Deutschland plant ab 2022 ein Verbot des Kükentötens. Schon jetzt ist klar: Die eine Lösung für den Ausstieg wird es vorerst nicht geben. Auf welche Alternativen die REWE Group setzt und warum der europäische Lebensmittelhandel das Zepter nun selbst in die Hand nehmen muss, erklärt Einkaufschef Hans-Jürgen Moog im Interview.
Oft angekündigt, aber immer wieder hinausgezögert: Ab Januar 2022 soll mit dem Töten von männlichen Eintagsküken endgültig Schluss sein. Spätestens dann müssen geeignete Verfahren zur Verfügung stehen, um das Geschlecht von Bruteiern bestimmen zu können.„Indem wir mit Millionenbeträgen Alternativen gefördert haben, bringen wir Tierschutz und Wirtschaftlichkeit auf deutschem Boden zusammen", sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner im Januar anlässlich des neuen Gesetzes. Damit gebe es für die Betriebe eine konkrete Lösung, um ein Abwandern und damit eine Auslagerung dieser Tierschutzfrage zu verhindern. Vom Handel erwarte sie, „dass er seinen Ankündigungen nun auch konkrete Taten folgen lässt und sein Sortiment entsprechend umstellt“. Wo stehen wir dabei als REWE Group? Darüber haben wir mit Chef-Einkäufer Hans-Jürgen Moog gesprochen.
Hans-Jürgen Moog, Bereichsvorstand Einkauf der REWE Group one: Herr Moog, finden Sie es nicht etwas merkwürdig, dass die Politik nun beim Thema Kükentöten „konkrete Taten“ vom Handel fordert – während es doch eigentlich der Handel beziehungsweise die REWE Group waren, die dieses Thema maßgeblich vorangetrieben haben?
Hans-Jürgen Moog: Grundsätzlich freue ich mich, dass die Politik dieses Thema endlich besetzt. Jahr für Jahr werden allein in Deutschland bis zu 45 Millionen männliche Küken der Legehennenrassen getötet. Jahr für Jahr gab es keine Lösung. Bis wir als Lebensmittelhändler dem Nichtstun nicht länger zugesehen haben. Wir haben gemeinsam mit unseren Partnern aus Technologie und Wissenschaft ein Verfahren entwickelt, das weltweit einmalig und richtungsweisend ist. Mit Hilfe des sogenannten SELEGGT-Verfahrens ist es möglich, das Geschlecht eines Bruteis zu bestimmen und so mittelfristig komplett auf das Töten männlicher Küken zu verzichten. Bis Ende des Jahres streben wir an, unser gesamtes Frischei-Eigenmarkensortiment bei REWE und PENNY umgestellt zu haben und schaffen das Kükentöten bei uns damit komplett ab. Wir sind und bleiben Vorreiter. Darauf sind wir stolz. Auch wenn die Politik das vielleicht etwas anders darstellt. Aber wir haben ja auch ein Wahljahr.
one: Warum geht die REWE Group bei dem Thema so aktiv voran, unterstützt die wissenschaftliche Grundlagenforschung und beteiligt sich sogar an technologischen Verfahren, die das Kükentöten branchenweit beenden sollen? Wäre es nicht einfacher gewesen, auf Lösungen aus Branche und Politik zu warten?
Hans-Jürgen Moog: Nun, wir haben seit Jahrzehnten geduldig gewartet. In dieser Zeit ist nichts passiert. Unser Selbstverständnis als nachhaltig handelndes Unternehmen geht heute weit über die Rolle eines reinen Händlers von Lebensmitteln hinaus. Daher ist es nur folgerichtig, dass wir nicht länger nur Zuschauer sind, sondern Akteur. Unsere Millionen von Kundinnen und Kunden erwarten von uns Antworten auf drängende Fragen der Zeit. Deswegen haben wir hier globale Pionierarbeit geleistet. Nun ist es wichtig, dass andere Unternehmen folgen, denn wir wollen keine REWE Group-Lösung für das Problem des Kükentötens, sondern ein Branchenlösung. Am besten eine, die über die Grenzen von Deutschland hinauswirkt.
one: Noch gibt es nicht das „eine“ Verfahren, um das Kükentöten flächendeckend zu stoppen. Die derzeit frühesten Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brutei liefern nach neun Bebrütungstagen verlässliche Ergebnisse – so auch bei der SELEGGT-Technologie, die die REWE Group durch die Gründung eines Joint Ventures mit der niederländischen HatchTech Group erst ermöglicht hat. Ab 2024 sind möglicherweise in Deutschland – nach Lesart des aktuell vorliegenden Gesetzentwurfes – jedoch nur noch Tests bis zum sechsten Bebrütungstag erlaubt. Als Begründung wird angeführt, dass möglicherweise bereits ab dem siebten Bebrütungstag ein Schmerzempfinden des Kükenembryos existieren könnte.
Hans-Jürgen Moog: Ein wirkliches Verständnis für diesen Ansatz haben wir nicht. Das Ganze fußt scheinbar auf einer russischen Studie aus den 1960er Jahren, die nach neuesten Erkenntnissen noch bis vor Kurzem falsch interpretiert wurde. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat mit einem Sachstandsbericht von November 2020 – also erst nach Bekanntgabe des aktuell vorliegenden Gesetzentwurfes – den Sachverhalt neu bewertet und veröffentlicht. Aktuell gibt es weltweit kein gesetzlich erlaubtes und praxisreifes Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brutei, das die Ansprüche einer Geschlechtsbestimmung bis zum sechsten Bruttag erfüllt. Warum man die Messlatte bereits jetzt so hoch legen muss, ist für mich nicht nachvollziehbar. In Frankreich gibt es bei entsprechenden gesetzlichen Initiativen solche Forderungen nicht.
Wobei ich die Diskussion für akademisch halte. Denn Fakt ist: Wenn wir weiter männliche Küken am ersten Tag ihres Lebens töten, dann haben sie auf jeden Fall ein voll ausgebildetes Schmerzempfinden und dieser Vorgang ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Letztlich geht es bei dem Entwurf darum, quasi durch die Hintertür das Zweinutzungshuhn zu erzwingen. Das ist sicherlich aller Ehren wert. Aber es ist eine Tatsache, dass diese Rassen weniger Eier legen und weniger Fleisch ansetzen. Sprich: nicht den Bedürfnissen der Kundschaft und des Marktes entsprechen. Schließlich sollten wir auch nicht vergessen, dass wir in Deutschland bei Konsumeiern eine Eigenversorgungsquote haben, die bei rund 70 Prozent liegt. Mit Zweinutzungsrassen wird der Bedarf an Importen weiter steigen – und das wäre nicht nur schlecht für heimische Landwirtinnen und Landwirte sowie die Wirtschaft, sondern auch für die Umwelt.
one: Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft e. V. (ZDG) sieht in dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzesentwurf „nur eine deutsche Teillösung des Problems und innerhalb der EU immense Wettbewerbsnachteile für die heimische Geflügelwirtschaft“. Die Politik müsse auf EU-Ebene aktiv werden, um einen verbindlichen Rechtsrahmen für den europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Bewirkt der deutsche Vorstoß also am Ende nur eine Verlagerung des Problems?
Hans-Jürgen Moog: Im schlimmsten Fall verlegen die deutschen Brütereien ihre Aktivitäten in das benachbarte Ausland. Hier gilt aktuell noch kein gesetzliches Verbot des Kükentötens. Rein rechtlich dürfen zum Beispiel in den Niederlanden weiterhin männliche Küken getötet, die weiblichen aber exportiert und in Deutschland aufgestallt werden.
Konsumeier, die auf diese Art und Weise dann in Deutschland gelegt werden, sind verkehrsfähig und können in Deutschland vermarktet werden. Damit wir nicht auf diese Art und Weise dazu beitragen, dass das Kükentöten lediglich ins benachbarte Ausland verlagert wird, hat die REWE Group bereits Anfang 2020 festgelegt, dass grundsätzlich alle Eigenmarkeneier zukünftig aus Kükentöten-freien Lieferketten stammen müssen, ganz egal ob diese Eier im Inland oder im Ausland gelegt werden. Präsident Ripke fordert vollkommen zu Recht eine europäische Lösung – solange diese aber nicht umgesetzt ist, müssen der deutsche und hoffentlich auch sehr bald der europäische Lebensmittelhandel das Heft des Handelns in die Hand nehmen und für ihre jeweiligen Lieferketten eine Kükentöten-freie Eiererzeugung einfordern und partnerschaftlich mit ihren Lieferanten umsetzen.
© Getty Images/ danchooalex one: Andere kritische Stimmen sehen die Geschlechtserkennung im Ei nur als Übergangslösung und fordern stattdessen die Ausweitung von Bruderhahn-Projekten, bei denen männliche Küken aufgezogen werden. Mit „Herz Bube“ und „Spitz & Bube“ war die REWE Group hier ebenfalls Vorreiter – warum diese Projekte nicht einfach weiter ausbauen?
Hans-Jürgen Moog: Genau das machen wir ja seit Jahren mit unseren Initiativen. Die Geschlechtsbestimmung im Ei ist gegebenenfalls eine Übergangstechnologie, bis es in einer fernen Zukunft vielleicht Zweinutzungsrassen gibt, die sowohl im Hinblick auf die Lege- als auch die Fleischleistung praxistauglich sind. Die Bruderhähne brauchen aktuell wesentlich länger, um ein dann immer noch geringeres Schlachtgewicht zu erzielen, bei durchaus hohem Futtereinsatz. Und das Fleisch lässt sich aufgrund der Struktur nur als Frikassee verarbeiten. Das wird keine alleinige beziehungsweise auch nur eine begleitende Alternative sein können, da Bruderhahnprojekte aufgrund der schlechten Ressourceneffizienz zusätzlich klimabelastend und grundsätzlich wenig nachhaltig sind.
one: Wo steht die REWE Group in Sachen Zweinutzungshuhn?
Hans-Jürgen Moog: An dieser Stelle sind wir auf die Züchter angewiesen. Wenn es Rassen gibt, die eine wirtschaftliche Lege- und Fleischleistung erbringen, dann werden wir das selbstverständlich unterstützen. Mir ist aber nicht bekannt, dass wir irgendwo auf der Welt vor dem Durchbruch stehen.
one: Bis wann wird bei REWE und PENNY das komplette Frischei-Sortiment umgestellt sein und wie ist das umsetzbar? Bleibt es bei Frischeiern oder folgen auch Ei-haltige Produkte wie Backwaren?
Hans-Jürgen Moog: Bereits bis Ende dieses Jahres wollen wir unser Frischei-Eigenmarkensortiment so umgestellt haben, dass keine männlichen Küken mehr dafür sterben müssen. Das ist extrem ambitioniert, zumal wir auch auf die Lieferanten und sämtliche Lieferkettenpartner angewiesen sind. Danach machen wir uns an die verarbeiteten Produkte: Mit dem REWE Beste Wahl respeggt Eiersalat haben wir bereits ein erstes Produkt im Regal. Hier gibt es aber noch immense Herausforderungen. Die Blockchain-Technologie wäre eine Möglichkeit, hier größtmögliche Transparenz für alle Beteiligten einschließlich der Kunden zu schaffen.
one: „Wir schaffen das Kükentöten ab – bis 2022“, damit wirbt ein großer Discounter. Aus ihrer Einschätzung, ist das realistisch? Wie soll das klappen, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, wie es momentan der Fall ist?
Hans-Jürgen Moog: Ich äußere mich nicht zum Wettbewerb. Dennoch ist es ja schon auffallend, dass foodwatch gegen diesen Claim geklagt hat. Wir als REWE Group sind da aber auch etwas anders. Wir haben sehr früh angefangen, gesamte Bereiche wie Bio-Eier ohne Kükentöten umzusetzen und lassen unseren Ankündigungen auch Taten folgen. Das honoriert unsere Kundschaft sehr.
one: Außerdem setzt die REWE Group den Fokus auf Kükentöten-freie Lieferketten. Warum?
Hans-Jürgen Moog: Wir geben unseren Kundinnen und Kunden ein Versprechen. Das können wir aber nur dann glaubhaft, transparent und überprüfbar machen, wenn wir die gesamte Lieferkette im Blick haben. Speziell in der Übergangsphase der Branche, bis wir in allen Bereichen frei von Kükentöten sind, müssen wir sehr genau darauf achten, dass es hier nicht zu Vermischungen kommt. Das ist sehr ambitioniert.
one: Was wünschen Sie sich von Politik und Branche?
Hans-Jürgen Moog: Von der Branche wünsche ich mir, dass sie SELEGGT gegenüber vorurteilsfrei ist. Wir haben immer gesagt, dass wir diese Technologie allen zur Verfügung stellen. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie Ziele formuliert, die realistisch und nicht rein ideologisch getrieben sind. Sprich: Wir sollten mit dem ambitionierten Plan so schnell wie möglich aus dem Kükentöten aussteigen, die technischen Verfahren nutzen und mutig an der Vision eines marktgerechten Zweinutzungshuhns arbeiten.
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