REWE-Mitarbeiter Behrooz Bagherzadeh
Kunden aus brennendem Markt gerettet
Es waren hochdramatische Szenen, die sich an jenem Mittwochabend im November 2012 im REWE-Markt an der Venloer Straße in Köln abspielten. Ein junger Mann übergießt sich vor den Augen von Kunden und Mitarbeitern mit Benzin und zündet sich an. Er wird später seinen schweren Verletzungen erliegen. Dass nicht mehr Personen zu Schaden gekommen sind, ist das Verdienst mehrerer Menschen: der Besatzung von drei Streifenwagen, des Ladendetektivs Fahri Syla und von Behrooz Bagherzadeh.
Im one_Interview blickt der Marktmanager-Assistent noch einmal auf die dramatischen Minuten und wie er das Erlebte verarbeitet hat, zurück.
One: Herr Bagherzadeh. Die Tat ereignete sich am frühen Abend. Wie war jener Tag bis dahin verlaufen? Gab es Besonderheiten?
Behrooz Bagherzadeh: Der Tag war ein ganz normaler Tag wie jeder andere auch. Der Brand geschah an einem Mittwochabend. Es war gegen 18 Uhr und der Laden war um diese Uhrzeit wie immer rappelvoll.
Was war Ihre Aufgabe an dem Tag?
An dem Tag hatte ich Spätschicht. Ich war an dem Abend für den Markt verantwortlich und habe um 16 Uhr die Marktleiterin von ihrer Schicht abgelöst.
Wann haben Sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Als ich in der Obst- und Gemüseabteilung stand, um nach dem Rechten zu schauen, hörte ich plötzlich einen Mann schreien. Dieses Geschrei kam aus dem Kassenbereich. Ich eilte sofort zu der Kasse um zu schauen, was da los war. Ich sah einen Mann, der auf mich sehr verwirrt und merkwürdig wirkte. Ich sprach ihn an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Er gab mir keine Antwort und fing an, weiter zu schreien. Er schrie, dass er vergiftet sei und nicht wisse was er tun solle. Ich nahm ihn mit zu der Eingangsbäckerei und fragte ihn, ob er mit mir einen Kaffee trinken möchte, um mit mir über sein Problem zu sprechen. Er schubste mich weg, sagte mir, dass er heute sterben müsse, drehte sich um und ging zum Ausgang. Nach etwa einer halben Stunde kam der Mann erneut in unseren Laden herein. Ich stand zu der Zeit wieder in der Obst- und Gemüseabteilung und füllte Ware nach. Plötzlich hörte ich, wie meine Kollegin nach mir schrie. Ich lief zur Kasse und sah den Mann mit einem Fünf-Liter-Benzinkanister in der Hand. Er fing an, das Benzin auf sich und den Kassenbereich zu schütten.
Wie haben Sie reagiert?
Als ich dieses Szenario sah, begann ich ganz laut zu schreien. Ich schrie nur: ´Raus, raus, raus! Gehen Sie alle raus!´ Zu der Zeit waren alle vier Kassen geöffnet und der Kassenbereich war voll mit Kunden. Ich jagte alle aus dem Laden hinaus. Als alle Kunden und Kollegen den Laden verließen, stand der Kassenbereich plötzlich in Flammen. Ich lief durch den Laden und vergewisserte mich, dass sich nicht noch weitere Kunden und Kollegen im Laden aufhielten. Zum Schluss kontrollierte ich unseren Personalraum und unser Lager. Nachdem ich alle in Sicherheit gebracht hatte und sicher war, dass sich keine einzige Person mehr im Laden befand, verließ ich den Markt durch den Hinterausgang.
Wie haben Ihre Kollegen reagiert?
Die Kollegen waren alle sehr schockiert, doch sie haben sofort auf meine Anweisungen und meine Schreie reagiert.
Woher wussten Sie, wie Sie reagieren müssen?
Um ehrlich zu sein, kann ich diese Frage nicht genau beantworten. Ich habe in dem Moment aus Reflex gehandelt und das getan, was ich als richtig empfand.
Wie verlief der Abend danach?
Meine Kollegen, einige Kunden und ich standen auf der Venloer Straße, während Polizei und Feuerwehr die Straße absperrten und den Brand im Markt löschten. Meine Bezirksleiterin und die Marktleiterin erschienen kurz darauf und kümmerten sich um uns.
Wann sind Sie das erste Mal wieder arbeiten gegangen?
Ich erinnere mich nicht genau an die Tage, doch ich weiß, dass ich direkt an dem nächsten Tag einsatzbereit war.
Wie hat ihr Umfeld reagiert?
Mein Umfeld stand anfangs unter Schock und wunderte sich, dass ich so reagiert habe. Meine Familie war sehr stolz auf mich.
Waren Sie das erste Mal in einer derartigen Situation, oder konnten Sie bereits zuvor Erfahrung als Helfer sammeln?
Das war das erste Mal.
Hat sich ihr Gefühl am Arbeitsplatz seitdem geändert?
Nein! Ich erledige nach wie vor meine Arbeiten und reagiere so, wie ich zu reagieren habe bzw. wie ich es als korrekt empfinde.
Sind Sie seitdem aufmerksamer geworden?
In einigen Situationen – sowohl beruflich als auch privat – bin ich vorsichtiger geworden. Vor allem was verwirrte Kunden oder generell Menschen angeht. Ich versuche, sie genauer zu beobachten.
Was haben Sie empfunden, als Sie das Schreiben des Landes NRW erhalten haben?
Ich habe mich wahnsinnig gefreut! Ich dachte, dass das ganze Geschehen schon untergegangen sei, da es bereits drei Jahre zurücklag und ich alles längst vergessen hatte. Doch ich freute mich sehr und war stolz auf mich. Daraufhin rief ich sofort meine Bezirksleiterin und meine damalige Marktleiterin an, um ihnen diese gute Nachricht mitzuteilen.
Haben Sie sich auf die Verleihung vorbereitet?
Ganz und gar nicht! Ich war voller Euphorie und ließ alles auf mich zukommen.
Wer hat Sie begleitet?
Meine Verlobte Mariyam Habibian begleitete mich voller Stolz zu der Verleihung. Außerdem bat ich meine ehemalige Marktleiterin, uns an diesem Abend zu begleiten.
Was für ein Gefühl war das, als Sie die Medaille zum ersten Mal in der Hand hielten?
Es fühlte sich sehr gut an. Ich wusste, dass ich etwas Gutes getan hatte und ein oder mehrere Menschenleben retten konnte. Dabei muss ich sagen, dass ich es anfangs nicht wirklich realisieren konnte, da es für mich selbstverständlich ist, in solch einer Situation so zu reagieren und so zu handeln. Ich freute mich dennoch, dass mein Handeln wertgeschätzt wurde.
Wo bewahren Sie die Medaille auf?
In unserer Vitrine im Wohnzimmer hat die Medaille einen Ehrenplatz.