355 Euro- so viel gibt nach Berechnungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) jeder Haushalt pro Jahr durchschnittlich für Gartenprodukte aus. Tendenz: steigend. Denn Gärtnern ist wieder angesagt.
Von wegen spießig! In vielen Städten stehen junge Familien Schlange, um einen der bundesweit mehr als 910 000 Schreber- oder Kleingärten pachten zu können. Anderenorts engagieren sich Urban Hipster für mehr Grün in ihrem Umfeld. Auch wer nur einen kleinen Balkon sein eigen nennt, möchte es „grün“ haben – und denkt dabei verstärkt in Richtung Nutzpflanzen. Baumärkte und Gartencenter stellen sich darauf ein. Mit klein gezüchteten Beerensträuchern, Tomaten, die auf Hochbeeten wachsen und Dünger, der sich literweise abfüllen lässt. Bestes Beispiel für ein speziell auf Urban Gardener ausgerichtetes Angebot: Die zwei extrem erfolgreichen Pop Up Stores von Toom. Mehr über das Erfolgsrezept der Vorzeige-Stores in Köln und Frankfurt lesen Sie hier.
Den Retro-Trend Richtung Schrebergarten beobachtet auch Dr. Peter Wüst, Hauptgeschäftsführer des BHB Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten. Lesen Sie seine Gedanken über Lebensmittel zwischen Bohrmaschinen und Grünpflanzen, die Heimwerker-Kompetenz der jungen Generation und den mangelnden Mut vieler Baumarkt-Betreiber weiter unten auf dieser Seite im one_Interview.
Für die Baumarktbranche sind Gartensortimente ein wichtiger Wachstumsmotor. Sie steuern bis zu einem Drittel zum Umsatz eines Standortes bei. Stark sind aktuell vor allem die Warengruppen Barbeque und Möbel. Großes Potential sehen Fachleute vor allem im Bereich der Akkutechnologie. Aber die Baumärkte bekommen zunehmend Konkurrenz, wenn es um Gartenartikel geht. Nach einer Analyse des Instituts für Handelsforschung (IFH) besetzt der Lebensmittelhandel mit seinen Aktionsartikeln inzwischen eine starke Rolle. Beim Verkauf von Garten- und Balkonmöbeln haben Baumärkte ihre traditionell führende Position 2018 an die Möbelhäuser verloren. Und bei Heimwerkerartikeln gab fast jeder Zweite vom IFH Befragte an, zuletzt bei Amazon eingekauft zu haben. Online kaufen: Das geht bei Toom auch - voraussichtlich ab März. Warum und wie die Kollegen aber vor allem auf eine gut überlegte Cross Channel (CC)-Strategie setzen, erklärt CC-Chef Thomas Schwachenwalde.
Dennoch: Auch im vergangenen Jahr hat der „grüne Bereich“ maßgeblich dazu beigetragen, dass die Baumarktbranche ihre Wachstumsziele erreichte. 18,8 Milliarden Euro Umsatz bedeuteten ein Plus von 1,6 Prozent.
Her mit den Nützlingen!Damit es auch in Ihrem Garten grün bleibt, können sie für nützliche Helferlein wie Vögel, Igel und Wildbienen vorsorgen. Wie das geht, verraten wie hier. Mit etwas Glück werden Sie selbst zum Züchter von - übrigens außerordentlich friedlichen - Wildbienen! Machen Sie mit bei unserem Gewinnspiel und gewinnen Sie einen Bienenkokon samt Nisthilfe.
Außerdem hier im Top-Thema: Gerade hat Toom mit Partner Lebenshilfe die zweite Heimwerker-Broschüre in „Leichter Sprache“ herausgebracht. Ideal für alle jene unter uns, die nicht als Bob, der Baumeister, geboren wurden.
Geräte aus dem Automaten: Es ist Sonntag früh, die Wohnungsrenovierung geht in die Endphase, und ausgerechnet jetzt ist der Teppichentferner alle....Wer in und ums norddeutsche Einbeck wohnt, ist fein raus. Dort testet Kurt König gerade mit "Kurts Toolbox" - den 24/7-Geräteverleih auf Toom-Parkplätzen. Ein Modell, das Schule machen könnte.
Dr. Peter Wüst, Hauptgeschäftsführer des BHB Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten, über Lebensmittel zwischen Bohrmaschinen und Grünpflanzen, die Heimwerker-Kompetenz der jungen Generation und den mangelnden Mut vieler Baumarkt-Betreiber. Das Interview führten Stefan Weber und Sylvia Hannstein.
one: Herr Wüst, früher war die Sache klar: Bohrmaschinen gab es im Baumarkt, Süßigkeiten im Supermarkt. Heute verkaufen Discounter Heimwerkerartikel und Baumärkte nehmen Lebensmittel ins Sortiment. Was passiert da gerade?
Peter Wüst: Die Sortimente mischen sich immer stärker. Es gibt neue Konkurrenten für die Baumärkte, im Netz und im stationären Handel. Deshalb würde ich auch die Bezeichnung „Baumarkt“ am liebsten abschaffen.
one: Warum?
Peter Wüst: Der Begriff spiegelt nicht mehr das, was es in den Märkten zu kaufen gibt. Wer „Baumarkt“ hört, denkt an Power-Tools, Kleineisenwaren und vielleicht an ein wenig Deko. Tatsächlich bieten die Märkte aber sehr viel mehr. Gartenmöbel und Pflanzen beispielsweise und ja, gelegentlich auch eine kleine Auswahl an Lebensmitteln.
one: Baumärkte werden zu Kaufhäusern?
Peter Wüst: Warum denn nicht? Wenn das bei den Kunden Zuspruch findet. Ich würde mir wünschen, dass die Märkte bei der Zusammenstellung ihrer Sortimente noch deutlich kreativer werden. Sie sollten mehr ausprobieren und weitere für sie neue Warengruppen listen, ohne aber ihre Kernkompetenz aus den Augen zu verlieren. Was spricht denn dagegen, auch Lebensmittel anzubieten? Der Handel ist nun einmal keine rein akademische Veranstaltung. Es gibt keine reine Lehre, die nur aus Testlaboren stammt. Man muss auf die Fläche gehen und schauen, wie die Kunden reagieren. Wer das versäumt, wird auf Dauer uninteressant.
one: Offensichtlich passiert gerade genau das. Nach einer Studie des Instituts für Handelsforschung verlieren Baumärkte mehr und mehr ihre klassische Rolle als erste Anlaufstelle für den Kauf von Heimwerkerartikeln. Mindestens jeder dritte Verbraucher kauft DIY-Produkte inzwischen bei Amazon.
Peter Wüst: Dafür punkten Baumärkte in anderen Sortimenten. Der gesamte Outdoor-Bereich, inklusive des Themas Barbecue, beispielsweise wächst seit Jahren kräftig und hat auch 2018 maßgeblich dazu beigetragen, dass unsere Branche ihre Ziele erreicht hat. Trotz des für sie ungünstigen Wetters erwirtschafteten die Märkte ein Umsatzplus von 1,6 Prozent. Das ist eine tolle Leistung, aber natürlich kein Grund sich auszuruhen.
one: Vor allem deshalb nicht, weil Experten den Baumärkten allein aufgrund der Demografie schwere Zeiten voraussagen. Viele junge Leute wissen mit Teppichmesser und Bohrmaschine nicht umzugehen und finden Heimwerken wenig sexy.
Peter Wüst: Genau deshalb müssen wir neue Wege gehen, junge Leute anzusprechen und Lust am Selbermachen zu wecken. Beim dem früher als spießig geltendem Thema Gärtnern ist das bereits gelungen. Heute ist es wieder cool, einen Schrebergarten zu haben. Aber wer seine erste eigene Wohnung bezieht, stellt schnell fest, was er alles nicht kann. Ein Anwendungsvideo hilft dann nicht immer weiter und Handwerkerstunden sind teuer.
one: Wie lässt sich Heimwerkerkompetenz vermitteln?
Peter Wüst: Zum Beispiel, indem die Märkte Flächen bereitstellen, auf denen Kunden Dinge ausprobieren und selbst erleben. Unter Anleitung in Trainings oder auch auf eigene Faust. Dazu müssen wir in Personal und Technik investieren.
one: Mehr Service - darüber diskutiert die Branche seit langem. Etwa, wie sie Kunden, die nicht selber werken Handwerkerleistungen anbieten kann. In der Praxis passiert das jedoch erst wenig.
Peter Wüst: Weil die Handwerkskammern sich quer stellen! Unsere Unternehmen haben mehrfach versucht, Handwerker, die altersbedingt oder aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten wollen, für sich zu gewinnen – ohne Erfolg. Ich denke, in vielen Fällen muss aber auch nicht zwingend ein Profi-Handwerker ran. Da reicht die Kompetenz eines guten Heimwerkers. Gleichwohl sollte es zum Service eines guten Baumarktes gehören, nicht nur Maschinen auszuleihen, sondern auch Hand- und Heimerker zu vermitteln.
one: Im Online-Verkauf ist die Branche ein Nachzügler. Baumärkte erwirtschaften im Durchschnitt erst weniger als sechs Prozent ihres Umsatzes über das Internet. Dagegen drängt Amazon immer stärker in alle Warengruppen des DIY-Marktes. Warum fällt es den Baumärkten so schwer dagegenzuhalten?
Peter Wüst: Ja, unsere Branche ist beim Thema Onlinehandel spät dran. Wir müssen in diesem Bereich Know-how aufbauen und besser werden. Aber der Anteil von sechs Prozent sagt wenig aus, weil er ein Durchschnittswert ist, der einige Warengruppen außen vorlässt, zum Beispiel die Bereiche Deko und Fahrrad. Hinzu kommt, dass ein Großteil unseres Sortiments sehr offline-affin ist - aus logistischen Gründen, oder weil Kunden diese Dinge vor dem Kauf gerne anfassen und begutachten. Deshalb gewährt uns der Markt möglicherweise noch eine kleine Schonfrist. In spätestens drei Jahren aber müssen wir online voll leistungsfähig sein.
one: Was bedeutet das für die 4 500 Baumärkte mit ihren vielen Quadratmetern Verkaufsfläche, die es in Deutschland gibt?
Peter Wüst: Wie gesagt: Sie müssen ihre Flächen anderes bespielen. Mit mehr Serviceangeboten und Warengruppen, die man in einem Baumarkt nicht erwartet. Und sie müssen neue Nutzungsmöglichkeiten prüfen. Baumärkte wären ideale Recyclingstationen für Glas, Papier oder Kunststoff. Denkbar wäre auch, einen Teil der Fläche abzutrennen und für Gastronomie oder als Veranstaltungsort zu nutzen, unabhängig von den Öffnungszeiten der Baumärkte. Die Betreiber müssen den Mut aufbringen, solche Dinge auszuprobieren.
one: Statt über neue Sortimente auf bestehenden Flächen vor den Toren der Städte nachzudenken, wäre doch auch eine andere Lösung denkbar: in kleinen City-Märkten ein drastisch ausgedünntes Sortiment anzubieten.
Peter Wüst: Mit Kleinformaten experimentiert die Branche seit langem. Tatsächlich ist es jetzt an der Zeit, diese Aktivitäten zu verstärken. Zu viel Auswahl kann Kunden auch verwirren. Wer braucht schon 15 verschiedene Maurerkellen stationär vor Ort?