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Vielfaltsmonat, Teil 5: Scott McDonald
„Die Mitarbeitenden glücklich – und vor allem gesund erhalten“
von Bettina Rees

Nicht den Menschen verändern, sondern das System: Gesamtschwerbehindertenvertreter Scott McDonald über Kopfkino bei Bewerbungsgesprächen, Prävention auf dem Kassenstuhl, stille Stunden im Supermarkt, den pfleglichen Umgang mit älteren Mitarbeitenden – und darüber, dass die Jugend (wie immer) besser ist als ihr Ruf.

one: Scott, Du bist seit rund eineinhalb Jahren als Gesamtschwerbehindertenvertreter der REWE und PENNY Markt GmbH eine Art oberster Hüter dafür, dass die Interessen und Bedürfnisse der Kolleg:innen mit Schwerbehinderung wahrgenommen werden. Was ist Stand der Dinge?
Scott McDonald:
Mitten in Corona ist unsere Inklusionsvereinbarung in Kraft getreten. Daran entlang habe ich mir angeschaut: Was haben wir, was wollen oder brauchen wir, wie kommen wir dahin.  
 
one: Und…?
Scott McDonald: Zuerst einmal: Es geht nicht darum, den Menschen zu verändern, sondern das System. Die Menschen sind gut so, wie sie sind. Jede:r hat das Recht, „normal“ und respektvoll behandelt zu werden. Ob mit Erkrankung oder ohne. Der zweite Punkt: Schwerbehinderung ist nicht gleich Inklusion, sondern nur ein Teil davon. Inklusion meint den gesellschaftlichen Umgang mit Schwerbehinderung, meint die Teilhabemöglichkeiten von Schwerbehinderten, meint Barrierefreiheit, meint die Wege, neue Kolleg:innen zu gewinnen…

Scott McDonald
Seit 34 Jahren ist der gebürtige Schotte Scott McDonald der REWE-Region Nord treu, genauer gesagt der Logistik Lehrte. Schon lange engagiert er sich dort als Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung (SBV). Seit Anfang 2023 ist McDonald Vorsitzender der Gesamtschwerbehindertenvertretung der REWE und PENNY Markt GmbH.

one: Welche Wege können das sein?
Scott McDonald:
Es geht um Chancengleichheit für alle. Um mehr Mut zum Risiko, Menschen mit Beeinträchtigungen diese Chance zu gewähren. Wenn es nicht funktioniert, dann haben wir es wenigstens versucht. Und mal ehrlich: Auch bei Menschen ohne Beeinträchtigung birgt eine Einstellung immer das Risiko, dass es nicht passt.  
 
one: Was könnten denn Risiken sein?
Scott McDonald:
Jemand gibt im Vorstellungsgespräch den Grad seine Schwerbehinderung preis. Da fängt es bei der einen oder anderen Führungskraft im Kopf sicher an zu rattern: Oje, er fällt sicher oft aus. Oh, ihr kann ich nie mehr kündigen…  Das ist Quatsch. Die rechtlichen Bedingungen sind erstmal für alle gleich. Aber was ich meine: Man denkt schon an die negativen Folgen, bevor der Mensch überhaupt einen Arbeitsvertrag unterschrieben und seine Chance erhalten hat.  Das sind aber Ausnahmen, tatsächlich handeln die meisten bei uns anders. Aber es könnten natürlich immer mehr sein.  
 
one: Welche Konsequenz zieht Ihr?
Scott McDonald:
Im Norden haben wir ein Inklusionsteam gebildet, es besteht unter anderem aus Vertreter:innen von HR, Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung, Gesundheitsmanagement, Recruiting und Fachkräften für Arbeitssicherheit. Wir sind eine bunte Truppe, die gemeinsam Ideen sammelt und sich austauscht.  

„Unsere Kolleg:innen sind das Wichtigste, daher müssen wir sie „hegen und pflegen“, so gut es geht.“
Scott McDonald

one: Welche Ideen sind das?
Scott McDonald:
Derzeit testen wir drei Projekte: Do Day, Schichtwechsel und Stille Stunde.  
Do Day ist eine Art Boys and Girls Day für Interessent:innen aus Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Einen Tag lang schnuppern sie ins Unternehmen hinein und schauen uns über die Schulter. Und vielleicht gibt es ja für den einen oder die andere eine Zukunft bei uns…
 
Schichtwechsel ist hingegen eine Art 1:1-Wechsel. Ich arbeite einen Tag lang in einer WfbM und nehme dort den Platz von jemandem ein, der wiederum auf meinen Arbeitsplatz geht.  
 
Stille Stunde ist ein Konzept aus Neuseeland, um Menschen mit Autismus das Einkaufen zu ermöglichen. Der Markt stellt regelmäßig für eine bestimmte Zeit alles leise und dimmt das Licht. Viele Kaufleute machen das schon bei uns, ich möchte das gerne in einer geeigneten Filiale anbieten. Interessant ist: Das kommt nicht nur bei autistischen oder älteren Kund:innen gut an, sondern auch bei unseren Mitarbeitenden. Sie empfinden es als große Entlastung, wenn an einem Tag in der Woche für eine Stunde alles leise ist, Pieptöne aus, keine Durchsagen, weniger Licht… Wir machen uns kaum eine Vorstellung davon, wie es ist, täglich diesen Reizen ausgesetzt zu sein.  
 

PENNY-Mitarbeiterin Christin Schehack fehlt der linke Unterarm. Ihre erst skeptische Chefin konnte sie beim Probearbeiten an der Kasse von sich überzeugen. 

Mehr zu Christin Schehack und zwei weiteren PENNY-Kollegen mit einer Behinderung.

one: Das Konzept kommt nicht nur Kund:innen, sondern auch den Mitarbeitenden zugute …  
Scott McDonald:
Unsere Kolleg:innen sind das Wichtigste, sie halten das Ganze am Leben, daher müssen wir sie „hegen und pflegen“, so gut es geht. Vor allem, wenn sie älter werden, geht es um das Wie: Wie können wir sie glücklich, zufrieden und vor allem gesund und erhalten. Wie bleiben sie gesund, um möglichst lange bleiben zu können. Die Belastung, zum Beispiel in den Märkten oder in der Logistik, ist ja hoch und es sind erwiesenermaßen die Älteren, die im Laufe ihres Arbeitslebens erkranken.
Missversteh mich nicht, alle sollen bitte schön gesund bleiben. Aber es ist realistisch, dass die meisten irgendwann einmal erkranken. Die einen früher, die anderen später.  Und meine Frage als Schwerbehindertenvertreter ist: Welche Ideen haben wir dafür, dass das so spät wie möglich passiert?
 
one: Welche Ideen haben wir?
Scott McDonald:
Wir tun sehr viel, um die Kolleg:innen gesund zu halten. Wir müssen das nur mehr kommunizieren. Ein Beispiel: Ob im Büro oder an der Kasse: Wer lange sitzt, braucht Unterstützung. Fürs Büro sind die höhenverstellbaren Tische eine tolle Sache. Wir sind derzeit dran an neuen Kassenstühlen und schauen uns die Kassenplätze an. Den perfekten Sitzplatz für jede:n wird es nicht geben, aber es geht darum, Belastungen zu mindern. Nur ein Beispiel für das, was wir in Sachen Gesundheit alles anbieten. Aber die Kolleg:innen nehmen vieles leider nicht wahr. Wir müssen zum Beispiel immer und immer wieder auf darauf hinweisen, wie man richtig sitzt...

„Wir sind schon ziemlich gut beim Thema Inklusion. Aber wir reden noch zu leise darüber.“
Scott McDonald

 

one: Wer gesund ist, kann sich nicht vorstellen, krank zu sein?
Scott McDonald:
Die meisten kommen leider erst, wenn das Kind schon zweimal in den Brunnen gefallen ist. Ich bin eigentlich ein absoluter Fan von Prävention. Unser Alltag in der Schwerbehindertenvertretung ist aber leider mehr Gegensteuern und weniger Prävention.  
 
one: Ihr würdet gerne früher, das heißt, bei den jungen Kolleg:innen anfangen?
Scott McDonald:
Ja. Und das geht auch gut. Ich habe den Eindruck, die jüngere Generation erwartet mehr vom Leben und hat daher ein größeres Bewusstsein für Gesundheitsthemen. Die Älteren erkennen oft erst im Laufe ihres Lebens und oft als Folge einer Erkrankung, was gut für sie ist. Aber die junge Generation ist bewusster. 

one: Abschließend noch die Frage: Was würdest Du einer schwerbehinderten Bewerberin, einem Bewerber mit einem gewissen Grad der Behinderung raten: Das im Vorstellungsgespräch offenlegen oder nicht?
Scott McDonald:
Hier kann ich nichts raten, aber wünschen würde ich mir, dass irgendwann jede:r mit einer Beeinträchtigung offen umgeht und sich diese Frage gar nicht mehr stellt. Dass wir das Unternehmen sind, das allen die verdiente Chance gibt. Dass ich als Mensch mit Behinderung genauso bewertet werde wie jemand ohne. Ich denke, meist tun wir das schon. Wir sind im Grunde schon ziemlich gut beim Thema Inklusion. Aber wir reden noch zu leise darüber. 

 

Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
•    Förderung der Eingliederung schwerbehinderter Menschen
•    Vertretung der Interessen schwerbehinderter Menschen im Unternehmen
•    Beratung und Hilfe für schwerbehinderte Menschen im Unternehmen

Mein Kommentar
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Kommentare
Ralph Seidel
vor 1 Monat und 19 Tagen

Der Kollege spricht mir gleichermaßen aus dem Herzen und meiner Seele.

Lieber Scott, danke für Dein öffentliches Statements.

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