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Gehört „Ernährung“ als Schulfach auf den Stundenplan?
Wie viel Zucker steckt im Apfelsaft? Und was unterscheidet eigentlich eine gewöhnliche Kartoffelvon einer Süßkartoffel? Das Wissen vieler Kinder über Nahrungsmittel und (gesunde) Ernährunggerät schnell an seine Grenzen. Doch wer ist verantwortlich für die wachsenden Wissenslücken? Und wer soll sie wieder stopfen? Andreas Krämer, der als Pressesprecher der REWE Group das Projekt "Power Tüte" begleitet und dabei zahlreiche Schulen besucht hat, und Achim Bachhausen, one_Redakteur und Vater zweier Töchter, diskutieren, ob Ernährung auf den Stundenplan gehört. Zwei Kollegen, zwei Meinungen.
Pro // „Ein überfälliges Signal“
Das Fach Ernährung gehört auf jeden Fall auf einen modernen Stundenplan. Dies wäre ein überfälliges Signal, dass gesunde Ernährung und fundiertes Wissen über Lebensmittel eine Kulturtechnik ist wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Die Folgen falscher Ernährung sind im wahrsten Wortsinn schwerwiegend; die daraus erwachsenen Kosten enorm. Noch schwerwiegender aber sind die seelischen Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Sie werden gehänselt, ausgegrenzt und oftmals über soziale Netzwerke diffamiert. All dies lässt sich lindern, wenn Ernährungskunde ein fester Bestandteil des Stundenplans würde. In dieser Unterrichtseinheit kann spielerisch-pädagogisch der Umgang mit Lebensmitteln, das Verstehen von Nährwertangaben oder der richtige Mix von Ernährung und Bewegung gelernt werden. Dies ist umso wichtiger als immer weniger Eltern Zeit haben, ihren Kindern eben dieses Wissen zu vermitteln. Es gibt für nahezu jedes Fach private und schulische Nachhilfeangebote. Gesunde Ernährung steht hingegen nicht einmal auf dem Stundenplan.
Das Fach Ernährung gehört auf jeden Fall auf einen modernen Stundenplan. Dies wäre ein überfälliges Signal, dass gesunde Ernährung und fundiertes Wissen über Lebensmittel eine Kulturtechnik ist wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Die Folgen falscher Ernährung sind im wahrsten Wortsinn schwerwiegend; die daraus erwachsenen Kosten enorm. Noch schwerwiegender aber sind die seelischen Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Sie werden gehänselt, ausgegrenzt und oftmals über soziale Netzwerke diffamiert. All dies lässt sich lindern, wenn Ernährungskunde ein fester Bestandteil des Stundenplans würde. In dieser Unterrichtseinheit kann spielerisch-pädagogisch der Umgang mit Lebensmitteln, das Verstehen von Nährwertangaben oder der richtige Mix von Ernährung und Bewegung gelernt werden. Dies ist umso wichtiger als immer weniger Eltern Zeit haben, ihren Kindern eben dieses Wissen zu vermitteln. Es gibt für nahezu jedes Fach private und schulische Nachhilfeangebote. Gesunde Ernährung steht hingegen nicht einmal auf dem Stundenplan.
Hinzu kommt, dass das traditionelle gemeinsame Essen als Chance solches Wissen zu vermitteln mittlerweile die Ausnahme ist. Das wird sich auch aufgrund der zunehmenden Auflösung der Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben nicht mehr ändern. Gegessen wird nicht mehr nach der Uhr, sondern nach dem Terminplan. Daher ist es enorm wichtig zu vermitteln, wie einfach es ist, sich auch zwischendurch schnell, bequem und ausgewogen zu ernähren. Stattdessen sind heute viele Kinder motorisch nicht einmal mehr in der Lage, sich ein Brot zu schmieren. Obst kennen sie nur als Saft. Und, dass Brot auch grau oder dunkel sein kann, halten viele Kinder für ein Gerücht.
Die offizielle Aufnahme des Fachs Ernährung in den Stundenplan würde schließlich diejenigen Lehrer entlasten, die heute bereits aus Verantwortungsbewusstsein versuchen, ihren Schülern entsprechendes Wissen im Rahmen anderer Unterrichtseinheiten zu vermitteln. Wir alle kennen die Weisheit: Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir. Es ist nicht einzusehen, dass diese Erkenntnis vor unserer Ernährung Halt macht.
Andreas Krämer
Contra // „Schule kann nicht alles leisten“
Was, bitte, soll die Schule denn noch alles leisten? Mittlerweile wird die Mehrzahl unserer Kinder ganztags betreut. Eigentlich eine prima Idee, sollte man meinen. Tatsächlich aber sind die Kleinen, wenn sie dann spätnachmittags müde nach Hause kommen, mit ihrem Tagwerk noch nicht fertig. Anstatt nun ein weiteres, verzichtbares Pflichtfach einzuführen, wäre die Zeit sinnvoller in echte Hausaufgabenbetreuung investiert.
Außerdem: Ernährung ist bereits Bestandteil des (Sachkunde-)Unterrichts. Immer wieder bin ich überrascht, wie viel Grundschüler, ja sogar Kindergartenkinder, über Lebensmittel und Ernährung wissen. Zugegeben, das Wissen haben sie nicht nur aus der Schule, sondern auch dank der hervorragenden kindgerechten TV-Formate. An dieser Stelle muss für die so häufig gescholtenen Fernsehprogramme mal eine Lanze gebrochen werden. Obwohl also theoretisch alle Kinder einen ähnlichen Wissensstand haben, gehen die Essgewohnheiten weit auseinander.
Was, bitte, soll die Schule denn noch alles leisten? Mittlerweile wird die Mehrzahl unserer Kinder ganztags betreut. Eigentlich eine prima Idee, sollte man meinen. Tatsächlich aber sind die Kleinen, wenn sie dann spätnachmittags müde nach Hause kommen, mit ihrem Tagwerk noch nicht fertig. Anstatt nun ein weiteres, verzichtbares Pflichtfach einzuführen, wäre die Zeit sinnvoller in echte Hausaufgabenbetreuung investiert.
Außerdem: Ernährung ist bereits Bestandteil des (Sachkunde-)Unterrichts. Immer wieder bin ich überrascht, wie viel Grundschüler, ja sogar Kindergartenkinder, über Lebensmittel und Ernährung wissen. Zugegeben, das Wissen haben sie nicht nur aus der Schule, sondern auch dank der hervorragenden kindgerechten TV-Formate. An dieser Stelle muss für die so häufig gescholtenen Fernsehprogramme mal eine Lanze gebrochen werden. Obwohl also theoretisch alle Kinder einen ähnlichen Wissensstand haben, gehen die Essgewohnheiten weit auseinander.
Da ist die Elfjährige, die, nachdem sie in der Schule einen Film über Fleischproduktion gesehen hat, den spontanen Beschluss fasst, fortan vegetarisch zu leben. Und da gibt es den Neunjährigen, der ständig Heißhunger auf Süßes hat und folglich – trotz Bewegung – immer pummelig bleibt.
Extrembeispiele, gewiss, aber sie zeigen, dass Schule nicht alles leisten kann. Sie hat schon genug damit zu tun, dafür zu sorgen, dass viele Kinder überhaupt etwas zu essen bekommen. Das wiederum ist unabhängig davon, ob die Eltern zu Hause sind oder nicht, denn es gibt genug positive Beispiele für vollberufstätige Eltern, die ihre Kinder vernünftig und ausreichend versorgen. Mit der simplen Forderung nach einem Unterrichtsfach Ernährung können sich die Erziehungsberechtigten jedenfalls nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Ursachen wurzeln tiefer. Es geht um Wertschätzung von Nahrungsmitteln. Solange Essen für viele bloß Sattmacher ist, werden weiterhin täglich Millionen von Kindern den Verführungen der Fast-Food-Industrie mit ihrer mächtigen Marketing- und Werbemaschinerie auf den Leim gehen. Dagegen kommt Schule allein nicht an. Achim Bachhausen
Extrembeispiele, gewiss, aber sie zeigen, dass Schule nicht alles leisten kann. Sie hat schon genug damit zu tun, dafür zu sorgen, dass viele Kinder überhaupt etwas zu essen bekommen. Das wiederum ist unabhängig davon, ob die Eltern zu Hause sind oder nicht, denn es gibt genug positive Beispiele für vollberufstätige Eltern, die ihre Kinder vernünftig und ausreichend versorgen. Mit der simplen Forderung nach einem Unterrichtsfach Ernährung können sich die Erziehungsberechtigten jedenfalls nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Ursachen wurzeln tiefer. Es geht um Wertschätzung von Nahrungsmitteln. Solange Essen für viele bloß Sattmacher ist, werden weiterhin täglich Millionen von Kindern den Verführungen der Fast-Food-Industrie mit ihrer mächtigen Marketing- und Werbemaschinerie auf den Leim gehen. Dagegen kommt Schule allein nicht an. Achim Bachhausen
Gehört Ernährung auf den Stundenplan? Was ist Ihre Meinung dazu?
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Ernährung gehört auf den Stundenplan, schon allein aus dem Grund, dass viele Kinder mittlerweile ganztags oder zumindest über Mittag in der Betreuung/Schule sind. Viele Kinder nehmen mindestens zwei, teilweise auch drei ihrer täglichen Mahlzeiten in der KiTa/Schule ein und daher wäre es naheliegend, wenn sie das Essen nicht nur konsumieren würden, sondern auch lernen würden, wo es herkommt, wie es zubereitet wird und welchen Stellenwert eine gesunde, ausgewogene Ernährung idealerweise aus nachhaltigeren Produkten hat. Natürlich gibt es viele Familien, die genau das auch zu Hause leisten - diese Kinder haben Glück und hören es dann eben zweimal.
Aber es gibt leider mindestens genauso viele Familien, die nicht gemeinsam essen oder Essen zubereiten und in denen die Eltern nicht das notwendige Wissen oder Interesse haben, ihre Kinder zum Thema Ernährung zu bilden. Bei meinen Kindern in der KiTa haben wir vor einem Jahr eingeführt, dass die Kinder ihr Frühstück aus von der KiTa und vom Förderverein gekauften Zutaten selbst zubereiten. Nicht weil es en vogue ist, sondern weil die Zahl der Kinder, die entweder kein Frühstück von zu Hause mitbekamen oder kalte Reste vom Fastfood-Abendbrot des Vortages in der Brotbox hatten, einfach zu groß war.
Ein Fach Ernährung/Kochen oder ein Fach Verbraucherbildung, das diese Inhalte mitabdeckt, würde gewährleisten, dass alle Kinder Zugang zu Wissen über gesunde Ernährung hätten, unabhängig ihrer familiären Ausgangssituation und des Stellenwerts, den diese Themen Zuhause haben.
Ernährung gehört in den Stundenplan. Nicht weil man es damit den Eltern einfacher macht, sondern weil die Ernährung und ihre Fallen, die dank Industrie, Handel, Werbung und Gewinnmaximierungsbestrebungen immer werden, eine Säule unserer Gesellschaft sind. Gewiss - im Kindergarten wird gekocht und gebacken, im Grundschul-Sachunterricht wird über Ernährung gesprochen. Mal ganz ehrlich - meine jüngste Tochter ist jetzt in der 6. Klasse - vom Sachunterricht der Grundschule weiß sie nichts mehr. Auch sollte die Ernährungslehre kein theoretisches Fach sein, sondern hauptsächlich praktisch, weil Kochen und essen machen wir auch nicht theoretisch. Wir haben als Kinder zum Teil noch zu Hause kochen und mit Lebensmitteln umgehen gelernt. Im Alltag unerer Eltern war das ganz normal - und zu deren Vorteil gab es damals keine oder nur wenig modifizierte Lebensmittel, weil sie mehr Bewegung hatten, mussten sie über den Kaloriengehalt von Lebensmitteln nicht so viel wissen.
Außerdem gehören die Stundenpläne allgemein überarbeitet - vieles wird gelehrt, was man nicht wissen muss oder erst, wenn man sich spezialisiert. Aber das ist ein Thema für eine große Schulreform, die meiner Meinung nach längst fällig ist.