
Prof. Dr. Karim Fereidooni ist Sozialwissenschaftler und eine der führenden Stimmen zu Rassismuskritik, Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe in einer diversen Gesellschaft. Im Interview erklärt er, warum es nicht reicht, Vielfalt nur zu feiern – und was sowohl Unternehmen als auch jede:r Einzelne proaktiv tun kann, um Teilhabe zum Beispiel am Arbeitsplatz zu fördern.

one: Herr Prof. Fereidooni, warum ist das Thema Teilhabe und Ausgrenzung gerade für ein Unternehmen wie die REWE Group von Bedeutung?
Fereidooni: Weil ein Unternehmen wie die REWE Group mitten in der Gesellschaft steht – mit Mitarbeitenden, Kundschaft und Partnern, die sehr vielfältig sind. Wer hier nicht sensibel für Ungleichbehandlungen ist, übersieht nicht nur potenzielle Konflikte, sondern auch Chancen. Teilhabe sorgt für ein besseres Betriebsklima und bessere Leistungen – das belegen viele Studien.
one: Ganz konkret: Welche Schritte kann jede:r gehen, um mehr Offenheit und Teilhabe zu fördern?
Fereidooni: Es beginnt im Kleinen. Zuhören, nicht sofort werten, Rückfragen stellen statt vorschnell urteilen – das sind keine komplizierten Maßnahmen, aber sie wirken. Offenheit fängt mit einer Haltung an: Will ich verstehen oder will ich Recht behalten? Wer sich für das Verstehen entscheidet, wird automatisch sensibler für Diskriminierung und Ausgrenzung.
„Offenheit fängt mit einer Haltung an: Will ich verstehen oder will ich Recht behalten? Wer sich für das Verstehen entscheidet, wird automatisch sensibler für Diskriminierung und Ausgrenzung.“
Prof. Dr. Karim Fereidooni
one: Sie haben in Ihrem Vortrag viele Begriffe genannt – von Ableismus bis Heteronormativität. Welche dieser Mechanismen begegnen Ihnen im Alltag am häufigsten – und woran erkennt man sie?
Fereidooni: Am häufigsten erlebe ich tatsächlich Alltagsrassismus – also subtile Formen von Ausgrenzung, zum Beispiel durch stereotype Zuschreibungen: „Du sprichst aber gut Deutsch!“ – das soll nett klingen, zeigt aber, dass der oder die andere offensichtlich nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft gesehen wird. Ähnlich verhält es sich mit Heteronormativität, also der Annahme, dass alle heterosexuell sind – das passiert etwa in Gesprächen über Partnerschaften oder Familie.
one: Wie können Führungskräfte dafür sorgen, dass sich Mitarbeitende mit Einwanderungsgeschichte gesehen und gefördert fühlen?
Fereidooni: Zuerst, indem sie sich ihrer eigenen Perspektive bewusst sind. Viele Führungskräfte sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie selbst mit bestimmten Normen und Annahmen arbeiten. Wer sich mit Fragen wie „Wer wird eigentlich befördert?“ oder „Wem vertraue ich automatisch mehr?“ auseinandersetzt, legt die Grundlage für eine gerechtere Führung. Hinzu kommt: Förderung bedeutet nicht nur Trainings und Programme, sondern auch Raum für Erfahrung und Stimme – und das jeden Tag.

Fereidooni: Begegnung auf Augenhöhe ist zentral – aber nicht erzwungen. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Mitarbeitende über ihre Erfahrungen sprechen können, ohne bewertet zu werden. Das kann ein moderiertes Teamgespräch sein, ein regelmäßiger Austausch in kleinen Runden oder auch ein anonymes Feedbacksystem. Wichtig ist: Die Geschäftsführung muss das ernst meinen. Wenn Vielfalt als „Add-on“ gesehen wird, funktioniert es nicht. Vielfalt braucht Haltung – nicht nur Programme.
one: Der CSD in Köln – ein großes, politisches Event, das wir als REWE Group seit Jahren unterstützen. Gleichzeitig ziehen sich manche großen Sponsoren zurück. Wie groß ist Ihre Sorge über solche gesellschaftlichen Entwicklungen?
Fereidooni: Meine Sorge ist groß, weil wir weltweit beobachten, dass errungene Freiheiten wieder zurückgedrängt werden – sei es im Bereich sexueller Vielfalt, bei Frauenrechten oder im Umgang mit Migrant:innen. Wenn Unternehmen wie die REWE Group Haltung zeigen und sich klar positionieren, ist das ein starkes Signal. Gerade jetzt braucht es Menschen und Institutionen, die nicht mit dem Wind drehen, sondern auch in stürmischen Zeiten für Offenheit, Toleranz und Demokratie einstehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Teilhabe beschreibt die aktive Teilnahme von Menschen am gesellschaftlichen Zusammenleben. Menschen sollten in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden, ob, wo, wie und warum sie sich engagieren und einbringen.

Ableismus. Ableismus bedeutet, dass Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung ausgegrenzt werden. Sie werden oft nur nach dem beurteilt, was sie (angeblich) nicht können – und darauf reduziert statt als ganzheitliche Person gesehen.
Caregiver Discrimination (Diskriminierung von Fürsorgeleistenden). Neben der Kinderbetreuung wird für viele Berufstätige auch die Pflege von Angehörigen immer wichtiger – besonders, weil die Bevölkerung älter wird. Wenn Menschen im Job Nachteile haben, weil sie sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern, nennt man das „Caregiver Discrimination“. Das bedeutet: Fürsorgende werden im Berufsleben benachteiligt – zum Beispiel wegen Elternzeit oder Pflegezeiten.
Heteronormativität. Heteronormativität bedeutet, dass viele Menschen davon ausgehen, nur Heterosexuelle und Cis-Personen (also Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt) seien „normal“. Andere sexuelle Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten gelten dann als „anders“ – und werden oft nicht akzeptiert, ausgeschlossen oder übersehen.
Sexismus. Sexismus bedeutet, dass Menschen wegen ihres sozialen Geschlechts (Gender) benachteiligt oder schlechter behandelt werden. Dahinter stecken oft feste Rollenbilder und Vorurteile. Besonders häufig von Sexismus betroffen sind Frauen, Lesben, trans-, inter- und nicht-binäre Personen (kurz: FLINTA – das steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binär, trans und agender bzw. asexuelle Personen).
Rassismus. Rassismus bedeutet, dass Menschen wegen äußerlicher Merkmale oder ihrer Herkunft schlechter behandelt werden – zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe, ihres Namens, ihrer Sprache oder ihrer Haare. Sie werden dadurch benachteiligt, ausgeschlossen oder abgewertet.
Klassismus. Klassismus bedeutet, dass Menschen wegen ihrer sozialen Herkunft oder ihres sozialen Status benachteiligt oder abgewertet werden. Dabei geht es oft um Dinge wie Einkommen, Bildung oder Beruf. Häufig stecken Vorurteile gegenüber bestimmten sozialen Gruppen dahinter.
(Neo)Linguizismus. (Neo)Linguizismus bedeutet, dass Menschen benachteiligt oder abgewertet werden, weil sie eine bestimmte Sprache sprechen oder so sprechen, wie es mit ihrer Herkunft zusammenhängt. Das zeigt sich oft in Vorurteilen oder abfälligen Kommentaren über ihre Sprache oder ihren Sprachstil.
Quelle: Vortrag „Die Kraft der Vorstellung. Wie kann unsere Gesellschaft für alle Menschen inklusiver werden?“, von Prof. Dr. Karim Fereidooni, 22.5.2025.

Der erste Schritt, Vorurteile abzulegen ist, sich ihrer überhaupt bewusst zu werden und sie auf den Prüfstand zu stellen. Die Reflexion der eigenen Situation, der eigenen Privilegien, fördert, dass wir uns mit Teilhabe in all ihren Facetten auseinandersetzen. Darüber hinaus kann sich jede:r Einzelne bereits „im Kleinen“, zum Beispiel am Arbeitsplatz, aktiv für die Teilhabe aller einsetzen. Neugierig geworden? Hier gibt es praktische Tipps.

Prof. Dr. Karim Fereidooni ist Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied der Lehr- und Forschungseinheit Fachdidaktik an der Fakultät für Sozialwissenschaft und zudem kooptiertes Mitglied der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft. Seine Forschungsschwerpunkte: Rassismuskritik in pädagogischen Institutionen, Schulforschung und Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft, Diversitätssensible Lehrer:innenbildung.












