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Obst, Gemüse, Getreide
So beeinflusst das Wetter die Ernte
von Stefan Weber

Steigende Preise beherrschen die Schlagzeilen, ob bei der Wohnungssuche, beim Einkauf oder an der Tankstelle. Doch welche Faktoren beeinflussen eigentlich die Verbraucherpreise und insbesondere die Preise unterschiedlicher Lebensmittelprodukte? Ein Blick hinter die Zahlen.

4,4 Prozent? Das klingt fast wenig, wenn die Statistiker zugleich vorrechnen, dass sich die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte zuletzt in deutlich zweistelligem Tempo erhöht haben. Allerdings stehen die Verbraucherpreise je nach Produkt mal in einem eher losen und mal in einem engen Zusammenhang zu den Erzeugerpreisen. Entscheidend ist, wie stark ein landwirtschaftliches Produkt auf dem Weg zum Endverbraucher verarbeitet und gehandelt wird. Beispiel Brotweizen: Während dessen Erzeugerpreis je nach Marktlage steigt oder fällt, hat sich der Verbraucherpreis für Toastbrot nach Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) zuletzt kontinuierlich erhöht. Warum? Weil hier die gestiegenen Lohn- und Energiekosten bei der Kalkulation sehr viel stärker ins Gewicht fallen als die Rohstoffkosten. Anders ist es bei Frischgemüse, wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erläutert. Hier wirken sich Ernteschwankungen und daraus resultierende Änderungen der Warenverfügbarkeit unmittelbar auf die Verbraucherpreise aus. Die Folge: deutliche Preisausschläge nach oben und unten.

Fehlende Logistik verschärft
die Situation

Wie rasch, und häufig auch rasant, die Preise auf den Verlauf von Ernten reagieren, zeigte sich selten so deutlich wie im Verlauf dieses Jahres. Auch hier ist Weizen ein gutes Beispiel. Dezember-Weizen wird am Terminmarkt in Paris derzeit zu einem um etwa 40 Prozent höheren Preis gehandelt als zu Jahresbeginn. „Es ist aktuell schwierig bis unmöglich Getreide mit passenden Qualitäten in ausreichenden Mengen zu beschaffen. Und wenn wir Getreide kaufen können, haben wir keine Möglichkeit es zu transportieren“, klagt Michael Gutting, Müller und Präsidiumsmitglied des Verbandes der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS). Transportkapazitäten sind knapp. Weder LKW noch Schiffe seien zu bekommen, heißt es beim VGMS. Winterschäden in Russland, eine langanhaltende Dürre in Kanada, fehlende Niederschläge in den USA sowie extreme Witterungsverläufe in Europa verknappen das Angebot.

Auch die Getreideernte in Deutschland war 2021 insgesamt schlechter als im Jahr zuvor. Einige Getreidearten, wie zum Beispiel der von der Lebensmittelindustrie für Cerealien und Milchalternativen zunehmend stärker gefragte Hafer, sind dagegen in größerem Umfang verfügbar. Der Grund: Die Landwirte haben die Anbauflächen vergrößert. Allein die Witterung hätte keine größere Ernte möglich gemacht. Im Gegenteil. Die Wetterextreme beeinflussten die Erträge der gesamten Landwirtschaft in diesem Jahr so stark wie selten zuvor. „Viele Betriebe mussten durch Hagel, Sturm, Frost und Starkregen empfindliche Einbußen bei Futterpflanzen und Marktfrüchten hinnehmen“, betont der führende deutsche Ernteversicherer, die Vereinigte Hagel VvaG. Eine erste Hochrechnung des Unternehmens im August hatte bereits eine Summe von rund 244 Millionen Euro für Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen in Deutschland ergeben. Dabei waren die Schäden durch Hochwasser (wohl aber durch Starkregen) noch nicht berücksichtigt.

Geringeres Angebot trifft
auf gestiegene Nachfrage

Der Gemüseanbau hatte seit Jahresbeginn in vielen Regionen auch außerhalb Deutschlands immer wieder mit widrigen Witterungsbedingungen zu kämpfen. Schnee und Kälte in Spanien Anfang Januar, starker Regen in Italien Ende Janaur, später dann Hitze, Trockenheit und großflächige Brände in vielen Anbaugebieten im Mittelmeerraum. All das hatte Folgen für die Verfügbarkeit vieler Erzeugnisse. Denn Deutschland importiert nach Angaben des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung mehr als 60 Prozent der hierzulande verkauften Gemüse aus anderen EU-Mitgliedstaaten und Drittländern. Dabei schwankt die Selbstversorgung zwischen 100 Prozent bei einigen Kohlarten und nahezu null bei Exoten wie Süßkartoffeln.
Die Freilandgemüsesaison in Deutschland startete in diesem Jahr spät, weil im April und Mai nur selten die Sonne schien und im späteren Jahresverlauf Gewitter, Hagel und Starkregen Schäden verursachten. Zusätzliches Problem: Das geringere Angebot traf auf eine gestiegene Nachfrage. Denn in der Corona-Pandemie hatten viele Haushalte Frischgemüse, insbesondere aus regionalem Anbau, schätzen gelernt. Die Folge: rasant steigende Preise vor allem für Salate. Die waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts im August um mehr als 60 Prozent teurer als im gleichen Monat des Vorjahres.

Gute Apfel- und Birnenernte
– in Deutschland

Arktische Kaltluft zur Blütezeit, schwacher Insektenflug in den Wochen darauf und Unwetter zur Erntezeit vor allem nördlich der Alpen: Auch der Obstanbau hatte in diesem Jahr mit Wetterextremen zu kämpfen. Trotzdem fiel die Ernte für Äpfel, die quantitativ wichtigste Obstart in der EU, deutlich besser aus als 2020. Ursache war die gute Entwicklung im wichtigsten Apfelerzeugerland der EU, Polen. Dagegen verzeichnete Italien, zweitgrößter Erzeuger in der EU, eine kleinere Ernte. Der deutsche Apfelanbau war zwar regional stark von Aprilfrösten betroffen, erntete aber trotzdem ähnlich viel wie im Jahr zuvor. Bei Birnen spricht das Landwirtschaftsministerium von der „niedrigsten EU-Erntemenge der letzten Jahrzehnte“. Deutschland fällt hier mit einem kleinen Plus aus dem Rahmen. Steigende Preise ließen sich dadurch jedoch nicht verhindern, denn die in Deutschland angebotenen Birnen sind häufig Importware.

Rauf und runter bei
den Erdbeerpreisen

Streuobstwiesen hatten 2021 neben den Wetterkapriolen mit altbekannten Problemen zu kämpfen: Viele Bestände sind überaltert oder nicht mehr gepflegt. Die Bäume sind schwach und anfällig für Krankheiten. „Das wirkt sich auf den Ertrag aus und wird zunehmend zu einem Problem für die Fruchtsafthersteller“, heißt es im Erntebericht des Landwirtschaftsministeriums. 
Erdbeeren verzeichneten ein intensives Auf und Ab bei den Preisen. Wegen des Frosts im April und Mai hatte es zunächst nur wenige und damit teure Früchte gegeben. Mit der Folge, dass die Verbraucher in diesen beiden Monaten nach Berechnung der AMI 45 Prozent weniger deutsche Erdbeeren kauften als in den entsprechenden Monaten 2020. Im Mai hatte der Durchschnittspreis über alle Vermarktungswege hinweg 8,10 Euro pro Kilo betragen und damit 1,46 Euro mehr als im Jahr zuvor. Viele Sonnenstunden im Juni sorgten dann für ein Überangebot und niedrige Preise, ehe die Juli-Unwetter die Saison im Freilandbau zumindest regional beendeten. 

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