Telerik Schischmanow, neuer Finanzvorstand (CFO) der REWE Group, erläutert, warum es wichtig ist, weiter kräftig zu investieren, welche Herausforderungen damit verbunden sind und warum Vielfalt nicht unbedingt auch bei Einkaufswagen gelten sollte.
one: Herr Schischmanow, Sie haben die REWE Group in verschiedenen Funktionen und aus unterschiedlichen Perspektiven kennengelernt, ehe Sie am 1. Juli 2022 die Aufgabe des CFO zusätzlich zu Ihrer Funktion als Bereichsvorstand Handel Deutschland übernommen haben. Das heißt, lange einzuarbeiten brauchten Sie sich nicht?
Telerik Schischmanow: Richtig, die meisten Themen, Abläufe und Kolleg:innen sind mir seit langem bekannt. Ich habe 2006 als Leiter des Bereichs Beteiligungsmanagement / Mergers & Acquisitions bei der REWE Group angefangen und den Konzern in den folgenden Jahren sowohl in seiner Breite als auch in seiner Tiefe gut kennengelernt. Mittlerweile bin ich in etwa 150 Gesellschaften Geschäftsführer, Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat oder Gesellschaftervertreter – es gibt also kaum ein Thema, das ich nicht mitbekomme. Somit fühle ich mich bestens vorbereitet. Andererseits wissen auch die übrigen Vorstandskollegen sowie alle Mitarbeitenden, was sie von „dem Neuen“ zu erwarten haben. Gerade in herausfordernden Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, ist es aus meiner Sicht gut, Stabilität im Management und Verlässlichkeit in den Entscheidungen zu haben.
one: Die Preise steigen, Energie wird teurer und der Ausgabespielraum der Verbraucher:innen schrumpft. Ökonomen fürchten nach dem leichten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal einen baldigen Absturz in die Rezession. Was bedeutet dieses Szenario für die REWE Group?
Telerik Schischmanow: Die Luft wird dünner, darauf müssen wir uns einstellen. Aber wir sind aufgrund unserer breiten Diversifizierung auch auf schwierige Konjunkturphasen gut vorbereitet. Das haben die vergangenen zweieinhalb Jahre erneut gezeigt: Mit dem Ausbruch der Pandemie kam das Touristikgeschäft zum Erliegen, dafür brummte es im Lebensmittelhandel, insbesondere im Vollsortiment, sowie zeitweise auch im Baumarktbereich. Nun erleben wir, dass der Discount zulegt, weil die Verbraucher:innen preissensibler werden. Auch die Touristik meldet wieder sehr gute Buchungszahlen. Unser breites Portfolio schützt uns vor großen Ausschlägen nach unten. Wir agieren als genossenschaftliche Unternehmensgruppe langfristig und entscheiden, ohne uns kurzfristig nach einem Börsenkurs richten zu müssen.
one: Was heißt das konkret, die Luft wird dünner?
Telerik Schischmanow: Die letzten zwei, drei Jahre ist es uns gelungen, die Ertragskraft auszubauen und das Ergebnis zu steigern. Aber wenn wir uns weiter die hohen und steigenden Investitionsvolumina leisten wollen und nicht radikal priorisieren wollen, dann muss der absolute Ertrag mittel- und langfristig weiter ausgebaut werden. Der Markt im Lebensmitteleinzelhandel ist unter Druck. Es gibt eine Lücke zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisinflation, die wir als Handelsunternehmen abfedern – abfedern müssen! Denn wie Lionel Souque schon mehrfach betont hat: In schwierigen Zeiten muss jeder einen Teil der Last schultern. Viele Menschen können bereits jetzt keine Rücklagen mehr bilden, es ist also Unsinn zu glauben, wir könnten alle Kostensteigerungen an die Kund:innen weitergeben.
Sorgen bereiten mir auch die rasant steigenden Kosten in anderen Bereichen. Im Baubereich zum Beispiel erleben wir Preissprünge, die vor einigen Monaten niemand für möglich gehalten hätte. Technische Komponenten sind knapp. Beispiel Ladesäulen: Früher betrug die Lieferzeit eines Trafos für die Stromversorgung zwei Wochen, heute ein Jahr. In diesem Umfeld müssen wir sehr genau abwägen, welche Ausgaben wirklich nötig sind – und wo wir vorausschauend sparen und die Effizienz steigern können.
one: Bedeutet das, dass auch Investitionspläne überprüft werden?
Telerik Schischmanow: Gerade jetzt ist es wichtig, nicht panisch alle Zukunftsinvestitionen – von Digitalisierung bis Nachhaltigkeit / Klimaschutz – zu stoppen. Und damit quasi die Zukunft abzusagen. Die REWE Group hat in den vergangenen Jahren sehr hohe Investitionen getätigt, um ihr Geschäft weiterzuentwickeln. Das war gut und richtig, und diesen Kurs halten wir. Wir verfügen über eine hohe Innovationskraft, und wer viele gute Ideen umsetzen will, benötigt entsprechende finanzielle Mittel. Trotzdem werden wir zukünftig die Investitionsbedarfe noch intensiver überprüfen und diskutieren müssen.
one: Wo lagen und liegen die Schwerpunkte bei den Investitionen?
Telerik Schischmanow: Wir haben insbesondere in Technologie und Digitalisierung investiert – sei es in Automatisierungstechnologie in Lägern, Konzepte wie Selfscanning, Pick & Go oder autonome Stores wie „Josefs nahkauf Box“. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Immobilien – insbesondere in Deutschland, wo wir hochmoderne Lager errichtet haben und zudem dazu übergegangen sind, Marktstandorte bevorzugt zu kaufen, statt zu mieten. Aus guten Gründen: Als Eigentümer haben wir die Entscheidungshoheit über ein Objekt und können An- und Umbauten, wie Photovoltaikanlagen oder auch E-Mobilitätsstationen, zügiger umsetzen. Wir können außerdem gute Standorte langfristig absichern und nicht zuletzt ist Kaufen wirtschaftlich für uns in der Regel attraktiver. Natürlich halten wir auch an der Mietstrategie fest. Zum Beispiel, wenn ein Eigentümer nicht verkaufen möchte – was in guten Lagen immer häufiger der Fall ist – aber wir den Standort sehr gerne nutzen möchten.
one: Fällt das Budget für Investitionen in Technologie und Immobilien in Zukunft möglicherweise knapper aus?
Telerik Schischmanow: Nein, das will ich nicht sagen. Wir benötigen weiter hohe Investitionen, um unser angestammtes Geschäft weiterzuentwickeln und neue Wachstumsfelder zu erschließen. Auch dürfen wir nicht nachlassen, unsere Vorreiterrolle im Bereich Nachhaltigkeit zu festigen und auszubauen. Zum Beispiel werden wir weiter in Technologie investieren müssen, um unser Klimaziel zu erreichen: In Kältetechnik, in Heizungsanlagen, Dämmung, neue Baustoffe. Ohne Nachhaltigkeit geht es übrigens auch im Bereich Finanzen kaum mehr: Green Finance ist ein Thema, das in den nächsten Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen wird. Unternehmen, die sich im Bereich der Nachhaltigkeit nicht weiterentwickeln, werden sich zukünftig schwertun, Darlehen zu attraktiven Konditionen zu bekommen.
Aber damit wir bei all diesen wichtigen Projekten in Zukunft nicht zu stark priorisieren müssen, ist es notwendig, die Ertragskraft weiter zu erhöhen. Das ist eine Herausforderung, denn Personal- und Sachkosten ziehen deutlich an. Wir haben in den vergangenen zwei, drei Jahren gute Ergebnisse erzielt, aber auch die reichen nicht aus, unverändert hohe oder gar steigende Investitionen zu finanzieren. Um es klar zu sagen: Wir müssen genug Cash verdienen, um unsere Investitionen decken zu können.
one: Was kann die REWE Group tun, um auch in einem schwierigen Marktumfeld Umsatz und Ertrag zu steigern?
Telerik Schischmanow: Wir wollen weiter sowohl organisch als auch anorganisch wachsen. Die REWE Group hat in den vergangenen Jahren immer sehr stark akquiriert, sowohl im Inland als auch im Ausland. Das soll auch künftig so sein, wenn sich entsprechende Chancen ergeben. Dazu wollen wir weiter neue Ladenformate entwickeln und die Sortimente noch attraktiver machen, zum Beispiel durch den Ausbau der Eigenmarken und Innovationen. Zudem treiben wir das Digital- und Omnichannel-Geschäft weiter voran, schaffen mehr Abholstationen bei Kaufleuten und Filialen, forcieren Click & Collect und bauen den Lieferservice aus.
one: Die REWE Group hat in den vergangenen Jahren deutlich mehr fremde Mittel aufgenommen. Trotzdem gilt die Verschuldung gemessen an der Größe und Ertragskraft des Konzerns nach wie vor als moderat. Gibt es somit Spielraum, höhere Investitionen durch Kredite zu finanzieren?
Telerik Schischmanow: Ja, wir haben uns in den vergangenen Jahren deutlich stärker verschuldet. Das ist nicht grundsätzlich schlecht. Ein stark wachsender Konzern darf sich verschulden. Der Punkt ist: Die Verschuldung muss immer in einer gesunden Relation zur Ertragskraft stehen. Die Profitabilität muss so hoch sein, dass man nicht gezwungen ist, in jedem Jahr weitere hohe Darlehn aufzunehmen, um seine Investitionen zu finanzieren, sondern eventuell die Verschuldung sogar zurückführen kann. Wir besitzen nicht zuletzt aufgrund unseres vor kurzem noch einmal verbesserten S&P Ratings sowie unserer nachhaltigen Ausrichtung Spielraum für weitere Kreditfinanzierungen. Wenn es nötig ist, werden wir die Verschuldung auch weiter erhöhen – aber dies muss mit Bedacht und einer langfristigen Strategie dahinter passieren. Wir müssen uns sehr gut überlegen, wofür wir das Geld ausgeben. Denn das wird uns angesichts der stark gestiegenen Zinsen deutlich mehr kosten als in der Vergangenheit. Dazu gehört auch, Verzicht zu üben.
one: Was heißt das?
Telerik Schischmanow: Das heißt, Strukturen und Prozesse stärker zu hinterfragen: Was ist wirklich erfolgskritisch und wichtig von all den Themen, die wir haben? Viele Sachverhalte werden nach meiner Beobachtung zu häufig angefasst, bis es zu einer Lösung kommt. Wir benötigen schlankere, kürzere Prozesse, weniger Kontaktpunkte und Medienbrüche. Die Frage muss lauten: Wie können wir das, was wir tun einfacher, weniger komplex, schneller, automatisierter und standardisierter erledigen? So viel Standardisierung wie möglich, soviel Individualisierung wie zwingend nötig. Ich gebe ein Beispiel: Einkaufswagen. Viele unserer Mitbewerber verfügen über maximal eine Handvoll verschiedener Modelle, die europa- oder gar weltweit eingekauft werden. Wir leisten uns konzernweit über hundert Varianten. Geht das nicht anders? Deswegen wurde unter anderem auch für dieses Thema eine erfolgreiche Initiative für Nichthandelsware gestartet, die Variantenvielfalt zu reduzieren und eine gruppenweite Ausschreibung zu initiieren.
one: Viele Herausforderungen….
Telerik Schischmanow: Und Chancen! Um diese alle zu nutzen, benötigen wir nach wie vor viele zusätzliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Da komme ich zu einem weiteren Punkt: Wir laufen in eine demografische Falle hinein, wir werden in den nächsten Jahren einen irren Fachkräftemangel bekommen. Schon jetzt merken wir, dass wir nicht mehr jede freie Stelle so leicht besetzen können. Auch da müssen wir weiter investieren. Wir müssen als Arbeitgeber noch attraktiver werden. Zum Beispiel, indem wir flexibles Arbeiten noch umfassender anbieten, als wir das heute bereits machen. Das ist meines Erachtens durchaus möglich. Auch ich arbeite hin und wieder von zu Hause und wenn dann mal meine Kinder bei mir sind, weise ich meine Gesprächspartner:innen vorab darauf hin, dass im Hintergrund möglicherweise einmal ein Luftballon durchs Bild fliegt…
Zur Person
Telerik Schischmanow kam 2006 als Leiter des Bereichs Mergers & Acquisitions zur REWE Group. Von 2009 bis 2011 war er CFO der transGourmet Holding SE, an der die REWE Group zur 50 Prozent beteiligt war. Nach seiner Rückkehr zur REWE Group im September 2011 wurde Schischmanow zum Generalbevollmächtigten des Unternehmens ernannt und leitete unter anderem die Bereiche Corporate Development/Strategie und Konzerncontrolling.
Seit Juli 2016 ist er Bereichsvorstand Handel Deutschland und verantwortet den Bereich Verwaltung/Services. Im Juli 2022 hat er zusätzlich die Aufgabe des Konzern CFO übernommen.