one: Das Qualitätsmanagement wird oft erst dann wahrgenommen, wenn etwas schiefgelaufen ist. Wenn etwa ein Produkt zurückgerufen werden muss. Stimmt dieses Bild noch?
Jochen Baab: Nein, denn der Aufgabenbereich des Qualitätsmanagements ist in vielen Unternehmen in den vergangenen Jahren deutlich breiter geworden. Bei uns in der REWE Group hat die Neuorganisation des Einkaufs den letzten Anstoß gegeben, um zu sagen: Es ist höchste Zeit, dass wir uns verändern müssen. Denn als die Einkaufsbereiche und die Beschaffung der Eigenmarken neu organisiert wurden, wurde das Qualitätsmanagement nicht im gleichen Maße weiterentwickelt. Anfang 2017 war der richtige Zeitpunkt, um zu entscheiden, das Qualitätsmanagement zukünftig auf ein neues Level zu heben: von einem reaktiven Qualitätsmanagement, das sich – wie in Ihrer Frage angedeutet – eher um Qualitätsüberprüfung, Kontrollen und Rückrufe kümmert, hin zu einer proaktiven Einheit innerhalb der Gesamtorganisation.
Jochen Baab, Bereichsvorstand Handel Deutschland Ware II Charlotte Rosendahl: Absichern geht vor – das war in der Vergangenheit das Leitbild des Qualitätsmanagements. Wächter und Dienstleister, damit waren die Rollen weitgehend beschrieben, wobei das Wort Wächter besonders groß geschrieben wurde. Natürlich muss die Absicherung weiterhin zu 100 Prozent passen. Aber im Laufe der letzten Jahre haben sich die Anforderungen und vor allem Kundenbedürfnisse sowie die Lieferkette verändert. Jetzt ist die Zeit reif zu sagen: Wie kann das Qualitätsmanagement aktiv sein Know-how einbringen, um die Qualität zu gewährleisten, die der Kunde am Regal erwartet?
one: Wie funktioniert proaktives Qualitätsmanagement konkret?
Dorothea Hanke: Das Wissen über Produkte, Qualität und auch Lieferanten wird zukünftig in die Organisation getragen. Nehmen wir beispielsweise die Entwicklung von neuen Eigenmarkenprodukten. Hier darf das Qualitätsmanagement nicht erst bei der Ausschreibungsverkostung über den Artikel informiert werden, sondern muss frühzeitig in den Listungsprozess eingebunden sein. Ein Produkt dreht nicht mehr am Ende diverse Freigabe- und Kontroll-Schleifen durch das Unternehmen – wenn es eigentlich schon fertig entwickelt ist. Unsere Kompetenz fließt frühzeitig mit ein. Das spart Zeit und vermeidet unnötige Arbeit im Nachhinein für uns und den Einkauf.
Jochen Baab: Es ist für alle Beteiligten ärgerlich, wenn am Ende Probleme auftauchen, die man schon am Anfang hätte erkennen oder vermeiden können. An der Entwicklung von Eigenmarkenprodukten sind viele Kollegen beteiligt: REWE und PENNY entwickeln Strategien und Layouts, das Qualitätsmanagement ist für die Einhaltung der vereinbarten Qualitäten verantwortlich und der Eigenmarkeneinkauf organsiert die Beschaffung und erzielt durch Bündelung die bestmöglichen Einkaufspreise. Wir setzen also viel Zeit und Ressource ein. Wenn man dann am Ende feststellt, dass ein Produkt doch noch nachgebessert werden muss, kostet dies viel Zeit und Geld.
Charlotte Rosendahl, Geschäftsleitung Qualitätsmanagement der REWE Group Charlotte Rosendahl: Wenn wir daran etwas ändern wollen, heißt das aber auch, dass das ein kompletter Change für die Gesamtorganisation wird. Wir reden hier nicht darüber, dass sich ein einzelner Bereich neu aufstellt. Das geht nur im Schulterschluss mit allen Schnittstellenpartnern auf nationaler und internationaler Ebene.
one: Haben Sie ein Beispiel?
Charlotte Rosendahl: Ja, ein aktuelles Beispiel für erfolgreiche Zusammenarbeit ist die Pudding-Kampagne von der REWE Markt. Hier kam die Idee aus der REWE den Kunden über einen Pudding mit verschiedenen Zuckergehalten entscheiden zu lassen. Ich habe noch nie eine so große Verkostung auf nationaler Ebene erlebt (lacht). Bei dem Prozess war das Qualitätsmanagement von Anfang an beteiligt, hat mit dem Einkauf und den Lieferanten die Rezepturen definiert und das Projekt eng begleitet.
one: Welche Rolle spielen veränderte Kundenanforderungen für die Zukunft des Qualitätsmanagements?
Dorothea Hanke: Eine große. Die Kunden sind anspruchsvoller, ob bei der Eigenmarke oder bei Markenprodukten. Wir müssen viel mehr als nur Qualität erfüllen. Nachhaltigkeit, fairer Handel, Regionalität sind nur drei Stichworte. Wir können mehr als nur reagieren. Unser riesiges Potenzial liegt in dem Know-how, das wir zum Glück schon im Qualitätsmanagement haben. Es wird eine Schlüsselrolle spielen, das Wissen frühzeitig und zielgerichtet einzubringen.
one: Welche Anforderungen stellen Kunden konkret?
Charlotte Rosendahl: Vereinfacht gesagt möchte der Kunde auf verschiedenen Vertriebswegen mit Vertrauen in das Produkt und mit gutem Gewissen einkaufen, egal ob er sich für eine Eigenmarke aus dem Preiseinstieg oder aus dem Premiumsegment entscheidet. Das betrifft sowohl unser Food- als auch das Non-Food-Sortiment. Durch unsere Arbeit tragen wir entscheidend dazu bei, das Vertrauen der Kunden in unsere Eigenmarken und Vertriebslinien zu stärken.
one: Wie identifizieren Sie die relevanten Themen, auf die sich ein Qualitätsmanagement fokussieren muss?
Jochen Baab: Dank unseres Issue Monitorings können wir Trendthemen wie den wachsenden Kundenwunsch nach Salz- und Zuckerreduktion frühzeitig in die Produktentwicklung einfließen lassen.
Dorothea Hanke, Funktionsbereichsleiterin Qualitätsmanagement Strategie Dorothea Hanke: Es gibt viele Quellen, aus denen wir Trends ableiten können. Nicht zuletzt die Kunden selbst, die etwa über Social Media-Kanäle oder über das Kundenteam hier im Haus eine Stimme haben. Wir bekommen aber natürlich auch Feedback durch Anfragen von NGOs, beteiligen uns aktiv in Verbandsarbeit und beobachten den Wettbewerb.
one: Täuscht der Eindruck oder stellen gerade NGOs immer höhere Anforderungen?
Charlotte Rosendahl: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Die Themenvielfalt nimmt zu – ähnlich wie bei uns. Die mediale Präsenz, ob nun wissenschaftlich fundiert oder nicht, hat eine große Breitenwirkung und manchmal auch eine Verunsicherung der Kunden zu Folge.
Jochen Baab: Das gilt nicht nur für NGOs, sondern auch für Behörden und deren Untersuchungsmethoden. Z.B. werden heute Themen in den Fokus gerückt, die vor Jahren noch nicht auf dem Radar waren und heute für den gesamten LEH große Auswirkungen haben.
Charlotte Rosendahl: Es wird natürlich nicht ausbleiben, dass es auch künftig Skandale geben wird, die wir abarbeiten müssen. Nehmen wir das Beispiel Fipronil bei der Eierproduktion. Das konnte niemand vorhersehen. Das hat die gesamte Branche eiskalt erwischt.
Jochen Baab: Daher ist eine noch engere Verzahnung zwischen dem Qualitätsmanagement und den Beschaffungsbereichen notwendig, um schnell reagieren zu können.
one: Stichwort Geschwindigkeit – was hat sich da im Qualitätsmanagement verändert?
Charlotte Rosendahl: Da müssen wir uns die verschiedenen Prozessschritte anschauen: Wir haben einmal das reaktive Qualitätsmanagement, das krisenorientiert ist. Da müssen wir natürlich schnell und effizient auf Themen reagieren, die von außen auf uns treffen. Unser gut aufgestelltes Risk Management kann im Zweifel in kürzester Zeit Ware aus den Regalen räumen lassen. Weitere Prozessoptimierungen sind im Rahmen von verschiedenen Projekten untersucht worden und werden schrittweise optimiert, unter anderem die Neuausrichtung Qualitätsmanagement, so dass wir erste Effekte in punkto Schnelligkeit bald erkennen werden.