Theater und Opernhäuser haben sich schon darauf eingestellt, dass alle Aufführungen vor Live-Publikum in dieser Saison ausfallen. Museen öffnen wieder, beschränken aber die Besucherzahl. Ein Großteil der Kulturangebote wird also weiterhin im Internet stattfinden. Soweit, so schlecht. Doch die gute Nachricht: Man bekommt so Einblick in Orte, die man sonst womöglich nie betreten hätte, die Staatsoper in Wien etwa oder die Hinterzimmer des Museum of Modern Art in New York. Oder gar ein Autokino, nicht etwa virtuell, sondern ganz real und off-Web.
Film
Völlig ungeklärt ist das Schicksal mehrerer Tausend Kinosäle in Deutschland, die wegen der Corona-Krise schließen mussten. Wiederauferstanden und wundersam vermehrt haben sich hingegen die Autokinos, von denen es Ende 2019 gerade noch zwei Dutzend gab. Wem also das Gemeinschaftsgefühl beim Filmegucken fehlt, kann sich bei Wikipedia eine Freiluftleinwand in der Umgebung raussuchen und bei trendsderzukunft.de die Qualität checken. Das Popcorn ist in Corona-Zeiten übrigens selbst mitzubringen!
Kabarettist Josef Hader ist bekennender Hypochonder, der schon einer Grippe lieber durch Selbstisolation aus dem Weg geht und erst recht einer viralen Pandemie. Weil er weiß, dass er damit nicht alleine ist, hat er auf seiner Website alle seine Bühnenprogramme freigeschaltet, ebenso wie eine Auswahl seiner Kinofilme. Darunter natürlich auch sämtliche Brenner-Krimis – von „Komm, süßer Tod“ bis „Das ewige Leben“.
Wem das Filme gucken im Netz zu eintönig wird, kann sich mit Hilfe der Berliner Fotogalerie C/O Berlin seinen eigenen Stop Motion Film basteln. Alles, was es dazu braucht, ist ein Smartphone und diese Anleitung.
Museum
„Surprisingly This Rather Works“ heißt die digitale Ausstellung der Galerie König in Kreuzberg. Tatsächlich ist es erstaunlich, wie sich die virtuellen Gebilde des Künstlers Manuel Rossner in und um die profanierte Kirche St Agnes, in der die Galerie real beheimatet ist, schmiegen. Per App unter koeniggalerie.com wird der Besucher zum Avatar und ein Rundgang zum Jump’n’Run Game.
An die einstmals so sensationelle Streetview von Google Maps hat sich inzwischen jeder gewöhnt. Dass Google auch eine Kunstabteilung hat, in der man sich so gut wie jeden Raum in jedem Museum weltweit per 360-Grad-Blick erschließen kann, hat sich noch nicht herumgesprochen. Gerade in Corona-Zeit ist artsandculture.google.com ein guter Ersatz für Städtereisen ins Ausland. Allein das museofridakahlo.org in ihrem ehemaligen Haus in Mexico City ist einen Nachmittag wert.
Ein paar Monate, also weit über die Pandemie hinaus, kann man mit den englischsprachigen Kursen des New Yorker Museum of Modern Art unter coursera.org/moma verbringen. Mit den Virtual Views des MoMA, moma.org, lässt sich das Gelernte noch vertiefen.
Musik
Im Jahr seines 250. Geburtstags ist Ludwig van Beethoven so populär wie zuvor wohl nur zu Lebzeiten. Das liegt zum einen an seiner „Ode an die Freude“, die als Europahymne gerade in den vergangenen Jahren viel zu hören war. Zum anderen aber auch an den Internet-Portalen, die sich mit Aufführungen, Hintergrundinfos und Interviews ein neues, jüngeres Publikum für die klassische Musik erschließen wollen. Ganz vorne mit dabei ist die von der EU mitbegründete Website operavision.eu ,die 29 Opernhäuser aus 17 Ländern vereint. Von Aix-en-Provence bis Zagreb. Vom Moskau bis Neapel. Hin und wieder gibt es einen Ausflug auf eine Bühne in China oder den USA.
Nach der einzigen Oper von Beethoven hat sich die österreichische Homepage myfidelio.at benannt. Dort bündeln sämtliche Klassik-Institutionen von Wien ihr digitales Programm, von Staatsoper bis Philharmoniker, im Live-Stream oder aus dem Archiv des öffentlich rechtlichen Senders ORF. Auch Perlen von den Salzburger Festspielen finden sich, allerdings zum stolzen Preis von 99 Euro im Jahr.
Berühmt und gratis sind hingegen die Konzerte, die Starpianist Igor Levit jeden Abend von seinem Musikzimmer in Hannover aus gibt. Pünktlich um 19 Uhr treffen sich seine zahlreichen Fans, Follower und Freunde auf twitter.com/igorpianist, Instagram oder Facebook um seinen Einführungen und Aufführungen von Stücken etwa von Beethoven, Bach, Lizst und Gershwin zu folgen. Auch wenn der Ton manchmal hängt, die Musik kommt von Herzen.
Digitales
Wie seit 14 Jahren hätte auch im Mai 2020 die Internet-Konferenz re:publica wieder stattfinden sollen. Covid19 hat dem jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht – zumindest, was die Live-Veranstaltung in der Berliner „Station“ betrifft. Stattdessen melden sich die Veranstalter am 7. Mai einen Tag lang per re-publica.tv/de auf vier Kanälen via YouTube und Facebook aus dem digitalen Exil. Von 11.30 Uhr bis 23 Uhr gibt es Gespräche und Diskussionsrunden u.a. mit Heiko Maas, Rezo, Constanze Kurz, Klaus Lederer, Renate Künast und Svenja Schulze über E-Learning, Homeoffice, Open Data, bedingungsloses Grundeinkommen, Medien in der Krise und Medien über die Krise. Themen, die nicht erst seit Covid19 existieren, aber durch das Virus und den Lockdown in der Dringlichkeit nach vorne geschoben wurden. Alle Beiträge sind auch 7. Mai auf YouTube abrufbar.
Die #rp20, die Konferenz mit Panels, Präsentationen, Rednern, Bastlern und Publikum live und in Farbe, wird vom 10.-12. August in Berlin nachgeholt. Vermutlich werden sich dann auch schon erste gute, wie schlechte Schlüsse ziehen lassen, aus diesen einzigartigen Wochen, als ein Virus die Menschheit plötzlich stillstehen ließ.