. Wir alle sind ein tolles Team, wir halten zusammen. Die Kollegen haben Verständnis, wenn bei mir ein Arzttermin ansteht und ich eine Schicht tauschen möchte. Und sie helfen, wenn etwas Schweres zu heben ist. Mein Handicap ist hier kein Thema. Ich möchte auch nicht darauf angesprochen werden. Es ist für mich schlimm genug, wenn die Leute auf der Straße manchmal ein wenig komisch gucken. Vor kurzem habe ich bei der Krankenkasse einen Rollator beantragt. Damit werde ich besser unterwegs sein können. Aber dann ist mein Handicap noch besser sichtbar. Das belastet mich. Manchmal fühle ich mich wegen meiner Gehbehinderung ausgegrenzt, denn viele Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben, kann ich nun nicht mehr machen. Da tut es manchmal gut, bei der Arbeit im PENNY-Markt das ganze Dilemma für ein paar Stunden zu vergessen. Ich bin sehr glücklich, dass die Marktleitung sich für mich eingesetzt hat, damit ich im Team bleiben konnte.
Ich war Ende 30, als bei mir das Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus, diagnostiziert wurde. Für Menschen dieser Diagnose ist der Umgang mit anderen Menschen manchmal kompliziert. Lange Zeit habe ich das gar nicht als Problem wahrgenommen. Mein Studium der Volkswirtschaftslehre in Graz habe ich ohne große Schwierigkeiten absolviert und parallel auch noch Sprachkurse in Slowenisch belegt. Heute weiß ich: Es hat nur deshalb alles gut funktioniert, weil wir eine kleine überschaubare Gruppe von Studenten waren, bei denen jeder sein eigenes Lerntempo hatte und seine eigenen Präferenzen setzte.
Mit dem Übergang ins Berufsleben zeigte sich dann recht schnell, wo meine Schwächen sind. Zum einen beim Telefonieren – das ist überhaupt nicht mein Ding. Viel lieber kommuniziere ich per Mail oder im direkten Gespräch. Zum anderen fiel es mir in meinem ersten Job als Assistentin in einem großen Unternehme schwer, den täglichen Arbeitsablauf angemessen zu gestalten. Kaum hatte ich angefangen, eine Aufgabe zu erledigen, tauchte eine weitere Aufgabe auf. Viel lieber hätte ich mich nur auf eine Sache konzentriert. Ich konnte keine Präferenzen bilden. Welche Tätigkeit war dringender? Bis wann sollte ich dieses oder jenes erledigen? Ich benötigte klare Vorgaben, was in welche Reihenfolge bis wann abzuarbeiten ist.
„Eher zufällig stieß ich auf das Asperger-Syndrom. Die Symptome kamen wir sehr bekannt vor.“Christina S. So habe ich diese Stelle bald gekündigt und eine Zeitlang als Fremdenführerin gearbeitet. Das war okay, aber irgendwann wollte ich zurück ins Büro. Ich fand schnell wieder einen Job, doch schon bald tauchten wieder die bekannten Probleme auf. Jetzt wollte ich der Sache auf den Grund gehen und bemühte mich um eine Diagnose. Eher zufällig stieß ich dann 2014 auf das Asperger-Syndrom. Die Symptome kamen wir sehr bekannt vor – da wusste ich, dass ich im autistischen Spektrum bin.
Mitte 2016 nahm ich Kontakt zu Specialisterne auf, einem sozial-innovativen Unternehmen mit Wurzeln in Dänemark, das Menschen mit Autismus hilft, den bestmöglichen Rahmen zu finden, um ihr Potential voll entfalten zu können. Über diese Schiene bewarb ich mich bei REWE. Mit Erfolg – im Februar 2017 habe ich im Einkauf angefangen. Seit Januar dieses Jahres arbeite ich im Bereich Operations, einer neu geschaffenen Abteilung. Wir sind ein kleines Team, bestehend aus drei Kollegen. Das funktioniert für mich gut. Vor allem, weil mein Chef sehr strukturiert ist und mir klare Anweisungen gibt. Das kann nicht jeder. Die Kollegen wussten von Anfang an um meine besondere Wahrnehmung; sie wurden in einem von Specialisterne organisierten Workshop gut vorbereitet. Ich konnte gleich offen sagen, wo meine Herausforderungen liegen und was ich brauche, um gut arbeiten zu können. Das empfehle ich auch anderen Kollegen, die in irgendeiner Weise Einschränkungen haben: „Sagt gleich zu Beginn, was Euch wichtig ist und was Ihr braucht. Dann geht vieles leichter.“
Gut war, dass ich in den ersten drei Monaten eine Mentorin an meiner Seite wusste, eine stets ansprechbare Kollegin, die auch in meinem Team arbeitete. So musste ich mich bei Problemen nicht „durchfragen“, sondern hatte eine feste Bezugsperson. Sehr wichtig ist mir, die Möglichkeit, bei Bedarf von zu Hause arbeiten zu können. Manchmal brauche ich mehr Ruhe für meine Aufgaben als im Großraumbüro möglich ist.
Sehr interessant. Ist eigentlich allen Beteiligten bewusst, dass weltweit jeder die ONE mitlesen kann?