Dirk Heim, Bereichsleiter Nachhaltigkeit Ware der REWE Group und Dr. Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH und der Initiative Tierwohl (ITW), über die Umstellung des Schweinefleischangebots auf Haltungsform 2, Probleme bei der Preisfindung und die Einigkeit im Lebensmitteleinzelhandel.
one: Die ITW ist vor sechs Jahren als privatwirtschaftliche Initiative angetreten, um mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung durchzusetzen. Seitdem wurde viel erreicht. Jetzt stellen REWE, PENNY und andere große Lebensmittelhändler Eigenmarken-Schweinefleisch sukzessive auf ITW-Standard und somit die Haltungsform 2 um. Welche Bedeutung hat dieser Schritt im Bemühen um eine bessere Tierhaltung?
Dr. Alexander Hinrichs: Damit machen wir einen Riesensprung! Noch vor ein paar Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass sich alle Beteiligten auf ein solches Bekenntnis einigen würden. 2018 ist es uns gelungen, Geflügelfleisch flächendeckend als ITW-Ware zu kennzeichnen. Schon das war ein wichtiger Etappenerfolg. Dass nun Schweinefleisch folgt, ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Denn die Wertschöpfungskette dort ist sehr viel komplexer als bei Geflügel. Das war auch der Grund, weshalb es von verschiedenen Seiten immer wieder erhebliche Zweifel gab, ob unser Vorhaben gelingen würde.
one: Welche waren die höchsten Hürden?
Dr. Alexander Hinrichs: Einigkeit im Lebensmitteleinzelhandel zu erreichen war anfangs nicht einfach, aber die meisten Zweifel kamen aus den vorgelagerten Stufen. Es gab verschiedene Hochrechnungen, wie viele Tiere nach ITW-Standard gehalten werden müssen, damit der Handel ganze Sortimentsbereiche umstellen könne. Dabei hieß es immer: Das schafft Ihr nie! Noch im vergangenen Jahr wurden erst zwölf Millionen Mastschweine gemäß ITW-Vorgaben gehalten, aktuell sind es bereits fast 20 Millionen. Das zeigt das Engagement der Landwirtschaft, ist letztlich aber auch ein Verdienst der Beharrlichkeit des Handels, der stets betont hat, wie ernst es ihm mit der Umstellung ist. Jetzt sind die Dinge geregelt und alle Beteiligten haben größtmögliche Planungssicherheit.
Dirk Heim (Foto: Achim Bachhausen) Dirk Heim: Zugegeben, auch wir im LEH waren uns nicht immer einig. Und es gab auch Stimmen, die den Ansatz der ITW ganz grundsätzlich in Frage stellten, weil sie deren Kriterien für nicht streng genug hielten. Aber da frage ich: Was ist besser, einige wenige Leuchtturmprojekte mit Haltungsform 3 oder gar 4 zu forcieren oder Tierwohl in der Breite weiterzuentwickeln und sich zunächst mit einem niedrigeren Niveau zufriedenzugeben? Für beide Ansätze gibt es gute Argumente. Aber ich halte es für wegweisend, dass wir nun einen Standard gefunden haben, der vielen Millionen Mastschweinen, Hähnchen und Puten bessere Haltungsbedingungen sichert.
one: Werden die Verbraucher:innen das auch so sehen? Oder besteht nicht die Gefahr, dass sie die Umstellung von 1 auf 2 eher geringschätzen, weil deutlich größere Verbesserungen im Tierwohl erst mit dem Umstieg auf 3 und 4 erfolgen?
Dr. Alexander Hinrichs: Wir bei der ITW haben nicht den Anspruch, Bio-Anbieter:innen den Rang abzulaufen. Wir wollen in der Breite der Tierhaltung Verbesserungen durchsetzen und das geht nur in Etappen. Natürlich ist die Haltungsform 2 nicht die maximale Tierwohl-Stufe, aber sie ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Diese ermöglicht vielen Tierhalter:innen die Umstellung zu mehr Tierwohl und dem Handel, Fleischprodukte zu Preisen anzubieten, von denen die Verbraucher:innen nicht in größerem Umfang abgeschreckt werden. Wer noch mehr Tierwohl möchte, findet auch entsprechende Angebote. REWE zum Beispiel hat über die ITW hinaus eine Auswahl an Fleisch von Tieren aus den Haltungsformen 3 und 4.
one: Damit sind wir beim Thema Preis. Welcher Aufschlag auf den Verkaufspreis wird nötig sein, um die Mehrkosten, die den Landwirt:innen durch die Umstellung der Tierhaltung entstehen – und die entsprechend abgegolten werden – aufzufangen?
Dr. Alexander Hinrichs: Natürlich muss Schweinefleisch teurer werden. In welchem Umfang sie das an die Verbraucher:innen weitergeben ist individuelle Sache der Händler, das diskutieren wir bei der ITW nicht. Jede:r muss für sich entscheiden, wie er oder sie mit den Mehrkosten umgeht. Schweinepreise sind ohnehin sehr volatil. Die Mehrkosten für Fleisch aus Stufe 2 werden natürlich nicht bei dem Preisniveau wie für Stufe 3 und 4 liegen.
one: Schweinefleisch verliert bereits seit Jahren in der Verbraucher:innengunst. Wenn die Ware jetzt auch noch teurer wird…
Dirk Heim: Ja, leider ist die Preissensibilität nach wie vor hoch. Der bessere Ansatz wäre, auf hochwertiges Fleisch zu setzen
Dr. Alexander Hinrichs: Ich hätte Zweifel, ob sich der Absatztrend drehen lässt, selbst wenn nur noch Ware aus den Haltungsformen 3 und 4 verkauft würde.
one: Wäre das denn in absehbarer Zeit eine realistische Option? REWE, PENNY und auch Aldi haben kürzlich angekündigt, bis 2030 beim Frischfleisch auch aus Schwein nur noch Haltungsform 3 und 4 anzubieten.
Dirk Heim: Wir freuen uns darüber, dass das Thema Tierwohl in der Branche nun immer mehr Unterstützung findet – denn diesen Weg können wir nur gemeinsam gehen. Dafür setzten wir bei der REWE Group uns seit mehr als zehn Jahren ein. Natürlich sind wir uns bewusst, dass unsere hohen Tierwohlansprüche auch entsprechende Herausforderungen mit sich bringen. Darum ist zur Erreichung dieser – zugegeben sehr ambitionierten – Ziele nun nicht nur der Zusammenhalt in der gesamten Branche, sondern auch die konkrete Unterstützung der Politik gefragt.
one: Welche weiteren Projekte stehen an?
Dr. Alexander Hinrichs: Wir stehen kurz vor der Grundsatzentscheidung, auch eine ITW Rind einzuführen. Das wäre ein logischer und wichtiger Schritt, nicht bei Geflügel und Schwein stehen zu bleiben, sondern da weiterzumachen, wo es für Erzeuger:innen und Händler bisher kaum Differenzierungsmöglichkeiten gibt. Eine weitere große Aufgabe in den nächsten drei Jahren wird die Frage nach einer möglichen Einbindung ausländischer Betriebe in die ITW. Dr. Alexander Hinrichs
one: Wie kommt die Anwerbung neuer Teilnehmer:innen für die ITW voran?
Dr. Alexander Hinrichs: Das ist nicht einfach. Aber seit wir nicht nur für Geflügel, sondern auch für Schwein eine eindeutige Kennzeichnung, ein Label, anbieten, sind wir in einer besseren Position. Wichtig ist auch, dass wir eine hohe Marktdurchdringung haben. So können alle Interessierten, die ITW-Ware verkaufen möchten, sicher sein, ein entsprechendes Angebot im Markt zu finden – wenn auch am Anfang vielleicht nicht für jedes Teilstück. Gerne würden wir auch in der Gastronomie neben dean&david weitere Teilnehmer gewinnen, schließlich geht über diesen Kanal etwa ein Drittel des in Deutschland abgesetzten Schweinfleischs. Wenn die Pandemie vorbei ist, können wir möglicherweise bei den Kantinen und in der Systemgastronomie einen neuen Anlauf unternehmen, Mitstreiter:innen zu finden. Auch das Fleischerhandwerk steht auf unserer Agenda. Also: Es ist viel in Bewegung, aber es braucht Zeit.
Die Initiative Tierwohl (ITW) ist eine 2015 gegründete branchenübergreifende Initiative der Wirtschaft. Sie speist sich ausschließlich aus Geldern der teilnehmenden Unternehmen. Gemeinsam haben Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel (LEH) einen Prozess angestoßen, um auf breiter Ebene und kontinuierlich mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung bei der Erzeugung von Geflügel- und Schweinefleisch durchzusetzen. Aus dem LEH sind neben REWE und PENNY auch Aldi, Edeka, Netto, Lidl und Kaufland mit dabei.
Tierhalter:innen, die an der ITW teilnehmen, müssen bestimmte Tierwohlkriterien umsetzen. Diese liegen alle über den gesetzlichen Standards. Für die Umsetzung der Maßnahmen erhalten die Landwirt:innen – in Abhängigkeit von der Anzahl der Tiere – ein bestimmtes Tierwohlentgelt, mit dem ihr Mehraufwand kompensiert wird. Davon profitieren aktuell etwa 34 Millionen Schweine und etwa 600 Millionen Hähnchen und Puten. Das heißt: Circa ein Drittel aller Mastschweine und rund 80 Prozent des Geflügels stammen aus Ställen der in der ITW engagierten Landwirt:innen. Die Umsetzung der Maßnahmen für mehr Tierwohl wird durch die Initiative flächendeckend zweimal im Jahr kontrolliert. Betriebe, die gegen die Vorgaben verstoßen, werden konsequent sanktioniert.
Seit April 2019 klassifiziert die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH die Haltungsformen für Hähnchen, Puten, Rind und Schwein mit einem einheitlichen Siegel. Anhand einer vierstufigen Kennzeichnung der Haltungsform lässt sich einfach erkennen, wie viel Tierwohl in dem jeweiligen Produkt steckt – vom gesetzlichen Standard bis zum Bio-Standard. So können Verbraucher:innen bewusst einkaufen. Inzwischen sortiert die Haltungsform-Kennzeichnung 20 verschiedene bereits bestehende Tierwohlprogramme und Standards in ihr vierstufiges System. Dabei entsprechen die Kriterien der Stufe 2 dem Standard der ITW für Fleisch- und Wurstwaren.
Haltungsform 1 („Stallhaltung“) bei Schwein kennzeichnet Fleisch- und Wurstwaren von Tieren aus Stallhaltung nach dem gesetzlichen Mindestmaß. Das bedeutet:
- mindestens 0,75 Quadratmeter Platz pro Tier
- organisches, rohfaserreiches Beschäftigungsmaterial
Haltungsform 2 („Stallhaltung plus“) entspricht dem Standard der ITW. Fleisch- und Wurstwaren stammen von Schweinen aus Stallhaltung mit höheren Tierwohlstandards. Das bedeutet:
- mindestens 10 Prozent mehr Platz pro Tier, das heißt mindestens 0,825 Quadratmeter
- organisches, rohfaserreiches Beschäftigungsmaterial, zusätzlich Raufutter
Haltungsform 3 („Außenklima“) bedeutet noch einmal deutlich mehr Tierwohl. Fleisch- und Wurstwaren stammen von Schweinen aus Stallhaltung mit Außenklimareizen, mindestens einem Offenfrontstall und:
- mindestens 40 Prozent mehr Platz pro Tier als gesetzlich vorgeschrieben, das heißt mindestens 1,05 Quadratmeter
- organisches, rohfaserreiches Beschäftigungsmaterial
- zusätzlich Stroh (als Einstreu oder Raufutter) oder vergleichbares Material
- Futtermittel ohne Gentechnik
Haltungsform 4 („Premium“) steht in der ITW-Kategorisierung für die höchste Form der Tierhaltung. Fleisch- und Wurstwaren stammen von Schweinen aus Stallhaltung mit ständigem Zugang zu Auslauf oder Freilandhaltung und:
- mindestens doppelt so viel Platz pro Tier wie gesetzlich vorgeschrieben, das heißt mindestens 1,5 Quadratmeter
- organisches, rohfaserreiches Beschäftigungsmaterial: Stroh oder vergleichbare Substrate
- Futtermittel ohne Gentechnik. Mindestens 20 Prozent des Futtermittels stammt aus dem eigenen Betrieb beziehungsweise aus der Region
„Wir haben ganze Schweine unter Vertrag genommen“
Bis Ende 2030 streben REWE und PENNY an, im gesamten Eigenmarken-Sortiment ausschließlich Fleisch aus der Haltungsformstufe 3 und 4 anzubieten. Seit dem 1. Juli werden bereits das Eigenmarken-Schweinefleisch sowie ausgewählte Wurstartikel komplett von Stufe 1 auf die 2 umgestellt. one sprach mit Verantwortlichen bei Wilhelm Brandenburg, was das für die Produktion bedeutet. Hier gehts zum Artikel
„Mehr Tierwohl geht nicht auf Knopfdruck“
Markus vom Stein und Ronny Grohe, Bereichsleiter Ultrafrische 2 für das Vollsortiment beziehungsweise das Discountgeschäft, über bessere Haltungsbedingungen, preissensible Verbraucher und Einigkeit im Handel.
„Eine Frage der Haltung“
Die REWE Group setzt sich seit Jahren konsequent für die Verbesserung branchenweiter Tierwohlstandards ein. Welche Tierwohlziele die REWE Group im Fleisch- und Wurst-Bereich verfolgt und welche Wege sie dabei geht – eine Übersicht.