Eierprojekt Spitz & Bube
Klingeling, Klingeling, hier kommt … Jennifer Lichter
Lesedauer: 6 Minuten
Der Alltag in deutschen Hühnerställen sah lange Zeit so aus: Legehennen werden früh die Schnäbel gekürzt, damit sie ihre Stallgenossinnen nicht bepicken. Und männliche Küken werden bereits kurz nach ihrer Geburt getötet, weil sie keine Eier legen und zu langsam und zu wenig Fleisch ansetzen. Das geht auch anders, dachte sich die REWE Group und initiierte das Projekt Spitz & Bube. Das wurde für Jennifer Lichter zum Sprungbrett.
Manchmal muss Jennifer Lichter, 32, noch an die Tage damals im Kindergarten an der Mosel denken. Als sie fünf Jahre alt war, eine Schürze übergestreift hatte und mit anderen Kindern zu den Klängen von „Klingeling, klingeling, hier kommt der Eiermann“ spielte. Das war ein großer Hit des Gesangsduos Klaus & Klaus Ende der achtziger Jahre. „Und heute dreht sich in meinem Berufsleben alles um Eier – schon merkwürdig.“
Aber in der Zwischenzeit ist freilich auch eine Menge passiert. Noch Ende 2014 hätte sich Jennifer Lichter nicht träumen lassen, dass die Geschichte aus dem Kindergarten in irgendeiner Form eine Fortsetzung findet.
Aber in der Zwischenzeit ist freilich auch eine Menge passiert. Noch Ende 2014 hätte sich Jennifer Lichter nicht träumen lassen, dass die Geschichte aus dem Kindergarten in irgendeiner Form eine Fortsetzung findet.
Damals studierte sie an der Universität Trier Betriebswirtschaftslehre und hörte, dass die REWE Group eine Studentische Aushilfskraft im Qualitätsmanagement, Bereich Nachhaltigkeit, suchte. „Da war ich gleich neugierig, denn Nachhaltigkeitsthemen hatten mich schon im Studium sehr interessiert“, erzählt die Rheinland-Pfälzerin. Sie bekam den Job. Ihre erste Aufgabe: Futtermittel zu analysieren. Eier mit dem Pro Planet-Label stammen von landwirtschaftlichen Betrieben aus Deutschland und den Niederlanden, die sich gegenüber der REWE Group vertraglich verpflichtet haben, kein gentechnisch verändertes Futtermittel zu verwenden. Das wird kontrolliert. Es werden Proben gezogen, im Labor untersucht und mit den Lieferanten besprochen.
»Eine wissenschaftliche
Arbeit über das Töten
– willst Du das?«
Nach ein paar Monaten bot die REWE Group der Studentin an, sie bei ihrer Masterarbeit zu unterstützen. Thema: Verzicht auf das Kükentöten. „Da habe ich anfangs gezögert: Eine wissenschaftliche Arbeit über das Töten – willst Du das? Und: Hilft Dir das auf Deinem weiteren Berufsweg? Schließlich wusste ich nicht, ob ich bei REWE bleibe“, meint Lichter. Die Begeisterung stellte sich aber schnell ein, da es ja nicht um das Töten direkt, sondern das am Leben lassen gehen sollte. Und darum, die Machbarkeit der Aufzucht und Verwertung zu analysieren und eine komplett neue Wertschöpfungskette zu bauen.
„Unkonventionell ist sowieso mein Ding.“ Ihre Professorin musste sie nicht lange überzeugen. Sie sei gleich begeistert gewesen von dem Themenvorschlag. Also sagte Lichter zu. In den folgenden Monaten sah und lernte sie dann eine Menge über die Produktion von Eiern und den Unterschied zwischen Legehennen und Masthähnchen. Wie männliche Küken schon kurz nach ihrer Geburt getötet werden, meist durch Gas – weil sie keine Eier legen und weil sie zu langsam und zu wenig Fleisch ansetzen. 48 Millionen waren es nach Angaben der Tierschutzorganisation Peta im vergangenen Jahr.
Arbeit über das Töten
– willst Du das?«
Das Tierschutzgesetz schreibt vor, dass Tiere nicht ohne „vernünftigen Grund“ getötet werden dürfen. Aber was ist ein „vernünftiger Grund“ für das Töten von männlichen Küken? Im Oktober 2015, so erzählt Lichter, habe Christine Denstedt, Funktionsbereichsverantwortliche Grüne Produkte, bei der REWE Group, dann zu ihr gesagt: „Wir schauen uns jetzt einen Stall in Lohne an, und wenn da alle Bedingungen stimmen, setzen wir ein Projekt um, das auf das Töten der Küken verzichtet.“
Sandy und der Spitz-Bube
Wer Spitzbube hört, denkt an Kleinkriminelle, an Ganoven. Oder vielleicht auch an ein feines Gebäck aus Mürbeteig, auch bekannt als Linzer Augen: Zwei kreisrunde Kekse, dazwischen ein wenig Johannisbeerenkonfitüre. Aber Eier? Was steckt hinter der Namensschöpfung Spitz & Bube?Die Marke bringt perfekt auf den Punkt, was das Pilotprojekt der REWE so einzigartig macht. Zum einen werden den Legehennen - anders als den meisten Tieren in konventioneller Boden- und Freilandhaltung – nicht die Schnäbel gekürzt. Dafür steht der Begriff „Spitz“. Zum anderen werden die männlichen Küken, anstatt am ersten Lebenstag getötet zu werden, mehr als doppelt so lange in einem Maststall aufgezogen wie dies sonst üblich ist. Das soll der Begriff „Bube“ verdeutlichen. „Spitz & Bube“ – ein perfektes Wortpaar für die neue und exklusive Eier-Marke von REWE.
Bleibt die Frage, warum die Legehennen-Rasse, die „Spitz & Bube“ möglich macht, den Namen „Sandy“ trägt. Ganz einfach: Die Farbe ihrer Eier ragt aus dem üblichen weißen und braunen Einerlei heraus. Sie sind creme- oder, man könnte auch sagen: sandfarben. Und das bedeutet auf Englisch nun einmal sandy.
»Bei diesem Projekt
mussten alle
an einem Strang ziehen.«
„Für meine Masterarbeit, war dies das perfekte Finale: das Thema nicht nur in der Theorie zu behandeln, sondern in der Praxis zu überprüfen“, freut sich Lichter. Das sahen offensichtlich die beiden Professoren, die die Arbeit betreuten genauso. Einer von ihnen steckte sich das Werk sogar als Lektüre für den Urlaub ein und las es dort bis zur letzten Seite – weil er wissen wollte, ob das Projekt funktioniert. Die Note? Lichter lächelt: „1,0.“ Seit Anfang April sind die Eier von „Spitz & Bube“ in etwa 600 REWE-Märkten in Nordrhein-Westfalen und im nördlichen Rheinland-Pfalz zu kaufen. Hochwertig verpackt in einem blauen 6er-Karton zum Preis von 1,79 Euro. Zum Vergleich: Sechs Eier der Marke REWE Beste Wahl sind etwa 20 Cent günstiger. Ob alle Verbraucher, die sich in Umfragen über das Kükentöten empören, diesen Aufschlag für mehr Tierwohl zu zahlen bereit sind, muss sich zeigen.
mussten alle
an einem Strang ziehen.«
Aber solch ein Projekt stemmt man nicht allein. „Hier mussten alle an einem Strang ziehen“, betont Lichter. Spitz & Bube wurde durch den Bereich Grüne Produkte initiiert und koordiniert, aber ohne die kooperative Zusammenarbeit mit dem ZEM und der REWE wäre solch ein Projekt nicht möglich.
Lichter, seit Dezember 2015 Trainee bei der REWE Group, wird dies nur aus der Ferne beobachten können. Aufgrund ihres besonderen Engagements hat sie die Chance bekommen, ab Mitte April für drei Monate in Hongkong bei REWE Far East zu arbeiten, der Einkaufsorganisation der REWE Group in Asien. „Ich freue mich total“, sagt sie. Die Sache mit den Eiern wird sie trotzdem so rasch nicht loslassen. Immer wieder wird sie gebeten, auf Nachhaltigkeitsveranstaltungen über das Projekt zu erzählen. Und so schließt sich dann der Kreis zum Eiermann-Lied im Kindergarten.
Eier vom Hühner-Highway
Egal ob weiß oder braun. Ob in der Gewichtsklasse S, M, L oder sogar XL, für den Fall, dass sie mehr als 73 Gramm auf die Waage bringen – die Deutschen essen immer mehr Eier. Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Landwirtschaft (BLE) verzehrte jeder Bundesbürger im vergangenen Jahr 233 Stück. Unverarbeitet, etwa als Frühstücksei, oder versteckt in Nudeln, Kuchen und anderen Lebensmitteln. Der Verbrauch im ganzen Land stieg um ein Prozent auf etwa 19 Milliarden Eier. Zudem waren auch mehr Legehennen im Einsatz. Ihre Zahl erhöhte sich um 600 000 auf 45 Millionen Tiere. Viele von ihnen sind entlang des „Hühner-Highways“ zu Hause. So heißt die A 7 zwischen Soltau und Nordheim, weil dort die Ställe dicht an dicht stehen.
Auch der Außenhandel mit Eiern ist laut BLE zuletzt gestiegen – und zwar in beide Richtungen. Deutschland importierte im vergangenen Jahr 9,6 Milliarden Eier. Hauptlieferant waren die Niederlande. Gleichzeitig stieg auch der Export auf 2,9 Milliarden Eier. Größter Abnehmer: ebenfalls die Niederlande.
Das macht die REWE
Group
Fast allen Legehennen-Küken in konventioneller Boden- und Freilandhaltung werden derzeit in den ersten Lebenstagen die Schnäbel gekürzt, ihre wichtigste Waffe. Damit wollen die Hühnerhalter erreichen, dass weniger Tiere aus der Herde durch gegenseitiges Bepicken getötet werden. Anders bei Spitz & Bube. Bei diesem Projekt wird erstmals in deutschen Ställen die Rasse „Sandy“ eingesetzt. Diese Tiere zeichnen sich durch ein ruhiges Wesen aus. Der Landwirt betreut sie intensiv und sorgen für Beschäftigungsmaterial wie zum Beispiel Strohballen. Die Schnäbel der Hühner können lang bleiben; sie können artgerecht scharren und picken. Eingebunden in das Projekt sind 20.000 Hennen. Sie sorgen für 16.000 Eier pro Tag.Parallel dazu wurden die Sandy-Hähne, die männlichen Tiere, in einem Maststall aufgezogen. Sie blieben dort im Durchschnitt 86 Tage bis zur Schlachtung. Konventionelle Masthähnchen leben dagegen meist nur 36 Tage.
Im Rahmen eines weiteren Pro Planet-Eierprojekts ist es der REWE Group ein besonderes Anliegen, auf das Schnäbelkürzen bei Legehennen zu verzichten.
So muss jeder Pro Planet-Eierlieferant mindestens eine Herde mit Tieren haben, deren Schnäbel nicht gekappt wurden. Bei ihnen soll ausprobiert werden, welche Haltungsbedingungen notwendig sind, damit trotz des Verzichts auf das Schnäbelkürzen kein Federpicken und in der Folge auch kein Kannibalismus bei den Herden ausbricht. Die Lieferanten übertreffen diese Vorgabe inzwischen und halten mehr als eine Herde mit unkupierten Schnäbeln.
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