Kleine Anschaffung, große Geste: Mit einem speziellen Einkaufswagen ermöglicht ein Berliner REWE-Kaufmann gehbehinderten Menschen den selbständigen Marktbesuch.
Einkaufswagen für gehbehinderte Menschen Inklusion muss nicht kompliziert sein: Schon ein spezieller Einkaufswagen kann eine große Erleichterung für gehbehinderte Kundinnen und Kunden bedeuten. Der REWE-Kaufmann Viet Nguyen Duc, der seit 2018 einen REWE-Markt in Berlin-Tegel betreibt, hat das verstanden. Mit der Anschaffung eines speziellen Einkaufswagens, den man sich einfach an den Rollstuhl klemmen kann, erleichtert er den Einkauf für Menschen mit einer Gehbehinderung. Der Tegeler Kiez-Kaufmann Nguyen Duc vereint damit gelebte Gastfreundschaft und kaufmännisches Denken: Denn wer sich mit seinen Bedürfnissen willkommen fühlt, kommt wieder.
Viet Nguyen Duc, REWE Kaufmann
one:Herr Nguyen Duc, wie kamen Sie auf die Idee, ihren Markt für Menschen mit Behinderung zugänglicher zu machen?
Viet Nguyen Duc: Als Kaufmann denke ich immer: Wie kann man den Einkauf für die Kundinnen und Kunden optimal gestalten? Mit dem Einkaufswagen bot sich eine einfache Möglichkeit, dem einen Schritt näher zu kommen.
Das war eine Initiative von Menschen mit Behinderung e.V. : Über den Verein „I love Tegel“ wurden alle Lebensmitteleinzelhändler in Tegel angeschrieben und darauf aufmerksam gemacht. Die Anschaffung war ehrlich gesagt sehr simpel: Man brauchte nur anzurufen und zu bestellen. Der Wagen kostet 150 Euro und bedeutet eine Chance für Menschen mit Behinderung, selbständig einzukaufen. Als ich davon gehört habe, habe ich auch nicht lange gezögert. Aber bin wohl der einzige, der darauf reagiert hat.
one: Warum waren Sie der einzige Händler im Stadtteil, der den behindertengerechten Einkaufswagen bestellt hat?
Viet Nguyen Duc: Das hat etwas mit unserem Alleinstellungsmerkmal zu tun: unsere sehr ausgeprägte Gastfreundschaft. Wenn ich eine Möglichkeit habe, die Kundschaft zufrieden zu stellen, dann mache ich das. Denn: Waren gibt es überall. Aber die Kundschaft lässt ihr Geld da, wo sie es für sinnvoll erachtet.
Man muss es als REWE schaffen, Emotionen zu wecken. Dafür braucht es eine gute Beratung, ein nettes Lächeln und eine angenehme Einkaufsatmosphäre. Gastfreundschaft ist sehr wichtig. Sie lässt sich vielleicht nicht in Euro definieren, ist aber ein wesentlicher Grund, weshalb die Kundinnen und Kunden zu uns kommen - und wiederkommen¬. Das geht nur, wenn wir wirklich das Herz der Kundschaft und dieses Kiez-Feeling erreichen.
one: Gibt es noch weitere Dinge, die im Supermarkt für Menschen mit Behinderung getan werden könnten?
Viet Nguyen Duc: Ich finde es vor allem wichtig, ein größeres Verständnis zu entwickeln. Wir sehen uns als Dienstleister, der die Kundschaft bedienen und gut versorgen will. Deswegen müssen wir uns klar machen: Menschen im Rollstuhl sind auch Kundschaft. Wir könnten schon beim Bau daran denken, breitere Gänge zu schaffen und weniger Displays in den Weg zu stellen, damit der Gang frei bleibt. Wir sollten diesen Menschen einen guten Empfang bereiten, wie jedem anderen Kunden und jeder anderen Kundin auch.
Außerdem müssen wir im Hinterkopf behalten: Menschen im Rollstuhl wollen auch einen normalen Alltag führen. Um das zu ermöglichen, können wir die richtige Haltung entwickeln. So kann eine Mitarbeiterin von sich aus auf Menschen mit Behinderung zugehen und ihre Hilfe anbieten, um zum Beispiel an Ware in einem oberen Regalfach zu kommen.
Für mich gehört das zu den Grundwerten dazu. So wie man anderen auch die Tür aufhält, sich die Hände schüttelt oder „bitte“ und „danke“ sagt. Das geht über barrierefreie Einrichtung hinaus. Man muss diese Werte entwickeln und etablieren.
one: Haben Sie schon Feedback von der Kundschaft bekommen?
Viet Nguyen Duc: Natürlich bekommen wir für die Anschaffung des Einkaufswagen Lob. Aber: Den speziellen Einkaufswagen haben wir mitten in der Pandemie angeschafft. Da viele Menschen im Rollstuhl Erkrankungen haben und aus Vorsicht seltener einkaufen gehen, werden wir den vollen Effekt dieser Anschaffung wohl erst später sehen. Denn die Menschen müssen ja überhaupt erst von dieser Möglichkeit erfahren. Mein Vorschlag für die Internetsuche nach einem Markt: So wie jetzt bereits Öffnungs- und Stoßzeiten angegeben sind, sollte auch der Aspekt „barrierefrei“ beim „googeln“ erwähnt sein. Auf diesem Weg erfahren Menschen mit Behinderung leicht, wo sie am bequemsten einkaufen können.
one: Was würden Sie Kaufleuten raten, die ihren Markt inklusiver gestalten wollen?
Viet Nguyen Duc: Ich würde sie darauf aufmerksam machen, welchen Umsatz sie verschenken, wenn sie es verpassen, Menschen mit Behinderung im Markt angemessen zu empfangen. Das ist eine beachtliche Summe. Außerdem kann man sich mit einem barrierefreien Markt profilieren und im Kiez mehr Akzeptanz erwirken. Mit wenig Aufwand kann man sich von der Konkurrenz abheben. Obendrein gewinnt man noch Stammkunden. Und das Team sieht, dass der Chef oder die Chefin gesellschaftliche Verantwortung übernimmt und etwas Gutes tut. Das steigert auch den eigenen Stellenwert. Wer möchte das nicht? Image, Reputation und Akzeptanz im Kiez sind unser Lebenselixier.
Breitere Gänge kommen nicht nur Menschen im Rollstuhl zugute. Auch Ältere oder Eltern mit Kinderwagen sind dafür sehr dankbar. Persönlich habe ich beim Einkauf die Erfahrung gemacht, im Rollstuhl wird der Person häufig Hilfe angeboten. Ist man gehbehindert gibt es viel seltener ein Angebot oder den Kommentar: "Da müssen Sie mal ganz da hinten schauen." Schlechter Rat für den Kunden, dem das Laufen schwer fällt. So wird dann weniger eingekauft, um sich Wege zu sparen. Damit verliert der Markt dann Umsatz. Schade.
Das Angebot finde ich toll.
Sehr beeindruckend, vielen Dank! Dieses Engagement sollte Schule machen. Solche Einkaufswagen können in geeigneten Märkten Menschen mit Behinderungen ein selbst bestimmtes Leben erleichtern. Manchmal ist es so einfach, man muss es nur machen.