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Foto: GettyImages/skynesher
Lesedauer: 7 Minuten
Hans-Jürgen Moog
„Der Einkauf soll noch digitaler werden“

Tausende Industriepartner beliefern die REWE Group – entsprechend vielfältig sind die über viele Jahre gewachsenen Verträge und Vereinbarungen. Eine Digitalisierungs-Roadmap soll den Einkauf nun dabei unterstützen, in den Verhandlungen effizienter zu werden und bessere Entscheidungen zu treffen. Im one_Interview erklärt REWE Group-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog, was dahinter steckt.

Hans-Jürgen Moog one: Herr Moog, Sie arbeiten schon seit einigen Jahren im Lebensmittelhandel, der lange Zeit ein rein analoges Geschäft war. Heute haben wir den Anspruch, dem Kunden ein 360-Grad-Einkaufserlebnis zu bieten. Welche digitalen Angebote nutzen Sie persönlich beim Einkaufen?
Hans-Jürgen Moog:
Ich finde die Digitalisierung aus Kundensicht in der REWE Group schon sehr beeindruckend. Ein neues Feature in der REWE-App, das mir besonders gefällt, ist der Nutri-Score-Scanner. Damit können unsere Kunden bei allen Eigenmarkenartikeln über den Scan-Code den Nutri-Score des Artikels auf dem Smartphone abrufen. So haben wir es geschafft, sehr schnell volle Transparenz über den Nutri-Score aller Artikel zu schaffen. Denn bis wir alle Verpackungen umgestellt und den Nutri-Score dort aufgebracht haben, dauert es deutlich länger. Wir leisten damit einen tollen Beitrag zur Ernährungsbildung und fordern auch unsere Markenlieferanten auf, nachzuziehen und ihre Produkte mit dem Nutri-Score zu versehen.

one: Bei der Digitalisierung auf Kundenseite hat die REWE Group in den vergangenen Jahren eine Vorreiterrolle im deutschen LEH eingenommen. Wie sieht es bei den Prozessen innerhalb des Unternehmens aus?
Hans-Jürgen Moog:
Um es ganz offen zu sagen: Im Einkauf können wir noch besser werden. Aus diesem Grund haben wir für unsere unterschiedlichen Beschaffungskanäle Marke, Eigenmarke und Ultrafrische separate Digitalisierungs-Roadmaps entwickelt. Diese individuelle Anpassung ist übrigens absolut notwendig, um den unterschiedlichen Bedürfnissen in diesen Einkaufsbereichen gerecht zu werden. Aus unterschiedlichen Rahmenbedingungen ergeben sich verschiedene Anforderungen, wie wir unsere Einkäufer bei der Vorbereitung, Verhandlung und letztendlich Vertragsdokumentation mit unseren Industriepartnern unterstützen können. 

one: Was kann man sich konkret unter einer Digitalisierungs-Roadmap im Einkauf vorstellen?
Hans-Jürgen Moog:
Bei Digitalisierung denken viele sofort an die Einführung neuer IT-Anwendungen. Das alleine ist es aber nicht. Wir haben heute bereits sehr viele gute IT-Tools in unseren Prozessen im Category Management oder Einkauf. Diese liefern uns heute wertvolle Unterstützung bei der Entscheidungsfindung. Einige Systeme sind bei den Einkäufern aber auch nicht so beliebt, etwa weil es zu Medienbrüchen kommt oder Daten doppelt gepflegt werden müssen. Auch haben wir weiterhin sehr viele manuelle Listen und Notizen. Wir wollen mit der Digitalisierung den Einkauf dabei unterstützen, einerseits effizienter zu arbeiten, sprich mit weniger administrativen Aufwand als heute die Verhandlungen durchzuführen. Gleichzeitig wollen wir die Effektivität verbessern, also den Einkauf bei einer besseren Entscheidung unterstützen.

„Der Wunsch nach Komplexitätsreduktion in der Organisation ist allgegenwärtig.“
Hans-Jürgen Moog

one: Was heißt das konkret?
Hans-Jürgen Moog:
Einer der für uns wesentlichsten, warenübergreifenden Einkaufsprozesse in der Eigenmarke ist „source to contract“. Das heißt der Prozess, der die wesentlichen Einkaufsschritte im Beschaffungsprozess umfasst, von der Lieferantenauswahl und -management, der Verhandlungsunterstützung (Ausschreibung/Simulationen) bis zur Lebenszyklusverwaltung aller Warenverträge. Hier haben wir einen großen Hebel, wenn wir mit Hilfe von definierten Standardprozessen und Funktionen ganzheitlich unterstützen. Manuell gepflegte und verwaltete Lieferantenkontakte, manuelle Angebotsvergleiche in Excel-Listen oder ausgedruckte und postalisch versendete Lieferantenvereinbarungen gehören zukünftig ganz klar der Vergangenheit an. Dabei haben die Projektteams einen klaren Auftrag, alles was uns daran hindert, einfacher und schneller in unsere Einkaufstätigkeit zu werden, ganz bewusst zu hinterfragen und ganzheitlich neu zu definieren.  

one: Warum ist dieser Schritt gerade jetzt notwendig?
Hans-Jürgen Moog:
Der Wunsch nach Komplexitätsreduktion in der Organisation ist allgegenwärtig. Unser Sortiment und damit auch die zugrundeliegende Lieferantenzusammenarbeit umfasst exemplarisch regionale Lieferanten, nationale Traditionslieferanten, internationale Markenkonzerne und Start-Ups in allen Warenbereichen. Damit verbunden sind dann auch Gespräche und Vereinbarungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Daher sind auch die Details jeder Vereinbarung für den reibungslosen Ablauf in zahlreichen Bereichen wichtig, von der Logistik und Disposition bis zum Rechnungswesen und der Abrechnung. Um zukünftig weiter erfolgreich zu sein, brauchen wir mehr standardisierte und vereinfachte Vereinbarungen. Nur so können wir die Vielzahl und die beschriebenen Ebenen stärker zielorientiert verhandeln und automatisiert verwalten.

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es geht uns um eine spürbare Verbesserung im Tagesgeschäft.“
Hans-Jürgen Moog

one: Welche Rolle spielen Daten und deren Aufbereitung für Entscheidungen im Einkauf?
Hans-Jürgen Moog:
Eine klare Datengrundlage ist die Voraussetzung für alle Digitalisierungsinitiativen. Diese Grundlage müssen wir weiter verbessern. Wir brauchen vollständige, aktuelle und richtige Daten. Von den Artikelstammdaten bis hin zu Preis und Konditionen. Ich bin davon überzeugt, dass wir bereits sehr viel geschafft haben und sehr zuversichtlich für den weiteren Weg. Wir haben in den letzten Jahren bereits mit mehr als 1.200 Lieferanten ein Folding unserer Einkaufspreis-Vereinbarungen durchgeführt. Das bedeutet, wir haben mit Industriepartnern jeglicher Größe aus allen Beschaffungskanälen das bisherige Konditionsgefüge standardisiert und damit letztendlich stark vereinfacht. Dabei konnten wir auch eine Vielzahl von Einzelfallvereinbarungen reduzieren, darunter individuelle Ausnahmen oder auch Zwischensummen sowie nicht benötigte Auf- oder Abschläge. Auch wenn das manchmal vom Einkauf oder und auch vom Industriepartner mit etwas Herzschmerz begleitet wurde; denn wirklich Spaß macht das nicht. 

Bei den Artikelstammdaten setzen wir mit DQX auf einen externen Prüfservice, der alle Markenartikel ähnlich wie der TÜV prüft. Somit schaffen wir auch neues Vertrauen. Seit unserem klaren Bekenntnis zu DQX und der aktiven Unterstützung der GS1-Initiative haben sich bereits 350 Lieferanten (ca. 40% des FMCG-Markenumsatzes) in den letzten Monaten zu dieser Digitalisierungsstrategie bekannt. Dieser sehr dynamische Prozess freut uns sehr.

one: Welche Vorteile bringt diese Prozessdigitalisierung für die Kollegen in der Ware?
Hans-Jürgen Moog:
Klar ist: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es geht uns um eine spürbare Verbesserung im Tagesgeschäft. Unsere Zielvorstellung ist eine digitale Verhandlungs- und Vereinbarungswelt, die den Industriepartner und auch angrenzende Fachabteilungen mit inkludiert. So schaffen wir für die Kolleginnen und Kollegen in der Ware mehr Freiraum für aktiveres und eigenständigeres Arbeiten, um Ihnen so noch mehr Zeit zur Gestaltung von verbraucherorientierten Sortimenten und der Aufspürung von Trends zu ermöglichen. 
 

„Erst vereinfachen und standardisieren, dann digitalisieren.“
Hans-Jürgen Moog

one: Ein Blick auf das Sortiment zeigt, dass die REWE Group eine große Zahl an Lieferanten hat. Inwieweit ist das eine Herausforderung?
Hans-Jürgen Moog:
Unser Gesamtsortiment in Deutschland wird von mehreren tausend Lieferanten hergestellt. Die Herausforderung besteht vor allem in der Vielschichtigkeit der Lieferantenbeziehungen und -vereinbarungen. Mehr Standardisierung ist hier der einzige Weg. Es gilt der Grundsatz: Erst vereinfachen und standardisieren, dann digitalisieren! Glauben Sie mir, die Diskussionen darüber mit meinen Kollegen in der Ware sind nicht immer einfach, weil es auch hier an mancher Stelle gilt, Liebgewonnenes und Vertrautes loszulassen. Dies ist aber absolut notwendig.

one: Viele dieser Lieferantenbeziehungen bestehen schon seit Jahren und Jahrzehnten. Macht es diese gewachsene Beziehung einfacher oder komplizierter, die Gespräche auf neue, stärker standardisierte Füße zu stellen?
Hans-Jürgen Moog: Für mich stellt sich diese Frage nicht. Wie gesagt, für mich persönlich liegt der Schlüssel zum Erfolg aller Aktivitäten in der Standardisierung und Vereinfachung der Vereinbarungen mit unseren Industriepartnern, ob in der Eigenmarke, der Marke oder der Ultrafrische. Wir haben heute aufgrund der oft langjährigen, sehr erfolgreichen und gewachsenen partnerschaftlichen Zusammenarbeit viele unterschiedliche Vereinbarungen. In ersten Folding-Projekten konnten wir schon sehr viel Komplexität reduzieren. Aber wir sind noch nicht am Ziel und müssen weiter reduzieren und beidseitig standardisieren. Insbesondere bei Einkaufskonditionen werden wir auch Gespräche mit Lieferanten führen müssen, um weiter zu vereinfachen. Die Vereinfachung der Konditionen hat für uns allerhöchste Priorität und wir werden auch konsequent von allen Lieferanten einfordern, dass sie mitmachen. Das wird unsere Einkäufer und Lieferanten in den nächsten Jahren sicher sehr stark beschäftigen.

„Die Anstrengungen werden sich für alle lohnen, auch für die Lieferanten.“
Hans-Jürgen Moog

one: Was haben die Lieferanten von diesem Schritt?
Hans-Jürgen Moog: Auch wenn der Weg dorthin nicht einfach ist: Am Ende profitieren sowohl wir als auch die Lieferanten maßgeblich von den Effizienzsteigerungen. Wir wissen, dass auch viele Lieferanten mit der genannten Komplexität zu kämpfen haben. Mit einem vereinfachten Konditionsmodell wird sich die Transparenz und Planbarkeit für sie deutlich erhöhen. Außerdem reduziert sich der Verwaltungsaufwand deutlich, denken Sie nur an Datenpflege, Abstimmungen, Vereinbarungen und Abrechnungsprozesse mit einer hohen Anzahl an Rechnungen. Die Anstrengungen werden sich also definitiv für alle lohnen.

one: Wenn Sie am Ende auf das Ergebnis schauen: Was muss passiert sein, damit Sie nach Abschluss dieses Digitalisierungsprozesses sagen: Das war ein erfolgreiches Projekt?
Hans-Jürgen Moog: Wenn die Einkaufsprozesse erlebbar anders sind: Eingebettet in eine digitale Verhandlungs- und Vereinbarungswelt, die alle Beteiligten dabei unterstützt, effizienter zu arbeiten. Alles aus einem Guss und intuitiv in der Bearbeitung und Durchführung. Ich selbst arbeite bereits heute papierlos und würde mir wünschen dies auch allen Mitarbeitern in der Ware zu ermöglichen. Wir sind zuversichtlich, dass wir die richtigen Projekte angestoßen haben, um insgesamt die digitale Vorreiterposition der REWE Group zu stärken.

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