Markus Bobenhausen, Funktionsbereichsleiter Obst & Gemüse REWE Group Buying und Matthias Geuder, Geschäftsführer REWE Group Fruchtlogistik, über die Herausforderungen bei der Beschaffung in Pandemie-Zeiten – und über politische Irrläufer, fehlende Erntehelfer und Schleichwege aus Tirol.
Matthias Geuder und Markus Bobenhausen „Den Super-Gau hatten wir Ende März, als die Politik in Berlin der Meinung war, eine Oster-Ruhe sei das geeignete Mittel, um die Pandemie zu bekämpfen. Als ob man die Versorgung von rund 6.000 REWE- und PENNY-Märkte mit Obst und Gemüse innerhalb weniger Tage umplanen könnte! Der Weg von der Produktion bis in die Regale ist ein fein abgestimmter Prozess, bei dem viele Rädchen ineinandergreifen müssen, damit alles klappt. Kaum hatten wir unsere Planungen halbwegs angepasst, hieß es: Es gibt doch keine Oster-Ruhe. Wieder mussten wir neu disponieren. Das ist so, als ob man halb Europa einmal nach links und dann wieder nach rechts schiebt. Ein Albtraum! Obst und Gemüse ist ein 24-Stunden-Geschäft. Irgendwo läuft immer irgendwas. Man muss viel miteinander reden. Und das haben wir in dieser Zeit so intensiv getan wie nie zuvor. Es verging kein Wochenende, kein Abend, an dem wir nicht noch einmal eingegriffen haben – je nach politischer Schubrichtung.
Hamsterkäufe bei Kartoffeln
An den Run auf Toilettenpapier zu Beginn der Pandemie erinnern wir uns alle mit einem Schmunzeln. Aber auch bei Obst und Gemüse gab es Hamsterkäufe. Kartoffeln zum Beispiel waren im ersten Lockdown extrem gefragt. Auch bei Kernobst griffen die Verbraucher plötzlich sehr viel häufiger zu. Auf einmal bestellten die Märkte Ware von heute auf morgen und dazu ein Vielfaches der Mengen mehr zum Vortag. Das machte die Disposition für uns unglaublich schwer, denn wir mussten abschätzen: Wie lange noch wird die Nachfrage um 50, 70 oder 100 Prozent höher sein? Bei der Beschaffung standen wir in Konkurrenz mit anderen Ländern, in denen sich die Menschen auch von jetzt auf gleich stärker mit Obst und Gemüse eindeckten.
Gerade die Länder, die besonders heftig von der Pandemie betroffen waren, wie Italen und Spanien, sind für uns starke Bezugsquellen. Das machte die Beschaffung noch schwieriger. Hinzu kam die Diskussion um die Erntehelfer. Schon im März vergangenen Jahres, viele Betriebe standen kurz vor Beginn der Pflanzungen und erste Ernten – etwa von Spargel – anstanden, wurde in Deutschland ein Einreisestopp auch für Saisonarbeiter festgelegt. Aber ohne die vielen Helfer aus Osteuropa geht es nicht. Gut, dass die Bundesregierung die Landwirtschaft bald darauf als systemrelevant einstufte und die Bestimmungen lockerte. Die strengen Hygieneauflagen machten die Produktion natürlich teurer. Erntehelfer mussten sich testen lassen und sie mussten so untergebracht werden, dass das Risiko einer Ansteckung möglichst gering ist. Auch die Anreise zum Arbeitsplatz war aufwändiger, denn es durften zum Beispiel nicht mehr so viele Personen in einem Bus sitzen wie zuvor.
Plötzlich galten in Europa unterschiedliche Regeln
Apropos gesetzliche Bestimmungen: Das Tempo, mit dem immer wieder neue Regeln festgesetzt wurden, hat bei uns manchmal nicht nur für graue, sondern für weiße Haare gesorgt. Allein die Unterscheidung in Risiko-, Hochinzidenz- und Virus-Mutationsgebiet: Plötzlich galten in Europa unterschiedliche Regeln. Das hieß, wir mussten darauf achten, innerhalb welcher Zeit die Fahrer wo unterwegs sein dürfen und ob sich alle auf ihren Touren testen lassen müssen. In Windeseile mussten an den Grenzen Testmöglichkeiten geschaffen werden. Und dann die Staus! An einem Tag waren es 80 Kilometer am Brenner. Ein paar Stunden Stillstand ist für Obst und Gemüse-Leute kein Problem – das haben wir eingeplant. Aber wenn dann plötzlich gar nichts mehr gut, muss man nach Alternativen Ausschau halten. Als die Bundesregierung in diesem Frühjahr Tirol plötzlich zum Virus-Mutationsgebiet einstufte, haben wir unsere LKW über Kärnten und Salzburg umgelenkt. Großzügiges Umfahren kostete Zeit und Geld, aber so ließ sich zumindest etwas bewegen.
Anfang dieses Jahres, als Großbritannien wegen rasant gestiegener Infektionszahlen dicht machte, hatten wir Sorge, genügend Frachtraum zu bekommen. Denn viele LKW, die in den Niederlanden und Belgien für die Fahrt nach Deutschland und Österreich beladen werden, waren zuvor in Großbritannien gewesen. Auch das ein Beispiel, wie eingespielte, bewährte Prozesse auf ein Mal in Frage gestellt wurden.
Gute Beziehungen zu Lieferanten immer wichtiger
Wie wir es trotz aller Widrigkeiten geschafft haben, die Märkte zu versorgen? Ganz wichtig war, dass wir sehr gute, über Jahre gewachsene Beziehungen zu unseren Lieferanten haben. Natürlich haben wir zur Warenabsicherung neue Beziehungen geknüpft. Auch in andere Länder, zum Beispiel Marokko und Griechenland. Diese Kontakte werden wir aufrechterhalten, um auch in Nicht-Pandemie-Zeiten eine noch bessere Verfügbarkeit von Obst und Gemüse zu gewährleisten. In Hochphasen haben wir unseren Lieferanten auch schon einmal zugerufen: Schickt die LKW los, wir werden die Ware schon irgendwie verteilen. Dabei kann man natürlich nie den Punkt treffen. Aber wir haben gelernt. Im zweiten Lockdown konnten wir bereits zuverlässicher disponieren als zu Beginn der Pandemie. Sicher haben wir auch von der Schließung der Gastronomie profitiert. Denn Ware, die dort nicht benötigt wurde, konnte in den Lebensmittelhandel umgeleitet werden. Das führte zum Beispiel dazu, dass wir im Frühjahr 2020 Spargel zum gleichen Preis anbieten konnten als im Jahr zuvor. Bei anderen Produkten, Zitrusfrüchten zum Beispiel, ließen sich infolge knapper Mengen und hoher Beschaffungskosten Preissteigerungen nicht vermeiden.
In solchen herausfordernden Zeiten gilt die volle Aufmerksamkeit dem Tagesgeschäft. Die Märkte müssen versorgt werden. Strategische Überlegungen stehen ein wenig hinten an, aber natürlich denken wir auch jetzt darüber nach, wie wir uns in Zukunft aufstellen. Dazu gehört auch, Lehren aus der Zeit der Pandemie zu ziehen, Erfahrungen mitzunehmen. Zum Beispiel, dass wir ein tolles Team sind, das in der Pandemie ohne Verstärkung eine deutlich höhere Warenmenge eingekauft, disponiert, umgeschlagen und am Ende alles verkauft hat – ohne, dass es nennenswerte Ausfälle gab.“