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ArticleId: 2518magazineEntscheidend für ein gelingendes Leben ist Mitmenschlichkeit, sagt Philosophie-Professor Franziskus von Heereman. Im Interview erläutert er, warum Ehrenamtler keine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen sollten und wie jeder eine Aufgabe findet, die ihn erfüllt.https://one.rewe-group.com/fileadmin/_processed_/7/f/csm_TT_12_03_Charity_Interview-one_main_teaser-one-teaser-standard_787188072a.jpg„Helfen ist keine Einbahnstraße“Mitmenschlichkeit bringt Glück
Kamingespräch: Franziskus Heereman (r.) im Gespräch mit one_Autor Stefan Weber (Fotos: Achim Bachhausen)
Lesedauer: 7 Minuten
Im Interview: Philosophie-Professor Franziskus von Heereman
„Helfen ist keine Einbahnstraße“
von Stefan Weber

Entscheidend für ein gelingendes Leben ist Mitmenschlichkeit, sagt Franziskus von Heereman, Professor für Philosophie und Initiator eines Hilfsprojekts im Libanon. Im Interview erläutert er, warum Ehrenamtler keine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen sollten und wie jeder eine Aufgabe findet, die ihn erfüllt.

Prof. Franziskus von Heereman
Prof. Dr. Franziskus von Heereman ist Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Philosophie sozial-caritativen Handelns an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Seit 1995 engagiert er sich ehrenamtlich in der Krankenpflege und Betreuung behinderter Menschen bei den Maltesern. Von 1997 bis 2006 war er Initiator und Projektleiter eines Ferienprojektes für schwerstbehinderte Menschen im Libanon.
 

one: Wer Studien über ehrenamtliches Engagement liest, könnte auf die Idee kommen, Hilfsbereitschaft sei eine Frage des Portemonnaies. Denn in der Mittelschicht finden sich weit mehr Menschen, die sich für andere engagieren als in der Unterschicht.
Franziskus von Heereman: Dagegen spricht, dass es umfassende literarische Belege für eine besondere Hilfskultur unter armen Menschen gibt – in jüngerer Zeit hat Papst Franziskus wiederholt darauf hingewiesen. Wahrscheinlich ist das Helfen ärmerer Menschen weniger institutionell verfasst und eher im unmittelbaren Umfeld zu finden.

one: Aber die Bereitschaft zum klassischen Ehrenamt …
Franziskus von Heereman: …ja, die ist bei Menschen, die ihre eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten als gut einschätzen, signifikant höher. Es braucht eine gewisse ökonomische Freiheit, um sich um andere Menschen zu kümmern. Wer keine großen finanziellen Sorgen hat, spürt vielleicht, dass er vom Schicksal und den Menschen, mit denen er zu tun hat, begünstigt wurde. Aus dieser Erkenntnis kann der Wunsch entstehen, etwas zurückgeben zu wollen – zum Beispiel durch ein Engagement für Menschen, die weniger Glück hatten.

one: Helfen aus Dankbarkeit also. Was treibt Menschen noch an, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Franziskus von Heereman:  Beziehungen, die wir in unserem Leben als die kostbarsten empfinden, sind Beziehungen der unentgeltlichen Hilfe. Das ist der Grund, warum Menschen Familien gründen und Freunde haben. Wenn Menschen sich ehrenamtlich engagieren, weiten sie den Bereich, in dem sie ohne Bezahlung verlässlich für Dritte da sind, über die Privatsphäre hinaus aus. Tief im Inneren wissen wir, dass der entscheidende Faktor für ein gelingendes Leben ist, ob ein Mensch mitmenschlich lebt. Wenn gefragt wird: Welche Person der Geschichte bewundern Sie, werden fast immer Menschen genannt, die sich Anliegen anderer zur eigenen Sache gemacht haben.

„Nicht alle Hilfeempfänger sind in dem Maße dankbar wie Unterstützer sich das wünschen.“
Franziskus von Heereman

one: In einer ökonomisierten Welt machen manche Menschen auch bei der Entscheidung für ein Ehrenamt eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf:  Hilfe gegen soziale Kontakte, Unterstützung gegen ein Gefühl gebraucht zu werden. Ist das verwerflich?
Franziskus von Heereman: Wenn ich mich nur deshalb um jemand kümmere, um ein gutes Gefühl zu haben, mache ich diesen Menschen zu einem Mittel für mein Wohlbefinden. Nun könnte man sagen: Solange einem Bedürftigen geholfen wird, ist das Motiv des Helfers nicht so wichtig, Hauptsache er engagiert sich. Aber ein Hilfeempfänger spürt rasch, dass die Unterstützung weniger ihm als dem Wohlbefinden des Helfers gilt. Das ist eine demütigende Erkenntnis. Hinzu kommt: Komplett egozentrische Motive tragen nicht auf Dauer. Denn ein Ehrenamt verlangt Opfer und hält mitunter auch viel Frust bereit. Nicht alle Hilfeempfänger sind immer in dem Maße dankbar wie Unterstützer sich das wünschen. Und der anfängliche Kick, mit einem Mal für andere Menschen wichtig zu sein, lässt auch irgendwann nach.  Wer also zu sehr sein Nutzen-Konto im Blick hat, wird in der Regel im Ehrenamt auf Dauer keine Erfüllung finden und nicht für eine längere Zeit dabei bleiben.

one: Auf der anderen Seite wird vielleicht mancher, der nicht ganz uneigennützig ein Ehrenamt übernommen hat, mit der Zeit feststellen, dass Helfen auch eine Herzensangelegenheit sein kann.
Franziskus von Heereman: Ja, man kann auch durch die falsche Tür ins richtige Zimmer gelangen. Gerade weil ein Ehrenamt Beziehungen zu Menschen schafft, denen man sonst eher selten begegnet, kann die Erfahrung, die man dort macht, zu einer veränderten Motivlage führen, in der der Andere in seiner Not wichtiger wird als mein ursprünglich bloß eigennütziges Motiv. Menschen lassen sich von der Not anderer bewegen und ihren Egozentrismus vergessen. Die Herausforderung für Helfer besteht darin, dankbar anzunehmen, was ihnen das Helfen an Positivem beschert, aber aufzupassen, dass dies nicht zu ihrem Hauptmotiv wird.    

one: Wie lassen sich Menschen für ein Ehrenamt begeistern?
Franziskus von Heereman:
Wenn ich jemandem genügend Nutzen auf sein Kost-Nutzen-Konto verspreche, werde ich eine Hilfe wecken, die – wie erwähnt – nicht den Menschen meint, der in Not ist und die wahrscheinlich auch nicht sehr resilient ist. Ich denke, es gibt zwei Ansatzpunkte. Zum einen kann man den Betreffenden sehen lassen, dass es wirklich Menschen in Not gibt, denen durch sein Engagement geholfen werden kann. Zum anderen kann man ihn fragen: Wer willst Du sein? Dann landet man am Ende doch da, dass es nicht reicht, ja, dass es fasst peinlich ist, jemand zu sein, der sich selbst der nächste ist. Wenn wir Menschen fragen, was später auf ihrer Beerdigung über sie gesagt werden soll, dann ist der entscheidende Punkt, ob sie zu Lebzeiten für andere Menschen da waren…

„Wir brauchen ein neues Verständnis des Rentnerdaseins.“
Franziskus von Heereman

one: …ein Blick auf die Zeit nach dem Tod – das wird vielen zu fern sein, zu wenig greifbar.
Franziskus von Heereman: Gut, aber ist nicht jeder Tag, jedes Jahr ein Grund zurückzuschauen? Möchte nicht jeder so leben, dass wenn er zurückschaut, auf etwas blickt, das Wert behält über den Moment hinaus? Dabei geht es nicht nur darum, für andere Menschen da zu sein. Aber Helfen gehört in herausragender Weise zu dem, was jeder auch in der Rückschau für gut hält. Beziehungen machen unser Leben menschlich und es ist zutiefst sinnvoll, möglichst viel in solchen Kontexten zu leben. Gespräche mit Sterbenden zeigen, dass sie vor allem traurig sind über das, was sie versäumt haben: Dass sie weniger auf menschliche Beziehungen gesetzt haben als auf Erfolg und Sicherheit.    

one: Besitzt das Ehrenamt zu wenig Aufmerksamkeit? Vielleicht auch zu wenig Wertschätzung?
Franziskus von Heereman:  Ja, wir müssen mehr darüber reden und es besser wertschätzen. Das sollte schon in den Schulen beginnen. Jeder sollte in seiner Schulzeit mindestens einmal real mit Menschen in Not zu tun gehabt haben – und mit Möglichkeiten ihnen zu helfen. Auch ein freiwilliges soziales Jahr wäre eine gute Sache – wobei man darüber diskutieren kann, ob man dies zur Pflicht machen muss. 

one: Viele Hilfsorganisationen setzen vor allem auf die Unterstützung von Rentnern.
Franziskus von Heereman: Wir brauchen ein neues Verständnis des Rentnerdaseins. Für die letzte, aber inzwischen recht lange Epoche des Lebens von ökonomischen Zwängen befreit zu sein, kann nicht bloß seinen Sinn darin haben, dass man die Füße hochlegt. Rentner sind heute die letzte Personengruppe, die die Zeit haben, intensiv unentgeltlich für andere da zu sein. Sie können den stärksten Beitrag gegen die Erkaltung des sozialen Klimas leisten. Man muss stärker klar machen, dass das Ehrenamt diesem Lebensabschnitt einen Sinn geben kann, der durch Ausruhen oder exzessives Verfolgen von Hobbies allein nicht zu erreichen ist. 

„Jeder Hilfeempfänger hat auch etwas zu geben.“
Franziskus von Heereman

one: Wer ein Ehrenamt sucht, findet mittlerweile im Internet eine Vielzahl von Portalen, die bei der Vermittlung helfen. Ist das ein guter Weg, eine Aufgabe zu finden, die einen ausfüllt?
Franziskus von Heereman: Das kann eine Orientierung sein. Wichtig ist, der inneren Stimme zu folgen. Bestimmung kommt nicht nur von außen. Der Mensch hat ein tiefes Wissen darum, wer er ist und wie er die Not der Welt ein wenig lindern kann. Vor allem hilft es, wachsam zu sein für Not im eigenen unmittelbaren Umfeld – Stichwort Nächstenliebe. Eine Sache sollte bei der Diskussion um Ehrenamt und Hilfe nicht vergessen werden….

one: …. das wäre?
Franziskus von Heereman: Die Perspektive des Hilfeempfängers. Helfen sieht nach Einbahnstraße aus, nach Geben in eine Richtung. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Austausch. Gerade Menschen in Not sind Menschen, die oftmals aufgrund ihrer Not einen besonderen Reichtum haben, für den man offen sein sollte.  Behinderte Menschen beispielsweise haben häufig eine besondere Art von Humor, Tapferkeit oder Feinfühligkeit. Jeder Hilfeempfänger hat immer auch etwas zu geben. Selbst in einer Situation, in der jemand nichts mehr kann, gibt er dem Helfer etwas ganz Entscheidendes: die Möglichkeit zu geben. Wenn Menschsein sich vor allem darin erfüllt, für andere da zu sein, sind es die Notleidenden, die uns helfen, menschlich zu sein und dafür gebührt ihnen Dank und Wertschätzung.

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