Haiti-Hilfsprojekt für Kinderarbeiter
Pausen gibt’s nur in der Schule
Lesedauer: 7 Minuten
Ausbeutung statt Bildung: Viele Kinder der Ärmsten Haitis verdingen sich als kostenlose Haushaltshilfen mit einem 16-Stunden-Arbeitstag. Zwei von der REWE Group unterstützte Projekte in Port-au-Prince bieten diesen Kindern Lebensperspektiven durch Bildung. Wie, das erläutern der Kindesschutzbeauftragte der Kindernothilfe für Haiti und zwei Jugendliche, die uns ihren Alltag zwischen Schuften und Schule näher bringen.
In der Hoffnung, ihnen ein besseres Leben zu eröffnen, schicken viele arme Eltern ihre Kinder zu „Gastfamilien“. Doch statt Schule, Bildung, Zukunft warten dort auf die manchmal erst sechsjährigen Kinder häufig Schufterei, Ausbeutung, Gewalt. Rund 300.000 dieser „Restavèk“ genannten Kinder soll es in Haiti geben. Der Schlüssel, um ihr Leben dauerhaft in eine gute Bahn zu lenken, heißt Bildung.
Chance für die Chancenlosen
Mit Ihren Spenden unterstützen Sie, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der REWE Group seit Jahren nicht nur den Bau des Collège Verena, sondern nun auch zwei Restavèk-Projekte in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Kooperationspartner ist immer die Kindernothilfe. Beide Projekte bieten Restavèk- und benachteiligten Kindern eine schulische Grundbildung und Jugendlichen eine Ausbildung in handwerklich-technischen Berufen.
Chance für die Chancenlosen
Mit Ihren Spenden unterstützen Sie, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der REWE Group seit Jahren nicht nur den Bau des Collège Verena, sondern nun auch zwei Restavèk-Projekte in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Kooperationspartner ist immer die Kindernothilfe. Beide Projekte bieten Restavèk- und benachteiligten Kindern eine schulische Grundbildung und Jugendlichen eine Ausbildung in handwerklich-technischen Berufen.
Zwei dieser Jugendlichen, Edwigde und Pierre (Namen geändert) haben one von ihrem Arbeitsalltag zwischen 5 und 21 Uhr erzählt und davon, wie die Restavèk-Projekte einen Hoffnungsschimmer in ihr Leben bringen. Beide leben in Tokyo, einem Armenviertel des Stadtteils Delmas 2 von Port-au-Prince. Hier besuchen sie derzeit im Rahmen des Projekts ONENF den weiterführenden Zweig der projekteigenen Schule.
Edwidge, 14 Jahre
„Ich komme aus Fond-Verrettes, im gebirgigen Osten Haitis. Mein Vater starb, als ich ein Kind war, meine Mutter habe ich das letzte Mal vor sechs Jahren gesehen. Denn mit acht Jahren ging ich als Haushaltshilfe nach Port-au-Prince zu einer Frau, die ich Tante nenne. Am Anfang beschimpfte mich die Tante wegen der kleinsten Kleinigkeit. Aber seit sie bei Treffen des ONENF für das Thema „Kindeswohl“ sensibilisiert wurde, hat sich ihr Verhalten mir gegenüber sehr stark gebessert.
05:00 | Ich stehe auf, dusche oder wasche mich, dann bereite ich das Frühstück für die zwei Söhne und zwei Töchter der Familie vor. |
06:00 | Nach dem Abwasch gehe ich los, um die Wasservorräte des Hauses aufzufüllen. Dann putze ich das Haus. |
08:00 | Ich gehe zum Markt, um Lebensmittel zu kaufen. Dann bereite ich das Essen für die Familie vor. |
11:00 | Ich bereite mich auf die Schule vor und mache meine Hausaufgaben. Dann hole ich wieder Wasser. |
12:00 | Ich mache mich für die Schule fertig und gehe los |
13:00 | Ich habe Unterricht |
15:00 | Wir haben Pause und bekommen einen Imbiss in der Schulkantine |
16:00 | Die Schule ist aus |
17:00 | Zurück im Haus mache ich Abendessen und wasche das Geschirr. Dann besuche ich eine befreundete Nachbarin. |
21:00 | Ich gehe schlafen. (Samstags ist Waschtag) |
Pierre, 16 Jahre
„Ich bin hier in Port-au-Prince, genauer in Delmas 2, geboren. Meine Mutter lebt seit dem Erdbeben am 12. Januar 2010 im Lager Canaan. Ich lebe jetzt im Viertel Tokyo bei einer „Tante“ und kümmere mich um ihren Haushalt. Da sie einen Straßenimbiss hat, helfe ich ihr jeden Morgen dabei, das Essen vorzubereiten. Danach bereite ich mich auf die Schule vor. Ich fühle mich wohl in der Schule, mit meinem Lehrer, meinen Klassenkameraden. Sehr gerne habe ich die Pause, das ist fast der einzige Moment am Tag, an dem ich einfach spielen und Spaß haben kann. Mein einziges Problem mit der Schule ist, dass ich bei meiner „Tante“ niemanden habe, der mir bei den Hausaufgaben hilft.
05:00 | Nach dem Aufstehen putze ich das Haus und spüle das Geschirr. Dann gehe ich zum Restaurant der Tante. |
06:00 | Ich putze den Restaurantbereich und fülle die Wasservorräte des Restaurants. Dann helfe ich der Tante dabei, das Essen vorzubereiten (Spülen, Gemüse putzen, Essen kochen, usw). |
11:00 | Nach dem Frühstück mache ich meine Hausaufgaben. Dann mache ich mich fertig und gehe zur Schule. |
13:00 | Ich habe Unterricht |
15:00 | Wir haben Pause und essen in der Schulkantine |
16:00 | Ich gehe nach Hause, hole Wasser und spüle das Geschirr |
17:00 | Ich bereite das Restaurantessen für den nächsten Tag vor, gehe dafür zum Markt, reinige die Küchenutensilien und mehr |
19:00 | Ich mache meine Hausaufgaben und habe etwas Freizeit, um Freunde zu treffen |
21:00 | Ich gehe ins Bett |
Interview
„Alleine haben die Kinder keine Chance, sich zu wehren“
Der Traum von Haitis Ärmsten, ihren Kindern als Haushaltshilfe eine bessere Zukunft zu ermöglichen, endet oft mit Ausbeutung und harter Arbeit weit weg von zu Hause. Pierre Hugue Augustin, Koordinator der Kindernothilfe in Haiti erläutert die Hintergründe des Prinzips „Restavèk“ und wo die Hilfsprojekte für die betroffenen Kinder ansetzen.
one: Warum gibt es in Haiti das Thema „Restavèk“?
Pierre Hugue Augustin: Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bringt arme Familien dazu, ihr Kind zu anderen in den Haushalt zu geben. Um ihrem Kind das Leben zu ermöglichen, das sie ihm selbst nicht bieten können, schicken sie es zu einer anderen Familie, der es finanziell besser geht.
Diese Haushalte wiederum brauchen eine Haushaltshilfe. Da sie einen Erwachsenen dafür aber nicht bezahlen können oder wollen, nutzen sie die kostenlose Dienste eines Kindes für bestimmte Aufgaben im Haushalt. Im Gegenzug versprechen sie den Eltern, für das Kind zu sorgen, versprechen Schulbesuch, medizinische Versorgung, ausreichende Ernährung...
one: Woher kommen die Kinder?
Pierre Hugue Augustin: Die Kinder kommen meist vom Land und gehen entweder in die Hauptstadt und deren Vororte oder in die Provinzhauptstädte. Denn die Infrastruktur in den ländlichen Kommunen ist in der Regel kaum oder gar nicht ausgebaut. Es fehlt an Schulen, sanitärer Grundversorgung, an Strom und Kommunikation. Die Menschen hier sind im wörtlichen Sinne weit weg von der Hauptstadt. Sie denken, dass ihnen das Landleben nicht viel bieten kann, vor allem ihren Kindern nicht. Dass man sie also, damit sie es zu etwas bringen, in die Stadt schicken muss.
Pierre Hugue Augustin: Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bringt arme Familien dazu, ihr Kind zu anderen in den Haushalt zu geben. Um ihrem Kind das Leben zu ermöglichen, das sie ihm selbst nicht bieten können, schicken sie es zu einer anderen Familie, der es finanziell besser geht.
Diese Haushalte wiederum brauchen eine Haushaltshilfe. Da sie einen Erwachsenen dafür aber nicht bezahlen können oder wollen, nutzen sie die kostenlose Dienste eines Kindes für bestimmte Aufgaben im Haushalt. Im Gegenzug versprechen sie den Eltern, für das Kind zu sorgen, versprechen Schulbesuch, medizinische Versorgung, ausreichende Ernährung...
one: Woher kommen die Kinder?
Pierre Hugue Augustin: Die Kinder kommen meist vom Land und gehen entweder in die Hauptstadt und deren Vororte oder in die Provinzhauptstädte. Denn die Infrastruktur in den ländlichen Kommunen ist in der Regel kaum oder gar nicht ausgebaut. Es fehlt an Schulen, sanitärer Grundversorgung, an Strom und Kommunikation. Die Menschen hier sind im wörtlichen Sinne weit weg von der Hauptstadt. Sie denken, dass ihnen das Landleben nicht viel bieten kann, vor allem ihren Kindern nicht. Dass man sie also, damit sie es zu etwas bringen, in die Stadt schicken muss.
one: Wann spricht man von „Restavèk“?
Pierre Hugue Augustin: Es gibt keine präzise Definition. Man könnte sagen: Wenn ein Kind seine eigene Familie verlassen muss, um sich um die häuslichen oder geschäftlichen Pflichten einer anderen zu kümmern, dies mit der Erwartung, dass diese Familie sich als Gegenleistung um das Kind kümmert.
Der Wortursprung leitet sich ab von den französischen Begriffen rester (bleiben) und avec (mit). Ein Restavèk ist also jemand, der bei einem anderen lebt, auf dessen Kosten und mit einer Gegenleistung. Der Begriff hat aber eine negative Note.
one: Auch das Haitianische Institut für Kindheitsfragen IHE kritisiert den Begriff „Restavèk“: Er sei zu negativ besetzt, eine Beleidigung gar. Wie beschreiben die Kinder selbst ihre Situation?
Pierre Hugue Augustin: Die Kinder sprechen nicht gerne über ihre Situation. Wenn sie es dennoch müssen, sagen sie, dass sie bei einem nahen Verwandten leben, einer Tante, einem Onkel, obwohl das meist nicht stimmt. Denn wenn ein Kind zugeben würde, dass es bei jemand lebt, zu dem es absolut keine verwandschaftlichen Bindungen hat, wäre jedem sofort klar, dass es in einem fremden Haushalt schuftet.
Pierre Hugue Augustin: Es gibt keine präzise Definition. Man könnte sagen: Wenn ein Kind seine eigene Familie verlassen muss, um sich um die häuslichen oder geschäftlichen Pflichten einer anderen zu kümmern, dies mit der Erwartung, dass diese Familie sich als Gegenleistung um das Kind kümmert.
Der Wortursprung leitet sich ab von den französischen Begriffen rester (bleiben) und avec (mit). Ein Restavèk ist also jemand, der bei einem anderen lebt, auf dessen Kosten und mit einer Gegenleistung. Der Begriff hat aber eine negative Note.
one: Auch das Haitianische Institut für Kindheitsfragen IHE kritisiert den Begriff „Restavèk“: Er sei zu negativ besetzt, eine Beleidigung gar. Wie beschreiben die Kinder selbst ihre Situation?
Pierre Hugue Augustin: Die Kinder sprechen nicht gerne über ihre Situation. Wenn sie es dennoch müssen, sagen sie, dass sie bei einem nahen Verwandten leben, einer Tante, einem Onkel, obwohl das meist nicht stimmt. Denn wenn ein Kind zugeben würde, dass es bei jemand lebt, zu dem es absolut keine verwandschaftlichen Bindungen hat, wäre jedem sofort klar, dass es in einem fremden Haushalt schuftet.
one: Wie ergeht es den Kindern in den fremden Familien?
Pierre Hugue Augustin: In ihrer neuen Familie wird die Arbeitskraft der Kinder vielfach ausgebeutet. Die Kinder übernehmen sehr viel Hausarbeit, die oft viel zu schwer für ihr Alter ist. In manchen Fällen kümmern sie sich sogar um die Kinder des Hauses, die älter als sie selbst sind. Sie werden oft hart bestraft für die kleinsten Fehler, sind immer wieder Gewalt, Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt, da sie niemanden haben, der sich für sie, für ihre Sicherheit, ihren Schutz stark macht. Und alleine haben sie keine Chance, sich zu wehren.
Pierre Hugue Augustin: In ihrer neuen Familie wird die Arbeitskraft der Kinder vielfach ausgebeutet. Die Kinder übernehmen sehr viel Hausarbeit, die oft viel zu schwer für ihr Alter ist. In manchen Fällen kümmern sie sich sogar um die Kinder des Hauses, die älter als sie selbst sind. Sie werden oft hart bestraft für die kleinsten Fehler, sind immer wieder Gewalt, Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt, da sie niemanden haben, der sich für sie, für ihre Sicherheit, ihren Schutz stark macht. Und alleine haben sie keine Chance, sich zu wehren.
one: Die Kindernothilfe arbeitet mit zwei Projekten für ausgebeutete Kinder in Haiti, die von der REWE Group unterstützt werden. Wie helfen diese Projekte, das Leben der Kinder zu verbessern?
Pierre Hugue Augustin: Sie eröffnen den Restavèk-Kindern die Chancen, die ihnen sonst verwehrt blieben. Hier erhalten die Kinder Unterricht, der es ihnen ermöglichen soll, Lernrückstände aufzuholen und später auf eine Regelschule zu gehen. Den Älteren wird eine Form von Kurzzeitausbildung angeboten. Das wichtigste aber an dem Schulbesuch ist: Sie können sich artikulieren, sie werden gehört, sie lernen ihre Rechte kennen. Und sie können mit dem erlernten Beruf ihren Lebensunterhalt verdienen.
Für die „Gastfamilien“ gibt es parallel dazu Angebote zur Sensibilisierung. Hier lernen sie, sich gegenüber den von ihnen abhängigen Restavèks respektvoller zu verhalten. Das stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder und dämmt die Gefahren ein, denen sie ausgesetzt sind: Ausbeutung, Gewalt, sexueller Missbrauch...
Parallel dazu gibt es Präventionsprojekte, um vorzubeugen, dass andere Kinder unter den gleichen schwierigen Bedingungen zu leiden haben.
Pierre Hugue Augustin: Sie eröffnen den Restavèk-Kindern die Chancen, die ihnen sonst verwehrt blieben. Hier erhalten die Kinder Unterricht, der es ihnen ermöglichen soll, Lernrückstände aufzuholen und später auf eine Regelschule zu gehen. Den Älteren wird eine Form von Kurzzeitausbildung angeboten. Das wichtigste aber an dem Schulbesuch ist: Sie können sich artikulieren, sie werden gehört, sie lernen ihre Rechte kennen. Und sie können mit dem erlernten Beruf ihren Lebensunterhalt verdienen.
Für die „Gastfamilien“ gibt es parallel dazu Angebote zur Sensibilisierung. Hier lernen sie, sich gegenüber den von ihnen abhängigen Restavèks respektvoller zu verhalten. Das stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder und dämmt die Gefahren ein, denen sie ausgesetzt sind: Ausbeutung, Gewalt, sexueller Missbrauch...
Parallel dazu gibt es Präventionsprojekte, um vorzubeugen, dass andere Kinder unter den gleichen schwierigen Bedingungen zu leiden haben.
one: Welche Zukunft wartet auf Restavèk-Kinder?
Pierre Hugue Augustin: Wenn sie größer werden, erwachsen sind und sich besser gegen Ausbeutung und Gewalt wehren können, werden sie von ihren „Gastfamilien“ oft auf die Straße gesetzt. Diejenigen ohne schulische Qualifikation werden eine ungelernte, schlecht bezahlte Tätigkeit annehmen, als Putzfrau, Hausmeister oder aber Tagelöhner. Andere erlernen einen handwerklichen Beruf, wie Maurer, Schuster oder Schneiderin. Das aber auf sehr niedrigem Niveau, so dass sie es schwer haben, sich damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Und dann gibt es immer Kinder, die einen guten Schulabschluss schaffen und ein Studium beginnen. Die sich, trotz des schwierigen Starts ins Leben, ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen.
Pierre Hugue Augustin: Wenn sie größer werden, erwachsen sind und sich besser gegen Ausbeutung und Gewalt wehren können, werden sie von ihren „Gastfamilien“ oft auf die Straße gesetzt. Diejenigen ohne schulische Qualifikation werden eine ungelernte, schlecht bezahlte Tätigkeit annehmen, als Putzfrau, Hausmeister oder aber Tagelöhner. Andere erlernen einen handwerklichen Beruf, wie Maurer, Schuster oder Schneiderin. Das aber auf sehr niedrigem Niveau, so dass sie es schwer haben, sich damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Und dann gibt es immer Kinder, die einen guten Schulabschluss schaffen und ein Studium beginnen. Die sich, trotz des schwierigen Starts ins Leben, ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen.
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