Warum können viele Kaffee-Bauern in Peru nicht von ihrem Betrieb leben? Wie wirkt sich der Klimawandel aus? Und was kann eine Fairtrade-Zertifizierung bewirken, um ihre Lebensumstände nachhaltig zu verbessern? Antworten geben Fairtrade-Berater Ricardo Aguilar, TransFair-Projektverantwortliche Bettina von Reden und der Chef der Kooperative Valle de Incahuasi, Claudio Ortiz Osis im one_Interview.
„Es mangelt oft an hochwertigem Saatgut“Ricardo Aguilar, Fairtrade-Berater
Ricardo Aguilar
one: Welche sozialen und ökologischen Herausforderungen kennzeichnen den Kaffeeanbau in Peru?
Ricardo Aguilar: Kaffee hat als landwirtschaftliches Hauptexportprodukt eine herausragende Bedeutung für Peru. Etwa 85 Prozent der Produzenten sind Kleinbauernfamilien mit weniger als fünf Hektar Land, knapp die Hälfte von ihnen ist in Kooperativen organisiert. Die Kaffeeproduzenten sehen sich zunehmenden Risiken und Herausforderungen ausgesetzt. Effekte des Klimawandels sind deutlich spürbar geworden, etwa durch die Verbreitung neuer Schädlinge und Krankheiten, die die Produktivität und Qualität beeinträchtigt und teilweise bis zu 40 Prozent der Kaffeesträucher vernichtet haben. Eine Erneuerung der Pflanzungen ist teuer und es mangelt oft an qualitativ hochwertigem Saatgut. Hinzu kommt die hohe finanzielle Abhängigkeit vieler Familien, die häufig keine andere Einkommensquelle als den Kaffeeanbau haben. In Kombination mit einer oft niedrigen Produktivität und schwankenden Weltmarktpreisen führt dies dazu, dass viele Kaffeebauernfamilien kein existenzsicherndes Einkommen haben und junge Menschen keine Perspektive im Kaffeeanbau sehen.
„Die Böden haben sich verändert“Bettina von Reden, TransFair-Projektverantwortliche
Bettina von Reden
one: Wie hilft die Fairtrade-Zertifizierung, den Kaffeeanbau nachhaltiger zu gestalten und die Lebens- und Arbeitssituation der Kleinbauern in der Kooperative Valle De Incahuasi zu verbessern?
Bettina von Reden: Die Fairtrade-Zertifizierung hat die Kooperative von Beginn an darin unterstützt, ihre eigenen Strukturen zu entwickeln und ihren Mitglieder bei der Verarbeitung und Vermarktung ihres Kaffees zu helfen. Der Fairtrade-Mindestpreis bildet ein Sicherheitsnetz, das die Kooperative ganz aktuell vor den dramatisch gefallenen Weltmarktpreisen schützt und sicherstellt, dass die Kleinbauernfamilien angemessene Preise erhalten. Die zusätzlichen Aufschläge für den Bioanbau und die Fairtrade-Prämie ermöglichen der Kooperative vielfältige Gemeinschaftsprojekte zur Verbesserung von Anbaupraktiken, der Qualität und Produktivität, ihrer Verarbeitung, Logistik sowie der Umwelt, etwa durch Aufforstungsprojekte. Hinzu kommen Bildungsinitiativen für die Kinder, Aktivitäten von Frauen- und Jugendgruppen für zusätzliche Einkommensquellen und vieles mehr.
one: In welchem Umfang können Schulungen in Good Agricultural Practices die Produktivität der Kooperative steigern?
Ricardo Aguilar: Die Kooperative hat vor einigen Jahren mithilfe der Fairtrade-Prämien und eines eingeworbenen Entwicklungsprojekts Bodenanalysen durchführen lassen und auf dieser Basis eine optimale Düngerzusammensetzung ermittelt – ausschließlich mit natürlichen Materialien. Sie mischen mittlerweile den Dünger zentral fertig an und schulen ihre Mitglieder sehr genau in der Handhabung. Sechs Agrarberater sind fest angestellt und ständig bei den Mitgliedern der Kooperative unterwegs, um Schädlingsbekämpfung, Anwendung des Düngers und andere Maßnahmen zu begleiten. Das hat bereits dazu geführt, dass ihre Produktivität mit aktuell etwa 21 Zentners pro Hektar weit über dem sehr niedrigen peruanischen Durchschnitt von rund zwölf Zentnern pro Hektar liegt.
one: Was müssten die nächsten Schritte sein?
Bettina von Reden: Zum einen müssen die Bodenanalysen wiederholt werden. Aufgrund hoher Kosten hat die Kooperative solche Untersuchungen bisher erst einmal durchgeführt. Es ist davon auszugehen, dass sich die Böden durch die zielgerichtete Bio-Düngung der vergangenen Jahre verändert haben und eine neue Mischung sinnvoll wäre. Außerdem sind das Fruchtfleisch der Kaffeekirschen, das bei der Entpulpung von den Kaffeebohnen abgelöst wird, ebenso wie das Wasser, das hierbei eingesetzt wird, wertvolle Ressourcen für die Bodenverbesserung und Pflanzengesundheit, wenn sie zu Kompost und Dünger verarbeitet werden. Hierfür fehlen der Kooperative jedoch die notwendigen Anlagen, die sie im Zuge des mit der REWE vereinbarten Projekts aufbauen werden. Weitere Aspekte sind die biologische Schädlingsbekämpfung, die Erneuerung überalterter Kaffeesträucher mit eigenen Setzlingen, das Experimentieren mit verschiedenen Kaffeesorten sowie die Aufforstung für Schattenanbau.
one: Kaffee ist eines der ersten Fairtrade-zertifizierten Produkte. Wie hat sich der Absatz von den Anfängen bis heute entwickelt?
Bettina von Reden: Kaffee war das erste Fairtrade-zertifizierte Produkt und ist bis heute das Produkt, mit dem Fairtrade am stärksten identifiziert wird. In den vergangenen Jahren konnte der Absatz kontinuierlich gesteigert werden, 2018 erneut um elf Prozent. Dazu trägt natürlich die gute Entwicklung des REWE „Feine Welt“-Kaffees der Kooperative Valle de Incahuasi bei. Gleichzeitig wächst aber auch weltweit die Anzahl der Menschen, die hoffen, ihren Kaffee zu fairen Handelsbedingungen verkaufen zu können. Immer noch können viele Kooperativen ihre Ernten nicht vollständig über den Fairen Handel absetzen und hoffen auf eine wachsende Nachfrage. Hier ist also noch viel Luft nach oben.
ohne Qualität zu verlieren
Claudio Ortiz Osis, Geschäftsführer der Cooperativa Agraria Cafetalera Valle de Incahuasi, erläutert, was seinen Kaffee so besonders macht, mit welchen Problemen die Kooperative zu kämpfen hat und was er sich von der Zukunft wünscht.
„In die Nachwuchsarbeit investieren“Claudio Ortiz Osis, Geschäftsführer der Cooperativa Agraria Cafetalera Valle de Incahuasi
Claudio Ortiz Osis
one: Was macht den Incahuasi-Kaffee so besonders?
Claudio Ortiz Osis: Der Incahuasi-Kaffee hat besondere Eigenschaften, weil sich unsere ökologisch bewirtschafteten Böden und unsere harte agrarwirtschaftliche Arbeit, die wir im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt haben, in der Qualität unseres Kaffees widerspiegelt. Deshalb haben wir bereits viele nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Hinzu kommen das große Engagement unserer Kaffeebauern und die Preisaufschläge des fairen Handels, die wir in Beratung und Weiterentwicklung des Anbaus und der Qualität investieren konnten. Die Kaffeebauern engagieren sich immer mehr für die Verbesserung der Kaffeequalität.
one: Worin unterscheidet sich die Kooperative Valle De Incahuasi von einer traditionellen Kaffee-Produktionsstätte?
Claudio Ortiz Osis: Der wichtigste Unterschied: Dank der Unterstützung durch den Fairen Handel konnten wir als Kooperative all unser Wissen bündeln, alle Aspekte der Produktion und Vermarktung des fair gehandelten Kaffees gemeinsam lernen und weiterentwickeln. Dagegen sehen konventionelle Zwischenhändler oder Verarbeiter sehen die Anlagen als ihr Eigentum, sie teilen nicht im Kollektiv und entwickeln nichts gemeinsam mit Mitgliedern, den Frauen, den Nachwuchsbäuerinnen und -bauern.
one: Mit welchen Problemen hat die Kooperative in erster Linie zu kämpfen?
Claudio Ortiz Osis: Bewässerung ist ein wichtiges Thema. Es ist in den letzten Jahren heißer geworden, im Winter fällt weniger Schnee und die Gletscher werden kleiner. Daher investieren wir viel in Aufforstung mit heimischen Baumarten für Schattenanbau. Einige Schädlinge und Krankheiten treten in den letzten Jahren vermehrt auf, wenn wir auch dank der besonderen Höhenlage nicht so schwer betroffen sind wie einige andere Kaffeekooperativen. Trotzdem müssen wir hier gute Lösungen finden, die im Bioanbau erlaubt sind. Ansonsten ist es eine immerwährende Herausforderung, die Qualität unseres Kaffees kontinuierlich weiter zu steigern und dabei auf die Wünsche unserer Kunden zu reagieren, die wiederum auf Entwicklungen und neue Trends in den Konsumgewohnheiten eingehen müssen.
one: Wie wichtig ist es, dass Incahuasi-Kaffee nicht nur das Faitrade-Siegel trägt, sondern auch bio-zertifiziert ist?
Claudio Ortiz Osis: Wir messen unserer Umwelt eine hohe Bedeutung bei und der Bioanbau unterstützt uns, die Umwelt zu schützen. Dank der Preisaufschläge des Fairen Handels für Bioanbau und der Prämien für Gemeinschaftsprojekte können wir in neue Anbautechniken und die Verbesserung unserer Pflanzen und Böden investieren, die Qualität und auch die Erntemengen verbessern.
one: Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Claudio Ortiz Osis: Ich wünsche mir, dass unsere Kooperative weiter in die Nachwuchsarbeit investiert, etwa durch Stipendien für die Kinder von Kooperativenmitgliedern. Von heute gesehen in fünf Jahren hoffe ich, dass wir eine deutliche Verjüngung sehen werden und eine aktive nächste Generation von Kaffeebauern sich einbringt, mit den jungen Mitgliedern, die sich mehr und mehr in Fragen der Produktion, der Vermarktung und neuen Kaffeetrends weiterbilden und auch in der Weiterentwicklung der Kooperativenstrukturen engagieren. Mithilfe der Fairtrade-Prämien für Gemeinschaftsprojekte wollen wir die Produktivität steigern ohne an Qualität zu verlieren. Wir wollen die Kaffeegärten mit eigener Setzlingszucht erneuern und Krankheiten durch neue, hochwertige Sorten begegnen. Auch der weitere Ausbau unserer Sammlungsstationen, Entpulpungsanlagen, eine hochwertige Lagerhalle mit Qualitätslabor in Andahuaylas sind konkrete Zukunftspläne.
Lieblingsgetränk: Ein Tag ohne Kaffee? Das ist für viele Menschen in Deutschland undenkbar. Bis der Muntermacher in unseren Tassen dampft, hat er eine lange Reise hinter sich. Zum Beispiel aus Brasilien, Vietnam oder Peru. Doch der Klimawandel und die geringe Profitabilität gefährden die Zukunft der Kaffeeproduktion. Die REWE Group möchte das ändern und setzt sich auf vielfältige Weise für nachhaltigen Kaffeeanbau ein. Weiterlesen...