Jedes 5. Kind in Deutschland ist arm. Und Armut bedeutet mehr als Hunger. Jochen Brühl, Chef der Tafel Deutschland, über den Zusammenhang von Kinderarmut, mangelndem Selbstwertgefühl, fehlendem Wissen über gesunde Ernährung und schlechte Noten.
Der Kinder- und Jugendfonds der Tafel e.V. unterstützt armutsbetroffene Kids in ganz Deutschland. Wie Sie als Mitarbeitende für dieses Projekt spenden können, lesen Sie weiter unten.
Jochen Brühl (Foto: Navina Neuschl)
one: Herr Brühl, was bedeutet Kinderarmut in einem wohlhabenden Land wie Deutschland?
Jochen Brühl: In Deutschland ist jedes fünfte Kind von Armut bedroht oder betroffen. Oft sind es Kinder, die in Familien mit vielen Geschwistern leben oder deren Eltern alleinerziehend oder arbeitslos sind. Oft sind sie von Bildungs- und Freizeitaktivitäten ausgeschlossen, da es den Eltern am Nötigsten fehlt. Die Situation zu Hause ist häufig schwierig. Für viele der Kinder ist die Tafel deshalb nicht nur ein Ort, an dem sie Lebensmittel bekommen. Sie finden hier Menschen, die ihnen zuhören und Zuwendung schenken, und ein Umfeld, in dem sie sorglose Stunden haben und ihre eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen dürfen. Zu den Tafeln kommen ca. 500.000 Kinder und Jugendliche. Das sind 30 Prozent derer, die eine Tafel besuchen. Viele Tafeln bieten neben der Lebensmittelausgabe Zusatzangebote für Kinder und Jugendliche an – zum Beispiel Kochkurse, Ferienfahrten, Spielenachmittage oder Hausaufgabenhilfen.
one: Welche Auswirkungen hat Armut auf das körperliche und seelische Wohl der betroffenen Kinder?
Jochen Brühl: Kinder und Jugendliche, die in armutsbetroffenen Familien aufwachsen, haben nicht die gleichen Chancen, ihnen fehlen Perspektiven. Es ist für sie schwer, dem Armutskreislauf zu entkommen. Einige Kinder erleben schon früh Scham, Ausgrenzung und Verzicht. Belastungen der Eltern übertragen sich oft auf die Kinder. Studien zeigen, dass sich finanziell benachteiligte Kinder häufiger ungesund ernähren, seltener Sport treiben und auch häufiger übergewichtig sind.
Gesunde Ernährung ist lernbar
one: Dass Corona bei vielen Kindern zu Übergewicht durch mangelnde Bewegung und Fehlernährung geführt hat, weiß man inzwischen. Wie hat sich die Pandemie darüber hinaus auf die armutsbetroffenen Kinder ausgewirkt?
Jochen Brühl: Die Situation der Kinder hat sich unseren Beobachtungen nach verschärft – auf allen Ebenen. Kostenfreies Schul- oder Kita-Essen fiel während der Lockdowns zum Teil weg, viele Unterstützungsangebote mussten ausfallen. All das führt dazu, dass die Familien stark belastet sind. Bildungsdefizite werden größer, oft fehlen den Schulkindern Rückzugsorte, um konzentriert zu lernen. Viele Eltern haben ihren Job während der Pandemie verloren, Aufträge sind weggebrochen. Sie sind nun auf externe Hilfe angewiesen. Existenzängste und Doppelbelastungen wirken sich auch auf die Psyche der Kinder aus. Die meisten Tafeln sind aktuell geöffnet, einige Projekte können aber nicht stattfinden.
one: Mitarbeitende, die die Tafel als ihr Herzensprojekt auserkoren haben, unterstützen mit ihrer Spende den Kinder- und Jugendfonds der Tafelbewegung. Damit werden unter anderem Projekte rund um gesunde Ernährung gefördert. Welche Bedeutung hat gesunde Ernährung für Kinder?
Jochen Brühl: Gesunde Ernährung ist wichtig für eine gesunde Entwicklung. Das kennen wir doch auch von uns selbst: Mit leerem Magen lernt und arbeitet es sich schlecht. Unregelmäßige, ungesunde Ernährung wirkt auf vielen Ebenen. Wenn schon Kinder übergewichtig werden, führt das schnell zu körperlicher Einschränkung, aber auch zu Ausgrenzung und mangelndem Selbstwert.
one: Kostet gesunde Ernährung zu viel oder wo liegen die Gründe dafür, dass viele Kinder kaum frisch und gesund essen?
Jochen Brühl: Die Preise für frisches Obst und Gemüse steigen gerade rasant. Das ist für Menschen mit wenig Geld eine Belastung. Es fehlt aber auch Wissen. Wie sieht gesunde Ernährung denn aus und wie kann ich sie in meinen Alltag integrieren? Das wissen viele Eltern nicht – und können es dann auch ihren Kindern nicht vermitteln.
one: Wo und konkret wie setzt die Tafel hier an mit ihren Ernährungsprojekten?
Jochen Brühl: Tafeln zeigen Kindern im Rahmen von Ernährungsprojekten – etwa Kochkursen, Kindertafeln oder Schulfrühstücken – wie sie gesunde Lebensmittel zubereiten können und welche Lebensmittel gut zusammen schmecken. Sie klären beispielswiese auch über das Mindesthaltbarkeitsdatum auf. Denn vielen ist nicht bewusst, dass Lebensmittel oft Tage, Wochen oder sogar Monate nach überschrittenem MHD verzehrt werden können. Insgesamt bieten über 60 Prozent der 960 Tafeln in Deutschland solche speziellen Angebote für Kinder und Jugendliche an.
Der Kinder- und Jugendfonds der Tafel Deutschland e.V. ist einer der vier Empfänger des Mitarbeiter-Spendenprojekts der REWE Group.
Wer eins der Projekte mit einer monatlichen Gehaltsspende von 1,5 oder 10 Euro unterstützen möchte, kann dies mit Hilfe des Spendenformulars in die Wege leiten.
Alle wichtigen Fragen und Antworten rund um das Mitarbeiter-Spendenprojekt finden Sie hier