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Fotos: Sylvaine Mägli
Hilfe für Haiti
„Die Schule ist wie ein Leuchtturm in der Ödnis“
Warum das neu errichtete Collège Véréna das Selbstwertgefühl eines ganzen Viertels hebt, die Schüler sich wie Fernsehstars fühlen  - und sich ihre Noten in den neuen Klassenräumen schlagartig verbessert haben: Mit den Lehrern Max Laguerre und Médor Charlemagne sprach Bettina Rees.
one: Monsieur Charlemagne und Monsieur Laguerre, in Delmas 2 kam es in jüngster Zeit anlässlich der haitianischen Präsidentschaftswahlen zu Ausschreitungen. Wie sieht es derzeit in dem Viertel aus, das ja das Collège Véréna beherbergt?

Médor Charlemagne: In Delmas herrschte wegen der Zusammenstöße zweier bewaffneter Banden ein angespanntes Klima, was durch die Wahlen noch verschärft wurde. Hierbei wurde ein Elternteil eines unserer Schüler erschossen. Im Moment ist wieder Ruhe eingekehrt.
Max Laguerre: Diese Konflikte erleben wir in Delmas 2 oft. Man hat in jüngster Zeit 13 Tote gezählt, darunter war auch ein ehemaliger Schüler des Collège Véréna. Er starb stellvertretend für seinen Bruder, der von einer der bewaffneten Gruppierungen gesucht wurde. Nun haben die rivalisierenden Banden einen Waffenstillstand vereinbart. Die Schule selbst ist ein sicherer Ort für die Kinder. Ihr Schutz steht für uns an oberster Stelle. Gemeinsam mit den Eltern achten wir darauf, dass sie auch auf dem Weg in das Collège Verena beschützt sind. Sind Ausschreitungen vorhersehbar und der Schulweg zu gefährlich, halten wir die Schule im Ernstfall geschlossen.
„Das Collège ist der Stolz des ganzen Viertels“
one: Was bedeutet eine Schule wie das Collège Verena für ein Viertel wie Delmas 2 und seine Bewohner? Kann sie das Viertel auf lange Sicht verändern?

Médor Charlemagne: Die Schule ist wie ein Leuchtturm in der Ödnis. Die Bewohner empfinden es als Privileg, dass ausgerechnet ihren Kindern eine solch ausgezeichnete Schulbildung zuteil wird, wie sie das Collège Véréna bietet. Die Menschen hier sorgen für die Sicherheit der Schule, wenn es zu Unruhen kommt. Umgekehrt verbessert die Schule das Image des Viertels und bietet den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich eine Zukunft aufzubauen.
Max Laguerre: Diese Schule ist der Stolz des ganzen Viertels. Niemand hätte einen solch beeindruckenden Bau erwartet. Die Bewohner fühlen sich von der Kindernothilfe und der REWE Group in ihrer Würde respektiert. Denn diese entschieden sich trotz der Armut und Probleme des Viertels dafür, diese beeindruckende Schule genau hier zu bauen. In den Augen der Bewohner heißt das: Trotz des negativen Images von Delmas 2 gibt es doch viel Positives, in das es sich zu investieren lohnt.

Anlässlich der offiziellen landesweiten Abschlussprüfungen wurde das Collège Véréna als einer der Prüfungsorte ausgewählt. Viele Eltern hatten Angst, ihre Kinder in ein solch gefährliches Viertel gehen zu lassen. Aber als sie das Gebäude sahen, hat das auch ihre Wahrnehmung von Delmas 2 verändert.
„Die ersten Worte waren: Woooow!“
one: Wie haben die Schüler selbst ihre neue Schule wahrgenommen?Max Laguerre: „Wooooow!“ Das waren ihre ersten Worte. Sie sagten: „Ich fühl mich wie in einem Film, weil man nur im Fernsehen so schöne Schulgebäude sieht.“ Sie verglichen sich mit den wohlhabenden Vierteln der Hauptstadt Port-au-Prince und sagen: „Unsere Schule ist viel besser“. Manche der ehemaligen Schüler wären gerne zurückgekommen, um von diesen neuen Lernbedingungen zu profitieren. Médor Charlemagne: Ja, und alle aktuellen Schüler wollten versetzt werden, um weiter in ihre brandneue Schule gehen zu könnten: Seit wir in den neuen Räumen unterrichten, haben sich die Noten schlagartig verbessert.
one: Auch für die Lehrer begann das neue Schuljahr in neuen Räumen mit neuem Material... Wie geht es Ihnen, sind noch Wünsche offen?Max Laguerre: Ich bin so stolz, hier unterrichten zu dürfen. Es ist ein solch gutes Gefühl. Ich hoffe sehr, dass ich mittels des Gesangs Kinder und Kollegen bewusst machen kann, das ihnen dieses Gebäude gehört und sie im Umkehrschluss der Hüter dieses Hauses sind. aus dem Französischen von Bettina Rees
Warum Simon* seinen Lehrer Médor Charlemagne so beeindruckt hat.

Simon war ein Restavek, also ein als unbezahlte Haushaltshilfe ausgebeutetes Kind. Mit elf Jahren kam er zu uns, er konnte weder lesen noch schreiben. Er besuchte daher die Integrationsklasse, wo er sich sehr anstrengte, um in die Regelschule wechseln zu können. Jetzt ist er in der weiterführenden Schule und er brilliert in allen Bereichen: Unter anderem ist er bei unseren Ausflügen Rettungsschwimmer der Schule. Und das obwohl er nur eine Stunde Schwimmunterricht durch die Schule erhielt. Dieser Junge hat wirklich Verantwortungsgefühl. Zurzeit lebt er bei seiner Tante, er besucht den Nachmittagsunterricht, um sich am Vormittag durch den Verkauf von wiederaufladbaren Telefonkarten etwas dazuzuverdienen. Warum Jean* seinen Lehrer Max Laguerre so beeindruckt hat.

Die meisten seiner Mitschüler lehnten Jean auf Grund seines Verhaltens ab. Sie empfanden den vaterlosen Jungen als Störenfried. Als ich ihn mit 15 Jahren in den Schulchor aufnahm,waren sie sehr unzufrieden. Sie hatten Angst, Jean könnte durch sein undiszipliniertes Verhalten den Chor sprengen. Aber mit der Zeit und mit meiner Unterstützung, veränderte er sich. Er begann, die Musik zu lieben und die Schule ernst zu nehmen. Er verließ das Collège Véréna mit einem Abschluss und wurde ein großer und talentierter Sänger. Er gehört sogar einem der besten evangelistischen Gospel-Chöre der Hauptstadt an. Er hat sich gut integriert und alle schätzen ihn.

*) Name geändert

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