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Thomas Nonn (Foto: © David Marschalksy)
Lesedauer: 9 Minuten
REWE Group - eine lebendige Genossenschaft
Thomas Nonn: „Genossenschaften sind aktueller denn je“
von Julia Dopjans und Achim Bachhausen (Interview)

Sie haben sich über weit mehr als 150 Jahre als robust und wettbewerbsfähig erwiesen: genossenschaftlich strukturierte Unternehmen wie die REWE Group. Wirtschaftlich spielen sie ganz vorne mit, dennoch bleiben Genossenschaften in der öffentlichen Wahrnehmung eher im Hintergrund. Zu Unrecht, sagt Bereichsvorstand Thomas Nonn. Im Interview spricht er über die Attraktivität eines unverändert aktuellen Modells und zeitlose Werte.

Genossenschaft neu gedacht – warum unser Geschäftsmodell mehr Sichtbarkeit verdient

Genossenschaft? Klingt für manche nach gestern – ist aber unser Vorteil von morgen. Denn unser Modell hat viel zu bieten. Höchste Zeit, das auch zu zeigen! 

Fast 100 Jahre genossenschaftliche Geschichte – das ist nicht nur Tradition, sondern Zukunft. Denn gerade in einer Zeit, in der sich viele Unternehmen neu erfinden müssen, zeigt sich die Stärke unseres Modells: Statt kurzfristiger Gewinnmaximierung stehen wir für Stabilität, regionale Verantwortung und gemeinschaftliches Handeln. Unser genossenschaftliches Fundament ist kein nostalgisches Erbe, sondern ein Zukunftsversprechen – weil es wirtschaftlichen Erfolg mit Haltung verbindet. 

Was für uns selbstverständlich ist, ist für viele außerhalb unserer Organisation jedoch kaum sichtbar – und wird oft unterschätzt. 

Das wollen wir ändern. Warum jetzt? 

Die aktuelle „Woche der Genossenschaft“ rund um den internationalen Genossenschaftstag am 5. Juli gibt uns einmal mehr Anlass, unsere Wurzeln zu feiern – und gleichzeitig den Blick nach vorn zu richten. Denn das, was uns als REWE Group besonders macht – unsere dezentrale Struktur, die starke Verankerung vor Ort, unsere gemeinsame Verantwortung – ist aktueller denn je. 

Genossenschaften bieten seit jeher tragfähige Antworten auf wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Herausforderungen. Sie verbinden wirtschaftlichen Erfolg mit langfristigem Denken, individuelle Selbstständigkeit mit solidarischer Gemeinschaft. Nicht umsonst lautet unser Motto:

„Die Genossenschaft, die Großes schafft.“ 

Denn ob Klimaschutz, regionale Versorgung oder gesellschaftliches Engagement – in vielen Bereichen haben Genossenschaften die Nase vorn. Und das nicht erst seit gestern. Das wollen wir ab sofort stärker nach außen zeigen. 

one: Die REWE Group geht auf ihren 100. Geburtstag zu. Aus dem Zusammenschluss kleiner Einkaufsgenossenschaften ist eines der größten Handels- und Touristikunternehmen in Europa geworden. Was verbindet die REWE Group von heute noch mit dem Unternehmen von damals? 

Thomas Nonn: Schon bei unserer Gründung war das selbstständige Unternehmertum der Kern der REWE Group – und das ist bis heute so geblieben. Damals formten die Großhandelsgenossenschaften, indem sie die alleinstehenden Kaufleute zusammenbrachten, die Grundlage für das, was wir heute sind. Diese Kaufleute wurden mittelbare Eigentümer der Gruppe – ein Prinzip, das bis heute unverändert unser Geschäft prägt. Und ganz gleich, was sich im Außen verändert hat, eines hat uns immer verbunden: unsere starken, genossenschaftlichen Werte. 

one: Inwiefern? 

Thomas Nonn: Genossenschaften haben es drauf, über den Tellerrand hinauszuschauen – sie denken nicht von heute auf morgen, sondern in Generationen. Ein Blick auf unsere Regionalgenossenschaften zeigt das ganz deutlich: Einige sind über 100 Jahre alt und damit sogar älter als unsere REWE-Zentrale. Ihr Fokus auf langfristiges Handeln ist beeindruckend und eng mit den Werten verbunden, die für genossenschaftliche Unternehmen prägend sind. Diese Werte haben sich über die Zeit nie verändert – egal, was passiert ist, sie waren immer da, mal mehr, mal weniger sichtbar. Seit mehr als 15 Jahren beschäftigen wir uns ganz intensiv mit den Werten, die unsere Zusammenarbeit in der Genossenschaft maßgeblich beeinflussen. Doch am Ende hängt es immer von den Menschen ab, die diese Werte jeden Tag aufs Neue leben. 

„Nachhaltigkeit steckt in der Ur-DNA der Genossenschaften. Wir möchten selbstständige Existenzen so gestalten, dass sie auch über Generationen hinweg erhalten bleiben.”“
Thomas Nonn

one: Welche Werte sind das zum Beispiel? 

Thomas Nonn: Nachhaltigkeit zum Beispiel steckt in der Ur-DNA der Genossenschaften. Wir möchten selbstständige Existenzen so gestalten, dass sie auch über Generationen hinweg erhalten bleiben. Unsere Unternehmenskultur ist geprägt von Stabilität, Vertrauen und Zusammenhalt. Doch die genossenschaftliche Struktur bringt von Natur aus auch eine ordentliche Portion Verantwortung mit – gegenüber jedem Einzelnen und der gesamten Organisation. 

one: In einer Zeit, in der Werte zunehmend verhandelbar erscheinen – man denke nur an die Entwicklungen in den USA und erste Abstrahleffekte auf andere Länder –, wie bewahren wir als Genossenschaft die Beständigkeit unserer Werte innerhalb der REWE Group? 

Thomas Nonn: Mit vielen unserer selbständigen Kaufleute arbeiten wir generationsübergreifend zusammen. Gleichzeitig haben wir bei der REWE grundsätzlich eine lange Betriebszugehörigkeit unserer Mitarbeitenden. Durch diese Kombination entstehen stabile Beziehungen, die unsere Wertekultur stärken. Und am Ende ist es vor allem die kontinuierliche Übersetzung der Werte in den Arbeitsalltag. Es ist uns wichtig, dass wir miteinander im Gespräch bleiben. Manchmal kommt dabei heraus, dass man neue Worte für das finden muss, was man im Alltag lebt, aber der Kern unserer Werte wird nicht alt.

„In einer Zeit der Dauerkrisen bieten Genossenschaften Antworten auf viele brennende Fragen unserer Zeit. Sie stehen für Beständigkeit und Stabilität.“
Thomas Nonn

one: Der Wind auf dem Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren gedreht: Unternehmen kämpfen zunehmend damit, offene Stellen angemessen zu besetzen. Wie kann die REWE Group als Genossenschaft auf diesem neuen Spielfeld punkten?

Thomas Nonn: In einer Zeit der Dauerkrisen bieten Genossenschaften Antworten auf viele brennende Fragen unserer Zeit. Sie stehen für Beständigkeit und Stabilität. Anders als börsennotierte Unternehmen, die ständig den Druck der Quartalszahlen spüren und den Aktienkurs oben halten müssen, sind wir als Genossenschaft unseren Mitgliedern verpflichtet. Das gibt uns mehr Freiheit, unser Unternehmen nachhaltig zu positionieren – und wir sind dadurch oft viel innovativer unterwegs, als man gemeinhin denkt. Beim Thema Digitalisierung sind wir im Handel zum Beispiel weit vorne dabei, das gleiche gilt für Nachhaltigkeit. Man kann richtig viel bei uns bewegen – ich glaube, wenn junge Menschen um die Vorteile wüssten, wären Genossenschaften als Arbeitgeber noch viel gefragter. Unsere größte Stärke ist die Gemeinschaft, die spürbar ist, wenn man Teil unseres Teams wird. Daher ist es entscheidend, jungen Talenten die Chance zu geben, bei der REWE hineinzuschnuppern und diese einzigartige Kultur zu erleben. 

one: Zudem ist das Spektrum ja riesig, wenn man nicht nur auf die Verwaltungsbereiche schaut. 

Thomas Nonn: Das stimmt. Auch in Hinblick auf die Selbstständigkeit möchten wir sowohl Kolleg:innen als auch Externe gewinnen, um selbstständige Existenzen zu gründen. Dazu haben wir Modelle entwickelt, die betriebswirtschaftlich attraktiv sind. Gleichzeitig ist der Einstieg in die Selbstständigkeit bei uns etwas, das Kenntnisse in vielen unterschiedlichen Fachrichtungen erfordert, zum Beispiel Ware, Personal, Marketing, Einkauf und vieles mehr. Das ist auch für Interessierte mit Bachelor- oder Master-Abschluss eine spannende Perspektive, gerade im Vergleich zur Fachposition. Wie wir im genossenschaftlichen Grundgedanken diese Selbstständigkeit pflegen, entwickeln und verstehen, das ist etwas Besonderes. Für mich ist bei der REWE die Selbstständigkeit an sich schon ein Wert. 

one: Die Form der Genossenschaft ist nicht immer einfach. Es kostet Zeit, viele Stimmen zu hören und zu moderieren, ehe eine Entscheidung getroffen wird. In anderen Rechtsformen kann das Management Dinge mitunter sehr viel schneller umsetzen. Wie bewerten Sie das? 

Thomas Nonn: Mit dem, was Sie gesagt haben, ist ein Irrglaube verbunden. Genossenschaft heißt ja nicht, wir machen Basisdemokratie, sondern wir müssen die Strukturen schaffen, in denen wir handlungsfähig bleiben. Unsere Strukturen erlauben es zum Beispiel, Knowhow aus den Märkten in die Management-Entscheidungen einfließen zu lassen. Vielleicht hat man die eine oder andere Abstimmungsschleife mehr als in einem Familienunternehmen, aber dank der Abstimmung mit den Kaufleuten haben wir eine viel höhere Umsetzungsakzeptanz. Ich habe in all den Jahren bei REWE nie den Eindruck gehabt, dass wir es nicht schaffen, die situativ notwendige Geschwindigkeit zu erreichen. Das ist für mich eine Frage der Organisation und der Kultur. Natürlich diskutieren wir, das ist ja auch oft notwendig, um alle Facetten zu beleuchten. Aber wenn es dann gilt, ein Thema auf die Straße zu bringen, haben wir meines Erachtens noch nie unnötig Zeit verloren.

„Unsere größte Stärke ist die Gemeinschaft, die spürbar ist, wenn man Teil unseres Teams wird.“
Thomas Nonn

one: Wie ist es eigentlich aktuell um den Kaufleute-Nachwuchs bestellt? 

Thomas Nonn: Es sieht gut aus! Wir haben aktuell über 300 Nachwuchskandidat:innen in der Pipeline, die in der Einarbeitung zum Kaufmann oder zur Kauffrau sind und die darauf warten, dass sie sich auf einen ausgeschriebenen Standort bewerben können. Und es kommen ständig neue Interessent:innen hinzu. Der größte Teil unserer neuen Kaufleute sind ehemalige Marktmanager:innen. Zusätzlich machen wir neue Kanäle auf. So bereiten wir in einem zweijährigen Trainee-Programm junge Leute mit einem akademischen Abschluss auf die Selbstständigkeit vor. Zudem haben Kaufleute die Möglichkeit, Abiturient:innen in ihrem Unternehmen ein Dualstudium anzubieten. Diese lernen im Markt die praktische Seite kennen, studieren nebenbei, erreichen einen allgemein gültigen Hochschulabschluss und begeben sich so auf den Weg in die Selbstständigkeit mit REWE. Dann gibt es auch Interessent:innen, die aus einer Vertriebsfunktion der REWE kommen und auch solche, die von außerhalb auf uns zukommen. Und selbstverständlich gibt es auch Nachwuchskräfte aus den Kaufleute-Märkten, die sich für den Schritt in die Selbstständigkeit interessieren. Kurzum, der Pool ist gut gefüllt.  

one: Welches finanzielle Fundament wird benötigt, um den Schritt zur Selbstständigkeit mit REWE zu machen? Ist eine Mindesteinlage erforderlich?  

Thomas Nonn: Wir haben verschiedene Kooperationsmodelle: An erster Stelle steht das REWE-Partnerschaftsmodell. Wir bieten aber auch die Selbstständigkeit in einem Franchise-Modell an. Ein wesentlicher Anker in der Philosophie des Partnerschaftsmodells ist, dass fehlendes Kapital kein Hinderungsgrund dafür sein soll, dass geeignete Bewerber:innen den Schritt in die Selbstständigkeit gehen können. Es gibt kein besseres Einstiegsmodell in die Selbstständigkeit als unseres, weil es Kapitalbedarf und Risiken auf ein Maß beschränkt, das es sonst nirgends gibt. Ein attraktives Modell ist in Verbindung mit erfolgreichen Vertriebskonzepten die Voraussetzung dafür, um gute Bewerber:innen für die Selbstständigkeit zu finden.  

one: Erstmals in ihrer Geschichte gibt die REWE Austria BILLA-Märkte in die Hände von selbstständigen Kaufleuten. Wie sind die Erfahrungen? 

Thomas Nonn: Wir haben in Deutschland in den vergangenen Jahren sehr viel positive Erfahrung in der Zusammenarbeit mit selbstständigen Kaufleuten gesammelt. Insofern war es nur konsequent, darüber nachzudenken, ob ein ähnliches Modell mit BILLA auch etwas sein könnte, um die Wettbewerbsposition in Österreich zu verbessern. Die Privatisierung ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein betriebswirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Wir haben den Vorteil, dass wir auf die Erfahrungen aus Deutschland zurückgreifen können. Natürlich gibt es nationale Besonderheiten zu berücksichtigen. Es ist uns gelungen, ein Modell zu entwickeln, das in Österreich erfolgreich sein wird. Bis Ende 2025 wollen wir die Anzahl der selbstständigen BILLA-Kaufleute auf 45 erhöhen.  

one: Sind diese Kaufleute auch in einer Genossenschaft organisiert? 

Thomas Nonn: Nein, noch nicht. Aber es gibt Überlegungen, wenn es eine relevante Zahl an BILLA-Kaufleuten gibt, diese in einer genossenschaftlichen Struktur zusammenzubringen.

one: Gibt es in der REWE Group Überlegungen, weitere Geschäftsfelder zu privatisieren? 

Thomas Nonn: Wir entwickeln stetig Innovationen und neue Formate so wie derzeit die stationären Tierfachmärkte unter unserer Marke ZooRoyal. Dieses Konzept ist exklusiv unseren Selbstständigen vorbehalten. Es gibt also immer wieder Möglichkeiten, unser Spektrum zu erweitern.

Zur Person

Thomas Nonn vertritt die Interessen der Selbstständigen innerhalb der REWE Group sowie auf nationaler und europäischer Verbandsebene. Als Bereichsvorstand verantwortet er den Geschäftsleitungsbereich Selbstständigkeit und Genossenschaft. Nonn gehört zu den Initiatoren des „REWEformer“, der seit mehr als 15 Jahren die Zusammenarbeit zwischen REWE und selbstständigen Kaufleuten maßgeblich gestaltet. Thomas Nonn engagiert sich auf genossenschaftlicher Verbandsebene unter anderem im Präsidium des Mittelstandsverbund – ZGV e.V.. Derzeit ist er zudem Vice President von Independent Retail Europe, nachdem er den Verband die vergangenen sechs Jahre als Präsident geführt hat. Darüber hinaus gehört er dem Verbandsrat des DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V.) an und ist im Vorstand des Fördervereis für das Genossenschaftswesen an der Universität zu Köln aktiv.

Verlässlich, krisenfest, fair
Genossenschaften genießen höchstes Vertrauen – doch viele kennen sie kaum
Unsere aktuelle Umfrage zeigt: Fairness, Stabilität und Gemeinwohl werden stark mit dem genossenschaftlichen Modell verbunden – mehr als mit jeder anderen Unternehmensform. Und trotzdem kennen über 60 % der Menschen das Prinzip kaum – oder dass auch wir bei der REWE Group so organisiert sind. Zeit, das Potenzial zu heben – und der Genossenschaft die Bühne zu geben, die sie verdient.
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