Mario Boy ist hörbeeinträchtigt und arbeitet als Systemmerchandiser im toom-Bausteinlabor. Auch er wollte – wie es üblich ist für alle toom-Zentralisten – einige Tage Marktluft schnuppern. Wie hat das funktioniert? Wie meistert der 30-Jährige in seinem Arbeitsalltag Barrieren und Widerstände? Wir haben mit ihm gesprochen.
Von Warenannahme, Lagerist:innen und Verkäufer:innen über Vertriebler, ITler und Marketingmanager: toom-Mitarbeitende gibt es auf jedem Gebiet. Der Arbeitsalltag von Mitarbeitenden in der Zentrale und auf der Fläche im Baumarkt ist dabei in der Regel sehr unterschiedlich. Umso wichtiger, dass Mitarbeitende auf beiden Seiten einen Eindruck von Arbeitsalltag des anderen haben.
Besonders wichtig ist es für Zentralisten, den Berufsalltag ihrer Marktkolleg:innen zu kennen. In der Ausbildung sind daher ein paar Markttage Pflichtprogramm. Für Mario Boy als Systemmerchandiser galt dies nicht. Denn Mario ist hörbeeinträchtigt und bräuchte für seinen Einsatz Unterstützung. Wie er dies Jahre später im toom Baumarkt Villingen-Schwenningen realisieren konnte, und warum ihm das so wichtig war, hat er uns im Interview erzählt. Dass Kollege Joshua zum Teil Gebärdensprache beherrscht, war für Mario (rechts) in vielen Situationen hilfreich.
one: Mario, wie kam es dazu, dass du deine Markterfahrung sammeln wolltest?
Mario Boy: Normalerweise ist es schon in der Ausbildung Pflicht, ein paar Markttage zu absolvieren. Aufgrund meiner Hörbeeinträchtigung ergeben sich da aber ein paar Hürden, weshalb ich mich damals nicht getraut habe. Für mich entfiel die Pflicht. Das Bausteinlabor hat aber nun einmal viel mit einem Markt zu tun, und da kannte ich mich nicht aus. Bei Artikelwechseln beispielsweise konnte ich ohne meine Markterfahrung nicht einschätzen, wie der Baumarkt damit umgeht und wie ich die Kolleginnen und Kollegen dabei bestmöglich unterstützen kann.
Ich bin seit 2019 im Bausteinlabor und wollte das nun endlich ändern. Um mich selbst zu verbessern und auch um Christoph, meinen Chef, besser unterstützen zu können. Also habe ich mich gemeinsam mit Christoph an die toom-Schwerbehindertenvertretung und an verschiedene regionale Verkaufsleiter (RVKLs) gewendet. Zum Glück meldete sich kurze Zeit später ein RVKL und stellte den Kontakt zu jemandem aus Albstadt her, der sich nach seiner Versetzung nach Villingen-Schwenningen gerne bereit erklärte, mir zu helfen. Der Zufall: Der Kollege – Joshua – und ich kannten uns bereits von früher.
one: Kannst du uns als Laien erklären, warum eine Begleitperson in diesem Fall für dich so wertvoll gewesen ist?
Mario Boy: Joshua kann zwar nur ein paar Gebärden, wusste aber aus Erfahrung ganz genau, wie er mit meiner Beeinträchtigung umgehen soll. Dass er zum Teil Gebärdensprache beherrscht, war in vielen Situationen hilfreich. Zudem weiß er, dass er mich beim Sprechen anschauen muss, damit ich seine Lippen lesen kann und bestenfalls etwas langsamer spricht. Das können andere Kolleginnen und Kollegen natürlich auch. Aber es war schon einfacher, dass Joshua es gewohnt war und automatisch eingesetzt hat.
one: Welche Aufgaben hast du im Markt übernommen? Gab es Parallelen zu deinem Job?
Mario Boy: Das Bausteinlabor bei toom ist dafür da, um Produkte aus unserem Sortiment anhand von Musteraufbauten und Regalpräsentationen für die Marktpräsentation vorzubereiten. Das Sortiment wird dabei in Bausteine unterteilt. Es gibt also durchaus eine Parallele zu meinen Marktkolleg:innen.
Ich bin im Bausteinlabor vorwiegend für die Dokumentation und das Aufbauen der Bausteine verantwortlich. Zudem kümmere ich mich um die entsprechende Marktzuordnung der Teile und um „Tausch auf Platz“, also den Austausch von Artikeln im Baustein durch Nachfolgeprodukte oder Verpackungsupdates.
Bei meinem Markteinsatz hat Joshua mich kurz rumgeführt und dann ging es direkt los. Zuerst haben wir die Warenretoure gemacht. Das klappte ganz gut. Da der Herbstcheck bald ansteht, bei dem alle Bausteine kontrolliert werden, haben wir anschließend dafür schon einmal ein paar Bausteine übergeprüft. Ich dachte das geht schnell – dauert vielleicht eine Stunde – aber nix da! Einen ganzen Tag haben wir dafür gebraucht. Was ich in meiner Kalkulation nicht bedacht habe: Im Bausteinlabor gibt es ja keine Kund:innen. Joshua und ich waren mit nur einer anderen Kollegin gemeinsam auf der Fläche. Daher waren wir die meiste Zeit ausschließlich für die Kund:innen da. Das ist super anstrengend, das unterschätzt man!
Ansonsten war ich sehr überrascht, wie viel ich machen durfte. Joshua hat mir über die Schulter geguckt, aber ich habe angepackt. Das hat mir sehr gefallen.
one: Was waren die Highlights des Markteinsatzes: Was hat dir am besten, was am wenigsten gefallen?
Mario Boy: Am bestens gefallen hat mir, dass Joshua mein Marktbegleiter war und er mich alles hat mitmachen lassen. Ich durfte deutlich mehr selbst machen, als ich mir vorgestellt habe. Ich durfte beispielsweise Teppiche und Rollrasen schneiden, Holzzuschnitte machen, mit dem elektrischen Hubwagen fahren und mit diesem Waren aus dem Regal holen. Joshua war zu jeder Zeit dabei, hat mich motiviert und mir Tipps gegeben, wie ich das am bestens machen kann. Ich fand es einfach total gut, dass er mir da so viel Vertrauen entgegengebracht hat.
Was mir nicht gefallen hat? Was soll ich dir sagen? Insgesamt fand ich den Markteinsatz einfach super.
one: Hattest du durch deinen Job einen anderen Blick für die Tätigkeiten oder den Ablauf im Markt?
Mario Boy: Da wir im Bausteinlabor Bausteine dokumentieren bzw. „Tausch auf Platz“ machen, sind wir nah am Markt. Wir arbeiten meistens „visuell“ – im Markt ist es dann Realität. Daher habe ich vor Ort darauf geachtet, wo es Probleme gibt, was den Kolleg:innen hilft und was nicht oder auch, was wir für den Markt besser machen können.
one: Welche Erkenntnisse hast du aus dem Markteinsatz mitgenommen?
Mario Boy: Wie gesagt: Im Bausteinlabor ist es recht einfach. Wir machen den Baustein fertig, dann sieht er super aus – fertig.
Nicht so im Markt. Ich war fast erschrocken, wie es da „in Echt“ aussieht. Die Kundinnen und Kunden machen echt Unordnung – das hat mich überrascht. (lacht) Es macht Sinn, aber da habe ich nie drüber nachgedacht. Das werde ich auf jeden Fall mitnehmen, wenn ich den nächsten Baustein plane. Die Realität ist im Markt und da müssen ein paar Dinge einkalkuliert werden.
Zusätzlich haben die Markt-Kollegen:innen natürlich im Gegensatz zu mir keine flexiblen Arbeitszeiten. Da ist 8 Uhr Arbeitsbeginn. Es ist wirklich eine Umgewöhnung in geregelten Arbeitszeiten zu arbeiten... Und wenn jemand krank ist, muss halt einer länger bleiben, um für die Kundinnen und Kunden da zu sein. Ich muss also sagen, die Marktmitarbeitenden haben es echt schwerer, was das angeht. Ich fand es erstaunlich, wie unterschiedlich Joshuas und meine Gewohnheiten und auch Einstellungen da sind.
one: Hattest du aufgrund deiner Beeinträchtigung bei etwas Schwierigkeiten? Konntest du einen Teil des Jobs nicht machen?
Mario durfte beim Markteinsatz mehr machen, als er sich vorgestellt hatte – zum Beispiel Teppiche und Rollrasen schneiden. Mario Boy: Mein größter Nachteil ist in solchen Fällen die Kommunikation. Ein Beispiel: Wenn Kundinnen oder Kunden kommen und lediglich fragen „Wo finde ich…?“ bin ich komplett raus. Zum einen, da ich nichts verstanden habe, zum anderen, weil ich mich im Markt nicht genug auskenne. Bevor ich also etwas Falsches sage, habe ich das lieber Joshua überlassen, der sich um alle Fragen gekümmert hat.
Zudem verliere ich auch schnell mein Selbstbewusstsein, wenn ich jedes Mal den Kund:innen sagen muss „Könnten Sie das nochmals wiederholen, ich verstehe Sie leider aufgrund meiner Hörbeeinträchtigung nicht so gut.“ Oft reagiert mein Gegenüber dann genervt oder wird unfreundlich.
Ein zusätzlicher Schwierigkeitsfaktor: Die Baden-Württemberger haben einen ganz anderen Dialekt! Dieser ist für mich beim Lippenlesen viel schwieriger zu lesen. Dieser Aspekt plus die Tatsache, dass ich mich nicht auskannte und die Kund:innen auf keinen Fall falsch beraten wollte, haben dazu geführt, dass ich stets gebeten habe auf meinen Kollegen zu warten, da es „mein erster Tag“ sei. Die meisten haben das akzeptiert und gewartet. Aber es gibt natürlich auch immer Leute, die das nicht tun und unfreundlich werden. Vor allem, weil sie mich vielleicht akustisch nicht gut verstanden und mir meine Beeinträchtigung angemerkt haben. Das hat es mir, so denke ich, schon etwas schwerer gemacht. Nichtsdestotrotz möchte ich meinen Markteinsatz nicht missen. Ich habe wertvolle Erfahrungen gesammelt und mich außerdem gefreut, Joshua wiederzusehen.