Nur zwei Beispiele von vielen, die irgendwann bei den Schwerbehindertenvertretern an die Tür klopfen. Das ist die Bezeichnung für die gesetzlich vorgeschriebenen, innerbetrieblichen Vertrauenspersonen von Kollegen mit körperlichen oder seelischen Erkrankungen. Vor allem die Zahl letzterer steigt und beschäftigt die Schwerbehindertenvertreter zunehmend. Anlass, mit zwei von ihnen darüber zu sprechen.
Thomas Weber „Nur zwölf Prozent der Arbeitnehmer weisen bereits vor ihrer Einstellung eine Behinderung auf. Die überwiegende Mehrheit der Behinderungen entsteht vielmehr aus Krankheiten, die im Laufe eines Arbeitslebens entstehen. Arbeiten ist sozusagen ein Berufsrisiko.
Also muss sich nicht der Mensch mit Behinderung anpassen, sondern die Arbeitswelt. Eine gesellschaftliche Teilhabe muss von vornherein für alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, gleichermaßen möglich sein. Ziel des Arbeitgebers ist es, die Mitarbeiter im Unternehmen zu behalten und Arbeitssicherung vorzunehmen.
Unser Vorstandsvorsitzender Lionel Souque positioniert sich hierzu ganz klar und konkret, das finde ich gut. Wir Schwerbehindertenvertreter werden bei Problemen und Gesprächen involviert und beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) mit ins Boot geholt, wir stehen in engem Austausch mit Betriebsrat und Personalwesen. Mit deren Vertretern kümmern wir uns um die Umsetzung der Integrationsvereinbarung, die die REWE Group 2002 für ihre Geschäftsbereiche geschlossen hat und die in Kürze unter dem Namen Inklusionsvereinbarung neu überarbeitet wird. Sie regelt auch die Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter sowie Schulungen für Führungskräfte.
„Es dauert, bis man Zugang zu Menschen mit seelischer Erkrankung findet.“Thomas Weber Man sieht ja nicht immer sofort, ob eine Behinderung vorliegt. Ob jemand an Krebs, einem Rückenleiden oder an Depression erkrankt ist, erkennen Sie nicht auf Anhieb. Denn auch wenn Muskel-Skelett-Erkrankungen überwiegen, immer mehr Menschen erkranken an psychischen Belastungen.
Und diese Menschen zu begleiten, mit ihnen intensive Gespräche zu führen, das braucht mehr Zeit, als das Thema „richtig heben und tragen“ zu besprechen. Es dauert, bis man einen Zugang zu Menschen mit seelischer Erkrankung findet, bis man gemeinsam mit ihnen geeignete Hilfsmaßnahmen auswählt. Die Herausforderung ist eine andere. Man ist noch mehr mit Schicksalen konfrontiert. Die Welt dreht sich schneller, der Anspruch an die Arbeitskräfte wird höher, der Leistungsdruck größer. Und wir können hier nur helfen, wenn jemand bereit ist, mit uns zu reden.
Dafür gibt es für uns Schwerbehindertenvertreter Fortbildungen, Supervisionen und Schulungen. Wir sind ja keine Ärzte. Aber wir begleiten mit.
Unterm Strich finde ich wir sind beim Thema „Seele“ schon ziemlich weit. Es braucht hier zwar noch einiges an Aufklärung. Aber es wird thematisiert, damit sind wir auf einem ganz guten Weg.“
und Ausgleichsabgaben
Silvia Frauenkron
one: Frau Frauenkron, was gehört zum „täglich Brot“ der Schwerbehindertenvertreter?
Silvia Frauenkron: Wir unterstützen unter anderem bei Anträgen, zum Beispiel zur Feststellung einer Schwerbehinderung oder auf Hilfsmittel. Wir begleiten im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements Langzeitrückkehrer, wir unterstützen bei der nicht einfachen Suche nach innerbetrieblichen Jobalternativen. Einen leichteren Job zum Beispiel für einen Kommissionierer, der nach teils Jahrzehnte langem, durch Prämien angesporntes schnelles und wenig schonendes Heben und Tragen den Rücken kaputt hat. Aber vor allem hören wir zu und haben Zeit für die Nöte und Fragen. Kurz: Wir verstehen uns als Vertrauenspersonen.
„Seelischen Belastungen haftet für viele Menschen immer noch ein Stigma an.“Silvia Frauenkron
one: Ein Rückenleiden als Folge jahrelanger körperlicher Tätigkeit ist ja eine für jeden klare und nachvollziehbare Sache. Wie sieht es da mit seelischen Erkrankungen aus?
Silvia Frauenkron: Das ist aus mehreren Gründen nicht so einfach. Zum einen dauert es bei vielen Betroffenen lange, bis sie es sich selbst eingestehen. Seelischen Belastungen haftet für viele Menschen immer noch ein Stigma an. Außer vielleicht in den Führungsetagen, wo ein Burnout manchmal als „Ritterschlag“ gehandelt wird.
Zum anderen kann man nicht so klar trennen zwischen beruflichen und privaten Auslösern. Wenn die Arbeit eine Überforderung darstellt, das Private aber keinen Ruhepol bietet, sondern selbst in Schieflage ist…. Vielfach kommen mehrere Krankheiten zusammen, zum Beispiel eine seelische Belastung als Folge chronischer Schmerzen oder einer Krebserkrankung.
Seelische Erkrankungen, wie Depressionen, Panikattacken, Traumata, sind zudem oft nicht sofort eindeutig erkennbar. Rückzug, Leistungsabfall durch starke Konzentrationsprobleme, äußerliche Veränderungen aber auch aggressives Verhalten können Symptom einer Depression sein.
one: Was raten Sie mir als Führungskraft oder Kollegin, wenn ich bei einem Mitarbeiter, einer Kollegin solche Veränderungen wahrnehme?
Silvia Frauenkron: Ganz klar: Sie sind keine Therapeutin! Aber mit etwas Sensibilität und Aufmerksamkeit bekommen Sie Veränderungen im Umfeld mit. Sprechen Sie die Person an. Wenn Sie dort nicht weiterkommen, können Sie die Betriebspsychologin, sofern vorhanden, oder aber auch uns Schwerbehindertenvertreter kontaktieren.
one: Welche Rolle spielt eine Führungskraft für einen seelisch erkrankten Mitarbeiter?
Silvia Frauenkron: Eine wichtige. Die eine Führungskraft ist durch ihren Stil am Burnout eines Mitarbeiters nicht ganz unschuldig. Die andere ermöglicht mit Verständnis, dass ein seelisch belastetes Teammitglied gute Leistungen erbringt. Nach meiner Erfahrung sind Führungskräfte, die selbst oder im privaten Umfeld seelische Probleme erlebt haben, deutlich offener. Und vielleicht geduldiger. Denn oft geht es nach langen Monaten auf einmal rapide bergauf. Die Auslöser dafür sind ganz verschieden. Daher sage ich zu den Führungskräften und Personalern oft: Warte noch ein Weilchen, gib diesem Menschen noch eine Chance.
Denn der geregelte Tagesablauf, das Beschäftigt sein, das Gebraucht werden – also all das, was Arbeit bedeutet, ist für schwer behinderte Menschen total wichtig.
one: So kurz vor Weihnachten unsere Abschlussfrage: Was steht auf Ihrem Wunschzettel für den innerbetrieblichen Umgang mit seelisch erkrankten Kolleginnen und Kollegen?
Silvia Frauenkron: Sensibilisierte Führungskräfte! Und um das zu erreichen, ein für alle Führungskräfte verbindliches Seminar. Zudem wünsche ich mir eine psychologische Sprechstunde an jedem Standort, die aus einem Gesamttopf finanziert wird. Das würde den einzelnen Standorten den Kostendruck nehmen.
„Urteile nie über das, was Du selbst nicht hast“, das ist das Leitmotiv, mit dem Silvia Frauenkron an ihre Aufgaben als Schwerbehindertenvertreterin der Region REWE West II herangeht. Seit 29 Jahren ist sie im Unternehmen, seit acht Jahren kümmert sich die freigestellte Betriebsrätin nun auch um die Belange der Schwerbehinderten in den insgesamt 8 Gesellschaften und 7 Personalabteilungen der Region.