Früher piefig, heute Sehnsuchtsziel: Nicole Hanisch, Psychologin und Mitglied der Geschäftsführung des Marktforschungsinstituts Rheingold, erklärt, woher der neu entdeckte Wunsch nach regionaler Verbundenheit kommt, warum die Wertschätzung für regionale Produkte mehr als ein Trend ist und welche Fehler Händler vermeiden sollten, die mit Lebensmitteln aus der Region erfolgreich sein wollen.
Nicole Hanisch (Fotos: Achim Bachhausen)
one: Omas Rezepte, Lebensmittel aus der Region – das galt früher als piefig. Als eine Sache für Spießer, die an der Scholle kleben, statt sich hinaus in die Welt zu wagen. Heute dagegen suchen viele Verbraucher gezielt nach regionalen Produkten und kaufen selbstgemachte Marmelade im Hofladen. Was ist da passiert?
Nicole Hanisch: Viele Menschen empfinden die globale Welt als immer komplexer und bedrohlicher. Sie sorgen sich, viele Dinge nicht mehr zu durchschauen und sehnen sich nach Übersichtlichkeit. Deshalb besinnen sie sich auf das Kleine, Beschauliche, Regionale. Verbraucher suchen ihr Auenland. Denn da erscheint ihnen die Welt noch in Ordnung. Dort haben sie das Gefühl, die Prozesse zu verstehen und möglicherweise sogar selbst Einfluss nehmen zu können.
„Die Älteren freuen sich, dass Werte von früher wieder hochgehalten werden. Jüngere sehen darin einen spannenden Trend.“Nicole Hanisch
one: Rückzug ins Regionale aus Resignation?
Nicole Hanisch: Nein, das trifft es nicht richtig. Es ist mehr eine neue Wertschätzung des Regionalen. Es geht um Entdecken. Wer regionale Lebensmittel schätzt, will die eigene Region und ihre Produkte, Traditionen, Rezepte etc. entdecken, aber kauft auch nicht zwingend nur Produkte aus seiner eigenen Region. Er sucht nach Waren aus Regionen, von denen er den Eindruck hat, dass dort die Welt noch in Ordnung ist.
one: Woran machen Verbraucher das fest?
Nicole Hanisch: Vor allem an Bildern von Landschaften und Menschen, die mit Begriffen wie natürlich oder erdverbunden zu beschreiben sind: saftige Wiesen, stürmische See oder urige, handwerklich arbeitende Einheimische, die sich mit Liebe und Leidenschaft um Dinge kümmern.
Nicole Hanisch im Gespräch mit one_Autor Stefan Weber in Köln
one: „Bio“ oder „Regional“ – welches Attribut hat die stärkere Strahlkraft beim Verbraucher?
Nicole Hanisch: Das Versprechen des Regionalen lautet: Hier ist die Welt in Ordnung. Viel mehr geht nicht. Bio verspricht eine staatlich abgesicherte Qualität und Herstellungsweise, die aber zum Teil durch den inflationären Gebrauch von Bio-Siegeln den Verbrauchern nicht immer so ganz glaubwürdig erscheint. Im Idealfall stammt ein Erzeugnis aus der Region und trägt das Bio-Siegel. Das ist dann aus Verbrauchersicht nicht mehr zu toppen.
one: Ist die Wertschätzung des Regionalen eine Frage des Alters?
Nicole Hanisch: Dieser Trend zieht sich durch alle Altersgruppen – allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Die Älteren freuen sich, dass Werte von früher wieder hochgehalten werden. Jüngere sehen darin einen spannenden Trend, den sie schnell aufgreifen. Und junge Familien entwickeln ohnehin häufig eine bewusstere, nachhaltige Perspektive. Dazu gehört dann auch der Kauf regionaler Produkte.
„Konsumenten sind zerrissen und wollen keinen Verzicht. Deshalb machen sie ihre eigene Plus-Minus-Rechnung auf.“Nicole Hanisch
one: Verbraucher möchten auch Neues entdecken. Sind kulinarische Spezialitäten aus fernen Ländern auf Dauer nicht doch interessanter als regionale Produkte?
Nicole Hanisch: Konsumenten sind immer ambivalent. Sie wollen das eine, möchten das andere aber nicht missen. Um diesen Konflikt zu lösen, suchen sie nach Legitimierungen für ein vermeintlich „schlechtes“ Verhalten. Etwa, indem sie den Kauf von weniger nachhaltigen Produkten damit rechtfertigen, dass sie zuvor ökologisch wertvoll eingekauft haben. Sie sind zerrissen und wollen keinen Verzicht. Deshalb machen sie häufig ihre eigene Plus-Minus-Rechnung auf, um ihr Gewissen zu beruhigen.
Regionalität spricht Logik und Emotion gleichermaßen an, weiß Nicole Hanisch
one: Mehrere Kurztrips mit dem Flugzeug sind keine so große Klimasünde, weil ich mich klimafreundlich mit Lebensmitteln aus der Region ernähre?
Nicole Hanisch: So in etwa. Psychologisch ist nicht logisch. Deshalb müssen Händler immer auch sehr stark Emotionen ansprechen, wenn sie Konsumenten erreichen wollen. Allein über die Logik wird das selten funktionieren. Das Thema „Lebensmittel aus der Region“ spricht beide Ebenen an: die Logik, weil beispielsweise Transportwege nachvollziehbar kürzer sind. Und Emotionen, weil der Begriff „Region“ in vielen Köpfen Bilder einer heilen, überschaubaren Welt hervorruft.
„Kunden möchten auf Entdeckungsreise gehen - ob mit Spezialitäten aus dem Allgäu oder aus Asien.“Nicole Hanischone: Welche Fehler sollten Händler, die beim Verbraucher mit regionalen Produkten punkten wollen, vermeiden?
Nicole Hanisch: Sie dürfen das Rad nicht überdrehen und zu stark auf Regionalität setzen – es sei denn, sie sind ausdrücklich in dieser Nische tätig. Große Lebensmittelhändler aber sollten nach wie vor eine breite Auswahl von Produkten aus Nah und Fern bieten. Denn Verbraucher möchten beim Einkauf das Paradies spüren, in dem alles verfügbar ist – nicht immer nur ein kleines, bescheidenes Auenland. Diese Ambivalenz sollten Händler stets im Blick behalten. Deshalb ist es auch falsch, allzu missionarisch aufzutreten und Verbrauchern in Oberlehrer-Manier zu erklären, was nachhaltige und weniger nachhaltige Produkte sind.
one: Wie lange wird die Wertschätzung für Regionales anhalten? Sind die Geschichten von einer vermeintlich heilen Welt nicht schnell auserzählt?
Nicole Hanisch: Die Begeisterung für Produkte aus der Region währt schon einige Jahre und ich bin überzeugt, dass dieser Trend so rasch nicht abebben wird. Im Gegenteil. In dem Tempo, in dem die Welt komplexer wird, wächst der Wunsch nach dem Kleinen, Beschaulichen. Die Herausforderung für alle, die mit regionalen Produkten erfolgreich sein wollen, wird darin bestehen, immer wieder Neuigkeiten aus den Regionen anzubieten und Geschichten drumherum zu erzählen, um das Interesse wach zu halten. Denn Verbraucher bleiben neugierig. Sie möchten auf Entdeckungsreise gehen und sich mit neuen Produkten weiter entwickeln und dazulernen - ganz gleich ob mit Spezialitäten etwa aus dem Allgäu oder aus Asien oder Start-up Marken aus der Region.