Nach Exil und Neuanfang in Deutschland steht der im Iran geborene REWE-Kaufmann Parviz Azhari seit Jahrzehnten für ein entspanntes Miteinander der Kulturen. Hier erzählt er, was er seinem Team aus acht Nationen vorlebt, warum die Herkunft keine, eine gute Einarbeitung aber eine große Rolle spielt, wie sein erstes deutsches Wort lautete – und welches Ereignis der jüngsten Zeit ihn wirklich aus der Fassung gebracht hat. Spoiler: Corona war es nicht.
one: Herr Azhari, beim renommierten Branchenpreis Supermarkt des Jahres waren Sie mit ihrem Markt in Sinzig nominiert – unter anderem wegen Ihrer „Multikultimannschaft“. Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
Parviz Azhari: In Sinzig arbeiten rund 50 Mitarbeitende aus acht Nationen Hand in Hand, darunter aus Russland, Weißrussland, Aserbaidschan, Syrien. Zudem gibt es Jesiden aus Syrien, Kolleg:innen mit türkischem oder polnischen Hintergrund und gebürtige Iraner wie mich.
one: Wie kommt es zu diesem „Mix“ – und wie kommt der wiederum bei der Kundschaft an?
Parviz Azhari: Zufall, Freunde von Mitarbeitenden, Weiterempfehlung… Wichtig ist mir zu betonen: Bei einer Bewerbung schaue ich nicht danach, wo die Leute herkommen. Ich brauche Leute, die mit anpacken.
Aber natürlich achte ich auf ein gewisses Gleichgewicht, darauf, dass unser Team eine gute Mischung bildet. Unsere Kundschaft ist auch multikulti, doch. Aber 70 Prozent sind Deutsche. Ich versetze mich also in alle hinein und verlasse mich bei der Zusammensetzung auf mein Gefühl. Parviz Azhari mit der stellvertretenden Leiterin seines Sinziger Marktes, Günay Altunbas
one: Hatten Sie wegen Ihres Migrationshintergrundes je negative Erlebnisse?
Parviz Azhari: Nein, damit hatte ich eigentlich nie Probleme. Ein-, zweimal wurde ich sicherlich von der Seite „angemacht“, aber ich denke, das hatte nichts mit meiner Herkunft zu tun, sondern damit, dass ich so bin, wie ich bin. Deshalb habe ich mich auch nie benachteiligt gefühlt. Ich mache hier so viele positive Erfahrungen, und die negativen, die gibt’s überall, auch in meinem Herkunftsland. Das ist normal in meinen Augen, da sehe ich locker drüber weg. Man darf nicht vergessen, wir sind ja nicht eingeladen worden, wir sind selber hierhin gekommen. Aber wir wurden hier mit Würde behandelt, das hatten wir im eigenen Land, also im Iran damals, nicht unbedingt.
one: Wie läuft es in Ihrem Team zwischen den Nationalitäten untereinander?
Parviz Azhari: Ganz easy. Ich gehe mit jedem gleich fair um. Und so wie ich es lebe und vorlebe, so leben meine Mitarbeitenden es auch. Nur manchmal muss ich mit einem Kollegen, der seit Jahren hier ist, schimpfen, wenn er von einem Neuen mit Sprachproblemen zu viel verlangt.
one: Warum greifen Sie dann ein?
Parviz Azhari: Man muss Zeit geben und Zeit investieren. Vielleicht hat man am Ende Glück und gewinnt einen guten Mitarbeiter. Aber gute Mitarbeitende müssen gut eingearbeitet werden. Bei manchen geht das schneller, bei manchen dauert es. Wir haben eine Kollegin aus Weißrussland, die fast ohne Sprachkenntnisse als Aushilfe zu uns kam. Aber sie hat schnell gelernt, was zu tun ist, kann sich mittlerweile gut verständigen, ist zuverlässig und arbeitet gut. Die Zeit, die wir in ihre Einarbeitung investiert haben, hat sich gelohnt. Heute ist sie fest angestellte Teilzeitkraft.
Auf jeden Fall ist Sprache der Schlüssel zum Erfolg, das sage ich allen, die Sprachprobleme haben, bei der Einstellung. Ich sage ihnen: „Du musst die Sprache lernen, sonst kommst du nicht weiter“. Da spreche ich aus eigener Erfahrung. Als ich hierherkam, konnte ich nur ein einziges deutsches Wort: „Achtung!“.
one: Es ist sicherlich auch dem Arbeitskräftemangel geschuldet, dass Sie heute mehr Zeit in neue Mitarbeitende investieren. Was ist Ihr Tipp?
Parviz Azhari: Früher stapelten sich die Bewerbungen auf dem Tisch. Wenn ich heute aufgrund von Nationalitäten oder Sprachkenntnissen aussortieren würde, käme ich nicht weiter, käme keiner von uns weiter. Dafür gibt es die Probezeit, in der wir sehen, ob jemand lernfähig ist und weiterkommen will. Man sollte ausprobieren, Chancen geben. Und natürlich müssen die Kolleg:innen grünes Licht vor Ablauf der Probezeit geben. Ich stelle zwar ein, aber das Markleiterteam gibt schlussendlich grünes Licht – oder nicht. Und wenn ein Kunde von einem neuen Mitarbeiter nicht gleich verstanden wird, holt dieser einen Kollegen, der weiterhelfen kann. Da gab es noch nie Beschwerden von Seiten der Kundschaft.
Und es ist doch so, dass man mittlerweile überall, ob am Kölner Hauptbahnhof oder hier im Ahrtal, auf Menschen mit Migrationshintergrund trifft, sei es auf der Bank, sei es auf dem Amt, sei es im Supermarkt. Meine Kinder haben einen Migrationshintergrund, sie sind hier geboren, sie sollten als Deutsche akzeptiert werden und das werden sie im Großen und Ganzen auch.
one: Ihr Markt liegt in Sinzig, Sie leben im Nachbarort Bad Neuenahr, beides Orte, die von der Ahrflut im vergangenen Sommer getroffen wurden. Wie haben Sie das erlebt?
Parviz Azhari: Als Corona kam dachte ich, du hast die Revolution im Iran erlebt, dann den Krieg, dann das Exil, nun Corona, und ich war sicher, das komplettiert nun meinen Lebenslauf. Aber unglücklicherweise kam die Flut. Unser Haus war nicht betroffen. Aber wenn du in einer Stadt wohnst, die sehr betroffen ist, das geht dir an die Nieren. Eine Woche kein Strom, eine Woche kein Wasser. Da kamen Erinnerungen an den Krieg in meinem Heimatland wieder hoch. Ich weiß nicht, was jetzt noch kommen könnte. Obwohl, der Krieg in der Ukraine...
one: Gingen Sie vor dem Hintergrund Ihrer Lebensgeschichte entspannter mit Corona - Stichwort Klopapierkrise - und mit dem Flutfolgen um als viele Deutsche?
Parviz Azhari: Ja, während Corona machten sich viele verrückt. Aber ich dachte, das ist nun mal so, das ist eine Krise und wir müssen das Beste daraus machen. Aber die Flut hier in der Stadt, das hat mich total umgehauen. So viele traumatisierte Menschen hier im Ort, hier im Laden, verschmutzt, weinend, alles verloren. Viele kannte man ja als Kunden. Das hat mich richtig heruntergezogen.
Alles stand kopf, wir haben Lkw-weise Wasser bestellt und anderes, das REWE-Lager in Koblenz hat super mitgemacht. Und als die Kolleginnen und Kollegen aus meinem Markt in Mülheim-Kärlich nach ihrem Feierabend vorbeikamen und mithalfen, hatte ich Tränen in den Augen. Das hat mich stolz gemacht und uns gutgetan, denn wir waren ja alle am Limit. Ich fand es übrigens auch von der REWE Group super, mit sehr großzügigen und unbürokratischen Spenden betroffenen Mitarbeitenden geholfen zu haben, auch Aushilfskräften. Innerhalb von drei Tagen floss das Spendengeld, das war der Hammer.
REWE-Kaufmann Parviz Azhari verließ nach dem Abitur seine Heimat Iran aufgrund des politischen Systems der 1980er Jahre und des sich verschärfenden Iran-Irak-Krieges. Im Exil in Deutschland baute sich der Kaufmannssohn ein neues Leben auf.
Als Basis diente – statt des angedachten Studiums - eine Ausbildung in einem REWE-Markt. 2002 eröffnete Azhari seinen ersten eigenen Markt in Mülheim-Kärlich bei Koblenz, 2005 folgte der Markt in Sinzig (Ahrtal).
Lieber Parvis, Du bist ein exzellentes Beispiel für gelungene Integration und gelebte Vielfalt in der REWE Group. Hervorragender Artikel.
Tolle Geschichte - ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und ein glückliches Händchen, was Sie auch anpacken mögen!