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Hans-Jürgen Moog
„Ich mag keine selbst auferlegten Denkverbote“
von Ines Schurin

Mit Hans-Jürgen Moog ist seit Jahresbeginn ein Vorstand für Ware und Einkauf in das oberste Gremium eingezogen. one sprach mit ihm über Tabus, Kund:innenwünsche und welche Rolle Daten heute im Einkauf spielen. 

one: Herr Moog, seit dem ersten Januar sind Sie und fünf Kolleg:innen mit Lionel Souque als CEO der neue REWE Group-Vorstand. Gerade der Einkauf, den Sie ja jetzt gruppenübergreifend verantworten, hat in den vergangenen drei Jahren herausfordernde Zeiten erlebt und es sieht nicht nach Entspannung aus.  Wie beurteilen Sie die Lage vor diesem Hintergrund? 

Hans-Jürgen Moog: Die Themen sind ja in aller Munde, dazu wurde auch schon viel gesagt. Die Lieferketten bleiben angespannt, die Preisverhandlungen anspruchsvoll, die hohe Inflation erschwert uns den Alltag auf nie dagewesene Weise. Zum Glück gibt es aber auch vermehrt Anzeichen, die auf Entspannung hinweisen: bei den Preisen zum Beispiel aktuell bei Butter und Kaffee. Alles in allem bleibt die Anspannung aber hoch. Während der Coronapandemie haben tatsächlich alle in der Wertschöpfungskette an einem Strang gezogen und versucht, die Krise gemeinsam zu meistern. Jetzt habe ich eher den Eindruck, wir sitzen alle in einem Boot, aber jeder rudert in eine andere Richtung. Dafür haben wir absolut kein Verständnis. Und es macht unsere Arbeit als Einkaufsorganisation nicht gerade leichter.  Zumal wir ja – und das ist mir wirklich wichtig – unsere strategischen Ambitionen weiterhin nach vorne bringen wollen: Wir wollen der Landwirtschaft ein verlässlicher Partner sein, frühzeitig Trends im Sortiment abbilden, Innovationen anbieten, Regionalität ausbauen, Tierwohl und Nachhaltigkeit fördern, unsere Eigenmarken gezielt und geschickt ausbauen, Top-Qualität bieten bei gleichzeitig bestem Preis-Leistungs-Verhältnis und vieles mehr.  Dafür braucht es natürlich eine extrem leistungsfähige, mutige, widerstandsfähige und schlagkräftige Warenorganisation für die gesamte REWE Group. 

„Wir müssen standardisieren was geht, um schneller und effizienter zu werden, um damit vor allem Raum und Energie zu schaffen für die Entwicklung von Neuem.“
Hans-Jürgen Moog

one: Was trägt Ihre neue Funktion auf Gruppenebene dazu bei?  

Hans-Jürgen Moog:
Es geht da weniger um meine Funktion, als vielmehr um das gruppenübergreifend gemeinsame Verständnis, wie wir Einkauf leben und weiterentwickeln. Wir können uns jetzt noch besser abstimmen, unseren Spirit stärken. Wir verständigen uns darauf, wie wir Einkauf gemeinsam denken, welche Strategien wir anwenden, welche Taktiken wir wählen, wie wir treibend und gleichzeitig kreativ wirken können. Wissen Sie, ich mag keine unambitionierte Mittelmäßigkeit und auch keine selbst auferlegten Denkverbote.  Was wir stattdessen brauchen, ist ehrlicher Gestaltungswille gepaart mit Mut und einer konsequenten Professionalität. Um dem Rechnung tragen zu können, also alte Muster und Tabus loszulassen, brauchen wir mehr Austausch und frische Ideen. Wir müssen standardisieren, was geht, um schneller und effizienter zu werden, um damit vor allem Raum und Energie zu schaffen für die Entwicklung von Neuem. Mit dem gestärkten Ware-Steuerungskreis (WIN Board) können wir uns nun zum Beispiel auch international noch besser abstimmen, mehr von anderen Märkten lernen und das dann gemeinsam übergeordnet oder auch individuell anwenden. Letztlich stehe ich in meiner Funktion dafür ein, dass wir unsere Kund:innen bei allem, was wir tun, in den Mittelpunkt stellen und so am besten einkaufen. Kurz: Wir bringen die beste Leistung für Kund:innen, Kaufleute und Mitarbeitende. 

one: ´Die Kund:innen im Mittelpunkt´ klingt immer etwas nach Schlagwort, was bedeutet das denn konkret im Einkauf, also in der Alltagsarbeit?  

Hans-Jürgen Moog:
Na ja, unterm Strich bedeutet es, dass wir erstmal alles von den Kund:innen her denken. Da geht es um Fragen wie: Welche Anforderungen haben die Menschen in ihrem Alltag, welchen Lebensstil pflegen sie, worauf legen sie Wert, welche gesellschaftlichen Haltungen sind ihnen wichtig. Ein Beispiel: Wir sind mit REWE heute Marktführer bei vegan und vegetarisch. Für diesen Fokus hat man uns oft belächelt. Fakt ist jedoch, der Fleischkonsum nimmt bereits seit längerer Zeit ab, immer mehr Menschen ernähren sich zumindest teilweise vegan oder vegetarisch. Angesichts der Bedeutung, die der Klimawandel auf der Liste der großen Sorgen einnimmt, ist davon auszugehen, dass immer mehr Menschen diese Entscheidung für sich treffen werden. Wir haben das früh genug beobachtet und verstanden und schon vor vielen Jahren entschieden, da aktiv zu werden. Heute stehen wir nicht erst am Anfang, für uns ist das bereits jetzt eine Positionierung, die unsere Marke und Reputation stärkt – und damit auch unser Geschäft. Da brauchen wir jetzt nicht hektisch erste Schritte als Strategie vermarkten, wir treten ja schon mit einem breiten Sortiment und viel Know-How am Markt an. Denn wir bauen – im Gegensatz zu anderen, die sich jetzt auf die Schnelle zu behaupten versuchen – auf langjähriger Erfahrung und etablierter Grundüberzeugung auf. So etwas geht aber natürlich nicht nur aus dem Bauch heraus oder aufgrund von Einzelgesprächen mit Nachbar:innen und Freund:innen – da stehen zahlenbasierte Fakten hinter den Entscheidungen, die wir treffen. 

„Wir müssen die hohe Klaviatur der Marktforschung beherrschen, aus allen Quellen lernen: das Kaufverhalten und internationale Märkte verstehen, Marktbesuche machen, mit den Kaufleuten sprechen, in den persönlichen Austausch gehen und Zahlen lesen und interpretieren können.“
Hans-Jürgen Moog

one: Um den Einkauf ranken sich ja jede Menge Mythen – da gibt es Geschichten von knallharten Tricks und fiesen Verhandlungen. Wie sieht die Realität aus?  

Hans-Jürgen Moog:
Natürlich ist das ein sehr fokussiertes Geschäft, aber das bedeutet nicht, dass man es nicht partnerschaftlich, verlässlich, verbindlich und mit Stil leben kann. Auch Wertschätzung und Respekt sind inbegriffen. Am Ende arbeiten doch auf beiden Seiten gut ausgebildete Profis, die ihre jeweiligen strategischen und taktischen Ziele verfolgen und darüber miteinander verhandeln. Aber natürlich hat sich auch der Einkauf weiterentwickelt und entspricht nicht mehr dem, was man sich gemeinhin so vorstellt. Wir müssen die hohe Klaviatur der Marktforschung beherrschen, aus allen Quellen lernen: das Kaufverhalten und internationale Märkte verstehen, Marktbesuche machen, mit den Kaufleuten sprechen, in den persönlichen Austausch gehen und Zahlen lesen und interpretieren können und das dann in die richtigen Sortimente, Preise und Co. übersetzen.  Letztlich also diese Zahlen, Daten und Informationen mit den Mitteln der Digitalisierung in optimalen Einklang bringen, um effizient zu arbeiten und die höchstmögliche Trefferquote bei der Erfüllung von Kundenbedürfnissen zu erzielen – womit wir wieder beim Grundprinzip Kund:in wären.  

one: Was bedeutet denn Digitalisierung im Einkauf? Wenn ich mich in Ihrem Büro umsehe, würde ich sagen, papierlos arbeiten ist ein Teil davon – was noch? 

Hans-Jürgen Moog:
Ja natürlich, das ist richtig, aber nicht nur weil Papier nicht nachhaltig ist und unnötig Platz einnimmt, sondern vor allem weil wir so einfach effizienter, schneller, flexibler sind.  Digitalisierung hilft uns vor allem, den oben formulierten Anspruch einzulösen. Früher im Tante-Emma-Laden, mit seinem überschaubaren Sortiment, wusste man genau, welche Vorlieben die eigenen Stammkunden haben. Die wurden dann eingekauft und angeboten. Heute mit unserem ungleich vielfältigeren Sortiment brauchen wir dazu unbedingt Daten und Menschen, die diese Daten richtig interpretieren, Abweichungen und Trends erkennen und diese in die richtigen Strategien übersetzen. Da ist es als Führungskraft wesentlich, sichtbar zu machen, dass man auch selbst so arbeitet. Insofern hat ein papierloses Büro Symbolkraft. Das hat ja immer auch Vorbildwirkung. Wenn ich Modernität, Offenheit und Treibermentalität erwarte, dann muss ich das auch selbst leben – langer Atem und Durchhaltevermögen inbegriffen. 

one: Wie führt man denn so eine „neue“ Einkaufsorganisation? 

Hans-Jürgen Moog:
Führung hat sich in den letzten Jahren sehr verändert – nicht nur, aber gerade auch im Einkauf. Was gleichgeblieben ist: Wir müssen Ergebnisse bringen und unsere Ziele erreichen. Der Weg dorthin ist aber heute ein ganz anderer: Wir müssen schneller sein, und das braucht mehr Nähe, Nahbarkeit, Transparenz. Wir müssen zulassen, dass Teams sich eher selbst führen und wir ihnen dabei beratend und begleitend zur Seite stehen. Daher muss man heute auch Führung anders denken und leben. Das fordert einen als Führungskraft auch. Es ist ja schnell gesagt, dass es zum Beispiel für eine mutige Organisation unabdingbar ist, eine gute Fehlerkultur zu leben. Dazu müssen wir aber auch anders denken, anders an Dinge herangehen, Haltungen und Mindsets anpassen – die eigenen ebenso wie die der Teams. Das braucht Zeit, Konzentration und Konsequenz. Wir wollen Talente fördern und gleichzeitig das Wissen und die Erfahrung von langjährigen Kolleg:innen nutzen. Dazu müssen wir miteinander an unserer Kultur arbeiten. Sonst wird das nichts, das kann man nicht einfach so verfügen. 

„Ich bin für meine Kolleg:innen nicht mehr Herr Moog, sondern Hans-Jürgen. Und wir waren positiv überrascht, was das mit einer Organisation macht: Es erzeugt natürlich mehr Nähe, aber es macht uns auch sofort schneller.“
Hans-Jürgen Moog

one: Wie dürfen wir uns das konkret vorstellen? Haben Sie da vielleicht ein konkretes Beispiel für uns? 

Hans-Jürgen Moog:
Wir haben zum Beispiel aus unserem Nachwuchsprogramm für junge Mitarbeitende – dem Senior Excellence Programm – den Vorschlag bekommen, eine „Du-Kultur“ einzuführen. Das wäre vor einigen Jahren im Einkauf noch völlig undenkbar gewesen. Wir haben das aufgenommen, unsere Mitarbeitenden befragt – 80 Prozent waren dafür – und haben das dann sofort allen angeboten. Somit bin ich für meine Kolleg:innen nicht mehr Herr Moog, sondern Hans-Jürgen. Und wir waren positiv überrascht, was das mit einer Organisation macht: Es erzeugt natürlich mehr Nähe, das liegt auf der Hand, aber es macht uns auch sofort schneller. Wir müssen uns also laufend in vielen – auch ganz einfachen – Punkten hinterfragen, um uns weiterzuentwickeln. Nur so können wir dann auch unsere Ziele erreichen.
Letzlich geht es ja um die gemeinsam erzielten Ergebnisse. Ich lege großen Wert darauf, dass wir im Einkauf strategisch und systematisch vorgehen, klare Ziele vor Augen haben, und diese dann auch konsequent zu erreichen suchen. Aber mir ist ebenso wichtig, dass wir das mit einem kollegialen und wertschätzenden Führungsstil schaffen – mit Verbindlichkeit in den Aussagen. Mit Nähe, Offenheit, Transparenz und vor allem Spaß an der und Begeisterung für die gemeinsame Sache und das große Ganze.

one: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Folge 3

„Offen gesagt“ – der Talk mit dem Vorstand

Im Januar hat unser neu formierter Vorstand die Steuerung der REWE Group in anhaltend bewegten Zeiten übernommen. Mit welcher Strategie er dabei ans Werk geht, was es in der Zusammenarbeit braucht und wie wir bei allen Herausforderungen wettbewerbsfähig bleiben, darüber hat Ines Schurin, Leiterin Unternehmenskommunikation, mit den Vorständ:innen im neuen Videoformat „Offen gesagt“ bei einem Heißgetränk ihrer Wahl gesprochen.

Und das ist die letzte Folge:

  • 22. März Telerik Schischmanow, Vorstand Finanzen

Alle bereits erschienen Folgen von "Offen gesagt" sind jetzt in der one_Mediathek abrufbar.

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