
Konstantin Tönnies ist keiner, der Dinge einfach übernimmt. Weder familiäre Erwartungen noch standardisierte Abläufe. Er will verstehen, verbessern, gestalten. Das hat er schon bei seinen Fotoarbeiten so gemacht – und heute eben in der Obst- und Gemüseabteilung oder bei der Sortimentsplanung. Mit REWE-Kaufmann Florian Potrykus verbindet ihn der Wille, den Handel weiterzuentwickeln – ohne dabei die Menschen aus dem Blick zu verlieren.
Es ist später Vormittag im REWE-Markt in Hannover. Die Gemüseabteilung glänzt. Zwischen Romanasalat und Fenchel positioniert Konstantin Tönnies einen prächtigen Blumenkohl, prüft die Frische, bricht ein Blatt ab, lächelt. Mit geübtem Griff rückt er die Ware in Szene. Fast wie beim Fotoshooting – und tatsächlich: Vor wenigen Jahren stand Tönnies noch hinter der Kamera, arbeitete als freier Fotograf für Ministerien, mittelständische Unternehmen, Magazine. Heute aber steht er mitten im Markt, Trainee bei Kaufmann Florian Potrykus. Kaum ist der Blumenkohl arrangiert, spricht ihn eine Kundin an. „Wo finde ich das gute Olivenöl?“ – „Neben dem Mehl, gleich da vorne links. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Freundlich, präsent, schnell im Kopf.
Diese Momente liebt Tönnies. „Der direkte Kontakt mit Menschen – das habe ich auch an der Fotografie geschätzt. Nur dass ich hier noch viel unmittelbarer erlebe, wie ich etwas bewegen kann.“ Die Kamera hat er nicht ganz an den Nagel gehängt. Aber jetzt sind es andere Dinge, auf die er seinen Fokus legt: Kundenbedürfnisse, Mitarbeitermotivation, Sortimentsgestaltung, nachhaltige Prozesse. Ein „Quereinsteiger mit Plan“ nennt ihn Potrykus. Einer, der vieles hinterfragt – und Antworten liefert, die oft verblüffend einfach und pragmatisch sind.
Die Welt durch die Kamera – und dann: zurück zu den Wurzeln
Dass sein Weg ihn irgendwann in den Handel führen würde, war lange Zeit nicht absehbar. Dabei kommt Tönnies aus einer Kaufmannsfamilie. Seit über 25 Jahren betreiben seine Eltern einen REWE-Markt im bergischen Odenthal. Als Kind träumte Konstantin davon, später mit seinem Vater gemeinsam den Laden zu führen. „Das stand so auf einem Zettel, den ich in der dritten Klasse ausgefüllt habe. Meine Mutter hat den heute noch.“
Doch zunächst wählte er bewusst einen anderen Weg. Nach dem Abi absolvierte er seinen Zivildienst, versuchte sich an einem BWL-Studium in den Niederlanden – und zog schließlich ein Jahr lang mit dem Rucksack durch Australien und Neuseeland. Dort arbeitete er auf Melonenfeldern, fuhr LKWs durchs Outback, lebte in Hostels und sammelte Geschichten. Geschichten, die ihn zur Kamera führten. In Hannover begann er das Studium „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“, finanzierte sich selbstständig als freier Mitarbeiter beim NDR, fotografierte Hochzeiten und für Organisationen wie die SPD und gab Workshops für Fotografie für die Landesvereinigung kultureller Jugendbildung.
Seine Leidenschaft galt den Langzeitprojekten: In Jokkmokk, nördlich des Polarkreises, begleitete er über Jahre eine Rentierzüchterfamilie der Samen. „Dort habe ich gelernt, was es heißt, Vertrauen aufzubauen, dranzubleiben, genau hinzuschauen. Fähigkeiten, die mir auch heute im Markt helfen.“
Von der Kamera zur Kasse – und ins Büro
Der Wechsel zurück in den Handel kam nicht plötzlich – aber konsequent. „In der Fotografie musst du oft in Vorleistung gehen, hoffen, dass ein Magazin dein Projekt druckt. Die Unsicherheit wurde mir mit der Zeit zu groß. Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie sehr mir die Arbeit mit Menschen fehlt – nicht nur als Beobachter, sondern als Teil eines Teams.“ Ein Praktikum bei einem Agrarverlag gab den Impuls: Tönnies war fasziniert davon, wie weit sich die landwirtschaftliche Produktion vom Supermarkterlebnis entfernt hat – und wie groß das Potenzial ist, hier wieder Nähe zu schaffen.
Statt in den elterlichen Betrieb einzusteigen, entschied er sich bewusst für einen Neustart – in Hannover, wo er seit über einem Jahrzehnt lebt. Hier sind seine Kinder Paul (6) und Suri (2) zu Hause. Im Wechselmodell mit seiner Ex-Partnerin lebt sein Sohn abwechselnd bei Mutter und Vater. „Elternzeit war für mich selbstverständlich. Aber im Handel ist das immer noch eher ungewöhnlich – vor allem für Männer.“ REWE habe ihn darin aber bestärkt. „Ich habe mich ernst genommen gefühlt, auch mit meinem nicht geradlinigen Lebenslauf.“
Er bewarb sich für die Trainee-Stelle zum selbstständigen REWE-Kaufmann, die in der Region Nord nur einmal im Jahr ausgeschrieben wird – und setzte sich durch. Inzwischen ist Tönnies mittendrin im Marktgeschehen. Packt an der Ware mit an, organisiert Zweitplatzierungen, spricht Lieferanten an, aber nimmt auch an Führungsrunden teil. In einer dieser Sitzungen sitzt er im kleinen Büro des Chefs. Auf dem Monitor: die Umsatzzahlen der letzten Woche. Konzentriert analysiert Tönnies die Entwicklung einzelner Warengruppen. „Die Tiefkühlprodukte haben angezogen, aber die Frische muss wieder besser laufen.“ Ruhig, aber bestimmt bringt er seine Ideen ein. Sein Marktleiter lobt seine Perspektive: „Er kommt von außen, stellt gute Fragen, denkt kreativ und strukturiert. Er bringt viele Ideen rein, so entwickeln wir uns weiter. Stillstand ist Rückschritt.“
Zwischen Verantwortung und Vision
Konstantin Tönnies ist keiner, der Dinge einfach übernimmt. Weder familiäre Erwartungen noch standardisierte Abläufe. Er will verstehen, verbessern, gestalten. Das hat er schon bei seinen Fotoarbeiten so gemacht – und heute eben in der Obst- und Gemüseabteilung oder bei der Sortimentsplanung. Mit seinem Marktleiter Florian Potrykus verbindet ihn der Wille, den Handel weiterzuentwickeln – ohne dabei die Menschen aus dem Blick zu verlieren. „Wichtig ist, dass die Mitarbeiter sich gesehen fühlen, dass wir ein Team sind. Und dass unsere Kunden das auch spüren.“


Die Wurzeln: ein Markt mit Herz – und Familie
Dass er diese Haltung nicht im Lehrbuch, sondern im Elternhaus gelernt hat, ist unübersehbar. Wer den Markt seiner Eltern in Odenthal besucht, spürt sofort, was es bedeutet, wenn Kundennähe mehr ist als ein Konzept. Hier grüßt man sich noch. Hier kennt man sich. Hier wird geholfen, bevor jemand fragt. Dietmar Tönnies (64), Konstantins Vater, beschreibt den Laden als „Lebensmitteltreffpunkt“, seine Frau Franzis (65) strahlt eine Wärme aus, die viele Kundinnen und Kunden zum Wiederkommen bewegt. Auch die Oma (90) schaut regelmäßig vorbei, um zu helfen oder einfach Hallo zu sagen. Menschlichkeit ist hier keine Strategie, sondern Haltung – und gelebter Alltag.
Der Markt wurde 2024 mit dem Supermarkt Stars Award als bestes Team Deutschlands ausgezeichnet – eine Anerkennung für gelebte Vielfalt, soziale Verantwortung und ein Miteinander, das weit über das Übliche hinausgeht. 65 Mitarbeiter aus elf Nationen, darunter auch Menschen mit Handicap, sind eine verschworene Gemeinschaft.


Konstantin Tönnies hat dort viel mitgenommen. Den Blick für Details. Den Anspruch an Qualität. Aber vor allem den Sinn für das Wesentliche: „Wenn du Menschen magst, bist du automatisch hilfsbereit und freundlich. Das Fachliche kann man lernen. Die Haltung muss man mitbringen“, sagt sein Vater. Dass sein Sohn den Markt nicht übernimmt, ist für Dietmar Tönnies kein Problem – im Gegenteil. „Konstantin soll seinen eigenen Weg gehen. Dass er das tut – mit Herz und Haltung – macht uns stolz.“ Der Familienname bleibt Teil des Handels. Aber die Geschichte wird (in Hannover) neu geschrieben.
„Erst bin ich in die Welt hinaus und habe sie kennengelernt. Jetzt lade ich sie zu mir nach Hause ein – mit den Produkten, mit den Mitarbeitenden und ganz unterschiedlichen Kunden. Und darauf freue ich mich sehr.“