Lesedauer: 5 Minuten
Schwerbehindertenvertreter im Gespräch
„Die Seele ist Thema. Damit sind wir auf einem guten Weg“
Das Arbeitsleben selbst bildet die größte Gefahr, eine Schwerbehinderung zu erleiden. Arbeiten stellt also ein Berufsrisiko dar. Dabei sind es weniger die ungleich dramatischeren Arbeitsunfälle, sondern vielmehr die schleichenden Verschleißprozesse, die auf leisen Sohlen kommen. Und das Tag für Tag, bis wir nicht mehr umhin können, sie zu bemerken: Die schweren Paletten oder Kisten schreiben sich in den Rücken ein. Die jahrelange Überforderung durch Vorgesetzte – und sich selbst – brennt sich in die Seele …
Nur zwei Beispiele von vielen, die irgendwann bei den Schwerbehindertenvertretern an die Tür klopfen. Das ist die Bezeichnung für die gesetzlich vorgeschriebenen, innerbetrieblichen Vertrauenspersonen von Kollegen mit körperlichen oder seelischen Erkrankungen. Vor allem die Zahl letzterer steigt und beschäftigt die Schwerbehindertenvertreter zunehmend. Anlass, mit zwei von ihnen darüber zu sprechen.
Thomas Weber im Interview
„Nicht der Behinderte muss sich anpassen, sondern die Arbeitswelt.“
Thomas Weber, Gesamtschwerbehindertenvertreter der REWE Markt GmbH/Penny Markt GmbH, über Arbeit als wichtigstes Berufsrisiko.
Thomas Weber
„Es dauert, bis man Zugang zu Menschen mit seelischer Erkrankung findet.“
Thomas Weber
Von Vertrauenspersonen
und Ausgleichsabgaben
und Ausgleichsabgaben
Das Wort Arbeit hat seinen Ursprung im mitteldeutschen Wort für Mühsal, Plage. Um Arbeitnehmern mit (Schwer-) Behinderung das Berufsleben zu erleichtern oder überhaupt möglich zu machen, gibt es eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen, die meisten davon im Sozialgesetzbuch (SGB). Hier eine kleine Auswahl.
Silvia Frauenkron im Interview
„Wartet noch ein Weilchen und gebt dem Menschen eine Chance“
Silvia Frauenkron vertritt die Belange der Schwerbehinderten im Bereich REWE West II. one sprach mit ihr insbesondere über die Situation von Mitarbeitern mit seelischen Erkrankungen.
Silvia Frauenkron
Silvia Frauenkron: Wir unterstützen unter anderem bei Anträgen, zum Beispiel zur Feststellung einer Schwerbehinderung oder auf Hilfsmittel. Wir begleiten im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements Langzeitrückkehrer, wir unterstützen bei der nicht einfachen Suche nach innerbetrieblichen Jobalternativen. Einen leichteren Job zum Beispiel für einen Kommissionierer, der nach teils Jahrzehnte langem, durch Prämien angesporntes schnelles und wenig schonendes Heben und Tragen den Rücken kaputt hat. Aber vor allem hören wir zu und haben Zeit für die Nöte und Fragen. Kurz: Wir verstehen uns als Vertrauenspersonen.
„Seelischen Belastungen haftet für viele Menschen immer noch ein Stigma an.“
Silvia FrauenkronSilvia Frauenkron: Das ist aus mehreren Gründen nicht so einfach. Zum einen dauert es bei vielen Betroffenen lange, bis sie es sich selbst eingestehen. Seelischen Belastungen haftet für viele Menschen immer noch ein Stigma an. Außer vielleicht in den Führungsetagen, wo ein Burnout manchmal als „Ritterschlag“ gehandelt wird. Zum anderen kann man nicht so klar trennen zwischen beruflichen und privaten Auslösern. Wenn die Arbeit eine Überforderung darstellt, das Private aber keinen Ruhepol bietet, sondern selbst in Schieflage ist…. Vielfach kommen mehrere Krankheiten zusammen, zum Beispiel eine seelische Belastung als Folge chronischer Schmerzen oder einer Krebserkrankung. Seelische Erkrankungen, wie Depressionen, Panikattacken, Traumata, sind zudem oft nicht sofort eindeutig erkennbar. Rückzug, Leistungsabfall durch starke Konzentrationsprobleme, äußerliche Veränderungen aber auch aggressives Verhalten können Symptom einer Depression sein. one: Was raten Sie mir als Führungskraft oder Kollegin, wenn ich bei einem Mitarbeiter, einer Kollegin solche Veränderungen wahrnehme?
Silvia Frauenkron: Ganz klar: Sie sind keine Therapeutin! Aber mit etwas Sensibilität und Aufmerksamkeit bekommen Sie Veränderungen im Umfeld mit. Sprechen Sie die Person an. Wenn Sie dort nicht weiterkommen, können Sie die Betriebspsychologin, sofern vorhanden, oder aber auch uns Schwerbehindertenvertreter kontaktieren. one: Welche Rolle spielt eine Führungskraft für einen seelisch erkrankten Mitarbeiter?
Silvia Frauenkron: Eine wichtige. Die eine Führungskraft ist durch ihren Stil am Burnout eines Mitarbeiters nicht ganz unschuldig. Die andere ermöglicht mit Verständnis, dass ein seelisch belastetes Teammitglied gute Leistungen erbringt. Nach meiner Erfahrung sind Führungskräfte, die selbst oder im privaten Umfeld seelische Probleme erlebt haben, deutlich offener. Und vielleicht geduldiger. Denn oft geht es nach langen Monaten auf einmal rapide bergauf. Die Auslöser dafür sind ganz verschieden. Daher sage ich zu den Führungskräften und Personalern oft: Warte noch ein Weilchen, gib diesem Menschen noch eine Chance. Denn der geregelte Tagesablauf, das Beschäftigt sein, das Gebraucht werden – also all das, was Arbeit bedeutet, ist für schwer behinderte Menschen total wichtig. one: So kurz vor Weihnachten unsere Abschlussfrage: Was steht auf Ihrem Wunschzettel für den innerbetrieblichen Umgang mit seelisch erkrankten Kolleginnen und Kollegen?
Silvia Frauenkron: Sensibilisierte Führungskräfte! Und um das zu erreichen, ein für alle Führungskräfte verbindliches Seminar. Zudem wünsche ich mir eine psychologische Sprechstunde an jedem Standort, die aus einem Gesamttopf finanziert wird. Das würde den einzelnen Standorten den Kostendruck nehmen. „Urteile nie über das, was Du selbst nicht hast“, das ist das Leitmotiv, mit dem Silvia Frauenkron an ihre Aufgaben als Schwerbehindertenvertreterin der Region REWE West II herangeht. Seit 29 Jahren ist sie im Unternehmen, seit acht Jahren kümmert sich die freigestellte Betriebsrätin nun auch um die Belange der Schwerbehinderten in den insgesamt 8 Gesellschaften und 7 Personalabteilungen der Region.
Mein Kommentar
Auch interessant