Wenn es darum geht, Mitarbeitende für seinen Markt zu finden, steht REWE-Kaufmann Tim-Marlo Kaiser am Standort Wolfsburg vor einer besonderen Herausforderung: Er muss sich der Konkurrenz von Volkswagen stellen. Der Autohersteller ist in der Region ein gefragter Arbeitgeber. Um dennoch Verstärkung für sein Team zu finden, entschied sich Kaiser im Recruiting für einen neuen Weg. Im Rahmen des Projekts Teilqualifizierung stellte er im Juni 2021 Azuka Philip Ndihika ein, einen gelernten Banker aus Nigeria. Heute leitet der 49-Jährige die Obst- und Gemüseabteilung des Marktes mit zwei Mitarbeitenden.
one: Herr Kaiser, Herr Ndihika, wie haben Sie zueinander gefunden?
Tim-Marlo Kaiser: Das Recruiting Center hat den Kontakt hergestellt und einen Kennenlern-Termin arrangiert. Nach dem Gespräch hatte ich einen sehr guten Eindruck und war mir sicher, dass Herr Ndihika gut in unser Team passen würde. Überzeugt hat mich vor allem seine Verbindlichkeit, sein Selbstbewusstsein und auch seine Lebenserfahrung.
Azuka Philip Ndihika: REWE kannte ich zuvor nur als Kunde. Aber in dem Gespräch habe ich rasch gemerkt, dass eine Teilqualifizierung zum Verkäufer eine interessante Berufsalternative für mich sein könnte. Ich arbeite gerne mit Menschen. Das hat mir schon in meinem gelernten Beruf als Banker besonders gefallen.
one: Welche beruflichen Erfahrungen hatten Sie zuvor in Deutschland gesammelt, Herr Ndihika?
Azuka Philip Ndihika: In Deutschland Fuß zu fassen, war für mich nicht leicht. Ich bin 2005 alleine aus Nigeria hierher gekommen. Die größte Herausforderung war, die Sprache zu lernen. Ich habe dann verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, zunächst in Braunschweig bei einem Tochterunternehmen von Volkswagen, später bei der Volksbank in Wolfsburg. Aber das war alles nicht von Dauer. Bei REWE habe ich eine Aufgabe gefunden, die mir wirklich Spaß macht. Und vor allem habe durch die Schule und die Kolleg:innen im Markt die notwendige Unterstützung, um mich noch besser zu integrieren.
one: Wie haben Sie Ihren neuen Mitarbeiter ins Team eingebunden, Herr Kaiser?
Tim-Marlo Kaiser: Wir sind ganz bewusst mit nur 18 Wochenstunden gestartet. Das machte es leichter, sich in einem neuen Umfeld zurechtzufinden und die Doppelbelastung mit der Ausbildung zu stemmen. Bei der Arbeit im Markt hat sich dann sehr schnell gezeigt, dass Herr Ndihika besonderes Interesse an der Warengruppe Obst und Gemüse hat und so hat er dort seinen Platz gefunden. Heute arbeitet er 45 Stunden in der Woche, koordiniert die Arbeit von zwei Mitarbeitenden in der Abteilung und würde gerne noch mehr Stunden arbeiten, wenn das möglich wäre…..
Azuka Philip Ndihika: Ich wohne nicht weit entfernt, bin morgens zu Fuß in zehn Minuten im Markt und arbeite einfach gerne. Immer Frühschicht – das geht nicht anders, wenn man Verantwortung für Obst und Gemüse hat, das morgens frisch angeliefert wird. Aber ich möchte es auch gar nicht anders haben.
one: Was sind oder waren für Sie die größten Herausforderungen, sich in einem neuen beruflichen Umfeld zurecht zu finden, Herr Ndihika?
Azuka Philip Ndihika: Eindeutig die Sprache! Alles andere ist kein Problem. Inzwischen klappt es ganz gut; zwischendurch wechsele ich auch schon einmal zu Englisch. Aber ich bleibe dran, will meine deutschen Sprachkenntnisse weiter verbessern.
one: Herr Kaiser, haben Sie Hürden gesehen, an denen Ihr Mitarbeiter scheitern könnte? Er hatte keine Branchenkenntnisse und war anfangs sprachlich nicht so fit, um Gespräche mit Kunden zu führen. Zudem haben nicht alle so viel Biss, mit Ende 40 noch einmal eine Ausbildung zu absolvieren.
Tim-Marlo Kaiser: Die Erfahrung mit Herrn Ndihika hat mich gelehrt, solche Vorurteile über Bord zu werfen. Seine Persönlichkeit hat mich bereits im Bewerbungsgespräch überzeugt; ich hatte bei der Einstellung ein gutes Bauchgefühl. Dazu kommt, dass sich unser Markt-Team ohnehin durch große Vielfalt auszeichnet. Wir sind 50 zum Teil sehr individuelle Persönlichkeiten unterschiedlicher Nationen. Dort hat sich Herr Ndihika bestens integriert.
one: Was schätzen Sie an ihm besonders?
Tim-Marlo Kaiser: Seine Leidenschaft für die Warengruppe, sein hohes Verantwortungsbewusstsein und die Ruhe, mit der er seine Aufgaben erledigt. Herr Ndihika ist ein Glücksfall für meinen Markt. Möglicherweise wird er sich weiter qualifizieren und auch einen IHK-Abschluss zum Verkäufer machen. Ich kann jedem Kaufmann und jeder Kauffrau mit Personalproblemen empfehlen, bei Bewerbungen Kandidaten aus dem Projekt Teilqualifizierung zu berücksichtigen.
one: Herr Ndihika, gibt es etwas, was REWE aus Ihrer Sicht besser machen könnte?
Azuka Philip Ndihika: Ja, Obst aus meiner Heimat Nigeria verkaufen! Erdnüsse zum Beispiel. Ich fliege mindestens einmal im Jahr nach Hause zu meiner Familie und bringe den Kolleg:innen jedesmal Erdnüsse mit. Sie sagen, so etwas Leckeres hätten sie noch nicht gegessen.
Zurück ins Arbeitsleben
Der Fachkräftemangel schlägt sich in sinkenden Bewerberzahlen nieder. Gleichzeitig gibt es rund 1.5 Millionen Personen, die arbeitslos und geringqualifiziert sind, die also über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Ein Pilotprojekt des Recruiting Centers setzt genau hier an: Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit, den lokalen Jobcentern und Bildungspartnern werden Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte im Rahmen einer Teilqualifizierung (TQ) für Verkaufs-Tätigkeiten in REWE und PENNY-Märkten ausgebildet.
Wir wollten von Projektteilnehmer:innen wissen, wie das Projekt ihnen geholfen hat, ins Arbeitsleben zurückzufinden. Wir haben Kaufleute, Bezirksleiter:innen, Marktmanager:innen und HR-Partner:innen gefragt, wie es ihnen vor Ort hilft, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Mitarbeitende der Bundesagentur für Arbeit und der Bildungsträger erklären, wie sie das Projekt betreuen.
Seit rund einem Jahr arbeitet Steven Köhler im Markt von Marius Gläß. Steven Köhler hat keinen Ausbildungsabschluss und war rund sechs Jahre arbeitslos. Der REWE-Marktmanager Gläß unterstützt das Projekt Teilqualifizierung nicht nur, weil er findet, dass Menschen, die keinen geraden Lebenslauf haben, eine zweite Chance verdienen. Hier geht's zum Artikel.