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Michael Sigmund
Lesedauer: 7 Minuten
Ältere Mitarbeitende
„Karriere ist keine Frage des Alters“
von Bettina Rees

Altern ist ein Prozess. Und wer diesen Prozess frühzeitig und aktiv gestaltet, bleibt lange leistungsfähig – körperlich, seelisch, geistig – und also auch beruflich: Zwischen Midlifecrisis und Ruhestand liegen gut zwei Jahrzehnte wertvoller und vollwertiger Arbeit. Zeit, eine Lanze fürs Altern zu brechen.

Zwischen mittlerem Alter und Renteneintritt liegen lange Jahre, die vor allem angesichts des demografischen Wandels nicht verschenkt werden dürfen. Nicht von Arbeitgeber, Führungskräften und Kolleg:innen, die graues Haar und Augenfalten vielleicht als äußeres Zeichen für inneren Abbau deuten. Aber auch nicht von denjenigen „Babyboomern" selbst, die es sich mit dem Verweis auf abnehmende Lernfähigkeit kuschelig einrichten bis zum letzten Arbeitstag.
Kurz: Alter schützt vor Entwicklung nicht – wenn man es rechtzeitig und richtig angeht. Wie das geht, weiß REWE Group-Personaler Michael Sigmund. Ein Gespräch wider überholte Klischees und für bedingungslose Lebensfreude. 

© Getty Images | Portra one: Michael Sigmund, wir sprechen heute über ein Thema mit Seltenheitswert, nämlich über ältere Menschen im Allgemeinen und ältere Berufstätige im Speziellen. Wobei, nicht die Älteren haben in unserer Gesellschaft Seltenheitswert, sondern dass man darüber spricht. Warum ist das so?

Michael Sigmund: Nun, Ich finde das sehr verständlich, weil wir alle das Thema Alter, Älterwerden und damit schlussendlich auch den eigenen Tod, gerne verdrängen möchten. Wenn wir an „Altern“ denken, dann verbinden wir damit hauptsächlich den Abbau von Fähigkeiten und Verluste, das macht Angst. Dass wir uns parallel auch ständig weiterentwickeln, dass Potenziale wie Erfahrungswissen zunehmen, dass wir uns verändern und anpassen und sich dadurch auch neue Chancen und Gelegenheiten ergeben können – das ist uns leider oft gar nicht bewusst.

Dazu kommt aber natürlich, dass sich die Arbeitswelt weiterhin rasant verändert. In unserer schnelllebigen, komplexen und unbeständigen Welt sind aktuelles Wissen und ständiges Anpassen an das Neue sehr gefragt. Und da geraten die wertvollen Erfahrungen und erfolgreichen Strategien der Älteren schon mal schnell in den Hintergrund.

one: Was heißt eigentlich Alter oder älter werden?

Michael Sigmund: Wikipedia sagt, Alter ist die Lebensphase zwischen dem mittleren Erwachsenenalter und dem Tod. Ich glaube, das ist ein guter Ausgangspunkt, wir sollten Alter oder Älterwerden also nicht als ein plötzlich eintretendes negatives Ereignis ansehen, auf das wir nur reagieren können. Im Gegenteil, wir sollten es als fortwährenden Prozess begreifen, den wir proaktiv, also frühzeitig und vielfältig gestalten können.

In diesem Sinne ist es gut, möglichst früh alt zu werden – auch wenn sich das im ersten Moment erstmal komisch anhören mag.

„Entscheidenden Einfluss darauf, wie wir altern, haben Faktoren wie gesunde Ernährung, soziale Bindungen, ausreichend Schlaf und Bewegung.“
Michael Sigmund

one: Du hast auf der digitalen berufundfamilie-Vereinbarkeitswoche im September einen gut besuchten Impulsvortrag mit dem schönen Titel „Rentenfrühling“ gehalten. Dabei ging es genau um dieses „möglichst frühe alt werden“, also um das „richtige“ Leben vor dem Renteneintritt. Wie schaut das aus, welche Tipps hast du dafür?

Michael Sigmund: Da möchte ich gerne noch einmal auf das Stichwort „Alter als Prozess“ zurückkommen: Viele Probleme ordnen wir irrtümlich dem Alter als solches zu. Wir übersehen dabei aber die Bandbreite unserer eigenen Möglichkeiten. So bestimmen unsere Gene nur zu zehn bis 30 Prozent unsere Gesundheit und unsere Lebenserwartung, der Rest geht auf das Konto unserer individuellen Lebensführung.

Das bedeutet: Entscheidenden Einfluss darauf, wie wir altern, haben Faktoren wie gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung, soziale Bindungen sowie ein gesundes Maß an Außenreizen und Belastungen. Wichtig finde ich hier auch, dass wir abseits der Arbeit und aller Verpflichtungen ein persönliches Herzensthema haben, für das wir brennen und das uns Lebensfreude pur schenkt, zum Beispiel ein Hobby.

Und je näher das Berufsende kommt, umso mehr geht es auch darum, sich mit Abschied und Loslassen auseinanderzusetzen. Und sich, wie schon erwähnt, zu fragen, was an herz- und sinnfüllenden Dingen in mein nachberufliches Leben kommen darf.

one: Wenn Altern ein Prozess ist: Wann sollten wir damit beginnen, uns Gedanken darum zu machen?

Michael Sigmund: Ab 40, 45 Jahren, also mit dem Beginn des zweiten Erwachsenenalters, bei manchen auch als Midlifecrisis bekannt. Viele Herausforderungen sind nun schon bewältigt, wie die Etablierung im Beruf oder die Familiengründung. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass wir uns zu Gewohnheitstieren entwickelt haben. Aber genau zu diesem Zeitpunkt werden andere Themen immer wichtiger, wie Gesundheitsvorsorge, die eigene Persönlichkeits- und Sinnentwicklung oder die Pflege einer vielleicht eingefahrenen Paarbeziehung. Daher sollten wir nun achtsam auf unsere Lebensbalance schauen und unseren Alltag entsprechend anreichern.

one: Das Thema „Übergang in die Rente“ ist eines der Handlungsfelder, für die im Rahmen von berufundfamilie während der kommenden drei Jahre Maßnahmen in den Kölner Standorten umgesetzt werden. Warum?

Michael Sigmund:
Wir werden immer älter und bleiben gleichzeitig länger fit. Dass Engagement und Partizipation ebenso wie Entwicklung und Karriere keine Fragen des Alters sind, haben wir als Gesellschaft längst erkannt. Deshalb beschäftigen wir uns damit, mit welchen Rahmenbedingungen wir die Mitarbeitenden unterstützen können, die letzten Berufsjahre und den Übergang in den Ruhestand aktiv und individuell zu gestalten.

Im Audit geht es ja um die lebensphasenbewusste Mitarbeiterpolitik als gelebte Unternehmenskultur. Das bedeutet auch, die Situation und die Bedürfnisse der großen Gruppe der älteren Mitarbeiter:innen in den Blick zu nehmen und sie damit in den letzten Berufsjahren und beim Übergang die Rente zu unterstützen.

Darüber hinaus sind Unternehmen heute durch den baldigen Weggang der „Babyboomer“ in besonderer Weise gefordert. Wir müssen das Wissen und die Erfahrung älterer Menschen nicht nur halten und sichern, sondern ihr Engagement und ihre Potenziale mit Blick auf die Zukunft fördern.

one: Böse Zungen behaupten gerne, ältere Kolleg:innen wollen nichts mehr dazu lernen und machen um neue Technik am liebsten einen Bogen. Stimmen solche Vorurteile?

Michael Sigmund: Beim Thema Alter haben wir es mit vielen Vorurteilen und Klischees zu tun. Richtig ist, dass das Gehirn mit dem Alter zwar körperlich, aber nicht zwangsweise geistig abbaubt. Im Gegenteil, es ist sogar erstaunlich anpassungsfähig. So gleichen wir nachlassende Merkfähigkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit durch das erworbene Wissen, die gewachsene Erfahrung und Routine aus. Studien zeigen auch, dass es – abgesehen von Berufen, in denen es auf Kraft und Beweglichkeit ankommt – kaum einen Zusammenhang zwischen Alter und Produktivität gibt.

„Für das Unternehmen lohnt es sich, einen Blick in die Schatztruhe der älteren Mitarbeitenden zu werfen.“
Michael Sigmund

one: Kann oder sollte man als älterer Mensch, sagen wir ab 50, eigentlich noch eine klassische Karriere anstreben? Oder ist der Zug dann eher abgefahren?

Michael Sigmund: Karriere ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Passung zwischen den vorhandenen Potenzialen und den Stellenanforderungen. Aber auch wenn ich nicht die klassische Karriere als Ziel habe, kann ich auf den bisherigen Berufsweg zurückblicken, um mir die erworbenen Kompetenzen, Erfahrungen und Ressourcen bewusstzumachen. Vielleicht entstehen da ganz neue Ansätze und Ideen, tauchen bisher unbekannte oder ungenutzte Potenziale auf.

Und auch für das Unternehmen lohnt es sich, einen Blick in die Schatztruhe der älteren Mitarbeitenden zu werfen und deren Arbeits- und Lebenserfahrung, Stärken, Potenziale, Netzwerke und soziale Kompetenzen zu bergen. Und auch dies sollte ein „Rundumblick“ sein von den klassischen Karrieremöglichkeiten hin zu umfassender Potenzialnutzung.

Wie auch immer es im Einzelfall aussehen mag: Ich halte es für wichtig, dass Mitarbeitende sich als aktive Gestalter verstehen, um Stagnation, Energie- und Motivationsverlust vorzubeugen.

one: Wir werden alle länger arbeiten. Wer 50 ist, hat vielleicht noch 17 Jahre vor sich. Das ist eine zu lange Zeit, um ohne Motivation zu arbeiten. Was würdest du den Älteren mit auf den Weg geben für ein erfülltes Arbeitsleben?

Michael Sigmund: Da würde ich hier sogar auch die unter 50jährigen bis hin zu den Berufseinsteiger:innen einbeziehen wollen. Gerade wegen dieser noch langen Zeit, den Anforderungen der Arbeitswelt und den politischen und sozialen Herausforderungen und Krisen, mit denen wir alle konfrontiert sind, halte ich Ausdauer und eine eigene Langfriststrategie für ganz entscheidend.

Aber es stimmt schon: Ab 40, 50 Jahren müssen wir wesentlicher achtsamer mit uns selbst werden, denn die „Einschläge“ kommen näher und treffen uns empfindlicher. Und deshalb sollten wir uns alle Zeit schenken. Uns um unsere Gesundheit kümmern, resilienter werden, unsere Energie gut einsetzen, Lebensfreude spüren und Verbundenheit mit anderen.

Oder wie es der römische Politiker und Philosoph Cicero formuliert hat: „Vor nichts muss sich das Alter mehr hüten, als sich der Untätigkeit und Trägheit zu ergeben.“

Zur Person

Lebenslanges Lernen ist für Michael Sigmund, 64, auch beruflich ein wichtiges Thema. Nach seinem Einstieg bei REWE 1992 war er in der Aus- und Weiterbildung tätig, dann in der Personalentwicklung und nun im Kompetenzcenter Zentrale.

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