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ArticleId: 608magazineDas mit REWE Group-Spenden aufgebaute Collège Véréna eröffnet 1.500 Schülern eine Zukunft. Wie die Schule auf ein Leben in Haiti vorbereitet und warum dort noch viele Aufgaben warten, erklärt Jürgen Schübelin von der Kindernothilfe.https://one.rewe-group.com/fileadmin/_processed_/7/c/csm_Haiti_Serie_Interview_0915_mgt_standard_13bc91c749.jpgEine Schule fürs LebenHaiti-Hilfsprojekt
Lernen für eine bessere Zukunft, Foto: Jürgen Schübelin
Hilfsprojekt der REWE Group
Eine Schule fürs Leben. Für ein lebenswertes Leben. In Haiti, nicht im Exil.
von Bettina Rees
Jürgen Schübelin ist Leiter des Referates Lateinamerika und Karibik der Kindernothilfe. Unmittelbar nach dem Erdbeben im Januar 2010 verbrachte er ein Jahr in Haiti und unterstützte in den zerstörten Gebieten unter anderem den Aufbau von Kinderschutzzentren und Schulen, darunter das von der REWE Group unterstützte Collège Véréna.

Mit one sprach Schübelin über die Kraft der Menschen im Armenhaus Haiti, wie Schule verhindern kann, dass die Jugend aus ihrer Heimat flieht. Und warum Hilfe auch nach der Schuleinweihung weiter gebraucht wird.
one: Herr Schübelin, Sie kennen Süd- und Mittelamerika gut. Was ist das Besondere an Haiti?
Jürgen Schübelin: Haiti ist das Armenhaus des Kontinents. 80 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, nur die Hälfte aller Kinder geht zur Schule. Hier liegt die besondere Herausforderung für die Kindernothilfe, die sich dem „Recht auf Bildung“ verschrieben hat.

Andererseits ist Haiti ein selbstbewusstes Land mit einer eigenen Sprache, geprägt durch seine erstaunliche Geschichte: Der einst reichsten französischen Kolonie gelang 1804 als erstem Land Lateinamerikas die Unabhängigkeit – und zwar aus eigener Kraft. Die Sklaven erhoben sich und verjagten die Herren. Das Land kennt Rassismus, Sklaverei, Diktatur, einen in vielen Bereichen schlicht nicht funktionierenden Staat, unendliche Armut – und dennoch haben sich die Menschen ihren Stolz bewahrt.
Jürgen Schübelin 2010 in Haiti: „Man muss mit den Menschen reden“. Foto: Jakob Studnar
one: Wie hat sich dieses Selbstbewusstsein der Haitianer nach dem Erdbeben gezeigt?
Jürgen Schübelin: Ich kam vier Tage nach dem Erdbeben in Haiti an. Natürlich herrschte Verzweiflung, Panik und Chaos. Trotzdem taten sich viele Menschen in dieser Extremsituation sehr schnell zusammen, um sich mit Kraft und Kreativität an den Wiederaufbau zu machen. Das war besonders in Delmas 2 spürbar. Das Viertel, in dem das mit Hilfe der REWE Group wieder erbaute Collège Véréna steht, war und ist sehr arm. Nach dem Erdbeben organisierten sich genau hier gerade junge Leute, um die Situation in den Notlagern in den Griff zu bekommen. Es ist meines Erachtens kein Zufall, dass hier das erste Kinderschutzzentrum und dann das allererste Notschulprogramm des Landes startete. Inmitten der Ruinen, nur wenige Tage nach dem Beben.

So konnten wir uns unmittelbar nach dem Erdbeben um die Kinder, ihre Traumata und ihren Schutz kümmern. Wir haben zeitweise bis zu 25.000 Kinder erreicht, zunächst 19 provisorische Kinderschutzzentren und dann zehn Schulen (wieder)aufgebaut, von denen das Collège Verena die größte ist. Das wäre ohne das Engagement der Eltern, der Nachbarn nicht möglich gewesen.
one: In den Medienberichten war von dieser Tatkraft nur wenig spürbar. Das Land wirkte hilflos, passiv...
Jürgen Schübelin: Das Negativbild von Haiti empfinde ich als ungerecht. Die Menschen haben den Schutt vielfach ohne Maschinen weggeräumt. Es gibt heute kaum noch Zeltstädte, die Straßen sind besser als vor der Katastrophe, viele der Häuser stabiler. Ich will die Armut nicht idealisieren. Ich möchte nur deutlich machen, wie sich die Menschen ihre Normalität wieder geholt haben: „Das ist nicht das Ende“, diesen Satz hörte ich immer wieder in meinen Gesprächen mit den Erdbebenopfern.
Man muss mit den Menschen reden. Sie fragen: „Wie hast Du es geschafft, dein Haus wiederaufzubauen, deine Kinder zur Schule zu schicken, einen Gemüsegarten anzulegen... ?“ Wir müssen diesen Leistungen Respekt und Wertschätzung entgegenbringen. Natürlich wurden keine grandiosen Wertschöpfungsketten in Gang gesetzt. An der Armut hat sich weiterhin nicht viel verändert. Aber es gibt ein bescheidenes Wirtschaftswachstum.
In unserem Beruf muss man lernen, sich für die guten Nachrichten zu interessieren. Und es gibt immer wieder gute Nachrichten aus Haiti. So wie am 14. April, als die Vor- und Primarschule des Collège Véréna, also der größte Teil dieses Wiederaufbauvorhaben, eingeweiht wurde.
Jahrelang und mit großem Enthusiasmus bekochten die Mütter die Kinder des Notschulprogramms, Foto: Jürgen Schübelin
one: Eine wunderschöne Schule, erdbebensicher, mit Großküche, Werkräumen, Chemielabor, Raum für 1.500 Kinder
Jürgen Schübelin: Seit über 30 Jahren ist die Kindernothilfe mit dem Thema „Recht auf Bildung“ in Haiti engagiert, und dieses Recht braucht gute Bedingungen. Auch ein Schulbauprojekt ist ein Kinderrechtsprojekt.

Das Collège Véréna ist ein Vorzeigeprojekt für die karibische Region, hier haben wir tolle Klassenräume, in denen Kinder inmitten eines Armutsviertels Zugang zu dem erhalten, worauf es ankommt: Bildung mit Qualität.
one: Ist den Kindern das bewusst?
Jürgen Schübelin: Der Wunsch vieler Kinder ist groß, einmal etwas zurückzugeben. Ich erinnere mich gerne an das Kinderkomittee, das während der Bauarbeiten immer wieder das entstehende Gebäude besuchte. Ich war sehr beeindruckt davon, dass viele der Kinder den Wunsch äußerten, selbst einmal Ingenieur zu werden. Dieser kleinen Gruppe, sowie eigentlich allen Schülern des Collège Véréna, ist sehr bewusst, dass der Schulbesuch ein Privileg ist: „Ich will, ich muss daraus etwas machen“, sagen viele. „Ich will etwas Handfestes lernen, damit ich selber einmal eine solche Schule bauen kann.“ one: Die Kinder lieben ihre Schule?
Jürgen Schübelin: Sie hatten für die Einweihung alles geputzt, dekoriert, aufgebaut: „Diese Schule gehört uns“. Und als die geladenen Gäste gingen, feierten sie weiter.
Unter den Ehrengästen war auch Ihr Vorstandsvorsitzender. Alain Caparros wandte sich als einziger der Festredner explizit an die Kinder: „Macht was aus dieser Schule, nutzt Eure Chance“, hat er zu ihnen gesagt.

one: Was wünschen Sie sich für die Schülerinnen und Schüler des Collège Véréna?
Jürgen Schübelin: Ich wünsche ihnen, dass sie ihre Rechte kennen, selbstbewusste Menschen sind. Dass sie eines Tages sagen können: „Ich habe es geschafft, ein eigenes Leben aufzubauen, ich kann meine Familie ernähren, ich musste mein Land nicht verlasssen“. Denn die Schule will auf das Leben vorbereiten. Und zwar auf ein Leben in Haiti, nicht im Exil, vielleicht als Polier oder Elektriker, Krankenschwester, vielleicht als Lehrer oder Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung.
Unmittelbar nach dem Erdbeben bot das Notschulprogramm den Kindern ein Stück Normalität, Foto: Jürgen Schübelin
one: Wie bereitet das Collège Véréna in Haiti seine Schüler auf das Leben vor?
Jürgen Schübelin: Wir haben nicht nur in die Gebäude investiert, sondern auch in die Qualität der Lehrer, in moderne Pädagogik, praxisnahen Unterricht; gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben wir mit Partnern vor Ort Fortbildungen organisiert. Denn wir brauchen eine Pädagogik, die auf die Lebenswirklichkeit vorbereitet. one: Fünf Jahre sind seit dem Erdbeben vergangen, das Collège Véréna ist bald fertig gebaut, das neue Schuljahr hat vor wenigen Tagen begonnen... Braucht die Schule noch die Unterstützung von Partnern wie der REWE Group?
Jürgen Schübelin: Der zweite Schulteil wird gerade gebaut, danach warten weitere, dringende Aufgaben.
Wir benötigen finanzielle Unterstützung und Enthusiasmus dafür, um noch mehr Kindern in Haiti zu ihrem Recht auf Bildung zu verhelfen – und das, was wir erreicht haben, pädagogisch weiter zu entwickeln. Die Arbeit ist mit der Einweihung der Gebäude noch lange nicht beendet.
Das alles war und ist nur möglich, weil die REWE Group und ihre Mitarbeiter uns seit über fünf Jahren dabei unterstützen. Wir sind unendlich dankbar für den langen Atem der Menschen bei der REWE Group, dafür, dass sie nicht locker gelassen haben. Einen Partner in dieser Qualität zu haben, ist für uns Ansporn und Privileg.
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