nach oben
nach oben
Kauffrauen in der Genossenschaft
„Immer gemacht, was ich für richtig halte“
von Bettina Rees und Achim Bachhausen

Sie haben die REWE mitgeformt, auch in den Gremien der Genossenschaften bringen sie sich aktiv ein. Doch obwohl sie mindestens so erfolgreich sind wie ihre männlichen Kollegen, sind sie quantitativ in der Minderheit: die Kauffrauen der REWE. Woran das liegen könnte, haben wir Sylvia Stilleke und Kathrin Gödecke gefragt.

Im one-Gespräch äußern sich Kathrin Gödecke und Sylvia Stilleke über ihre Erfahrungen als Unternehmerinnen, von A wie Arbeit bis V wie Vereinbarkeit.

Frauen im Unternehmen

Sylvia Stilleke in ihrem Markt in Essen-Burgaltendorf.

Kathrin Gödecke: In den vier Generationen unseres Familienunternehmens gab es immer Frauen, die eine aktive Rolle gespielt haben. Meine Oma hat das Geschäft geerbt und durch den Krieg und alle möglichen Krisen gebracht.
Sylvia Stilleke: Wir haben verschiedene Abteilungen, in denen wir die Arbeitszeiten flexibler gestalten können. Im Frischdienst ist es nicht so wichtig, ob die Mitarbeiterin um sieben, acht oder halb neun anfängt, je nachdem, wann das Kind in die Kita geht. Hauptsache, die Arbeit wird erledigt. Aber es gibt natürlich auch Positionen, zum Beispiel an der Kasse, wo man die Zeiten nicht so flexibel einteilen kann. Da versuchen wir, Mitarbeitende einzusetzen, die in ihrer Zeiteinteilung flexibler sind.

Kauffrau – Kaufmann?

Sylvia Stilleke: Ich glaube, dass Männer an die ganze Sache ein bisschen lockerer herangehen. Aber anders machen? Nein, ich kenne Kaufleute, die genauso wie ich in ihrem Markt präsent sind und viel mitarbeiten. Man muss schon ein bisschen Durchsetzungsvermögen haben. Das habe ich in in meiner Zeit in Essen-Steele gelernt, als ich Substitutin war. Da musste ich mich beweisen.
Kathrin Göedecke: Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob ein Mann den Job besser kann als eine Frau. Ich habe gemacht, wie ich es für richtig halte. Frauen sind oft besser darin, auf Mitarbeitende zuzugehen. Mitarbeitende führen ist vor allem Kommunikation, und der Anteil weiblicher Mitarbeitender im Handel ist bekanntlich sehr hoch. Dennoch habe ich ganz klar den Hut auf. Mir ist wichtig, dass das alle wissen. Ebenso klar ist, dass ich viel Rücksicht auf die einzelnen Bedürfnisse nehme.

Arbeit und Privatleben

Kathrin Gödecke

Kathrin Gödecke: Ich habe feste Bürozeiten, zu denen ich erreichbar bin. Die andere Zeit des Tages erledige ich Dinge von zu Hause aus. Es schaut zwar aus wie ein Teilzeitmodell. Was ich aber alles nebenbei schaffe, nenne ich mein „Privatleben für selbständige Kaufleute“. Aber richtig privat ist man ja nie. Ich wohne, wo ich arbeite. So gut wie jeder im Ort kennt mich als „die vom REWE“. Und so wie ich es von klein auf gelernt habe, habe ich auch meinem Sohn nahegebracht, immer freundlich zu sein und zu grüßen.   
Sylvia Stilleke: Arbeit und Privates lassen sich nicht immer klar trennen. Da ich nur einen Markt betreibe, bin ich meistens präsent und daher bestens bekannt. Einmal habe ich auf der Bank meine Kontoauszüge geholt. Ich war total in Gedanken und habe dabei offenbar eine Kundin nicht bemerkt. Die ging dann rüber zum Markt und hat die nächste Kollegin gefragt, ob ihre Chefin schlechte Laune habe. Auf der anderen Seite: Wenn alles gut eingespielt ist, kann ich mir als Selbstständige auch mal eine Auszeit, zum Beispiel einen freien Samstag, nehmen.

Azubis

Kathrin Gödecke: Hier spielt meine lokale Verbundenheit eine Rolle, ich habe direkte Kontakte zu allen umliegenden Schulen, sitze im Prüfungsausschuss der IHK für die Kaufleute, dazu habe ich Kontakte in die berufsbildenden Schulen und die direkte Rückkoppelung auch von den eigenen Auszubildenden. Ich habe so die Chance, junge Menschen auf Bildungsmessen direkt anzusprechen, oder Lehrer empfehlen uns als Ausbildungsbetrieb. Schlüssel und Hürde zugleich sind der Entscheidungsprozess. Wie schaffen wir es, dass sich die Jugendlichen für den Beruf des Verkäufers oder der Kauffrau im Einzelhandel entscheiden. Wir bieten Praktika an und merken durch unsere Erfahrung schnell, welcher unserer Ausbildungsberufe passen würde. Wenn sie erstmal im Betrieb und integriert sind, merken sie, wie abwechslungsreich der Lebensmitteleinzelhandel ist. Kein einziger Tag ist wie der andere. Das macht vielleicht die Arbeitszeiten wett, die oft so schlechtgeredet werden. Wir kämpfen mit vielen Vorurteilen.  
Viele Jugendliche heute suchen Halt, Verlässlichkeit und Sicherheit, in der Familie, am Arbeitsplatz. Dafür sind wir als alteingesessener, krisenfester Arbeitgeber genau richtig. Prognosen besagen, dass mittelständische Familienunternehmen besser durch den Fachkräftemangel kommen werden als Konzerne.  

Sylvia Stilleke: Wir haben bei den Aushilfen ganz viele Schüler:innen und Student:innen, die einen tollen Job machen. Das sind meist Söhne und Töchter von Ärzten, Rechtsanwälten undsoweiter. Wir haben viele, die drei, vier Jahre hier sind und einen richtig guten Job machen, aber an einer Ausbildung bei REWE leider nicht interessiert sind.

Sylvia Stilleke im Gespräch. Das Interview führten wir in ihrem Marktbüro.

Fairness und Verlässlichkeit

Kathrin Gödecke: Das Wichtigste in unserem Unternehmen. Bei uns ist alles fair, die Bezahlung transparent, unsere Strategie klar. Auch wenn es mal weh tut. Unsere vielen langjährigen Mitarbeitenden wissen, woran sie bei mir sind. Das ist so in unserer Familie: Wenn wir etwas sagen, halten wir uns daran. Das erwarte ich auch von meinen Mitarbeitenden. Ansonsten versuche ich, so locker wie möglich zu führen. So vielen Wünschen wie möglich nachzukommen. Die Personalpläne mache ich selbst.  
Sylvia Stilleke: „Führungsstil“ klingt für mich so groß aufgehängt. Für mich sind die Kleinigkeiten wichtig. Die Personaleinsatzpläne mache ich zum Beispiel vier Wochen im Voraus. Dabei versuche ich, die Wünsche meiner Mitarbeitenden bezüglich der freien Zeiten zu berücksichtigen, damit die auch frühzeitig planen können. Diese Verlässlichkeit ist mir wichtig.

Familienunternehmen

Kathrin Gödecke: Wenn man mich fragt, ich hätte nichts besser gekonnt als Kauffrau zu sein und Lebensmittel zu verkaufen. Ich wäre schon gleich nach dem Abitur eingestiegen, aber mein Vater riet damals ab. Die Arbeit war schon sehr körperlich. Jetzt führe ich zwei Supermärkte in vierter Generation. Ich habe das Handeln mit Lebensmitteln von klein auf gelernt, es war zu Hause immer Thema. Meine Großeltern und Urgroßeltern hatten Metzgereien in Essen und daraus ist dann ein „Tante Emma-Laden“ entstanden, aus dem mein Vater den ersten Supermarkt machte, erst Spar, dann REWE. Als sich die Gelegenheit zu einem zweiten Markt ergab und ich einstieg, hatte sich ein großer Teil der Arbeit meines Vaters längst ins Büro verlagert und sehr stark verändert.

Nostalgie-Look: Die Kasse wurde zu Jupps Büdchen - Ruhrgebietscharme pur.

Kundschaft und Standort

Kathrin Gödecke: Wir haben keine SB-Kassen. Nicht, dass ich sie vergessen hätte. Es war eine bewusste Entscheidung. Weil ich möchte, dass unsere Mitarbeitenden ansprechbar sind für die Kunden. Wir habe einen Stammkundenanteil von 80 Prozent in beiden Märkten mit gutem Servicethekengeschäft und viel menschlichem Kontakt. Und der wirtschaftliche Vorteil wäre nicht so exorbitant groß. Bei uns funktioniert es sehr gut ohne. Wenn mein Markt in einer Studentenstadt stünde, wo alle schnell rein- und wieder rausgehen, dann würde ich das sicherlich anders sehen. Man muss sich nach dem Standort ausrichten.  
Das ist auch der Grund, warum wir keine Fischtheke haben. Unser Ursprung liegt in einer Metzgerei, bei uns wurde immer gesagt, Fisch und Fleisch passen nicht zusammen. Das ist historisch gewachsen. Und genau das macht den selbstständigen Einzelhandel aus: Dass wir ganz gut wissen, was das Beste für unseren Standort ist. Vor allem, wenn man so lange schon an dem Standort ist wie wir.
Sylvia Stilleke: Ich glaube, wir haben von Anfang an auf Kleinigkeiten geachtet, haben immer mit im Laden gearbeitet. Das ist bis heute so geblieben, mein Mann und ich sind immer auf der Fläche und greifbar… Ich liebe die Nähe zu den Kundinnen und Kunden. Wenn ein Kunde nach einem bestimmten Artikel fragt, schicken wir den nicht zum entsprechenden Regalplatz, sondern wir gehen immer mit. Unsere Kundinnen und Kunden wissen das sehr zu schätzen, wie wir an den positiven Bewertungen auf Google und anderswo sehen. Kundennähe versuchen wir zu leben, auch beim Umtausch, denn jeder Umtausch ist eine Chance, um mit den Kund:innen ins Gespräch zu kommen. Heute geben die Leute gerne positives Feedback, sagen, die Mitarbeitenden sind klasse, oder es wurde toll an der Wursttheke bedient.

Fehlerkultur

Kathrin Gödecke: Ich gehe nicht jeden Trend mit. Ich habe meine eigenen Vorstellungen, die ich natürlich auch korrigiere. Wenn ich merke, etwas ist ein Fehler, marschiere ich da nicht durch. Ich gestehe Fehler ein, zudem bespreche ich mich viel mit meiner Familie und mit meinem Stellvertreter.

REWE-Kauffrau Kathrin Gödecke stammt aus einer Bottroper Kaufmannsfamilie. Nach BWL-Studium und USA-Aufenthalt arbeitete sie rund zehn Jahre als Category Managerin beim Coca-Cola-Konzern. Mit der Geburt ihres heute 15-jährigen Sohnes wechselte sie in den von ihrem Vater geführten REWE-Markt in Bottrop. Heute leitet die 46-jährige in vierter Generation zwei Märkte in Bottrop mit 1.150 und 890 Quadratmetern Verkaufsfläche und insgesamt fast 100 Mitarbeitenden, darunter neun Auszubildende in verschiedenen Berufen.

Gesellschaftliches Engagement

Kathrin Gödecke: Ich glaube, als Kauffrau habe ich eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung für den Stadtteil. Daher übernehme ich, seit mein Sohn größer ist, relativ viele ehrenamtliche Aufgaben. Zum Beispiel bin ich Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses der Stadt Bottrop und Vizepräsidentin der IHK Nord Westfalen. Hier geht es ganz viel um politische Rahmenbedingungen. Für meine 100 Mitarbeitenden, für die Stadt, für die Region. Ich spreche mit vielen – vom Oberbürgermeister bis zum Ministerpräsidenten. Sie alle sind froh, mit Menschen und Unternehmer:innen vor Ort zu sprechen und sich ein Bild zu machen. Der NRW-Arbeitsminister war kürzlich bei uns im Markt, eine Stunde lang hat er sich angehört, was hier gut läuft, was nicht und welche Themen aus unserer Sicht anstehen.  
Sylvia Stilleke: Ich war vier Jahre im Aufsichtsrat der REWE Dortmund, das war eine Ehre, man wird gefragt. Ich habe dann das Mandat niedergelegt, weil die Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie doch nicht so funktioniert hat wie geplant und ich wieder mehr in meinen Betrieb musste. Aktuell bin ich noch im Beirat der REWE Dortmund aktiv.

Themen, die angepackt werden sollten

Kathrin Gödecke: Das Hauptthema, das uns alle umtreibt, ist klar das Thema Sicherung von Arbeits- und Fachkräften. Wie wir absichern können, dass wir auch in Zukunft noch Mitarbeitende haben und nicht nur noch auf die angewiesen sind, die wir eben zur Verfügung haben.
Sylvia Stilleke: Das Recruiting neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird immer herausfordernder. Man gibt heute Leuten eine Chance, obwohl man im Vorstellungsgespräch gemerkt hat, das passt eigentlich nicht. Bei der Auswahl angehender selbstständiger Kaufleute sind Assessmentcenter ein gutes Tool. Man erkennt damit die eine oder andere Schwäche, die man dann durch Seminare oder Förderprogramme von REWE ausbügeln kann.

Mitarbeiterfindung

Kathrin Gödecke: Bei uns arbeiten Geflüchtete, Menschen mit einer Lern- oder körperlichen Behinderung. Da habe ich keine Berührungsängste. Das ist für mich auch eine Art Dienst an der Gesamtgesellschaft, dass unsere Belegschaft die Gesellschaft abbildet. Ich akzeptiere auch nicht, Stichwort Ergebnisse der jüngsten Wahlen, wenn jemand dagegen ist. Ich stelle nicht nach Haut- oder Haarfarbe ein. Wenn jemand gut, loyal und pünktlich ist, dann verspreche ich, immer pünktlich den Lohn zu zahlen, keine unbezahlten Überstunden zu fordern. Das sind die Werte, die ich in meiner Familie selbst vermittelt bekommen habe.

Tipps für angehende Kaufleute

Sylvia Stilleke: Bevor ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich bei mehreren Kaufmannskollegen gearbeitet und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Dabei habe ich gemerkt: Jeder Chef fährt seine eigene Schiene, und von jedem nimmt man etwas mit. Außerdem ist es gut, einen Ratgeber und Verbündeten zu haben. In meinem Fall war es mein Kundenbetreuer bei der REWE Dortmund, denn gerade am Anfang hat man immer viele Fragen. Ein gutes Netzwerk wie der Talentcampus für Jungkaufleute ist auch immer eine gute Idee.
Kathrin Gödecke: Man muss sehr genau priorisieren, den Standort für die Selbstständigkeit sehr genau aussuchen, an-fangs sehr viel Zeit auf der Fläche verbringen, um ein Gefühl für den Standort, für die Kundschaft zu bekommen. Man sollte sich ein Netzwerk aufbauen. Nicht nur im privaten Kreis, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Sondern auch mit anderen Kaufleuten, mit anderen Marktmanager:innen, mit denen man sich austauschen kann. Vielleicht vorab für ein Jahr zu einem guten Kaufmann gehen, sich quasi coachen lassen, wie man in die Selbständigkeit geht. Und: Keine Angst vor dem Scheitern und genug Respekt vor der Aufgabe haben!

Sylvia Stilleke, 53, betreibt zusammen mit ihrem Mann einen REWE-Markt in Essen-­Burgaltendorf mit rund 60 Mitarbeitenden. Eröffnet im Jahr 2006 mit 880 Quadratmetern, wurde der Markt 2014 auf 1.250 Quadratmeter vergrößert. Sylvia Stilleke startete ihre Karriere vor 36 Jahren als Auszubildende bei REWE Freidank. Weitere Stationen waren die Firmen Bosselmann und Sliwik, wo sie sich über die Substitutin zur Marktleiterin hochgearbeitet hat. Die Kauffrau engagierte sich vier Jahre im Aufsichtsrat der REWE Dortmund.

Vereinbarkeit

Sylvia Stilleke: Mit zwei Kindern ist es nicht einfach. Das sehe ich an meiner Tochter, die oft ihre Kinder außerplanmäßig aus der Kita abholen muss. Eine Alternative wäre, wenn der Mann zu Hause bliebe und in der Zeit den gesamten Part der Frau übernimmt: Kindererziehung, Wäsche, kochen…In meinem Bekanntenkreis kenne ich aber keinen. Theoretisch könnte man später, wenn die Kinder größer sind, in die Selbstständigkeit einsteigen. Das Problem dabei: In den Jahren, in denen man aus dem Beruf raus ist, passiert heutzutage so viel. Neue Technologien, Betriebssysteme… Das muss man dann alles wieder neu lernen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Kathrin Gödecke: Ich habe sehr klare Prioritäten: Mein Markt und mein Kind. Zeit für meinen Sohn habe ich mir immer herausgenommen. Ich habe natürlich einen Riesenvorteil: Der große Rückhalt in einer Kaufmannsfamilie: Mein Vater unterstützte mich bei Bedarf im Geschäft, meine Mutter war häufig für den Enkel da. Er war immer versorgt, und das gibt einem natürlich dann auch ein ganz gutes Gefühl.

Mein Kommentar
Kommentieren
Auch interessant
Newsletter