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Pro Planet-Eierprojekt
Schluss mit Schnäbel kürzen
von Stefan Weber
Weiß oder braun? Klein oder groß? Eier scheinen ein einfaches landwirtschaftliches Produkt zu sein. Ein Irrtum. Mit dieser Warengruppe sind viele Herausforderungen verbunden. Das weiß kaum jemand besser als Denise Schwarz. Die 36-Jährige verantwortet bei der REWE Group den Eier-Einkauf. Und sie hat eines der ersten Projekte im Unternehmen  mitangestoßen, das die Verbesserung der Tierhaltung zum Ziel hat: den Betrieb eines Pilotstalls mit 46.000 Legehennen, deren Schnäbel nicht gekürzt wurden. Die Vermarktung der Eier beginnt Mitte November.
Sie sind meist weiß oder braun. Es gibt sie in den Gewichtsklassen S, M, L und sogar XL – für den Fall, dass sie mehr als 73 Gramm auf die Waage bringen. Weiter unterscheiden sie sich nicht, rein äußerlich zumindest: Hühnereier, so scheint es, sind ein recht einfaches landwirtschaftliches Produkt. Wenn man einmal davon absieht, dass ihre Schale sehr zerbrechlich ist, was den Transport erschwert. Mehr als 200 Stück verzehrt jeder Bundesbürger pro Jahr. Unverarbeitet, etwa als Frühstücksei, oder versteckt in Nudeln, Kuchen und anderen Lebensmitteln. Er kauft sie meist im 6er- oder 10er-Pack. Und wie die Verkaufszahlen zeigen, schaut er dabei offensichtlich nicht nur auf den Preis. Er greift gern zu Eiern aus der  Region und ihn interessiert auch, wie die Legehennen leben. Ob in Bodenhaltung oder in der für sie komfortableren Freilandhaltung.
Denise Schwarz
Denise Schwarz, 36, verantwortet bei der REWE Group den Eier-Einkauf.  Sie muss die Ware zu attraktiven Preisen beschaffen, damit die Kollegen in den Märkten zu wettbewerbsfähigen Konditionen verkaufen können. Gleichzeitig möchte sie aber die Dinge nicht aus den Augen verlieren, die für ein Unternehmen wie die REWE Group wichtig sind, um mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit zu überzeugen: Verbesserte Tierhaltung beispielsweise. Oder umweltschonend angebaute Futtermittel  „Nachhaltigkeit kostet Geld“, sagt Christine Denstedt, Funktionsbereichsverantwortliche Grüne Produkte bei der REWE Group. Geld, auf das Einkäuferin Schwarz streng gucken muss. Dieser Gegensatz der Interessen mache ihre Zusammenarbeit manchmal „schwierig“, gestehen beide. Wie man dann doch eine Lösung findet, mit der beide leben können? „Indem wir versuchen, uns Stück für Stück einander anzunähern“, meint Schwarz. Da hilft es, wenn man sich persönlich gut versteht.

Hilfreich ist auch, ein Projekt zu haben, das beiden gleichermaßen wichtig ist. Bei dem sich beide mit Herzblut für die gleiche Sache einsetzen. Wie bei dem Pro Planet-Eierprojekt.

Dunkelblauer einteiliger Schutzanzug, Schuhüberzieher aus kräftigem, durchsichtigen Plastik: Wer den Pilotstall der Eifrisch-Vermarktung im niedersächsischen Lohne betritt, muss strenge Hygiene-Vorschriften beachten. Kaum haben sich Schwarz und Denstedt in die schmucklose Funktionskleidung gezwängt, öffnet Geschäftsführer Manuel Arlinghaus eine Stalltür: Hinter grobmaschigen Gitter wuselt ein Heer braunen Federviehs über den Boden. Oder hockt auf Sitzstangen. Gurrend, gackernd – und ständig in Bewegung. In zwei Ställen sind hier jeweils etwa 46.000 Tiere untergebracht, allesamt in der 20. Lebenswoche. Die Ställe sind mit moderner Technik ausgestattet und unterscheiden sich nur in einem Punkt: In einem wird mit UV-Licht gearbeitet, in dem anderen nicht.
Nur wer etwas versteht von Hühnerhaltung, erkennt, was diese Hennen so besonders macht: Ihre Schnäbel sind nicht gekürzt.
Das ist ungewöhnlich in der Hühnerhaltung. Üblicherweise werden den Tieren die Schnäbel, ihre wichtigste Waffe, in den ersten Lebenstagen gestutzt – aus ökonomischen Gründen. Denn die Hühnerhalter wollen mit möglichst geringem Aufwand dafür sorgen, dass nur wenige Tiere aus der Herde getötet werden. Dabei haben sie die Wahl: Entweder kürzen sie die Schnäbel, was relativ schnell und kostengünstig zu erledigen ist. Oder sie verbessern die Haltung, die Fütterung und das Management. Das wiederum ist sehr kosten- und arbeitsintensiv. Anfangs, so erzählt Schwarz, hätten manche Stallbetreiber und Lieferanten, die Sache verharmlost und erklärt, Schnäbelkürzen sei vergleichbar mit dem Schneiden der Fingernägel bei Menschen.
Professor Roby Andersson ist verärgert, wenn er so etwas hört. Er lehrt an der Hochschule Osnabrück und begleitet den Pilotstall wissenschaftlich: „Die Schnäbel sind das wichtigste Tastorgan der Tiere. Das Kürzen ist extrem schmerzhaft“, betont er. In Lohne versuchen die Hühnerhalter daher Bedingungen zu schaffen, die einen Verzicht auf das Schnäbel kürzen ermöglichen und den Bedürfnissen der Tiere entsprechen. Und sie wollen herausfinden, welche Faktoren negative Entwicklungen in der Herde befördern und frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen. Das kostet Geld. Für mehr  Personal, mehr Futter, mehr Beschäftigungsmaterial wie Picksteine. „Welchen Einfluss das auf die Legeleistung der Tiere hat, wissen wir frühestens in einem Jahr“, sagt Arlinghaus.

Die REWE Group wird diese Eier aus Bodenhaltung unter der Eigenmarke „REWE Regional“ (REWE) beziehungsweise „Heimat schmeckt“ (PENNY) in ganz Niedersachsen vermarkten. Jede Packung ist mit dem Hinweis „Tierhaltung verbessert“  im Rahmen des Pro Planet-Labels versehen. Die Ersteinlistung erfolgt Mitte November. Ob die Verbraucher den Unterschied bemerken? Denstedt weiß, dass das ganze Projekt nur etwas bringt, wenn die Kunden in den Märkten sensibilisiert werden. „Heute weiß ein Großteil der Verbraucher nicht, dass Schnäbel gekürzt werden“, sagt sie. Deshalb sei Aufklärung nötig. Zum Verkaufsstart soll es auf der Internetseite von Pro Planet Hinweise geben. Zudem soll in den ersten drei Monaten in die Eierverpackungen ein Infozettel beigelegt werden.
Wenn Schwarz mit Eierlieferanten und anderen Lebensmittelproduzenten spricht, dann passiert das meist am Telefon oder mitunter auch in Räumen der REWE Group. Viel zu selten aber bei den Firmen vor Ort, wie die Einkäuferin findet. „Dafür fehlt meist die Zeit. Dabei wäre es so wichtig, häufiger bei den Lieferanten vorbeizuschauen.“ Ein Großteil der Eierproduzenten hat seine Betriebe in Niedersachsen. Schwarz’ Schreibtisch steht in der Stolberger Straße in Köln – da wird ein Ortstermin schnell zum Tagesprogramm.  So wie jetzt bei dem Pilotstall von Eifrisch in Lohne.
Christine Denstedt, Funktionsbereichsverantwortliche Grüne Produkte
„Nachhaltigkeit kostet Geld“
Das Pro Planet Eierprojekt
Im Rahmen ihres Pro Planet-Eierprojekts ist es der REWE Group seit längerer Zeit ein Anliegen, dass ihre Lieferanten auf das Schnäbelkürzen verzichten. So muss jeder Pro Planet-Eierlieferant mindestens über einen Versuchsstall mit Tieren verfügen, deren Schnäbel nicht gekappt wurden. Bei ihnen soll ausprobiert werden, welche Haltungsbedingungen notwendig sind, damit trotz des Verzichts auf das Schnäbelkürzen kein Federpicken und in der Folge auch kein Kannibalismus bei den Herden ausbricht. Was bisher noch freiwillig passiert, wird bald gesetzlich vorgeschriebene Pflicht: Christian Meyer, Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz in Niedersachsen, will das Schnäbelkürzen in seinem Bundesland ab Januar 2017 verbieten.
Besondere Bedeutung kommt deshalb dem Pilotprojekt des langjährigen Lieferanten Eifrisch aus dem niedersächsischen Lohne zu. In diesem September wurden 46.000 Legehennen ohne amputierte Schnäbel eingestallt. Die braunen Hennen werden nach wissenschaftlichem Kenntnisstand bedarfsorientiert, nicht kostenoptimiert, in Bodenhaltung aufgezogen. Dazu gehört beispielsweise rohfaserreiches Futter. Das vermittelt den Tieren ein längeres Sättigungsgefühl, führt aber auch dazu, dass sie mehr fressen und trinken. Picksteine, Luzerne und Körner sollen die Hennen zwischen Eiablage und Schlafen beschäftigen - damit sie nicht aus Langeweile anfangen, Artgenossen zu picken.

Der Stall ist mit moderner Technik ausgestattet. Klima- und Lichtveränderungen werden digital erfasst und ermöglichen eine rasche Reaktion, wenn es beispielsweise zu Unruhe in der Herde kommt. Mitarbeiter der Hochschule Osnabrück und der Tierärztlichen Hochschule Hannover begleiten die Tiere bereits seit sie aus dem Ei geschlüpft sind. "Zentrales Ziel des Projekts mit Tieren, deren Schnäbel nicht amputiert werden, ist es, die Verhaltensstörungen Federpicken und Kannibalismus zu verhindern oder zumindest zu verringern", erläutert Projektleiter Professor Robby Andersson von der Hochschule Osnabrück. Dazu soll eine Liste von Risiken und der erfolgreichen Maßnahmen identifiziert werden. Das Projekt wird vom Land Niedersachsen finanziell gefördert.
Ralf Happe trägt seit Juli 2010 als Category Manager die Verantwortung für Mopro (weiß), Butter, Fette und Eier im Bereich des REWE Vollsortimentes.
Ralf Happe
Was verbinden Sie mit dem Begriff Nachhaltigkeit und wie lässt sich ein nachhaltiges Sortiment gestalten?
Nachhaltigkeit bedeutet für mich verantwortungsvolles und zukunftsgerichtetes Handeln im Sinne der Gemeinschaft. Im Bereich der Molkereiprodukte und Eier gibt es aufgrund des hohen Handelsmarkenanteils viele Ansätze, diesem Grundsatz gerecht zu werden. Einige davon sind vereint in der Handelsmarke REWE Bio.  Ein wichtigstes Kriterium für Nachhaltigkeit in der weißen Linie ist die Verarbeitung GVO-freier Milch, so dass unsere Produkte mit einem Pro Planet-Label versehen werden können. Daneben sind wir dabei, die Kakaorichtlinie der REWE Group umzusetzen. Durch die Unterstützung des Strategischen Einkaufs ist es uns gelungen, alle REWE BW Eier mit dem Pro Planet-Label auszustatten. Bei ausländischen Produzenten achten wir darauf, dass auch dort ausschließlich Eier aus Bodenhaltung bzw. Freilandhaltung für unsere Handelsmarken verarbeitet werden.
Das Eier-Pilotprojekt birgt Risiken - für den Lieferanten, aber auch für die REWEGroup. Warum sind Sie dieses Risiko eingegangen?
Grundsätzlich ja, jedoch bin ich in diesem Falle sehr optimistisch, dass alle relevanten Kriterien zur Nachhaltigkeit ( Fütterung, Tier wohl, Regionalität ) eingehalten werden. Es handelt sich hier um ein besonderes Forschungsprojekt der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Zusammenarbeit mit vielen Organisationen. Wie schafft man es, den Verbraucher für das Problem des Schnabelkürzens zu sensibilisieren?
Dies gelingt am besten über Aufklärung und Kommunikation in diversen Medien sowie über die Kommunikation vor Ort am Point of Sale mit einem Aufsteller oder einer Verkaufsverpackung mit Beipackzettel und Hintergrundinformationen nach dem Motto: „Tue Gutes und sprich darüber“.
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