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Führung auf Distanz
Nähe trotz Ferne
von Julia Robertz und Stefan Weber

Wie kann ein Team effizient zusammenarbeiten, ohne sich regelmäßig zu sehen? one sprach mit zwei Experten für digitale Führung: Thorsten Bauhaus, HR-Leiter PENNY International, und Sabine Remdisch, Professorin für Personal- und Organisationspsychologie.

Thorsten Bauhaus, HR-Leiter PENNY International
Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten

Den Mitarbeitenden trotz großer räumlicher Distanz nah sein: Thorsten Bauhaus, HR-Leiter PENNY International, weiß aus Erfahrung, wie das funktioniert. Welche Methoden ihm dabei helfen, erklärt er im Interview.

one: Als Leiter der Abteilung Human Resources bei PENNY International stellen Sie mit Ihrem Team HR-Lösungen für die Landesgesellschaften im Ausland bereit. Waren die Zusammenarbeit und Führung auf Distanz für Sie auch vor der Coronakrise Normalität?
Thorsten Bauhaus
: Ja, so kann man das sagen. Wir stehen zu HR-Themen im engen Austausch mit den jeweiligen Partnern vor Ort. Dabei nutzen wir das volle Spektrum der Kommunikation: Von Emails und Telefonaten über Videotelefonie oder den Austausch über Messenger-Dienste wie Skype bis hin zum Treffen vor Ort. Letzteres fällt nun natürlich weg. Das finde ich persönlich sehr schade, aber der Kontakt wird dadurch nicht weniger. Wir sehen uns aufgrund der Möglichkeit von Videotelefonie genauso häufig wie vor der Krise.

one: Bietet die Coronakrise die Chance, dass sich die Akzeptanz der Mediennutzung vergrößert?
Thorsten Bauhaus:
 Auch, wenn wir alle auf diese Krise gern verzichtet hätten - Was die Verbreitung der digitalen Mediennutzung angeht, sehe ich allerdings tatsächlich eine Chance: Die digitalen Kommunikationsmedien werden noch intensiver und vor allem von viel mehr Kollegen genutzt. Es zeigt sich, dass Hemmschwellen zum Beispiel bei der Nutzung von Videotelefonie sinken. Daraus ergibt sich die Chance, routinierter digital miteinander zu kommunizieren. Videotelefonie kann viel ersetzen, es ist sozusagen ein „Treffen light“. Wir führen inzwischen sogar Bewerbungsgespräche und Assessmentcenter sehr erfolgreich digital durch und auch die Kaffeepausen zum kurzen Plausch mit den Kollegen funktionieren digital.

one: Sind denn die technischen Voraussetzungen dafür überall gegeben?
Thorsten Bauhaus:
Wir sind bei der REWE Group schon auf einem guten Stand für die digitale Zusammenarbeit. So hilft es mir schon heute, wenn ich für unterschiedliche Situationen aus verschiedenen Tools das passende auswählen kann. Ich freue mich, wenn dieser Weg weiterverfolgt wird, da die Bedeutung passender digitaler Lösungen auch unabhängig von der aktuellen Krise zunehmen wird.

„Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Nähe stärker ist, wenn der Mitarbeiter im Nachbarbüro sitzt. Die Kommunikationshäufigkeit ist entscheidend.“Thorsten Bauhaus, HR-Leiter PENNY Internationalone: Gibt es - abgesehen von technischen Herausforderungen – bei Ihrer Tätigkeit Hürden der Zusammenarbeit auf Distanz, zum Beispiel sprachliche oder kulturelle?
Thorsten Bauhaus:
Es gibt die Herausforderung, kulturelle Distanzen zu überbrücken. Dabei geht es nicht um sprachliche Barrieren, sondern darum, die Regeln und Glaubenssätze, von denen ich ausgehe, nicht auf andere Menschen zu übertragen. Wenn man sich selbst hinterfragt, erhält man die Chance, mehr über sich selbst zu erfahren. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit stellt für mich einen großen Reiz bei meiner Tätigkeit dar.

one: Welche Tipps können Sie Führungskräften, für die das Arbeiten auf Distanz ein Novum ist, an die Hand geben?
Thorsten Bauhaus:
Nähe oder Distanz haben für mich wenig mit Kategorien wie Raum oder Zeit zu tun. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Nähe stärker ist, wenn der Mitarbeiter im Nachbarbüro sitzt. Die Kommunikationshäufigkeit ist entscheidend. Nähe hat etwas mit Kommunikation zu tun. Die Digitalisierung bietet da viele Möglichkeiten. Mein Tipp: Einfach mal eine andereKommunikationsform ausprobieren und den Methodenkoffer aufrüsten. Es gehört ein wenig Mut dazu, aber es lohnt sich.

Ein weiterer Aspekt, der mir sehr am Herzen liegt: Vertrauen ist die Basis für jegliche Zusammenarbeit – egal ob der Mitarbeitende im Nachbarbüro oder mehrere tausend Kilometer entfernt sitzt.

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Die Zusammenarbeit zwischen Assistentinnen und ihren Chefs ist eng mit räumlicher Nähe verknüpft. Doch dann hieß es für viele: Bleibt zu Hause. Zwei Teams erzählen von ihren Erfahrungen mit der Organisation aus der Distanz.

Führen auf Distanz
Gemeinsame Geschichten schaffen

Videokonferenzen statt persönlicher Meetings, Blogs statt einem Plausch auf dem Flur – wenn sich Kollegen nur noch virtuell begegnen, gibt es viele neue Herausforderungen. Sabine Remdisch, Professorin für Personal- und Organisationspsychologie und Expertin für Digitale Führung, erläutert, wie Teams effizient arbeiten, ohne sich häufig zu sehen.

one: Den Mitarbeitern nah sein, obwohl man räumlich weit voneinander entfernt ist: Wie können Führungskräfte diesen Spagat bewältigen?
Sabine Remdisch: Um „nah auf Distanz“ zu sein, ist es für Führungskräfte wichtig, erreichbar zu sein, unbestimmte Gefühle proaktiv anzusprechen, Austausch und Interaktion zu fördern. Zudem geht es darum, Ziele, Erwartungen und Verantwortlichkeiten zu klären, gemeinsame Werte, Regeln und Normen zu formulieren, eine virtuelle Teamkultur aufzubauen. Unsere Studien zeigen, dass die Führungskraft auf Distanz zwei Ebenen gleichermaßen bedienen muss: die Beziehungsebene und die Informationsebene. Der Erfolg der Führung auf Distanz wird wesentlich davon bestimmt, dass die Führungskraft eine vertrauensvolle Verbindung zu ihren Mitarbeitern aufbaut sowie ihnen die relevanten Informationen liefert und eine klare Orientierung gibt. 

one: Wie lässt sich Vertrauen auf Distanz aufbauen?
Sabine Remdisch:  Als ein sehr hilfreiches Tool hat sich das „Storytelling“ erwiesen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass gemeinsam geteilte Geschichten den Zusammenhalt fördern – auch über Distanz. Mitarbeitende an entfernten Standorten werden zu einem Teil der gemeinsamen Geschichte des Teams. Dieser  Zusammenhalt wirkt umso intensiver, je mehr jeder Mitarbeitende sich in dieser Geschichte wiederfindet. Gerade die digitalen Medien können hilfreich sein, die Geschichte zu transportieren: zum Beispiel regelmäßige Videokonferenzen, Blogs und andere soziale Medien. 

„Regeln und Strukturen für die Zusammenarbeit sind wichtig, das gilt insbesondere für die digitale Kommunikation.“Sabine Remdisch

one: Manche Experten raten, in einer Art Team-Charta festzuschreiben, wie man zusammenarbeiten möchte, bis hin zu Details wie der Tonalität in der Kommunikation. Ist das hilfreich?
Sabine Remdisch: Regeln und Strukturen für die Zusammenarbeit sind wichtig, das gilt insbesondere für die digitale Kommunikation. Dazu gehört, feste und verbindliche Kommunikationszeiten zu schaffen, Strukturelemente wie die Agenda oder Ergebnisdokumentationen einzubeziehen und insgesamt für effiziente und zielgerichtete Besprechungen zu sorgen. Wichtig ist zudem, Rückfragen zu ermöglichen. Ergebnisse oder auch vereinbarte Aufgaben und Ziele können noch einmal schriftlich zusammengefasst und mit allen damit befassten Mitarbeitenden geteilt werden. 

one: Bei der Führung über Distanz werden Missverständnisse meistens erst viel später erkannt als bei unmittelbar zusammenarbeitenden Teams. Was kann die Führungskraft hier tun?
Sabine Remdisch: Es ist wichtig darauf zu achten, dass Arbeitsaufgaben präzise formuliert und strukturiert werden. Ziele müssen klar und deutlich sein. Im Kern geht es also um die Transparenz. Transparenz bedeutet im Wesentlichen: Die Wichtigkeit von Aufgaben ist bekannt, es gibt klare Verantwortlichkeiten, klare Bewertungskriterien für Arbeitsleistungen und klare Feedbacks von Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten. 

„Das reichhaltigste Medium ist und bleibt der persönliche, unmittelbare Kontakt.“Sabine Remdisch

one: Videokonferenzen zu festen, für alle verbindlichen Zeiten, E-Mail-Austausch, Telefonate – wie sollte der Kommunikationsmix zwischen Führungskräften und Mitarbeitern aussehen? Und: Wie häufig sollte sich das gesamte Team, wenn irgend möglich, persönlich treffen?
Sabine Remdisch: Das reichhaltigste Medium ist und bleibt der persönliche, unmittelbare Kontakt. So wird Führungskräften gerade zu Beginn einer Projektarbeit empfohlen, auf die Face-to-face-Kommunikation nicht völlig zu verzichten und insbesondere den Mitarbeitenden, die sich noch nicht persönlich kennen, Möglichkeiten der persönlichen Begegnung - zum Beispiel in einem Kick-off-Meeting - zu ermöglichen. Von dieser Basis aus kann dann digitale Kommunikation ins Spiel kommen. Der ideale Kommunikationsmix ist eine Frage des jeweils geeigneten Mediums für unterschiedliche Aufgaben. Die Führungskraft ist hier gefordert, Medien anlassbezogen zu wählen. Geht es nur um eine kurze Information, kann eine Email oder Chat-Nachricht ausreichend sein, für komplexere Themen sollte man ein reichhaltigeres Medium wie eine Videokonferenz wählen. Das Teilen sehr persönlicher Themen oder ein Konfliktgespräch sollten nach wie vor idealerweise face to face stattfinden. 

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Die Coronakrise hat Arbeitsprozesse auf den Kopf gestellt. Kolleginnen und Kollegen berichten, was sie erlebt haben, was sie vermissen oder welche positiven Seiten sie der Situation abgewinnen können. Berichten auch Sie von Ihren Erfahrungen.

one: Gute Ideen entstehen häufig nicht in steifen Besprechungen, sondern wenn sich Kollegen zwischendurch austauschen, etwa am Kaffeeautomaten. Wie lassen sich Kreativität und Eigeninitiative fördern, wenn informelle Treffen nicht möglich sind?
Sabine Remdisch:
 Zusammen mit den Unternehmenspartnern unserer „LeadershipGarage“, die seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft zum Digital Leadership forscht, haben wir die Terminkalender eines klassischen Büroalltags mit denen des typischen Homeoffice-Arbeitens verglichen. Das Ergebnis: Die Arbeit im Homeoffice zeichnet sich durch vergleichsweise kürzere Termin-Slots aus, die auch bis in den Abend hinein flexibler verteilt sind. Die Mitarbeitenden sind  generell besser – telefonisch – erreichbar. Das schafft die Möglichkeit, kurzfristig und spontaner Ideen auszutauschen. Um diese auch im Digitalen konstruktiv zu nutzen, sind dann die entsprechenden Medien notwendig, etwa interaktive Whiteboards. Um informelle Treffen auch im Digitalen zu schaffen, bieten sich virtuelle Events an: virtuelle Kaffeepausen, virtual lunch oder auch Online-Spiele – regelmäßige Termine werden für alle eingestellt, wer Zeit hat, schaltet sich per Videochat dazu. 

Zur Person

Sabine Remdisch ist Professorin für Personal- und Organisationspsychologie und Leiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana Universität. Ihr aktueller Arbeitsschwerpunkt ist Digitale Führung. Dazu forscht sie als Gastwissenschaftlerin an der Universität Stanford im Silicon Valley und bündelt in der LeadershipGarage ihre Expertise.

Sie lehrt Führung, Personalentwicklung und Coaching. Sie begleitet Unternehmen beim Aufbau einer digitalen Unternehmenskultur und trainiert Führungskräfte zum Thema Führen auf Distanz. 

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