Heute urlauben wir am liebsten in Griechenland, morgen ist Albanien unser Favorit – weshalb? Wir wollen umweltfreundlich handeln, aber trotzdem zieht es immer mehr Urlauber an Bord eines Kreuzfahrtschiffs – wie geht das zusammen? Und warum leben die seit Jahren totgesagten Reisebüros immer noch – trotz des Online-Hypes? Wir haben uns mit Georg Schmickler, Vice President Corporate Strategy DER Touristik, über Trends im Tourismus und – manchmal merkwürdige und widersprüchliche – Urlaubsgewohnheiten unterhalten.
Georg Schmickler
one: Herr Schmickler, Reiseländer steigen und fallen in unserer Gunst. Wie kommt das? Und wie stellen sich Reiseveranstalter auf derlei Turbulenzen ein?
Georg Schmickler: In den seltensten Fällen sprießt ein Reiseziel von heute auf morgen aus dem Boden. Meist ist es ein kontinuierlicher Prozess, auf den wir uns als Reiseveranstalter einigermaßen vorbereiten können. Die Gründe sind vielfältig: Währungs-Schwankungen etwa, die Destinationen günstiger oder teurer machen. Wirtschaftliche und politische Instabilität – wie zum Beispiel vor einigen Jahren in Griechenland – können jahrzehntelange Lieblingsziele im schlimmsten Fall touristisch ausbluten. Terror natürlich, wie seinerzeit in Ägypten. Angst hält naturgemäß viele Gäste fern. Doch es gibt ja auch die positiven Beispiele, wenn ein Land nach vielen Jahren aus dem Schatten der Unbekanntheit tritt. Oder wieder zurückkommt, wie die Türkei.
one: Haben Sie ein aktuelles Beispiel für ein solches Reiseziel, das vom Sternchen zum Star wurde?
Georg Schmickler: Ja, Albanien ist ein gutes Beispiel für ein Land, das auf dem besten Weg dahin ist. Das hat mich schon ein wenig überrascht, da es in diesem Fall doch recht schnell ging. Albanien ist zwar im Grunde die Verlängerung der Adriaküste von Montenegro. Doch bislang steckt der Pauschaltourismus noch in den Kinderschuhen, daher sind viele Hotels brandneu, mit einem super Preis-Leistungsverhältnis. Es ist ein großartiges Land mit ganz viel Potenzial. Ein Manko ist allerdings die relativ komplizierte Anreise: Der einzige internationale Flughafen ist Tirana. Ansonsten bleibt nur die Fähre, zum Beispiel von Korfu oder Bari.
one: Albanien ist also einer der aktuellen Reisetrends. Wie passt das zu dem Dauerbrenner hierzulande, Urlaub in Deutschland?
Georg Schmickler: Es gibt ja Favoriten, die sich ewig halten, ganz unabhängig von neuen Trends. Aus vielen guten Gründen: Urlaub in Deutschland ist extrem vielseitig, das Niveau hoch, Sprache und Gepflogenheiten vertraut. Und man kommt überall mit dem Auto oder der Bahn hin – Stichwort Nachhaltigkeit.
one: Sie sprechen das Thema „Nachhaltigkeit“ an: Ist das auch ein Trend-Thema im Tourismus?
Georg Schmickler: Ja, auf jeden Fall. Eines der ganz großen, übergreifenden Themen im Tourismus ist Nachhaltigkeit und Umwelt. Sowohl für die Branche, als auch für die Gäste. Das korreliert absolut mit ganzheitlichen Trends – Nachhaltigkeit ist ja inzwischen in vielen Branchen, Wirtschaftszweigen und Haushalten ein ganz wichtiges Thema.
one: Kritiker bemängeln immer wieder, Nachhaltigkeit und Tourismus sei eigentlich ein Paradoxon. Spätestens in dem Moment, wenn man in den Flieger steigt.
Georg Schmickler: Natürlich ist das in sich schwierig – zumindest bei Flugreisen. Das Bedürfnis, nachhaltig zu handeln, hält die Menschen dennoch nicht davon ab, denn Reisen sind nun einmal ein sehr existenzielles Bedürfnis. Doch darf man nicht vergessen, dass man so auch Geld und damit ein wenig Wohlstand in die Urlaubsregionen bringt. Zudem gibt es inzwischen viele Initiativen und Portale zur CO2-Kompensation, mit denen wir teilweise auch kooperieren. Das kann man den Gästen anbieten. Oder auch die vielen Initiativen und Einrichtungen, die wir mit der DER Touristik Foundation unterstützen. Hier können unsere Kunden spenden und so etwas für Natur- und Tierschutz, aber auch zum Beispiel für Schulprojekte in den Urlaubsländern tun. Zudem sind wir vor Ort zum Beispiel in unseren Hotels aktiv. Dort arbeiten wir gerade intensiv an einer Strategie zur Plastik- und Abfallvermeidung.
one: Welchen Trend beobachten Sie bei der Art zu reisen?
Georg Schmickler: Ganz extrem im Trend sind Kreuzfahrten. Auch dieser Trend ist nicht neu, sondern hat sich über Jahre entwickelt. Doch er ist zuletzt immer stärker geworden. Inzwischen ist Deutschland mit über zwei Millionen Gästen der drittgrößte Kreuzfahrmarkt weltweit nach den USA und China.
one: Auch bei Kreuzfahrten denkt man nicht wirklich sofort an Nachhaltigkeit… wie passen denn diese beiden Trend-Themen zusammen?
Georg Schmickler: Sagen wir so, es erfolgt definitiv eine Annäherung. Es kommen einerseits immer mehr Fragen von Seiten der Gäste: Mit welchem Antrieb fährt das Schiff? Mit Diesel oder Schweröl? Was ist mit Flüssiggas? Und den Abwässern? Und andersrum stellt sich die Kreuzfahrt-Industrie um: Die neuen Schiffe haben ihre eigenen Entsorgungs-Anlagen, die ersten fahren mit Flüssiggas. Kreuzfahrten sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich Reisetrends und ganzheitliche Trends einander langsam annähern.
one: Seit Jahren spricht man im Tourismus vom Trend zur Online-Buchung. Demnach müssten Reisebüros längst von der Bildfläche verschwunden sein.
Georg Schmickler: Auch dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Trend nicht unbedingt auf Kosten eines Dauerbrenners funktionieren muss. Es ist richtig, im Tourismus gewinnt Online-Präsenz und -Buchbarkeit an Bedeutung. Dennoch hatten unsere rund 500 DER Reisebüros 2018 ein sehr erfolgreiches Jahr – trotz aller Unkenrufe! Wir beobachten, dass vor allem bei komplexen Reisen, die aufwändig zu organisieren sind und bei denen Fachkenntnis und Erfahrung total helfen, das Reisebüro immer noch Anlaufpunkt Nummer 1 ist. Übrigens auch bei Kreuzfahrten, das ist auch kein selbst erklärendes Produkt. Für uns heißt die optimale Lösung: Verzahnung von online und offline. Ein Beispiel: Ein Gast will Südafrika buchen und hat Fragen zum Land, sucht Urlaubstipps etc. Über der.com kann er zu einem speziellen Reisethema oder -Land direkt mit einem unserer Reiseexperten Kontakt aufnehmen – per Chat, Telefon oder Mail –, der genau drauf spezialisiert ist. Das geht übrigens jetzt auch bei Kreuzfahrten.
one: Die DER Touristik ist mit 17 Veranstalter-Marken in 15 Ländern weltweit vertreten. Gibt es einen Trend, den Sie bezüglich der Quellmärkte beobachten?
Georg Schmickler: Absolut! Osteuropa entwickelt sich gerade sehr dynamisch. Mit Exim Tours sind wir zum Beispiel Marktführer in Tschechien und beobachten die Entwicklung hautnah.
one: Wie erklären Sie sich diesen Reise-Hype in Osteuropa?
Georg Schmickler: Nun, es ist dort in den meisten Ländern inzwischen politisch stabil. Die Arbeitslosigkeit ist – zum Beispiel in Tschechien – auf sehr niedrigem Niveau. Unternehmen bringen Wohlstand: die Mittelschicht wächst sehr stark. Freiheit und Geld bedeutet für die Menschen dort, reisen zu können. Sie kaufen sich nicht zu allererst einen BMW, sondern gehen lieber auf Reisen. Das ist eine sehr spannende Entwicklung, die wir natürlich mit großem Interesse verfolgen.
one: Last but not least: Georg Schmickler einmal als Trendscout. Welchen Trend sehen Sie persönlich derzeit kommen?
Georg Schmickler: Ganz klar sehe ich einen Trend zu einer weiteren Spezialisierung und Individualisierung - weg von der Masse, hin zu Spezialreisen. Zudem glaube ich, das Segment der Alleinreisenden wird weiter sehr stark wachsen. Als übergeordnetes Thema wird Nachhaltigkeit weiter an Bedeutung gewinnen – Stichworte „Flightshaming“ und „Overtourism“. Sicher bin ich auch, dass Reisetrends grundsätzlich von Social Media, ganz besonders von Instagram, massiv gepusht werden.
Herr Schmickler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Georg Schmickler (34) verantwortet seit September 2017 den Bereich Unternehmensstrategie der DER Touristik Group. Vorher war er zweieinhalb Jahre als Assistent von Vorstand Sören Hartmann tätig.
Bevor Schmickler diesen Job antrat, arbeitete er im Airlinebereich, zuletzt als Berater bei Lufthansa Consulting (Schwerpunkt Airline Start-up und Airline Restrukturierung).