nach oben
nach oben
Kerstin Bartsch, Head of Riskmanagement I Fotos: Marc-James Bright-Asare
Interview mit Kerstin Bartsch
"Keiner will uns, aber jeder braucht uns"
von Achim Bachhausen

Schaden abwenden, bevor er entsteht: Warenrückrufe sind das tägliche Geschäft der Riskmanager:innen der REWE Group. Eine Aufgabe, die Einsatzbereitschaft rund um die Uhr und enormen Teamgeist verlangt und dabei hoch spannend ist, weiß Kerstin Bartsch.

one: Frau Bartsch, können Sie einmal die Aufgaben des Bereiches Riskmanagement beschreiben?

Kerstin Bartsch: Oberstes Ziel des Riskmanagements ist es, im Sinne des vorbeugenden Verbraucher:innenschutzes erforderliche stille und öffentliche Produktrückrufe effektiv und effizient durchzuführen. Auch, wenn Produktrückrufe natürlich nicht gewollt sind, sind sie nötig, um potenziellen Schaden von allen Beteiligten und insbesondere den Verbraucherinnen und Verbrauchern abzuwenden. Kurz gesagt: Keiner will uns, aber jeder braucht uns. Produktrückrufe von nicht-verkehrsfähiger Ware führen wir deshalb für die gesamte REWE Group in Deutschland sowie deren Vertriebsbereiche und Kooperationspartner für Food-, NearFood- und NonFood-Artikel durch – unabhängig davon, ob es sich um einen Artikel unter der Eigenmarke oder eine Herstellermarke handelt.

Kerstin Bartsch, Head of Riskmanagement

one: Wie groß ist Ihr Team und für welche Unternehmensbereiche arbeitet es?

Kerstin Bartsch: Wir sind ein sehr konstantes Team aus sieben Personen, die zum größten Teil aus dem Qualitätsmanagement der REWE Group kommen und ihr Fachwissen quer durch die Warengruppen einbringen. Jüngste Verstärkung ist eine Kollegin, die aus der REWE Digital zu uns gewechselt ist und die mit ihrer Sichtweise unsere Perspektive erweitert. Wir arbeiten für alle nationalen Vertriebslinien.

one: Der Funktionsbereich Riskmanagement wurde im Jahr 2007 gegründet, Sie sind auch schon viele Jahre dabei. Was waren die Meilensteine in der Zeit?

Kerstin Bartsch: Meilensteine waren der Aufbau der Warenrückruf-Prozesse, die Dokumentation im Riskmanagement-Handbuch, die Einrichtung regionaler Schnittstellen und die Etablierung regelmäßiger interner Schulungen für die Mitarbeitenden. Herausfordernd sind die Aufschaltungen neuer Vertriebsformate und -linien, zum Beispiel der REWE Dortmund oder damals der Supermärkte Nord. Das wird uns auch künftig beschäftigen. Besonders stolz sind wir auf unseren datengestützten Produktrückruf Marke Eigenbau. Die Software dafür haben wir gemeinsam mit der REWE Systems entwickelt. Sie ermöglicht Produktrückrufe über alle Ebenen in Echtzeit und ist im deutschen Handel bislang einzigartig. Heute wissen die Behörden, dass ein Produktrückruf bei REWE, PENNY oder Toom schnell, sicher und zuverlässig funktioniert.

one: Was hat sich aus Ihrer Sicht in der täglichen Arbeit verändert?

Kerstin Bartsch: Heute untersuchen die Behörden häufiger und intensiver, auch die Sensibilität der Kunden und Kundinnen ist über die Jahre größer geworden. Es gibt Jahre, da sind die Themen sehr groß. In der Coronazeit hat uns zum Beispiel das Thema Ethylenoxid (ein Pflanzenschutzmittel, d. Red.) auf Trab gehalten. All das macht die Arbeit sehr spannend.

„Unsere Software ist im deutschen Handel einzigartig“
Kerstin Bartsch
Head of Riskmanagement

one: Wie geht das Team mit den gestiegenen Anforderungen um?

Kerstin Bartsch: Meine Mitarbeitenden sind 24/7 erreichbar, höchst motiviert und engagiert. Unsere Hotline ist für Lieferanten und Behörden bis in die Nacht besetzt, und zwar von den Kolleg:innen selbst. Elementar ist die systematische Zusammenarbeit, insbesondere mit den Kolleg:innen in den Regionen, den regionalen Riskmanager:innen.

Dabei ist das Team ständig gefordert, sich weiter zu entwickeln und sich auf neue Gegebenheiten und Anforderungen einzustellen. Das bezieht sich auf alle Ebenen unserer Arbeit, zum Beispiel Systeme, rechtliche Anforderungen, interne Entwicklungen der REWE –  wie bereits erwähnt von der Integration neuer Vertriebslinien bis hin zu neuen Lagerstandorten.

one: Sie kümmern sich mit Ihrem Team sowohl um die Eigenmarken des Konzerns wie auch um die Markenartikel. Worin bestehen die Unterschiede in der täglichen Arbeit?

Kerstin Bartsch: Wir machen keinen Unterschied zwischen Eigenmarke und Marke, sondern bewerten jede Situation neu und individuell, denn jede Krise ist einzigartig und Einzelfall-bezogen. Bei den Eigenmarken stehen wir im engen Kontakt mit dem zuständigen Einkauf und dem Category Management sowie mit den Kolleg:innen aus dem Bereich Qualitätsmanagement. Mit im Boot sind außerdem die Rechtsabteilung, der betreffende Lieferant, die Logistik, die Behörden bis hinauf zu den Ministerien und die regionalen Riskmanager:innen, die eine wichtige Schnittstellenfunktion bei Produktrückrufen zu den Märkten und Lägern darstellen.
 
one: Vor der Reaktion kommt die Vorbeugung. Lassen sich Prävention und Rückruf überhaupt getrennt voneinander betrachten?

Kerstin Bartsch: Die Prävention setzt sehr frühzeitig ein. Bevor ein Lebensmittelproduzent die REWE Group überhaupt beliefern kann, gibt es seitens des Qualitätsmanagements zunächst schon mal sehr hohe Anforderungen. Und um für den Fall der Fälle trotzdem gerüstet zu sein, muss der Lieferant uns seine aktuellen Kontaktdaten angeben, unter denen er rund um die Uhr erreichbar ist. Die Aktualität dieser Daten überprüfen wir in regelmäßigen Abständen mit Kontrollanrufen.

Auch unterrichten wir unsere Lieferanten, wie im Falle eines Produktrückrufs vorzugehen ist, damit uns notwendige Daten und Informationen frühzeitig vorliegen. Ein klassischer Fall ist, dass ein Lieferant uns offen und ehrlich ein Problem berichtet, zum Beispiel mit der Produktverpackung. Die mitgeteilten Daten pflegen wir in unser Rückruf-System ein und drücken auf den imaginären roten Knopf. Damit ist der Produktrückruf unmittelbar in allen Warenwirtschaftssystemen und über alle Ebenen – vom Lager bis zur Marktkasse – eingespielt und die Ware wird, beispielsweise im Lager, automatisch gesperrt. Auch können wir über das System direkt eine Kassensperre für den Artikel setzen. Mit diesem System haben wir im Handel die Nase vorn.

one: Frau Bartsch, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

Zur Person

Kerstin Bartsch, 46, leitet seit November 2021 den Funktionsbereich Risk Management, ein Team von sechs Mitarbeitenden,

das seit dem 1. Januar dieses Jahres bei dem Bereich Ware Qualitätsmanagement angebunden ist.

Produktrückrufe: wann und warum

Produktrückrufe sind immer dann durchzuführen, wenn ein Produkt tatsächlich oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die rechtlichen Anforderungen nicht erfüllt, einem Vertriebsverbot unterliegt (etwa aufgrund einer Anordnung einer Behörde) oder einen Imageschaden verursachen könnte. Die Information, dass ein Artikel zurückgerufen werden muss, kann zum Beispiel aus einer Mitteilung des Lieferanten resultieren, aus einem amtlichen Gutachten zu

einer Probenahme oder einer vom Hersteller bzw. vom REWE-Qualitätsmanagement veranlassten Produktuntersuchung. Bei Eigenmarken ist der fachliche Input von den Kolleg:innen des Qualitätsmanagements unerlässlich und maßgebend. Deren Fachwissen unterstützt das Team bei der Risikobewertung. Gemeinsam ist es dann möglich, eine entsprechende Empfehlung der durchzuführenden Maßnahmen dem zuständigen Einkauf vorzutragen.

Handelsmarken: Veggie und Bio im Trend

Was bedeutet die stärkere Orientierung der Verbraucher an preisgünstigeren Alternativen für den Nachhaltigkeits-Trend? Veggi- und Bio-Produkte, so registrierte die GfK, lagen auch im ersten Quartal 2022 weiter im Trend. Fleisch-/Käseersatz (plus 13,3 Prozent), Vegane Süßwaren/Veggie Fruchtgummi (6,5 Prozent) sowie die pflanzliche weiße Linie (3,3 Prozent) wiesen zwar eine jeweils positive Umsatzdynamik auf. Allerdings entwickelten sich in allen drei Kategorien die Handelsmarken deutlich besser als die Herstellermarken. Bei Fleisch-/Käseersatz verzeichneten Handelsmarken einen Zuwachs von 20,9 Prozent; bei Veganen

Süßwaren/Veggie Fruchtgummi betrug das Plus 14,9 Prozent und bei der weißen Linie pflanzlich sogar 23,7 Prozent. Bio-Herstellermarken erlitten in den ersten drei Monaten des Jahres einen Umsatzrückgang von 11,4 Prozent, während Handelsmarken 9,3 Prozent zulegten. Diese Entwicklung erklärt sich jedoch nicht mit den schwächer gefüllten Geldbeuteln der Verbraucher. Denn laut GfK waren es nicht die einkommensschwächeren Haushalte, die ihre Bio-Ausgaben am stärksten reduzierten. Im Gegenteil: Bei den Herstellermarken waren die Umsatzrückgänge in den höheren Einkommensgruppen tendenziell besonders ausgeprägt.

Mein Kommentar
Kommentieren
Auch interessant
Newsletter