„Fragwürdig“, „falsche Entscheidung“, „mehr als ein Ärgernis“: Trotz schwerwiegender Bedenken des Bundeskartellamts und der Monopolkommission will Bundeswirtschaftsminister Gabriel den Verkauf von Kaiser'sTengelmann an Edeka genehmigen. Die Entscheidung stößt nicht nur in Politik und Wirtschaft auf harte Kritik. Auch zahlreiche Medienvertreter laufen Sturm.
Achteinhalb Monate hat er sich Zeit gelassen. Gestern (12. Januar) hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) entschieden: Er will Edeka die umstrittene Übernahme von Kaiser'sTengelmann erlauben – jedoch unter einer Reihe harter Bedingungen: Edeka muss unter anderem umfassende Arbeitsplatz- und Standortgarantien abgeben. So müssten 97 Prozent der 16.000 Arbeitsplätze bei Kaiser'sTengelmann zumindest für fünf Jahre gesichert sein und dürfen nicht privatisiert werden, so Gabriel am Dienstag in Berlin. Außerdem besteht das Ministerium auf rechtssichere Tarifverträge. Und: Die Fleischwerke Birkenhof sollen erst nach drei Jahren ausgegliedert werden können. Damit sei das Verfahren nicht abgeschlossen, so Gabriel. Nun sind Tengelmann und Edeka, aber auch die 13 Beigeladenen, unter anderem die REWE Group, dazu aufgerufen, hierzu Stellung zu nehmen. 14 Tage haben sie dazu Zeit. Jedes Argument werde geprüft.
Die Entscheidung Gabriels stößt in der Branche auf harte Kritik. „Das ist eine Entscheidung zulasten des Wettbewerbs“, sagte der Vorsitzende der Monopolkommission, Daniel Zimmer, am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa. Er sei überrascht, dass die negativen Folgen des Zusammenschlusses für den Wettbewerb bei der Entscheidung keine Rolle gespielt hätten. Zimmer: „Es hätte der Versuch gemacht werden können, diese Folgen durch Auflagen - etwa den Verkauf bestimmter Filialen an Dritte - abzumildern. Aber das ist nicht geschehen.“
Kritik hagelt es selbst vom Koalitionspartner. Die Fusion wäre kein gutes Zeichen für den Wettbewerb, sagt Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus. Dies sei weder für Konsumenten noch Lieferanten gut, kritisiert der CDU-Mann und verweist auf die Einkaufsmacht immer weniger Ketten. Grünen-Chefin Simone Peter bläst in das gleiche Horn: Die Konzentration im Einzelhandel gehe zulasten des Wettbewerbs und der Wahlfreiheit der Konsumenten. „Für die beabsichtigte Ministererlaubnis haben die deutschen Bauern kein Verständnis“, kommentiert Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, in den Medien.
Pressespiegel: So kommentieren die Medien die Ministererlaubnis
Auch in den Medien kommt Gabriel nicht gut weg. Zahlreiche Journalisten äußern online und in der heutigen Printberichterstattung ihr Unverständnis über die Entscheidung:
So titelt die FAZ Online „Gabriel ohne Courage“ und konstatiert: „Gabriel geht es nur um den politischen Gewinn: Kommt es zum Abschluss, kann er als Retter der Tengelmann-Jobs auftreten; und wenn die Verhandlungen doch noch scheitern, gibt er eben den Wettbewerbspolitiker. Für den SPD-Chef mag sich dieses Lavieren auszahlen. Aber vom Wirtschaftsminister hätte man ein Bekenntnis zum Wettbewerb erwartet.“
„Fragwürdig“ nennt Claudia Mahnke von der Kölnischen Rundschau (Printausgabe vom 13.1.2016) Gabriels Entscheidung und begründet: „Es gibt keinen Grund für eine Ministererlaubnis. Es fehlen Anzeichen, dass in näherer Zukunft das Netz der Supermärkte und Discounter zu grobmaschig werden könnte. Durch die Erlaubnis der Fusion würde die Marktmacht Edekas auf dem Beschaffungsmarkt noch größer“
„Gabriels falsches Veto“ schreibt auch die Rheinische Post Online: „Da Gabriel nicht die Auflage erteilt, Teile des Kaiser´s-Filialnetzes an Dritte zu veräußern, verhindert sein Veto mehr Wettbewerb. Das senkt die Chancen auf neue Jobs durch neue Konkurrenz. Diese falsche Entscheidung sieht nur auf den ersten Blick gut aus.“
Florian Kolf, Redakteur beim Handelsblatt, bekräftigt in seinem Kommentar „Verordneter Stillstand“ (Printausgabe vom 13.1.2016): „Bei genauer Betrachtung ist es traurig, wie wenig Vertrauen ausgerechnet der Wirtschaftsminister in den Markt hat. Die Auflagen für die Fusion zielen hauptsächlich darauf ab, Strukturen zu erhalten. Dabei hat doch gerade die mangelnde Fähigkeit, sich zu wandeln, den Niedergang der ehemals stolzen Marke Kaiser's Tengelmann besiegelt.“
Für Heike Jahberg vom Tagesspiegel ist noch nicht einmal sicher, dass die geplante Übernahme tatsächlich zum Erhalt von Arbeitsplätzen beiträgt: „Was wird wohl in fünf oder sieben Jahren geschehen, wenn die Fristen abgelaufen sind? Dann gehen die Filialen doch an die selbstständigen Kaufleute im Edeka-Verbund, die oft weder Betriebsräte haben noch Tarifverträge. Oder sie werden gleich dichtgemacht", schreibt sie in ihrem Kommentar „Der Super-Supermarkt“.
Auch für Ulli Gericke von der Börsen-Zeitung ist die Entscheidung „mehr als ein Ärgernis“ (Printausgabe vom 13.1.2016): „Wieder geht ein Stück Wettbewerb verloren, der größte Filialist wird noch größer, mit all den negativen Auswirkungen auf Preise, Angebot und Marktmacht gegenüber den Herstellern", schreibt der Journalist.
„Gabriels Ja ist eigentlich ein Nein“, titelte Susanne Amann von Spiegel Online und argumentierte: „Klar ist außerdem, dass sich die teure Tengelmann-Übernahme für Edeka nur lohnt, wenn man „Synergieeffekte“ nutzen kann. Was nichts anderes heißt, als Personal abzubauen sowie Filialen und Werke zu schließen. All das aber hat Gabriel jetzt verboten. Und damit bedeutet das „Ja“ des Wirtschaftsministers de facto ein „Nein“. Und zwar ein „Nein“, das durch die Schärfe der Auflagen in seiner Deutlichkeit kaum zu überbieten ist.“
Lesen Sie hier das Statement von Alain Caparros zu Sigmar Gabriels Ankündigung:
„Diese Entscheidung ist keine gute für den Handel in Deutschland. Die jetzt von Bundeswirtschaftsminister Gabriel vorgelegten Vorschläge im Fusionsverfahren Edeka/Kaiser'sTengelmann weisen in eine völlig falsche Richtung. Das bestätigen auch die aktuellen Reaktionen etwa der Verbraucherzentralen, des Bauernverbandes oder der Monopolkommission. Im Sinne aller Beteiligten wäre eine klare Ablehnung des Fusionsvorhabens durch den Bundeswirtschaftsminister die deutlich bessere Alternative gewesen. Schon vor Wochen hätte damit der Weg frei gemacht werden können für neue Verkaufsverhandlungen und die Übernahme von Kaiser'sTengelmann durch REWE oder andere Unternehmen - und damit auch der Weg frei für eine verlässliche Sicherung der Arbeitsplätze bei Kaiser's Tengelmann, hinter denen jetzt weiterhin ein großes Fragezeichen steht. Denn keiner kann heute einschätzen, wie lange dieses Verfahren noch dauern wird.
Dass der Bundesminister jetzt den Fokus auf die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze und verbindliche Tarifverträge legt, ist in erster Linie unserem Engagement zu verdanken. Denn bei allen Angeboten, die wir für die Übernahme gemacht haben, war die tarifliche untermauerte Beschäftigungssicherung ein zentrales Element. Bei Edeka war das nie der Fall. Aus Sicht der Beschäftigten also könnte man sagen: Wenigstens das wurde erreicht! Wir werden nun sorgfältig prüfen, ob die von Herrn Gabriel formulierten Auflagen zulässig sind und den beabsichtigten Zweck erfüllen.
Es ist zudem unverständlich, warum der Minister in seiner Ankündigung die Folgen dieser geplanten Fusion für den Wettbewerb im deutschen Lebensmitteleinzelhandel völlig außer Acht lässt. Dabei ist ein starker Wettbewerb wichtig für das Funktionieren des deutschen Lebensmittelhandels. Von ihm profitieren nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sondern auch die gesamte Zulieferkette im deutschen Mittelstand. Eine Erlaubnis der vom Bundeskartellamt wie auch von der Monopolkommission in aller Klarheit abgelehnten Fusion würde den schon jetzt immensen Vorsprung von Edeka drastisch vergrößern und für Jahrzehnte zementieren. Edeka ist bereits jetzt der marktmächtigste Wettbewerber und schon heute auf der Beschaffungsseite die dominante Größe. Beide Komponenten würden durch eine Übernahme von KT den Markt in eine irreparable Schieflage bringen und langfristig alle anderen Händler schwächen. Das schließt uns, als deutlich kleineren Akteur verglichen mit der Edeka, ausdrücklich mit ein.“