Wie begeistert man junge Menschen für das Fleischerhandwerk im Markt? Beate Lindmark und Annina Muhl, bei der REWE West zuständig für dieses Thema, haben unkonventionelle Ideen. Und Erfolg. Wir haben mit den beiden gesprochen und bei „ihren“ Azubis nachgefragt.
Das Berufsbild des Fleischers und der Fleischerin hat es schwer. Das Klischee vom groben Metzgerhandwerk in blutiger Schürze hält sich hartnäckig. In Zeiten, in denen Verzicht auf Fleisch und der Trend zur veganen Ernährung stark an Bedeutung gewinnen, nimmt die Attraktivität weiter ab. Zwei, die zeigen wollen, dass das Berufsbild ganz anders aussieht, sind Beate Lindmark, HR-Referentin Ausbildung, und Annina Muhl, HR-Referentin Employer-Branding. Gemeinsam entwickeln und verwirklichen die beiden bei der REWE West unkonventionelle Ideen, um junge Menschen für die Ausbildung an der Frischetheke bei REWE zu gewinnen und während der Ausbildung zu fördern.
Warum ihre Azubis neben Leberwurst auch Akquise können, weshalb selbstgemachte Mettwurst auch Studienabbrecher:innen hinter die Theke lockt, und wie sie die demographische Nuss knacken wollen, erzählen uns Beate Lindmark und Annina Muhl im Interview.
one: Frau Lindmark, Hand aufs Herz: Ist die blutige Schürze im Fleischerhandwerk wirklich nur ein Klischee?
Beate Lindmark: Wie meist bei Klischees, ist auch hier etwas Wahres daran! Natürlich gehört zum Fleischerhandwerk auch das Zerlegen. Doch der Beruf hat so viel mehr zu bieten – in punkto Produktion, aber auch bei allen Themen rund ums Fleisch. Unsere Ausschreibung im Karriereportal auf rewe.de trifft es schon ganz gut: „Von der Bestellung über die Vorbereitung und Veredlung bis zum Verkauf unserer Fleisch- und Wurstwaren. Deine Kunden machst du nicht nur mit frischen Lebensmitteln glücklich, sondern auch mit deinen Rezepttipps.“ Beate Lindmark
one: Ihr Lieblingsrezept, um junge Menschen für das Fleischerhandwerk im Markt zu begeistern, sind aber nicht die Ausschreibungen auf der Website. Sondern der persönliche Einsatz „Ihrer“ Azubis selbst. Was steckt dahinter?
Annina Muhl: Unsere Azubis und die jungen, ausgebildeten Fachkräfte sind das beste Sprachrohr, anderen jungen Menschen bei der Orientierung zu helfen. Sie können authentisch von ihrem Beruf und der starken Förderung, die sie bei uns bekommen, berichten. Zudem können sie konkret Fragen beantworten, und auch die beachtlichen Karrierewege aufzeigen, die möglich sind, und die sie auch beschreiten.
Denn man will ja auch wissen: Was passiert nach der Ausbildung? Wie geht es dann bei mir weiter? Und das tut es durchaus: Angefangen vom Ausbilderschein und der Meisterschule über die Weiterbildung in der REWE-Akademie bis hin zur Abteilungsleitung.
Beate Lindmark: Unsere Azubis sind einfach der beste Beweis dafür, dass das Fleischer:innenhandwerk jung, modern und bunt sein kann.
one: Das Fleischer:innenhandwerk ist jung, modern und bunt – Was meinen Sie damit?
Beate Lindmark: Zum einen die Tätigkeiten: Neue, unkonventionelle Rezepte für Wurstwaren entwickeln, fantasievolle Platten anrichten, Fleisch aus regionalem Umfeld einkaufen, den Fokus auf mehr Tierwohl richten, Kund:innen gezielt beraten – es gibt so viele Möglichkeiten, den Arbeitsalltag abwechslungsreich zu gestalten.
Und die Kolleg:innen selber: Das Bild des rustikalen Metzgers und der Verkäuferin gehört der Vergangenheit an. Das beweist unsere junge Generation an Nachwuchskräften. Bei uns arbeiten unglaublich viele junge, tolle Menschen, die dieselben Wünsche und Träume haben wie Auszubildende aus anderen Berufen auch: Sicherheit und Selbstverwirklichung.
Annina Muhl one: Zurück zur Akquise durch die Azubis selbst: Was kann man sich darunter vorstellen?
Annina Muhl: Wir nutzen zur Azubi-Akquise das klassische Storytelling. Das bedeutet, wir begleiten unsere Auszubildenden während ihrer Ausbildung und in den Jahren danach durch Cross-Media-Kampagnen, in denen die Azubis Einblicke in ihre Arbeitswelt geben. Hier beantworten sie Fragen von Schüler:innen, geben Orientierung für die Berufswahl und zeigen mögliche Karrierewege. Besonders wichtig ist uns auch der persönliche Kontakt: Jährlich begleiten uns unsere Auszubildenden und Nachwuchskräfte auf Karrieremessen und vermitteln so Eindrücke aus erster Hand. Außerdem nutzen wir die jährlich stattfindenden Azubi-Projekte an der Frischetheke auch zur Akquise.
one: Ende 2022 haben Sie eine solche Aktion im REWE Center in Bonn-Beuel durchgeführt. Die Service-Azubis haben dort über mehrere Tage ihre eigenen Produkte hergestellt und verkauft. Wie lief das ab?
Beate Lindmark: Einmal im Jahr produzieren die Service-Azubis der Region West in einem Projekt Lebensmittell an der Frischetheke für einen guten Zweck und verkaufen diese. Das sind küchenfertige Erzeugnisse wie Feinkostsalate, selbst hergestellte Variationen von Käsecremes sowie Wurst- und Fleischerzeugnisse.
Die Azubis sind im zweiten und dritten Ausbildungsjahr und erarbeiten nahezu alles selbst. Nach Vorbereitungsworkshops geht es los. Es werden drei Unterteams gebildet: Team Marketing, Team Aktion und Team Organisation. Insgesamt sind es immer 30 bis 40 Azubis, die sich mit diesen Fragen beschäftigen: Welches soziale Projekt möchten wir mit unserem Erlös fördern? Was wollen wir produzieren? Wie organisieren wir uns? Wie können wir auf unsere Produkte, die Aktion und unseren Beruf aufmerksam machen. Die Azubis entwickeln Plakate, Werbeflyer, einen eigenen Beileger im Wochenblatt. Ein Projekttitel wird überlegt. Ein REWE-Markt wird ausgewählt, der eine eigene Produktion hat, der für die Azubis gut mit Bahn und Bus erreichbar ist.
In diesem Jahr haben die REWE West-Azubis ihr Projekt „Handwerk für das Mundwerk“ genannt und ganz typische Artikel hergestellt, wie Blutwurst, Leberwurst, Sülzen, und Fleischwurst. Die Produkte werden an einem eigenen Stand im REWE-Markt von den Azubis zur Verkostung angeboten und verkauft.
one: Wie kam die Aktion an?
Beate Lindmark: Die Kund:innen waren sehr angetan, und haben unseren Azubis viele gute Rückmeldungen gegeben – zu ihren leckeren, selbstgemachten Produkten, zu ihrem Engagement. Das tut diesen jungen Menschen einfach gut.
Schließlich ging es auch um einen guten Zweck, auch das kam sehr gut an: Der Erlös der Aktion wurde in Form einer Warenspende von Wilhelm Brandenburg an die Tafel in Bonn gespendet.
Gleichzeitig wurde die Aktion genutzt, um auf eine Karriere an der Frischetheke aufmerksam zu machen. An einem Aktionsstand gingen die Nachwuchskräfte aktiv auf Kund:innen zu, um Interesse für ihren Beruf zu wecken.
one: Die Organisation solcher Projekte ist sicher aufwändig. Zahlt sich das für die REWE West aus?
Beate Lindmark: Der Aufwand ist zwar groß, aber der Gewinn an Selbstvertrauen bei unseren Auszubildenden ist jede Mühe wert. Neben solchen Projekten erfahren unsere Ausbildenden auch unterjährig ein hohes Maß an Unterstützung. Wir haben zum Beispiel fünf Trainingsstätten in der Region, an denen freigestellte Metzgermeister:innen mit unseren Azubis spezielle Fertigkeiten für die Prüfung trainieren beziehungsweise vertiefen. Drei Tage lang werden maximal je fünf Azubis auf prüfungsrelevante Arbeiten vorbereitet, zum Beispiel Rinderhälften zerlegen, Platten auf hohem Niveau garnieren.
Das Ergebnis unserer Betreuung kann sich sehen lassen: Unsere Service-Azubis sind seit 2013 jedes Jahr im Wettbewerb um den Fleisch-Star-Talent unter den besten Nachwuchskräften Deutschlands. Auch dieses Jahr gab es wieder eine Auszeichnung: Unser Fleischer-Azubi Pascal Jung vom REWE-Markt in Hachenburg hat sich gegen alle Konkurrent:innen durchgesetzt und erhielt den „Fleisch-Star-Talent 2023“.
Annina Muhl: Ja, der Aufwand lohnt sich definitiv. 2013 gab es sechs Auszubildende an der Frischetheke. Seitdem ist die Zahl stetig gewachsen und mittlerweile arbeiten in der Region West rund 50 junge Menschen dort. Darüber hinaus freuen wir uns über die Entwicklung des traditionellen Handwerks hin zu einem jungen und modernen Berufsbild. Schließlich werden die Auszubildenden von heute die Führungskräfte von morgen sein und diese moderne Kultur weitergeben.
one: Warum ist es aktuell so dringlich, Nachwuchs für die Berufe an der Frischetheke zu finden?
Beate Lindmark: Viele unserer Fachkräfte stehen kurz vor dem Renteneintritt. Man kann sie nicht einfach ersetzen. Es ist eine anspruchsvolle Ausbildung und ein anspruchsvolles Handwerk, bei dem übrigens im Kontext der Lebensmittelproduktion Gefahr für Dritte im Verzug ist. Dafür braucht man verlässliche, gut ausgebildete Menschen, die mit sehr viel Engagement bei der Sache sind.
Annina Muhl: Ja, es ist vor allem ein demografisches Problem. Die Anzahl an nachkommenden Arbeitnehmenden sinkt, dagegen steigt die Anzahl an benötigten Fachkräften. Und zwar bundesweit: Das ist kein REWE-eigenes Problem, damit kämpfen viele Unternehmen.
one: Was sind die Voraussetzungen, um einen solchen Ausbildungsplatz bei der REWE West zu bekommen?
Beate Lindmark: Das Wichtigste ist für uns, dass man Motivation mitbringt. Man muss keine Top-Schulnoten haben, sondern eine gute Sozialkompetenz und Teamfähigkeit. Wenn wir im Gespräch merken, dass die Bewerber:innen Lust haben zu lernen, ist das schon mehr als die halbe Miete. Und wenn sie sich dann als praktisch veranlagt erweisen, im Job aufleben, und die Kund:innen sie gerne haben, dann sind es wertvolle Mitarbeiter:innen!
Übrigens bewerben sich bei uns auch Studienabbrecher:innen, die es aus einem eher theoretischen Lernalltag zu mehr praktischer Arbeit zieht.
Annina Muhl: Ich merke gerade auf Messen ganz stark, wie problematisch das Thema „Schulabschluss“ für viele Jugendliche ist. Da spüre ich bei Hauptschüler:innen oft Unbehagen und Unsicherheit. Unsere Antwort ist, dass das bei uns nicht unbedingt die größte Rolle spielt. Es kommt vor allem darauf an, wie stark die Eigenmotivation ist und wie man als Mensch tickt. Der Schulabschluss ist keine Bedingung für Förderung. Unser Karrieremodell beruht auf eigenen Motivationen. Das ist nicht wirklich bekannt in der Welt da draußen. Das geben dann unsere Azubis und Nachwuchskräfte durch die verschiedenen Projekte und Marketing-Maßnahmen sowie auf Messen sehr gut weiter.
Beate Lindmark: Es ist schön zu sehen, wie unsere Auszubildenden sich entwickeln und mit jedem Jahr merken, was sie alles können. Diese Entwicklungsphase in der 3jährigen Ausbildungszeit ist sehr wichtig für einen jungen Menschen und sein Selbstwertgefühl.
Das sagen die Azubis:
Riyadh Khalaf Was hat Ihnen am Projekt „Handwerk für das Mundwerk" am besten gefallen?
Riyadh Khalaf, Azubi im 3. Lehrjahr: „Ich habe viel gelernt über Tierschutz und den Wert des Fleisches. Die Kund:innen direkt anzusprechen, ihnen zu zeigen, was wir selber gemacht haben, hat mir gut gefallen.“
Lucy DePasquale Lucy De Pasquale: Azubi im 3. Lehrjahr: „Dass man sich mit den Kund:innen unterhalten kann und ihnen erklären konnte, worum es dabei geht. Ich habe mich dadurch mehr getraut, auf Kund:innen zuzugehen und sie anzusprechen. Dazu kommt die Erfahrung, wie viel Umsatz man mit einer kleinen Produktion machen kann.“
Was nehmen Sie aus diesem Projekt mit zurück in Ihren Markt?
Riyadh Khalaf: „Zum Beispiel vorzuschlagen, bei nicht so stark gekauften Artikeln eine Kostprobe anzubieten. Und auch dass es lohnt, neue Wege zu überlegen, um Azubis zu werben.“