Debatten um die Verbesserung des Tierwohls, Bauernproteste und ein unverhoffter Bio-Boom in Corona-Zeiten: Die Fleisch- und Wurstvermarktung ist im Umbruch. Thorsten Kraft, neuer Leiter des Bereichs Ware Ultrafrische 2 Frischfleisch und Wurst, erzählt im one_Interview, wie es gelingen kann, die Tierwohl-Standards auch im Massenmarkt anzuheben – und warum das nicht von heute auf morgen geht.
Thorsten Kraft (Fotos: Achim Bachhausen)
one: Das Thema Nutztierhaltung, insbesondere für die Fleischproduktion, wird momentan breit diskutiert. Hätten Sie sich so viel Aufmerksamkeit für das Thema zu Ihrem Start als Leiter des Bereichs Ware Ultrafrische 2 Frischfleisch und Wurst bei der REWE Group gewünscht?
Thorsten Kraft: (Lacht) Ich glaube, es gibt da keinen Wunsch-Zeitpunkt. Im Fleisch- und Wurstsektor ist immer so viel Bewegung, da habe ich in den vergangenen zwölf Jahren, in denen ich den Fleischbereich begleite, schon vieles erlebt. Das Thema Fleisch ist nun mal eins, das sehr emotional und kritisch diskutiert wird. Neu für mich ist der Bereich Wurst. Ebenfalls ein sehr spannender Bereich, in den ich mich noch reinarbeiten werde. Dort gibt es mehr Unterschiede, als man von außen betrachtet so denken mag. Frischfleisch dreht sich zum Beispiel sehr viel schneller, da muss man oft noch schnellere Entscheidungen treffen. Natürlich fordert uns die aktuelle mediale Aufmerksamkeit nochmal besonders. Dem stellen wir uns.
one: Welche Herausforderungen stehen für Sie aktuell besonders im Fokus?
Thorsten Kraft: Viele der Themen, die aktuell diskutiert werden, kann man gar nicht isoliert betrachten. Ob Sie nun die Abschaffung der Werkverträge nehmen, die Tierwohl-Diskussion oder die Bauernproteste. Das macht die Fleisch- und Wurstvermarktung ja so komplex, aber auch so spannend. Zusätzlich hat die Corona-Situation die Verbraucher-Nachfrage auf den Kopf gestellt und die Afrikanische Schweinepest den Export massiv eingeschränkt.
one: Wie hat sich das Verbraucher-Verhalten verändert?
Thorsten Kraft: Bio-Artikel wurden zum Beispiel im Frühjahr 2020 in der Corona-Hochphase plötzlich viel stärker nachgefragt und der Trend hält weiter an. An den Bedienungstheken haben wir wiederum deutlich weniger Wurst verkauft. Zugleich stieg an den Theken die Nachfrage nach Fleisch stärker als im SB-Regal. Ich erkläre mir das so: Zu Fleisch können wir an der Theke viel mehr erzählen, schließlich gibt es bei REWE eine Vielzahl von Regional- und Premium-Produkten, die nur an der Theke verkauft werden. Angesichts der Diskussionen um Massentierhaltung und Arbeitsbedingungen in großen Betrieben legen die Kunden hierauf wieder einen größeren Wert. Die Schließung der Restaurants hat natürlich positive Auswirkungen auf die Nachfrage im LEH, da die Menschen wieder mehr zuhause kochen.
one: Dennoch ist der Umsatzanteil von Bio nach wie vor recht niedrig. Und mit Blick auf die Haltungskennzeichnung tut sich scheinbar eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf, wenn man vor dem SB-Regal steht. Bio oder Haltungsform 1. Wo sind die Haltungsformen 2 und 3?
Thorsten Kraft: Da muss ich widersprechen: Im Frischgeflügel haben wir im SB-Regal zu hundert Prozent Haltungsform 2 oder höher. Schwein wird ab dem 1. Juli 2021 folgen. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Denn in Umfragen sagen viele Verbraucher, sie würden für mehr Tierwohl auch mehr bezahlen. Am Regal sieht das dann leider in vielen Fällen ganz anders aus. Wir haben das mit PENNY getestet: Da ging es zum Beispiel um 20 Cent mehr für eine 500-Gramm-Packung Schweinefleisch, in Haltungsform 2 statt 1. Das Ergebnis: Im Testzeitraum von drei Monaten ist der Absatz zweistellig eingebrochen. Das erleben nicht nur wir so, dieses Verbraucherverhalten wird auch in zahlreichen Studien belegt.
one: Bei PENNY wurde 2018 auch ein anderes Produkt getestet: das Teutoburger Hofschwein.
Thorsten Kraft: Genau, das Projekt habe ich damals persönlich intensiv mitbegleitet. Damals haben wir die Mäster besucht und uns von den Haltungsbedingungen überzeugt: Die Tiere lebten auf Stroh, hatten ca. 50 Prozent mehr Platz, bekamen Beschäftigungsmaterial – das war wirklich top. Aber das Stück Fleisch – Haltungsform 3 – kostete dann eben auch das Doppelte. Leider waren die meisten Kunden nicht bereit, für dieses Plus an Tierwohl zu bezahlen. Wir mussten im Testzeitraum so viel Ware abschreiben, dass wir es nicht verantworten konnten, das Projekt fortzuführen. Das wäre ja auch aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten das Schlimmste: Ware zu produzieren, die dann in der Tonne landen würde. Das ist ja Wahnsinn.
one: Welche Konsequenz ziehen Sie aus diesen Tests?
Thorsten Kraft: Ich bin trotz aller Rückschläge der Meinung, dass ein moderater Preisaufschlag wie etwa für die Haltungsform 2 bei Schwein mittelfristig vom Verbraucher getragen wird. Solange es allerdings immer noch eine günstigere Alternative gibt, werden viele zu dieser Ware greifen. Daher wollen wir bis Juli 2021 bei Schweinefleisch einen Großteil des Sortiments von Haltungsform 1 auf 2 umstellen.
one: Welche Rolle spielt bei der Weiterentwicklung von Tierwohlstandards die Tatsache, dass Deutschland im Schweinefleischbereich auch ein Exportland ist?
Thorsten Kraft: Eine sehr wichtige Rolle. Wir gehören in Deutschland zu den wichtigsten Exporteuren weltweit. Dieser Markt ist vorrangig preisgetrieben und Tierwohlaspekte spielen vor allem außerhalb der EU eine untergeordnete Rolle. Die Exporte unterstützen uns jedoch sehr stark in der Ganztiervermarktung und ermöglichen uns die heutigen Ladenverkaufspreise in Deutschland.
one: Und dennoch arbeiten Sie daran, die Standards anzuheben.
Thorsten Kraft: Ja, da sehen wir uns in der Verantwortung. Um Ihnen rein zahlenmäßig hier eine Größenordnung zu geben: In Deutschland werden jährlich insgesamt rund 50 Millionen Schweine geschlachtet. Um den Markt flächendeckend mit Haltungsform 2 bedienen zu können, bräuchten wir 20 Millionen Schweine in dieser Haltungsform. Knapp 15 Millionen sind es immerhin schon. Aber um die hundert Prozent zu erreichen und die Haltungsform 2 dann auch auf den Produkten auszeichnen zu können, fehlen im deutschen LEH aktuell eben noch gut fünf Millionen Schweine. Dennoch haben wir uns gemeinsam mit den anderen Unternehmen in der Initiative Tierwohl dieses Ziel gesetzt.
one: Was ist mit der Haltungsform 3 – wo finde ich die als Kunde?
Thorsten Kraft: Bei REWE gibt es bereits seit Jahren eine Vielzahl von großartigen regionalen Projekten, bei denen großer Wert aufs Tierwohl gelegt wird und hochwertige regionale Ware an den Theken verkauft wird. Damit heben wir uns vom Standardsortiment ab und diese Programme bauen wir auch weiter aus. In vielen Bundesländern haben wir bereits regionale Fleischprogramme, bei denen wir an der Theke ausloben, dass die Tiere aus der Region kommen und die Schlachtung und Verarbeitung im jeweiligen Bundesland stattfindet. Klar, das kostet Geld. Haltungsform 3 ist anteilsmäßig aktuell am wenigsten im LEH vertreten, da diese mit sehr hohen Anforderungen verbunden ist. Der Aufwand für den Produzenten für Haltungsform 3 ist teilweise so herausfordernd, dass viele Landwirte den Schritt nicht machen. Wenn sie den Schritt gehen möchten, werden leider auch immer wieder bauliche Genehmigungen nicht erteilt. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, die Haltungsformen noch mehr in den Fokus der Verbraucher zu rücken.
one: Stichwort Kosten: Wie ist das Thema des Verbots von Werkverträgen einzuordnen?
Thorsten Kraft: Dadurch, dass wir fünf eigene Fleischwerke haben, betrifft uns das ganz direkt. Ab 1. Januar 2021 sind die Werkverträge gesetzlich verboten. Wir sind in unseren Produktionsbetrieben schon seit dem 1. Oktober 2020 werksvertragsfrei. Mit unseren eigenen Betrieben können wir auch selbstbewusst den Nachweis antreten, dass man innovativ und führend im Wettbewerb auch mit eigenen Mitarbeitern arbeiten kann. Gerade bei der Frischfleischproduktion darf man nicht vergessen, dass es enorme saisonale Schwankungen gibt. In der Grillsaison explodiert förmlich die Nachfrage. Wir müssen uns intensiv mit unseren Sortimenten beschäftigen, um die Auslastung auch in den saisonal weniger starken Monaten auszugleichen. Aber klar ist: Unterm Strich werden die Personalkosten steigen.
one: Wer soll das alles bezahlen?
Thorsten Kraft: Wenn wir mehr Tierwohl haben wollen, muss es am Ende des Tages auch vom Endverbraucher im Laden bezahlt werden. Die Ganztiervermarktung wird aus meiner Sicht immer wichtiger werden. Wenn wir mit den höheren Tierwohlstandards das Schwein teurer machen, müssen wir auch versuchen, das Tier ganzheitlich zu vermarkten. Das ist dann auch für mein Team die Aufgabe, künftig auch auf der Wurst die Haltungsform bei Eigenmarken flächendeckend abzubilden.
one: Welche Ziele hat sich die REWE Group konkret gesetzt?
Thorsten Kraft: Klar, ist, dass es keine exklusive REWE-Lösung geben kann. Wenn wir in der Breite den Tierwohlstandard anheben wollen, geht das aktuell nur gemeinsam mit den anderen Lebensmittelhändlern in der Initiative Tierwohl. Gleichwohl dürfen wir angesichts des weltweiten Marktes die Kosten nicht aus den Augen verlieren. Das ist wirklich eine große Herausforderung. Konkret haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis Juli 2021 Schwein auf Haltungsform 2 umzustellen. Außerdem wollen wir den aktuellen Anteil der Eigenmarken in Haltungsform 3 und 4 bis 2030 verdoppeln. Langweilig wird’s im neuen Job also definitiv nicht. Aber ich freue mich auf die Herausforderungen – und darauf, dass es hier viel zu bewegen gibt.
Der Grund warum es noch keine GRETA der Nutztiere gibt, ist wirklich das die Industrie komplett hinter verrammelten Türen stattfindet, fiel mir 2019 in Asien auf als uns ein offener Schweinetransport überholte...
Seitdem habe ich immer ein mieses Gefühl wenn ich so einen LKW auf der Autobahn sehe.
19 % MWST auf tierische Produkte wäre der richtige Weg, aber ich glaube eher werden die Amis mit Beyond Meat oder gleich die Israelis mit Supermeat den Markt eh crashen lassen.