Es ist ein Meilenstein in der Unternehmensgeschichte: Das BILLA-Kaufleutemodell ist in Österreich an den Start gegangen. Welche Erwartungen sind an diesen Schritt geknüpft? Darüber hat one mit dem REWE Group-Aufsichtsratsvorsitzenden Erich Stockhausen und Bereichsvorstand Thomas Nonn gesprochen.
Am 27. Oktober eröffnete der erste BILLA-Markt Österreichs, der von einem Kaufmann und BILLA in einer gemeinsamen Gesellschaft geführt wird. Kaufmann Marko Miskovic aus dem niederösterreichischen Gloggnitz blieb nicht lange allein, denn wenig später öffneten bereits der zweite und der dritte BILLA ihre Türen im Burgenland und in der österreichischen Hauptstadt: Die Märkte der frisch gebackenen BILLA-Kaufleute Thomas Wojteckovsky und Sadik Demir liegen im burgenländischen Pöttsching und in der Hauptstraße 30 im 14. Wiener Gemeindebezirk.
Mit der Eröffnung des BILLA-Marktes in Gloggnitz fiel gleichzeitig der Startschuss für das BILLA-Kaufleutemodell. Damit erweitert das Unternehmen sein Portfolio – neben den klassischen BILLA- und BILLA PLUS-Märkten sollen bis zum Jahr 2026 hundert BILLA-Kaufleute etabliert werden. Das österreichische Partnerschaftsmodell wurde auf Basis von Erfahrungen, Know-how und Expertise der REWE Group geschaffen.
Starker Rückhalt für die Kaufleute zur Sicherung regionaler Infrastruktur
Unternehmer:innentum und Kaufleute sind seit jeher tief in der DNA der REWE Group verankert: Das Kaufleutemodell der REWE gilt in Deutschland als Erfolgsmodell. In Österreich werden auch die ADEG-Märkte von Kaufleuten geführt. Der Schritt, BILLA-Märkte in Österreich nun auch durch selbstständige Kaufleute – analog zu REWE in Deutschland – betreiben zu lassen, ist ein Meilenstein.
Das BILLA-Kaufleutemodell bietet starken Rückhalt und Support durch die Organisation. Dadurch werden neue, attraktive Möglichkeiten für angehende Kaufleute geschaffen, die langfristige Sicherung der lokalen Infrastruktur gewährleistet und die kaufmännische Tradition noch weiter in Österreich verbreitet.
Unternehmerisches Handeln, maximale Nähe zu den Kund:innen, das Bewusstsein für die Region und ihre Menschen sowie ihre persönliche Handschrift zeichnen Kaufleute aus und machen Märkte, die von ihnen geführt werden, besonders und wirtschaftlich erfolgreich. Diese Form des Einzelhandels ist – neben dem Aufbau eines Omni-Channel-Modells – wohl der bedeutendste Wachstumsfaktor im europäischen Handel.
Ist die Etablierung des Kaufleutemodells nach REWE-Vorbild, neben Österreich, in weiteren europäischen Ländern denkbar? one sprach mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der REWE Group, Erich Stockhausen.
Erich Stockhausen one: Wird mit dem BILLA-Kaufleutemodell die Erfolgsgeschichte der selbstständigen REWE-Kaufleute weitergeschrieben?
Erich Stockhausen: Wir sehen in Deutschland bei den REWE-Kaufleuten dauerhaft ein sehr robustes Geschäft. Warum sollen wir denn nicht versuchen, diese Erfolgsgeschichte in anderen Ländern weiterzuschreiben? In Österreich war der Markt reif für ein Kaufleutemodell. Wichtig ist, nicht einfach das REWE-Modell zu kopieren, sondern das Geschäftsmodell auf die Besonderheiten des jeweiligen Landes zuzuschneiden, so wie es in Österreich geschehen ist. Als Kaufmann sehe ich daher dieser Entwicklung sehr positiv entgegen.
one: Das heißt, es wäre durchaus denkbar, ein Kaufleute-Modell neben Österreich auch in anderen Landesgesellschaften zu etablieren?
Erich Stockhausen: Ja, durchaus. Wenn wir in einem Land aktiv sind, sollten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine signifikante Marktstellung zu erreichen. Natürlich muss der Markt in dem jeweiligen Land reif dafür sein. Und ganz wichtig: Auch die politischen Rahmenbedingungen müssen stimmen.
one: Welche politischen Rahmenbedingungen müssen das sein?
Erich Stockhausen: Die Grundvoraussetzung ist in erster Linie ein demokratisches System in dem jeweiligen Land. Das Beispiel Russland hat gezeigt, wie schnell Unternehmen zum Rückzug gezwungen werden können – und so große Verluste hinnehmen müssen.
one: Die Kaufleute führen die Märkte zusammen mit BILLA in einer gemeinsamen Gesellschaft. Worin liegen die Vorteile dieser Art von Selbstständigkeit?
Erich Stockhausen: Auf der einen Seite haben wir den Freiraum, um erfolgreich unternehmerisch zu agieren. Auf der anderen Seite helfen wir mit dem Systemnutzen der Genossenschaft. Das System liefert die Rahmenbedingungen, um im Markt erfolgreich agieren zu können.
one: Profitieren auch die Neu-Kaufleute von BILLA in Österreich von der systemischen Unterstützung?
Erich Stockhausen: Vom Kund:innengedanken und von der Idee her geht es in die gleiche Richtung. Der Denkansatz ist ähnlich, und wir verschließen uns auch nicht. Wenn jemand voll ins Risiko gehen und alles selbst finanzieren will, dann kann er das auch tun. Am Ende ist es ähnlich wie in Deutschland, nur manche Parameter wurden neu justiert. Die Erfolgsgeschichte in Deutschland spricht ja für sich.
one: Gerade wenn man auf die letzten 10, 20 Jahre zurückblickt, stellt man fest, das ist ja schon fulminant, was sich da entwickelt hat.
Erich Stockhausen: Ein Beispiel ist die Region Südwest. Im Jahr 2001 haben wir dort den ersten REWE-Markt privatisiert. Seitdem hat sich alles rasant entwickelt. Man muss das vorantreiben, darf aber auch nichts überrollen. Die Mentalität muss mitwachsen. Hier hat der Mut zum Dialog immer zu fruchtbaren Ergebnissen geführt. Viele junge Leute sagen heute: Wir privatisieren uns lieber mit der REWE als mit anderen. Unsere Modelle sind einfach besser und erleichtern den Einstieg in die Selbstständigkeit, zum Beispiel mit dem Risikoausgleich. Das fängt schon bei der Vergabe der Märkte an: Hier gibt es klare Richtlinien, die verhindern, dass Bewerbende benachteiligt werden. Wir haben bei REWE einen anderen Ansatz als der Wettbewerb, wir gehen fair miteinander um. Die Erfolgschancen geben uns recht. Wir haben eine riesige Trefferquote von annähernd 100 Prozent.
Die Selbstständigkeit mit REWE muss so gut funktionieren, dass sie Reklame für sich selber macht und die Leute auf uns zukommen. Heute haben wir für die meisten Märkte mehrere Bewerbende, so dass wir uns die Besten aussuchen können. Die hohe Zufriedenheit unter den Kaufleuten ist die beste Bestätigung für unseren Weg.
one: Benötigen wir in Österreich regionale Genossenschaften, ähnlich wie in Deutschland?
Erich Stockhausen: In den heutigen Regionalgenossenschaften sind bis zu 500 Kaufleute organisiert. Von daher können wir aus meiner Sicht zunächst mit einer eG starten. Später könnte man dann weitere Länder mit Genossenschaften versorgen und in die Gesamtsystematik einbinden. Wenn die Kaufleute erfolgreich sind, dann wächst das auch.
one: Abgesehen von den Vorteilen, die das System Genossenschaft mitbringt, wie würden Sie die Kultur der REWE Group aktuell charakterisieren?
Erich Stockhausen: Ich sehe REWE als Familie und als Wertegemeinschaft. Wir haben heute in der Gruppe einen sehr konstruktiven Ansatz. Wir überlegen gemeinsam mit Vorstand, Aufsichtsräten und Betriebsrat, wie wir die Dinge am besten umsetzen können. Das ist eine schöne Situation. Wir sind gut aufgestellt, haben den Rücken frei und können uns weiterentwickeln. Wir haben Akteure im Haus, die schon viele Jahre dabei sind und die einen starken Beitrag leisten zur Gesamtentwicklung. Das finde ich super, und das macht Spaß. Das Ziel des gesamten Tuns ist, dass unsere REWE auch für die nachfolgende Generation eine sichere existentielle Grundlage schafft. Selbstverständlich gilt das auch für alle anderen Konzernbereiche. Auch diese müssen weiterentwickelt werden. Unser Ziel ist es, überall motivierte Mitarbeitende zu haben.
Einer dieser Akteure ist Thomas Nonn. Es gibt wohl niemanden in der REWE Group, der sich so gut mit dem Genossenschaftswesen auskennt wie er. one sprach mit dem Bereichsvorstand Selbstständigkeit und Genossenschaft darüber, welche Erwartungen er an die Etablierung des BILLA-Kaufleutemodells hat.
Thomas Nonn one: Welche Erwartungen haben Sie an die Etablierung des BILLA-Kaufleutemodells in Österreich?
Thomas Nonn: Der Schritt in Österreich, BILLA-Märkte durch selbstständige Kaufleute analog REWE in Deutschland betreiben zu lassen, ist ein großer Schritt für die gesamte BILLA-Organisation. Wir erwarten durch die unternehmerisch agierenden Kaufleute eine noch bessere Performance an den einzelnen Standorten, so wie wir es aus Deutschland seit vielen Jahren als Erfolgsfaktor kennen. Die Selbstständigkeit bei BILLA in Österreich zu etablieren, folgt natürlich auch der REWE-Historie der Förderung von selbstständigen Existenzen, aber vor allem auch der Erwartung einer besseren Standortausschöpfung der BILLA-Märkte durch das unternehmerische Potenzial der Kaufleute.
one: Wie werden die zukünftigen BILLA-Kaufleute ausgebildet? Gibt es eine Akademie, analog zu REWE, oder ist diese in Planung?
Thomas Nonn: Wir können in Österreich von den Erfahrungen in Deutschland profitieren und werden so viele Elemente wie möglich auch in Österreich etablieren. Dazu gehört auch eine entsprechende Ausbildungsstruktur für die Kaufleute, die sich nach und nach entwickeln wird. Bereits für die ersten Kaufleute haben die Kollegen von BILLA solche Strukturen erfolgreich schaffen können und es gibt klare Vorstellungen für deren Entwicklung. Eine fundierte Vorbereitung auf die Selbstständigkeit ist eine der wichtigsten Stellschrauben für eine erfolgreiche Kaufleute-Zukunft.
Mit Thomas Nonn haben wir auch kürzlich darüber gesprochen, warum Genossenschaften heute aktueller sind denn je.
Teil 2 unserer Mini-Serie zum BILLA-Kaufleutemodell erscheint am 25. Januar in one. Darin erläutert Brian Beck, Vorstand des neu geschaffenen Ressorts „Großhandel und Kaufleute“ bei BILLA, welche Ziele er sich für das Kaufleutemodell gesetzt hat und wie er, gemeinsam mit seinem Team, die kaufmännische Tradition weiter in Österreich verbreiten möchte. Außerdem beschreibt der erste BILLA-Kaufmann, Marko Miskovic, welche Vorteile ihm die Selbstständigkeit bietet.