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Foto: Fartrade/ Christoph Köstlin
Einkaufschef Hans-Jürgen Moog
„Wir brauchen ein praktikables und wirksames Lieferkettengesetz“
von Julia Klotz

Kinderarbeit, Hungerlöhne, unzureichender Schutz vor Pestiziden – am Anfang globaler Lieferketten stehen häufig Menschenrechtsverletzungen. Abhilfe soll ein vieldiskutiertes Lieferkettengesetz schaffen. Inwiefern die REWE Group das Vorhaben unterstützt und was es braucht, damit das Gesetz wirklich etwas bewirkt, erzählt REWE Group-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog im Interview. 

Ob Kakao aus Ghana oder Kleidung aus Bangladesch: Bis ein Produkt in deutschen Läden liegt, legt es oftmals einen langen Weg zurück. Seit den 90er-Jahren führt die wachsende Globalisierung dazu, dass immer mehr Waren oder Vorprodukte im Ausland, überwiegend dem globalen Süden, gefertigt werden. Von der neuen Arbeitsteilung haben nicht nur Unternehmen profitiert, sondern auch Konsumentinnen und Konsumenten dank niedrigerer Preise und ebenso die Produzierenden in den Erzeuger-Ländern. Wer häufig nur bedingt oder gar nicht davon profitierte: die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst. Denn ganz am Anfang der Lieferketten stehen oft Kinderarbeit und Hungerlöhne.

Unternehmen sollen nun mit einem Lieferkettengesetz dafür haftbar gemacht werden, wenn sie nicht ausreichend ihren Sorgfaltspflichten nachkommen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) haben Eckpunkte für eine solche Regulierung vorgelegt: In Deutschland ansässige Unternehmen müssten demnach prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen ergreifen, um dem gegenzusteuern.

Welche Chancen liegen in einem Lieferkettengesetz, und wie müsste es beschaffen sein, damit es auch wirklich praxistauglich ist? Darüber hat one hat mit REWE Group-Einkaufschef Hans-Jürgen Moog gesprochen.

Hans-Jürgen Moog one: Herr Moog, innerhalb der Bundesregierung gibt es Bestrebungen, die Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten mit einem neuen Gesetz in die Pflicht zu nehmen. Seit Monaten wird hitzig über das Gesetz diskutiert. Was sagen Sie als Einkaufschef eines der größten deutschen Handelsunternehmen dazu?
Hans-Jürgen Moog: Für uns ist klar: Menschenrechte dürfen nicht verhandelbar sein. Denn wir sind überzeugt, dass es verbindliche Rahmenbedingungen braucht, um entlang globaler Lieferketten faire Voraussetzungen zu schaffen. Daher haben wir uns bereits Ende 2019 für ein Gesetz ausgesprochen – und zwar eines auf internationaler Ebene! Ein rein nationales Lieferkettengesetz reicht aus unserer Sicht nicht aus, um Sorgfaltspflichten im Ursprung weltweiter Wertschöpfungsketten wirksam zu stärken. Dabei sollte sich ein Gesetz auf die menschenrechtlichen Aspekte fokussieren, so wie das in den UN-Leitprinzipien formuliert ist. Für uns ist nicht die Frage, ob wir ein Gesetz brauchen, sondern wie dieses aussehen muss, damit es auch praktikabel und wirksam ist. Dazu müssen Politik und Unternehmen bestenfalls in den Dialog gehen und den Praxis-Check machen. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, in eine möglichst große Wirkung für die Verbesserung der Menschenrechte zu investieren und nicht etwa in einen ausufernden administrativen Aufwand.

one: Warum nicht erstmal in Deutschland starten? In anderen europäischen Ländern gibt es ja bereits ein Lieferkettengesetz, zum Beispiel in Frankreich oder in den Niederlanden.
Hans-Jürgen Moog: Nationale Alleingänge bringen der hiesigen Wirtschaft Wettbewerbsnachteile und hohen bürokratischen Aufwand – ohne dass in der Sache viel gewonnen wäre. Dazu kommt, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in jedem Land unterschiedlich sind. Das lässt sich nicht einfach vergleichen oder kopieren. Aber Deutschland könnte Leitplanken definieren für Verhandlungen auf EU-Ebene. Wir brauchen eine europäische Gesetzgebung, die die Anforderungen der unternehmerischen Sorgfaltspflicht harmonisiert und somit Rechtssicherheit für international tätige Unternehmen schafft.

„Um eine wirkliche Breitenwirkung zu erzielen, brauchen wir gesetzlich verankerte Standards, die für die gesamte Branche gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.“
Hans-Jürgen Moog

one: Bislang hat Deutschland darauf vertraut, dass Unternehmen Menschenrechtsstandards in ihrer Lieferkette freiwillig sicherstellten.
Hans-Jürgen Moog: Das stimmt, und das haben wir bei der REWE Group auch getan. Insbesondere in den Lieferkettenstufen des Rohstoffanbaus und der Verarbeitung setzen wir uns seit Jahren intensiv für die Stärkung von Menschenrechten sowie die Förderung des fairen Handels ein. Dass wir in diesem Jahr den Fairtrade-Award gewonnen haben, ist der beste Beweis. Um nur einige Maßnahmen für unser Engagement zu nennen: Wir führen Risikoanalysen durch, setzen bei Eigenmarken auf zertifizierte Rohstoffe wie Rainforest Alliance oder Fairtrade, beteiligen uns an Foren und Multistakeholder-Initiativen wie dem Textilbündnis, dem Kakaoforum oder dem Palmölforum. Zusätzlich führen wir eigene Projekte und Trainingsprogramme in der Lieferkette durch. Durch dieses jahrelange Engagement wissen wir sehr genau, wo die Probleme liegen.

one: Werfen wir einen Blick in die Praxis: Was würde eine Regulierung praktisch bewirken?
Hans-Jürgen Moog: Nehmen wir als Beispiel den Kakaosektor. Etwa 70 Prozent der globalen Kakaoernte kommen aus Westafrika, die schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen der Kakaobauern und ihrer Familien sind weithin bekannt. Wir setzen uns auf vielen Ebenen dafür ein, daran etwas zu ändern: Bereits seit 2014 kooperieren wir mit dem Fairtrade-Kakaoprogramm. Sämtliche Eigenmarken-Süßgebäckartikel mit Kakaoanteil werden bis Ende 2020 auf Fairtrade oder das Fairtrade-Kakaoprogramm umgestellt. Wir gehören zu den Gründungsmitgliedern der Forums Nachhaltiger Kakao. Und dennoch: Trotz solcher freiwilligen Initiativen und Projekte, ob nun bei uns oder den Unternehmen der Kakao- und Schokoladenindustrie, bestehen noch immer Menschenrechtsverletzungen.

Foto: Getty Images/ renacal1 one: Freiwillige Ansätze reichen also nicht.
Hans-Jürgen Moog: Konsequente Programme zur Verbesserung der Situation erfordern erhebliche Investitionen – ich weiß, wovon ich spreche, wir engagieren uns in dem Bereich seit Jahren gemeinsam mit unseren Partnern in der Lieferkette. Auf freiwilliger Basis ziehen da nicht alle Akteure mit, da der Markt hart umkämpft ist und viele Unternehmen fürchten, ihre Konkurrenzfähigkeit zu verlieren. Um eine wirkliche Breitenwirkung zu erzielen, brauchen wir gesetzlich verankerte Standards, die für die gesamte Branche gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen. So eine Regulierung muss im Übrigen für alle in Deutschland tätigen Unternehmen gelten, also etwa auch für Großkonzerne, die ihren Sitz im Ausland haben, aber auf dem Markt hierzulande agieren.

„Das Gesetz sollte für alle gleichermaßen gelten, jeder muss Verantwortung übernehmen.“
Hans-Jürgen Moog

one: Einen Gesetzesentwurf gibt es noch nicht, auch auf Eckpunkte konnte sich das Kabinett bisher nicht einigen. Vor allem die Frage nach der Haftung wird diskutiert. Wie positioniert sich die REWE Group hierzu?
Hans-Jürgen Moog: Eine grundsätzliche Frage ist ja: Für was kann ich Verantwortung tragen, was kann ich überhaupt beeinflussen? Ich plädiere dafür, die Haftung sinnvoll zu begrenzen, und zwar jeweils auf den unmittelbaren Lieferanten. Wir selbst haben keinen vertraglichen Durchgriff auf Vorlieferanten, daher können wir auch nur bei unseren direkten Vertragspartnern haftbar sein. Das ist übrigens gelernte Praxis im Lebensmittelrecht und sollte auch hier Anwendung finden. Wir begrüßen es in diesem Zusammenhang sehr, dass sich auch EU-Justizkommissar Didier Reynders für eine begrenzte Haftung ausgesprochen hat. Ich glaube außerdem nicht, dass es im Interesse eines Lieferanten ist, uns seine Rezepturen komplett offen zu legen, damit wir alle Zutaten durchleuchten. Dazu wären wir angesichts der Zahl unserer Lieferanten gar nicht in der Lage. Außerdem sind das stark geschützte Geschäftsgeheimnisse und das ist auch richtig so.

one: Wie sieht das bei den Eigenmarken aus?
Hans-Jürgen Moog: Die Eigenmarken machen nur rund 25 Prozent unseres Umsatzes aus. Dafür sind wir verantwortlich, denn diese unterliegen unserer Kontrolle. Aber die restlichen 75 Prozent Umsatz machen wir mit Markenprodukten. Das Gesetz soll doch bezwecken, dass jeder Verantwortung für seine Lieferkette übernimmt. Es kann ja nicht das Ziel sein, dass die Hersteller sich komplett aus ihrer Verantwortung befreien und sie einfach auf die Händler übertragen. Der Lebensmittelhandel darf nicht in die Haftung für die komplette Lebensmittelindustrie genommen werden.

„Es braucht die Kooperation vieler Beteiligter.“
Hans-Jürgen Moog

one: Unbestritten ist, dass das Gesetz nur dann wirksam ist, wenn es für möglichst viele Unternehmen gilt. In Frankreich etwa gilt es erst für Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern: Fallen dann nicht zu viele Zulieferer-Unternehmen raus?
Hans-Jürgen Moog:
Das Gesetz sollte für alle gleichermaßen gelten, jeder muss Verantwortung übernehmen. Sehen Sie, 90 Prozent der Lieferanten im Lebensmitteleinzelhandel sind kleine oder mittelgroße Unternehmen. Gemeinsam liefern sie rund die Hälfte des Sortiments. Wenn nur Lieferanten ab 5.000 Mitarbeitern in die Verantwortung genommen werden, fällt diese mittelständisch geprägte Struktur komplett raus. Und das könnte sich sogar als Nachteil für diese Unternehmen erweisen: Wenn Händler für die Ware von kleinen Unternehmen in die Haftung genommen werden, könnte das dazu führen, dass die großen internationalen Lieferanten bevorzugt werden, weil das für die Händler mehr Rechtsicherheit verspricht. Das würde den Verbraucherwunsch nach regionalen Produkten konterkarieren und wäre genau das Gegenteil unserer Strategie, denn wir fördern regionale Strukturen und wollen Vielfalt anbieten.

one: Überfordert das Lieferkettengesetz Unternehmen nicht, indem es ihnen Verantwortung zuschiebt, die eigentlich bei der Politik liegen sollte?
Hans-Jürgen Moog: Das kommt auf die Ausgestaltung an. Ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht kann nur dann Wirkung zeigen, wenn es verpflichtende, freiwillige, nationale und internationale Maßnahmen sowohl in den Produktionsländern als auch in den Importländern flankiert. Es braucht die Kooperation vieler Beteiligter. Darüber hinaus sollten auch Staaten wirksame Regelungen und Maßnahmen umsetzen, um ihre Schutzpflicht zu erfüllen. Aus unserer Erfahrung in vielen Projekten in Drittländern ist der politische Diskurs der europäischen Behörden - EU und Mitgliedstaaten - mit den Regierungen vor Ort unabdingbar.

„Wenn wir es schaffen, mehr Fairness entlang der Kette durchzusetzen und gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für alle zu schaffen, wäre das ein toller Erfolg. “
Hans-Jürgen Moog

one: Wie könnte das konkret aussehen?
Hans-Jürgen Moog: Wir plädieren für ein Ampel-System der EU für Drittländer, um den politischen Druck bei Verstößen gegen Menschenrechte systematisieren zu können: Wenn in Drittländern Gesetze und internationale Standards eingehalten und diese Durchsetzung von Regierungsseite auch unterstützt wird, bleibt die Ampel grün, bei Verstößen schlägt sie zunächst auf orange um. Das führt dann zu internationalem politischem Druck und im Extremfall zu einer Eintragung auf einer roten Liste und EU Beschränkungen führen könnte. So wären Drittländer daran interessiert, aktiv positive Entwicklungen und Rechtsdurchsetzung zu fördern, um eine grüne Bewertung zu erhalten. Und Unternehmen müssten bei Stufe grün keine, bei Stufe orange eingeschränkte und bei Stufe rot umfangreiche Pflichten erfüllen.

one: Gibt es bereits ein Praxis-Beispiel für ein solches Ampel-System?
Hans-Jürgen Moog: Ja, schauen Sie sich das EU-Rechtssystem im Bereich illegale Fischerei an. Das zeigt, dass ein Ampelsystem funktionieren kann. In der Fischerei konnten damit weltweit große Verbesserungen erzielt werden. Eine zentrale Herausforderung für viele Unternehmen, die auf der ganzen Welt agieren, ist aber auch der Aufbau von effektiven Beschwerdemechanismen. Politische Unterstützung wäre in diesem Bereich besonders hilfreich, da Einzelmaßnahmen je Unternehmen nicht wirklich zielführend sind. Wir befürworten deshalb den Ausbau der OECD-Kontaktstellen als externe, unabhängige und vertrauensvolle Institutionen, die Akteuren in Drittländern Zugang zu Beschwerdemechanismen schaffen.

one: Kurz zusammengefasst: Was erhoffen Sie sich von dem Gesetz?
Hans-Jürgen Moog: Das oberste Ziel des Gesetzes – und das ist auch unser Ziel – ist, einen wirksamen Beitrag zur Einhaltung der Menschrechte zu leisten. Wenn wir es schaffen, mehr Fairness entlang der Kette durchzusetzen und in dieser Frage gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für alle zu schaffen, wäre es ein toller Erfolg. Gerne halten wir dazu den Dialog mit der Politik aufrecht und unterstützen jederzeit mit einem Praxischeck bei dieser ambitionierten Aufgabe.

Die wichtigsten Fragen und Antworten
zum Lieferkettengesetz
Foto: Getty Images/ AM29

Was ist die Grundlage der Diskussion um ein Lieferkettengesetz?

Im Kampf gegen Ausbeutung, Kinder- oder Zwangsarbeit haben die Vereinten Nationen (UN) im Jahr 2011 die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ beschlossen. Die Leitprinzipien gelten als internationaler Standard, um Unternehmen in die „Sorgfaltspflicht“ zu nehmen: Sie sollen sicherstellen, dass im Rahmen ihres wirtschaftlichen Handelns die Menschenrechte geachtet und eingehalten werden.

Was ist der „Nationale Aktionsplan“ (NAP) und was hat er mit den UN-Prinzipien zu tun?

Der „Nationale Aktionsplan“ (NAP) der Bundesregierung, soll die UN-Leitprinzipien hierzulande umsetzen, Verantwortlichkeiten für Staat und Wirtschaft aufzeigen und sicherstellen, dass die deutsche Wirtschaft zukunfts- und wettbewerbsfähig bleibt. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung verpflichtet, die Wirksamkeit des NAPs zu überprüfen und national gesetzlich tätig zu werden und sich für eine EU-weite Regelung einzusetzen, falls man zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreicht.

Was soll ein Lieferkettengesetz konkret bewirken?

Ein Lieferkettengesetz soll Unternehmen verpflichten, ihrer Sorgfaltspflicht auch im Ausland nachzukommen. Im Inland sind diese Pflichten bereits in nationalen Gesetzen geregelt. Da die teils komplexen Lieferketten zahlreicher Produkte jedoch vor allem im Ausland liegen, sollen Unternehmen prüfen, ob sich ihre Aktivitäten auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen ergreifen, um dem gegenzusteuern.

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