Vor einem Jahr startete REWE eine exklusive Kooperation mit dem Start-up share, das soziale Lebensmittel herstellt. Share-Gründer Sebastian Stricker und REWE-Manager Walter Steffens erklären im one_Interview, warum die Listung nicht ohne Risiko war, was ein Start-up und ein etabliertes Handelsunternehmen voneinander lernen können – und warum Glück für Dritte manchmal wichtiger als hohe Margen ist.
one: Als Sie vor einem Jahr gestartet sind, waren die share-Produkte schon am ersten Tag in 5.000 REWE- und dm-Filialen zu finden. Wie haben Sie es als Start-up so schnell in die Regale großer Händler geschafft?
Sebastian Stricker, share-Gründer
Sebastian Stricker: Ich habe vor mehr als drei Jahren bei einem REWE-Workshop über ein vorheriges Projekt gesprochen – ShareTheMeal, eine Spenden-App, mit der man Mahlzeiten mit Bedürftigen teilen kann. Dort habe ich einige REWE-Manager kennengelernt, die mich ermutigt haben, das Prinzip des Teilens auch für den Lebensmittelhandel zu etablieren. Dann hatte ich das Glück, dass ich Lionel Souque treffen konnte, der unsere Idee, die auf sozialem Zusammenhalt basiert, unterstützt hat. Zusammen mit Herrn Steffens haben wir dann entschieden, das gemeinsam zu versuchen.
Walter Steffens: Uns hat vor allem die klare Spendenmechanik mit dem 1+1-Prinzip überzeugt: Für jeden verkauften Artikel wird ein gleichwertiges Produkt an einen bedürftigen Menschen verteilt. Ganz wichtig war mir auch, dass der Kunde das über das Tracking transparent nachvollziehen kann. Wir sind sehr offen an das Thema herangegangen, haben aber zugleich kritisch hinterfragt, ob wir so ein neuartiges Konzept auf der Fläche umsetzen können.
one: Es ist ja ein gewisses Risiko, für ein komplett neues Produktkonzept Regalmeter zur Verfügung zu stellen.
Walter Steffens: Natürlich. Gerade im Markengeschäft gibt es eine starke Konkurrenz. Schauen Sie sich Mineralwasser an: Bei etablierten Marken wissen wir recht genau, welche Umsätze zu erwarten sind. Aber wir waren von der share-Idee so überzeugt, dass wir uns entschieden haben, dem Unternehmen einen Vertrauensvorschuss zu geben. Zumindest den Versuch wollten wir wagen, auch wenn das Mut erfordert. Das share-Wasser muss sich ja dem Wettbewerb mit den etablierten Markenwassern stellen, denn der Verkaufspreis ist auf Marken-Niveau angesiedelt. Aber diesen Preis bezahlen die Kunden bewusst, weil sie damit etwas Gutes tun. Und wir als REWE sehen uns auch in der Pflicht, unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.
one: Herr Stricker, hat Sie diese Offenheit von einem großen Händler wie REWE überrascht?
Sebastian Stricker: Wir haben unsere Chance gesehen, weil immer mehr Menschen beim Konsum gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen. Gleichwohl hatten wir keine Garantie, dass wir einen Partner wie REWE überzeugen können, auch wenn wir selbst immer überzeugt waren, dass unser Konzept betriebswirtschaftlich funktionieren kann. Letztlich ist das auch eine ideelle Frage: Wie interpretiere ich Wirtschaft? Und REWE hat hier eben auch den gesellschaftlichen Mehrwert gesehen.
Walter Steffens: share hat einen ganz besonderen USP, der die Produkte einzigartig macht. Wir generieren statt hoher Margen Glück für Dritte.
Walter Steffens, Bereichsleiter Ware Vollsortiment Getränke
one: Wie sieht ihre Zwischenbilanz nach einem Jahr share bei REWE aus?
Walter Steffens: Die Absatzentwicklung steht und fällt mit der Sichtbarkeit. Der Riegel zum Beispiel ist ein Impulsartikel. Liegt er an der Kasse, greifen die Menschen zu. Im Regal wird das schon schwieriger. Beim Wasser haben wir sehr stabile Absätze, die wir aber mit Zweitplatzierungen oder Displays erhöhen können. Das Resümee: Die Artikel müssen sich behaupten, keine Frage. Aber wenn das so weiterläuft wie bisher, wollen wir unserer Verantwortung weiter gerecht werden, auch wenn wir auf dem Artikelplatz etwas Marge einbüßen.
Sebastian Stricker: Unser Resümee ist insgesamt sehr positiv. Vor zwei Jahren sind wir mit einem weißen Blatt Papier und einer großen Idee gestartet. Heute kauft in Deutschland alle zwei Sekunden jemand ein share-Produkt und trifft damit eine bewusste Entscheidung, sozial zu konsumieren. Das ist für uns Ansporn, unbedingt weiterzumachen. Wir haben 51 Brunnen gebaut oder repariert, die für die Menschen einen echten Unterschied machen. Wir haben über zwei Millionen Mahlzeiten finanziert, über 500.000 Seifen. Das wäre alles nicht passiert, wenn wir uns nicht als Partner zusammengetan hätten. Ich finde, darauf kann man stolz sein. Jetzt ist es an uns, uns weiter zu professionalisieren.
one: Wo sehen Sie noch Entwicklungsbedarf?
Sebastian Stricker: Eine große Lernerfahrung ist aus dem ersten Jahr ist, dass wir unseren USP noch besser kommunizieren müssen: Dass der Kunde beim Kauf von share-Produkten sozial verantwortlich konsumiert und sein Glück mit einem anderen teilt. Das gelingt uns zwar immer besser, aber wir wollen gegenüber Kunden, Kaufleuten, Marktleitern und REWE-Mitarbeitern stärker transparent machen, was wir gemeinsam geschafft haben und wofür share steht. Das Feedback bekomme ich, wenn ich in den Märkten unterwegs bin. Zugleich erfahre ich unglaublich viel Unterstützung für unsere Idee.
one: Wie wollen Sie die share-Idee noch bekannter machen?
Sebastian Stricker: Ein zentraler Weg ist die Produktverpackung. Aber wir haben gelernt, dass die Kommunikation am Point-of-Sale der mit Abstand wichtigste und effektivste Weg ist. Dazu wollen wir die Mitarbeiter noch stärker ins Boot holen. Ich spüre immer wieder, dass es für alle wahnsinnig motivierend ist, wenn wir etwa davon berichten, wie viele Brunnen wir bereits gemeinsam gebaut haben. Und dieses Jahr können wir endlich mit Fernsehwerbung starten und damit auch die breite Öffentlichkeit in Deutschland mit unserer Idee bekannt machen.
Walter Steffens: Bei dem Thema Kommunikation am Point-of-Sale bin ich ganz bei Ihnen, Herr Stricker. Nach einem Jahr muss man den Kollegen in den Märkten aber ein großes Kompliment machen. Wir haben damals aus dem Stand eine komplette nationale Zuteilung der Erstmenge durchgeführt. Das ist nicht selbstverständlich und dass die Regionen und Kaufleute das mitgetragen haben, verdient größten Respekt.
one: Gibt es schon konkrete Pläne für neue Produkte?
Sebastian Stricker: Ja, und die sind daraus entstanden, dass wir das Beste aus den Welten des großen Handelskonzerns und der des Start-ups zusammengebracht haben. Wir haben unsere Stärke darin, frisch und unkonventionell an die Themen heranzugehen, REWE hat erfahrene Handelsmanager wie Herrn Steffens, die wissen, wie man neue Produkte erfolgreich entwickelt. Das Ergebnis sind ein neuer Schoko-Meersalz-Riegel, Tafel-Schokolade und Studentenfutter, die man jetzt schon bei REWE kaufen kann. Ende Mai werden wir das Getränke-Portfolio um Mineralwasser mit natürlichen Fruchtextrakten erweitern. Im Hygiene-Bereich sind Stückseife, eine Seife-Nachfüllpackung und ein Duschgel dazugekommen. Ab Sommer gibt es auch eine share-Zahnbürste aus Bambus. Jedes neue Produkt hilft uns natürlich enorm bei der Sichtbarkeit auf der Fläche, muss sich aber eben auch als geeigneter Artikel für den Supermarkt beweisen.
one: Bleibt share im Lebensmittelhandel exklusiv bei REWE?
Sebastian Stricker: Ich lehne tatsächlich immer wieder Anfragen anderer Händler ab, denn wir haben mit REWE einen Partner, der bereit ist, einem Projekt über die Start-Phase hinweg zu helfen. So ein Start kostet üblicherweise viel Geld, ist mit Risiken behaftet und erfordert ein hohes Investment – nicht nur finanziell, sondern vor allem auch im persönlichen Einsatz der gesamten Mannschaft. Wenn man so ein Projekt partnerschaftlich entwickelt, ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir auch die Nutzen-Überlegungen für REWE sehen und berücksichtigen. Das ist nicht nur eine Management-Überlegung, sondern auch eine Frage der Loyalität. Klar ist aber auch: Wenn wir es ernst meinen mit share, müssen wir irgendwann auch eine Diskussion darüber führen, wie wir mit unserer Idee noch mehr Menschen erreichen können. Das kann über eine Öffnung für andere Händler passieren – oder auch über einen weiteren Ausbau der Zusammenarbeit mit REWE.
one: Wenn Sie in einem Jahr auf die Kooperation schauen – was muss dann passiert sein, damit es ein gutes zweites Jahr war?
Walter Steffens: Das zweite Jahr ist immer das schwerste, wir müssen hellwach bleiben, aber ich bin da guter Dinge. Wenn wir dann sagen können, es war ein hartes zweites Jahr, aber wir haben die Marke etabliert und die Kunden wissen, dass sie mit dem Kauf eines share-Produktes etwas Gutes getan haben, bin ich zufrieden.
Sebastian Stricker: Wir müssen konsequent einen Schritt nach dem anderen machen und die Zusammenarbeit immer weiter optimieren. Meine Wunschvorstellung wäre, dass jeder Kaufmann, jeder Marktleiter, jeder Mitarbeiter weiß, was wir gemeinsam erreicht haben. Und dass wir darauf gemeinsam stolz sind.