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13.11.2019
Wie es zur REWE kam und warum
Es begann mit einem Fehlstart
13.11.2019
Junge Genossenschaften
Trink, Genosse!
ArticleId: 2482magazineWir, die Mitarbeitenden der REWE Group, verdanken unseren Job der Bauernbefreiung vor rund 200 Jahren. Das ist die Kurzversion. Etwas ausführlicher lesen Sie es hier in vier Kapiteln.https://one.rewe-group.com/fileadmin/_processed_/4/2/csm__one_teaser_standard_0fc572da3d.jpgKredite, Kartoffeln, KarnevalGeschichte der Genossenschaft
Geschichte der Genossenschaften
Kredite, Kartoffeln, Karneval
von Bettina Rees

Wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der REWE Group, verdanken unseren Job der Bauernbefreiung vor rund 200 Jahren. Das ist die Kurzversion. Etwas ausführlicher lesen Sie es hier in vier Kapiteln.

Die Ursprünge: Befreite Bauern, hoffnungslose Handwerker, ausgebeutete Arbeiter

Am Anfang war die Befreiung der Bauern aus der Gutsherrenabhängigkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Freude über die Freiheit währte indes nur kurz. Denn statt Vieh, Holz oder Getreide, verlangten die einstigen Herren von den freien Bauern nun Geld für die eine Hälfte der genutzten Felder und Wälder – und nahmen ihnen die andere Hälfte einfach weg . Missernten und „Kredithaie“ taten ihr übriges: Viele Bauern verließen ihr Land und suchten ihr Glück in den rasch wachsenden Städten. Dort trafen sie auf kleine Handwerker und Gewerbetreibende, deren Tischlerei, Weberei oder Schneiderei in die Knie gegangen war vor dem übermächtigen Schatten, den die industrielle Revolution an die dünnen Wände der Mietskasernen warf. Mit gigantischen mechanischen Webstühlen und Dampfmaschinen, mit Verbrennungsmotoren und Eisenbahnen, ausbeuterischen Arbeitsverträgen und Aktiengesellschaften veränderte die industrielle Revolution die Welt mindestens so sehr wie etwa 200 Jahre später die digitale Revolution. Sie machte nur mehr Krach dabei.

Die Industrialisierung gebar Gewinner und Verlierer. Für ihre Verlierer sorgte sie schlecht. Der Hunger der ungelernten, unterbezahlten Arbeiter wurde zum Motor für die erste Genossenschaftsgründung in England:


Faire Ware statt Mehl mit Gips: Konsumvereine für Englands Arme

Europaweit schlossen sich Arbeiter zu Parteien und Gewerkschaften zusammen, um Lösungen für die als „soziale Frage“ bekanntgewordenen Missstände zu finden. Auch die Genossenschaft der „redlichen Pioniere von Rochdale“ gehörte dazu: 1844 gründeten 28 Weber in Nordengland den ersten Konsumverein als Reaktion auf die örtlichen Krämer, die die Notlage der Arbeiter mit verfälschten Lebensmitteln ausnutzten: Sie streckten Mehl mit Gips und Milch mit Wasser und manipulierten die Waagen.

Quelle Wikipedia: Die ehrbaren Pioniere von Rochdale

Mit unverfälschter Ware, geeichten Waagen und dem Leitsatz der Selbsthilfe eröffneten die redlichen Pioniere ihren ersten Laden. Den Spöttern verging das Lachen schnell: 20 Jahre nach der Gründung in Rochdale gab es in ganz England und Schottland bereits 600 solcher Konsumgenossenschaften.

„Brodverein“ und Volksbankvorläufer - Die Geburtshelfer der Genossenschaften

Quelle Wikipedia: Friedrich Wilhelm-Raiffeisen
Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat seine Heimat nie verlassen. Dennoch gründete der Westerwälder Bürgermeister nur zwei Jahre nach den redlichen Engländern den „Weyerbuscher Brodverein“ zur Unterstützung der notleidenden Bauern, nachdem im August 1846 in Deutschland Schnee vom Himmel gefallen war. Der Grund: Der Klimawandel nach Vulkanausbrüchen in Asien. Die Folge: Missernten, steigende Lebensmittelpreise, Hunger. Parallel dazu ließ Raiffeisen Straßen bauen, um den Agrarabsatz zu fördern.

„Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.“
Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 bis 1888)
Raiffeisens Werk lässt sich mit dem Dreiklang „Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung“ beschreiben, der bis heute das Wirken von Genossenschaften prägt: Denn rasch wurde aus dem Lebensmittel verteilenden „Brodverein“ eine Genossenschaft mit dem Ziel, gemeinsam Saatgut und Kartoffeln zu kaufen. Raiffeisen gründete emsig weiter: ein genossenschaftliches Gemeindebackhaus, den bis dahin beispiellosen „Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“ und später die Darlehenskassen…  

Quelle Wikipedia: Hermann Schulze-Delitzsch
Was der heimatverbundene Sozialreformer Raiffeisen für die Landbevölkerung, war der reisefreudige Jurist und spätere Reichstagpolitiker Hermann Schulze-Delitzsch für die sächsischen Handwerker. Fast zeitgleich mit Raiffeisen gründete er eine Tischler- und eine Schuhmacher-Assoziation, um die ansässigen kleinen Gewerbetreibenden konkurrenzfähiger zu machen. Ein Jahr später wurde er mit der Gründung des Delitzscher Vorschussverein zum Geburtshelfer der „Volksbanken“, die ebenfalls nach dem Prinzip von Selbsthilfe und Selbstverantwortung Darlehen an kleine Gewerbetreibende vergaben.

„Der Geist der freien Genossenschaft ist der Geist der modernen Gesellschaft.“
Hermann Schulze-Delitzsch (1808 – 1883)

Dann ging es „Schlag auf Schlag“. Bereits 1873 gab es in ganz Deutschland Genossenschaftsgesetze. Nach und nach entstanden überall Konsum- und Kreditgenossenschaften. 1894 wurde in Hamburg die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine (GEG), 1895 der Internationale Genossenschaftsbund mit Sitz in London, 1927 die REWE gegründet …. Im Dritten Reich teils gleich-, teils ausgeschaltet, ordneten und gründeten sich die Genossenschaftsverbände ab 1945 neu.

Welterbe

Der argentinische Tango, das Fladenbrot – die UNESCO-Liste zum Immateriellen Kulturerbe lobt und schützt Meisterwerke menschlicher Schaffenskraft. Seit November 2016 zählt auch die „Idee und Praxis der Organisation von gemeinsamen Interessen in Genossenschaften" dazu.

Millionen Mitglieder

2018 gab es in Deutschland 7.500 genossenschaftliche Unternehmen mit mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Jeder 4. Deutsche ist als in einer Genossenschaft organisiert. Weltweit sind es 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder.

Klima, Frohsinn, Rindersamen: Genossenschaften heute

Seit mehr als 150 Jahren suchen Menschen mit Hilfe von Genossenschaften Antworten auf wirtschaftliche, kulturelle und soziale Anliegen. Zu den traditionellen Genossenschaften wie Kreditgenossenschaften (Stichwort Volksbanken), Einkaufsgenossenschaften (Stichwort REWE Group) oder Wohnungsbaugenossenschaften gesellen sich neue, die sich ebenfalls mit ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit befassen. Die feine Staubschicht, die einst auf dem Modell Genossenschaften lag, ist weggeblasen.

Die neuen Genossenschaften suchen Antworten in Krisenzeiten, teilen wirtschaftliche oder kulturelle Interessen, pflegen Biergenuss und Brauchtum: Bürgergenossenschaften organisieren den Bau von Flüchtlingsunterkünften oder fairen Handel, Breitbandgenossenschaften sorgen sich um einen besseren Internetzugang an ihrem Ort. Taxifahrer, Rinderbesamer, Waldbesitzer, Carsharer und Friedhofsgärtner machen sich für ihre jeweiligen Belange stark, Bürgerenergiegenossenschaften produzieren grünen Strom. Es gibt Genossenschaften zur Rettung des Qualitätsjournalismus und der medizinischen Versorgung auf dem platten Land. Die eine eG gründet einen Dorfladen in der Eifel - die andere einen Golfclub auf Sylt. Und die Mainzer Fastnacht eG singt und lacht seit 2015 für „hierarchiearmes“ Helau und genossenschaftlichen Frohsinn. …

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