

Klar, wenn ich jemandem sage, dass ich schwul bin, merke ich, wie es bei ihm im Kopf rattert. Aber meine Erfahrung ist: Wer offen damit umgeht, ist nicht angreifbar und muss sich nicht verstecken. Ich habe das seit meinem ersten Tag bei REWE im Jahr 2004 so gehalten und bin gut damit gefahren. Nach zwei Jahren bei der Bundeswehr, wo ich ebenfalls geoutet gelebt habe, einer Ausbildung und einer anderen Station im Einzelhandel habe ich bei REWE zunächst zehn Jahre als Marktleiter gearbeitet. Später bin ich in den Außendienst gewechselt. Da habe ich viel Kontakt mit unterschiedlichen Kollegen an sehr verschiedenen Standorten. Meine Beobachtung im privaten Umfeld ist: Je ländlicher, umso schwieriger ist es für Nicht-Heterosexuelle. Eine Dorfgemeinschaft, in der Schwul- oder Lesbischsein nicht gelebt wird, empfindet das eher als etwas Fremdes. In einer Großstadt mit ihren vielen unterschiedlichen Charakteren ist es sehr viel leichter.

Bei di.to mache ich seit Juli 2015 mit. Es ist eine Herausforderung, neue Mitstreiter zu finden. Oft scheitert es am zeitlichen Aufwand. Wenn Kollegen oder Kolleginnen sich an uns wenden, geht es aktuell nur selten darum, ob und wie man sich als schwul oder lesbisch outen soll. Viel häufiger gab es zuletzt Fragen rund um das Thema Transgender: Der eine oder die andere, der/die vor einer Geschlechtsumwandlung stand, egal ob medizinisch oder rechtlich, war verunsichert über mögliche Reaktionen im beruflichen Umfeld. Mancher, der es geheim halten will, sorgte sich, was auf seiner Krankmeldung stehen würde - der Männer- oder der Frauen-Vorname? Die Tatsache, dass Herr Souque als Vorstandsvorsitzender Pate von di.to ist und die deutliche Unterstützung durch die regionale Geschäftsleitung (REWE Region Süd) hat bei vielen Mitarbeitern und Führungskräften einen Fokus auf das Thema gelegt. Sie setzen sich intensiver damit auseinander. Das gefällt mir. Großen Bedarf für di.to gibt es nach meiner Einschätzung in den osteuropäischen Ländern, in denen die REWE Group tätig ist. Denn dort geht man mit dem Thema Homosexualität weit weniger liberal um als bei uns in Deutschland. Mein Partner ist übrigens auch bei REWE beschäftigt. Kennengelernt haben wir uns jedoch außerhalb des Unternehmens.
Ich bin seit 26 Jahren bei DER Touristik, habe mich viele Jahre im Betriebsrat engagiert, lange Zeit auch als dessen Vorsitzender. In einem solchen Amt hat man immer mal wieder mit Themen zu tun, die Ausdruck der sexuellen Vielfalt in einer Belegschaft sind. Zum Beispiel als es darum ging, wie die Pensionskasse gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften bewertet. Ich bin verpartnert und im Unternehmen stets offen mit meiner Homosexualität umgegangen. Natürlich habe ich es nicht gleich jedem auf die Nase gebunden, aber ich habe damit auch nicht hinterm Berg gehalten. Zugegeben, ich habe es vergleichsweise leicht: Die Touristik ist eine bunt gemischte, liberale Branche - da geht man mit diesem Thema locker um. Dazu kommt, dass ich in Frankfurt lebe, einer Großstadt mit einer guten Infrastruktur für Schwule. Ich freue mich, dass die REWE Group sich zu Vielfalt bekennt. So muss niemand Energie verschwenden, um seine sexuelle Orientierung zu verstecken. Dass unser Vorstandsvorsitzender Lionel Souque als Pate für di.to fungiert, halte ich für sehr positiv und außergewöhnlich. Ich kenne kein anderes Unternehmen mit einem ähnlichen Netzwerk, bei dem der Chef vorangeht.

Seit knapp einem Jahr bin ich für di.to in der Region Nord tätig. Zunächst als Einzelkämpfer, inzwischen habe ich einen „Copiloten“. Gemeinsam versuchen wir, unser Netzwerk zu etablieren und Kollegen und Kolleginnen die Scheu zu nehmen, offen mit ihrer Homosexualität umzugehen. Denn es ist doch so: Wenn ich ständig Angst habe, „entdeckt“ zu werden und mich frage, welche Folgen das möglicherweise für meine Karriere hat, bremst mich das im Job aus. Ich denke, dass vor allem viele lesbische Frauen diese Sorge umtreibt. Schließlich haben es Frauen ohnehin häufig schwerer, beruflich aufzusteigen.

Es gibt noch viel Arbeit für di.to. Vielleicht weniger in den Zentralen, da geht man mit dem Thema nach meiner Beobachtung lockerer um. Aber draußen in den Märkten ist es schon schwieriger. Wer stellt sich schon an der Fleischtheke hin und sagt seinen Kollegen und Kolleginnen: „Übrigens, ich stehe auf Männer“? Ich selber spreche über meine Homosexualität nur, wenn man mich konkret fragt. Warum auch? Die anderen sollen mich nach meinem Wesen beurteilen. Klar, dazu gehört auch das Schwulsein, aber das muss ich doch nicht gleich jedem erzählen. Viele vermuten das bei mir nicht – und sind deshalb oft überrascht, wenn sie es erfahren.
Ich bin seit zehn Jahren bei REWE. Im Januar 2017 habe ich die Verantwortung für den Bereich Deko und Außenwerbung in der Region Nord übernommen. Gemeinsam mit meinen Mitarbeitern plane ich Veranstaltungen und Markteröffnungen. Es ist nicht immer leicht, das zeitlich mit der Arbeit für di.to übereinzubringen. Umso mehr freue ich mich, dass unser Regionsleiter das Thema unterstützt und Freiraum zum Beispiel für Messeauftritte oder Treffen zur Verfügung stellt. Überhaupt ist es wichtig, dass die Führungskräfte die Ideen von di.to mittragen.Um dieses Video zu sehen,
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Astrid Jansen: Ich selbst würde mich im Vorfeld fragen: Warum möchte ich eigentlich wissen, wie der Kollege, die Kollegin lebt? Bin ich einfach neugierig, habe ich Spaß an Klatsch und Tratsch? Oder mag ich den Menschen und interessiere mich für ihn?
Denn wen man liebt - das ist für die einen eine sehr persönliche, schützenswerte Angelegenheit, andere gehen eher offen damit um. Wenn ich nun wissen möchte, ob meine Kollegin lesbisch ist, weiß ich vorher leider nicht genau, ob sie zu den offenen oder zu den zurückhaltenden Menschen gehört. Wenn ich mir da nicht sicher bin, wie viel an Offenheit die Beziehung verträgt, kann ich mein Gegenüber ganz pragmatisch fragen: „Mich interessiert, wie du privat lebst. Darf ich dazu fragen oder trennst du das Private eher vom Beruflichen?“
Wichtig finde ich auch, dass man prüft, ob beziehungsweise auf welche Weise man selbst gerne gefragt werden würde, wenn es um Persönliches und Privates geht.
one: Muss oder sollte ich mich Kollegen oder Vorgesetzten gegenüber „outen“?
Astrid Jansen: Mit den Fragen „soll ich mich outen?“ oder „wann ist der richtige Zeitpunkt?“ müssen sich Menschen, die jenseits der Mehrheitsgesellschaft leben, regelmäßig auseinandersetzen. Das ist so, weil Heteros oder Cis*) vielfach voraussetzen, dass alle Menschen, also auch LGBTIQ*) lebende Menschen so leben wie sie selbst.
Würden wir die heterosexuellen Cis-Leser und Leserinnen in diesem Interview per se als trans- oder homosexuell ansprechen, hätten sie vermutlich auch das Bedürfnis, das aufzuklären und die für sie passende Selbstbeschreibung kundzutun.
Doch die meisten Menschen, die mir bisher begegnet sind, tragen ihre sexuelle Identität beziehungswiese Orientierung eben nicht vor sich her. Denn sie bildet für sie nur einen Aspekt ihrer Person unter vielen und daher wollen sie ihr nicht so eine große Bedeutung geben. Sie haben wenig Lust, immer wieder die „Quotenlesbe“ im Heteroteam zu sein. Daraus ergibt sich oft ein Dilemma zwischen „outen“ oder „nicht outen“.
Wichtig ist auch, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Verpasst man den, kann das unangenehm sein („Warum hast du mir das nicht eher erzählt?“). Ist man zu früh, dann auch („der spielt sich mit seinem Schwul-Sein in dem Mittelpunkt“). Dieser Entscheidungsprozess kostet Gefühle und Kopf gleichermaßen Kraft.
one: Warum überhaupt im Arbeitsumfeld über die eigene Lebens- oder Liebessituation sprechen?
Astrid Jansen: Was will ich montags morgens vom Wochenende, von meiner Familie preisgeben, die vielleicht aus zwei Vätern oder zwei Müttern besteht? Wenn Menschen dauerhaft einen Teil des eigenen Lebens ausblenden müssen, weil das Arbeitsklima nicht offen genug ist, dann ist das für die Betroffenen oft belastend. Im Gegensatz dazu bereichert es Teams, wenn unterschiedliche Menschen sich mit dem eigenen Anderssein einbringen können. Solche Teams sind kreativer und bereiten den Boden für ein gesundes Miteinander aller.
Astrid Jansen ist Psychologin, hypnosystemische Coach und Beraterin Gesundheitsmanagement des Gesundheitsdienstleisters B.A.D. Sie berät im Rahmen ihrer Tätigkeit für die REWE Group auch die Mitglieder des di:to-Netzwerks und Kolleginnen und Kollegen zu Fragen aus dem Bereich LGBTIQ*)

Hier, in einem kleinen Ort im Spessart, gehört Mut dazu, zu sagen: Ich bin schwul. Dann ist man vier Wochen lang Gesprächsthema. Aber dann ist es auch vorbei, dann gibt es wieder ein anderes Thema. Und das Gute ist: Viele Mitmenschen gehen nach dem Outing plötzlich viel freundlicher und offener mit einem um. Kollegen und auch Kunden. So habe ich das erlebt, seit ich 2014 im REWE-Markt in Eschau angefangen habe. Ich denke, auch viele „andere“ sind verunsichert, wenn es um Homosexualität geht und scheuen sich, das Thema anzusprechen. Wenn ich dann den ersten Schritt mache, nehme ich Kollegen und Kolleginnen die Hemmungen, offen über sexuelle Vielfalt zu sprechen.

Warum sich vergleichsweise wenig Frauen bei di.to engagieren? Vielleicht, weil Männer häufig extrovertierter sind, gerade wenn es um die Frage der sexuellen Orientierung geht. Manche Frau ist möglicherweise aber auch noch nicht geoutet und sorgt sich um die Reaktion von Kollegen und Vorgesetzten, wenn das öffentlich wird – gerade, wenn sie in einer Führungsposition ist oder eine Karriere anstrebt. Denn als lesbische Frau bietet man vielen Menschen eine größere Angriffsfläche. Sicher gibt es auch Kolleginnen, die sagen: Ich benötige kein eigenes Netzwerk; ich möchte vielmehr, dass meine sexuelle Orientierung als etwas ganz Normales betrachtet wird.

Ich habe lange Zeit gedacht: Okay, du bist schwul, dann kannst du halt keine Karriere machen. Denn dieser „Schatten“ wird dich immer begleiten. So geht es wahrscheinlich vielen Nicht-Heterosexuellen, könnte ich mir denken. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit di.to ein Netzwerk und eine Anlaufstelle etablieren, die allen betroffenen Kollegen und Kolleginnen klar macht, dass sie nicht alleine sind. Hier im Osten haben wir erst zu Jahresbeginn 2018 begonnen, di.to bekannt zu machen. Vielleicht weil andere Themen wichtiger waren, vielleicht weil die Denke hier etwas mehr rückwärtsgewandt ist – ich weiß es nicht.


di.to-Initiator Frank Bartels zieht ein positives Fazit: „Ich war nach der Veranstaltung echt einen Moment sprachlos, was selten genug bei mir der Fall ist. Ich hatte mit meiner Homosexualität nie ein Problem bei der REWE Group, im Gegenteil. Aber zu hören und live mitzuerleben, wie wichtig und vor allem positiv sich di.to. auf das Leben einiger Kollegen ausgewirkt hat, das hat mich schwer beeindruckt. Allein dafür hat sich die Arbeit in den letzten fünf Jahren mehr als gelohnt.“