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1. FC Köln-Trainer Peter Stöger über Fehlerkultur
„Wer sich der Verantwortung stellt,
darf Fehler machen“
von Stefan Weber und Sebastian Amaral Anders
Es hätte der ersehnte Ausgleich sein können, doch dann: ein entscheidender Patzer. Abpfiff. Und Millionen schauen zu. Wie gehen Fußball-Profis und -Trainer mit öffentlichem Druck um? Und was können Unternehmen von der Fehlerkultur im Sport lernen? one hat mit Peter Stöger, Trainer des 1. FC Köln, gesprochen und erstaunliche Parallelen entdeckt.
one: Herr Stöger, Sie sind Führungskraft unter erschwerten Bedingungen. Wenn der FC spielt, schauen Tausende zu, ob Ihr Team alles richtig macht. Haben Sie Angst, Fehler zu machen?
Peter Stöger: Fehler sind das Normalste von der Welt. Nur bei Menschen, die sich keiner Verantwortung stellen, ist die Chance groß, keine Fehler zu machen. Aber die werden nach meiner Überzeugung auch weniger erfolgreich sein. Fußball lebt von Fehlern. Manchmal hat das, was gelungen ist, mit Deiner Qualität zu tun, aber oft entscheiden Fehler ein Spiel. Unser Zugang ist, den Jungs klar zu machen, dass sie Verantwortung übernehmen. Das beinhaltet, dass man auch mal etwas falsch macht. Aber wer gar nichts macht, wird auf jeden Fall bestraft. Nicht jede Entscheidung kann eine richtige Entscheidung sein. Das ist im Sport so – und auch in Unternehmen.
one: Und wenn dann Fehler passieren….
Peter Stöger:…muss man sehen, dass man diese aufarbeitet. Man muss sich fragen: Ist da ein Muster dahinter? Ist es ein immer wiederkehrender Fehler? Dann hat man die Chance, ihn zu korrigieren. Ist es ein Fehler, der aus einer Situation entstanden ist? Dann bespricht man das kurz, dann ist jedem klar: Ich habe falsch reagiert. So versuchen wir das rauszuarbeiten. Es gibt individuelle Fehler. Es gibt Fehler, die auf falschen Einschätzungen vom Trainer beruhen, was der Gegner bringt. Am Anfang unserer Trainingswoche besprechen wir das. Ich versuche, das kurz und bündig zu machen, denn in vielen Fällen ist ohnehin jedem klar, was nicht so gut funktioniert hat. Und dann fokussieren wir uns auf die nächste Aufgabe.

„Spieler müssen während eines Spiels hunderte Entscheidungen treffen, da kann nicht alles richtig sein.“

one: Gibt es bei der Analyse feste Abläufe in der Art: Montag werden zunächst die Fehler des vergangenen Wochenendes aufgearbeitet?
Peter Stöger: Wir versuchen am Sonntag, die Eindrücke des Spiels vom Samstag erst einmal sacken zu lassen. Und dann kommen wir am Montag zusammen und schauen die Bilder vom Spiel an und analysieren. Das ist ein fester Ablauf in unserem Trainerteam mit Co-Trainer Manfred Schmid und Torwarttrainer Alex Bade – und natürlich wird Jörg Schmadtke als Geschäftsführer auch einbezogen.

one: In großer Runde mit der kompletten Mannschaft?
Peter Stöger: Die meisten Dinge bereden wir gemeinsam. Aber es gibt auch Sachen, die bespricht man mit einigen wenigen Spielern. Bei Videoanalysen führe ich gerne auch Einzelgespräche. Oder beispielsweise mit der kompletten Abwehr – je nachdem, wie gravierend die Fehler waren. Danach geht es dann wieder weiter, dann schauen wir nach vorn. Spieler müssen während eines Spiels hunderte Entscheidungen treffen, da kann nicht alles richtig sein.
one: Nicht jeder kann damit umgehen, vor versammelter Mannschaft kritisiert zu werden.
Peter Stöger: Klar, jeder geht anders mit Kritik um. Mancher einer braucht ein paar Streicheleinheiten. Für einen anderen ist eine härtere Gangart nicht so schlecht. Jeder Mensch reagiert individuell. Man muss als Trainer ein Gefühl dafür entwickeln, wann was notwendig ist. Aber: Wer im Spitzenfußball tätig ist, muss Kritik aushalten.

one: Wie reagieren Sie bei Verfehlungen abseits des Spielfelds?
Peter Stöger: Das spreche ich bewusst vor der ganzen Gruppe an. Es geht nicht darum, einen Einzelnen zu zerlegen. Alle sollen wissen, die Trainer haben mitbekommen, was gelaufen ist. Das heißt dann nicht, der Spieler hat einen schwarzen Punkt in unserem Heft, sondern die anderen sollen wissen, dass so etwas nicht geht. Dann ist die Sache erledigt und es geht weiter.

Foto: Thomas Faehnrich

„Wenn ich der Mannschaft etwa mit einer Spielidee keinen Gefallen getan habe, finde ich es auch richtig zu sagen: Sorry, das war meine Fehleinschätzung.“

one: Welche Sanktionen sprechen Sie aus? Ist es immer eine  Geldstrafe?
Peter Stöger: Ich habe noch nie eine Geldstrafe ausgesprochen. Damit kann ich nichts anfangen. Mir kommt sie ja nicht zugute. (lacht)

one: Aber es gibt einen Strafenkatalog?
Peter Stöger: Die Mannschaft hat ihren eigenen Strafenkatalog aufgestellt für Dinge, die für uns wichtig sind. Zum Beispiel Verspätungen. Dafür gibt es eine Mannschaftskasse, die entsprechend befüllt wird. Das ist eine Art Selbstregulation. Wenn sich Dinge häufen, die eigentlich selbstverständlich sind, muss ich irgendwann Entscheidungen treffen, die nicht mehr lustig sind. Das wissen die Spieler, und das möchten sie verhindern.

one: Das heißt: Sie lassen die Spieler an einer längeren Leine, weil sie hoffen, dass sie dann besser spielen? So wie Unternehmen erkannt haben, dass Mitbestimmung zu einer höheren Produktivität führen kann als ein autoritärer Führungsstil?
Peter Stöger: Es gibt unterschiedliche Trainertypen. Die Frage ist immer: Wieviel Eigeninitiative und Verantwortung erwartest du von deinen Spielern? Ich werde sicher nicht dafür bezahlt, dass ich die Jungs motiviere. Jeder Spieler muss für sich entscheiden, wie sehr er sich einbringt. Mein Ansatz ist, jedem zu eröffnen, welche Möglichkeiten er hier hat. Ich sollte jeden Tag mit einer Idee zum Training kommen, gut gelaunt und Vorbild sein. Nicht so, wie man sich das früher von manchen Trainern vorgestellt hat: reinkommen und jemanden zusammenstauchen. Damit erreicht man gar nichts. Wenn  man etwas aufbauen will, müssen alle verstehen, wo du hinwillst und welche Ideen du hast.

„Die Spieler kennen uns Trainer inzwischen schon lange genug um zu wissen, dass wir nicht glauben, immer alles richtig zu machen.“

one: Manchmal bleibt für einen Trainer nicht viel Zeit, Ideen umzusetzen. Die Erwartungen sind groß….
Peter Stöger: Ja, wenn man sieht, wie kurzfristig das Trainerdasein manchmal ist. Nach ein paar Wochen wirst du schon hinterfragt, wenn es nicht läuft. Kein Marktleiter bei REWE würde nach ein paar Wochen abgelöst, wenn sein Laden nicht läuft. Im Fußball ist es halt ein bisschen anders, aber dafür auch besonders spannend.

one: Führt der Erwartungsdruck dazu, dass man manchmal weniger Risiko eingeht, aus Angst, dass es schiefgeht?
Peter Stöger: Das Interessante ist ja, dass man nie weiß, ob man mit mehr oder weniger Risiko Erfolg hat. Man muss so entscheiden, dass man das Gefühl und die Überzeugung hat: So ist es stimmig. Und: Die Dinge müssen für die Spieler nachvollziehbar sein. Dann hast du die Chance, auch eine schwierige Zeit zu überstehen. Solche Phasen hatte ich auch. Denken Sie zurück, als ich im Sommer 2013 nach Köln gekommen bin: Da haben wir die ersten drei Spiele in der Zweiten Liga nicht gewonnen. Da bin ich auch nicht hergegangen und habe überlegt, ob ich jetzt mehr oder weniger Risiko gehen muss. Man muss von dem überzeugt sein, was man macht und dann geht es weiter. Und die Jungs müssen Vertrauen zu den Ideen entwickeln, die man ihnen vorgibt.

one: Wir gehen Sie damit um, wenn die Zuschauer und Medien Ihnen Fehler vorhalten?
Peter Stöger: Negative Kritik ist immer unangenehm. Ich kenne viele Kollegen, die sagen: Ich lese keine Zeitung. Das kann ich mir nicht vorstellen und finde es auch fahrlässig zu ignorieren, wo unsere Fehler nach Meinung anderer liegen. Damit muss man sich beschäftigen und man sollte sich fragen, ob man da etwas rausziehen kann, was einen weiterbringt. Es gibt niemanden, der schon alles weiß.
one: Es heißt, eine Fehlerkultur funktioniert nur, wenn auch Führungskräfte den Mut haben, eigene Fehler einzugestehen. Wie gehen Sie ganz persönlich damit um?
Peter Stöger: Wenn ich der Mannschaft etwa mit einer Spielidee oder einer Personalentscheidung keinen Gefallen getan habe, finde ich es auch richtig zu sagen: Sorry, das war meine Fehleinschätzung. Das wäre ja auch ungerecht den Spielern gegenüber, die sich vielleicht nur an ihre Positionsanweisung gehalten haben und daher nicht ins Spiel gekommen sind. Etwa beim Spiel gegen Hamburg – da hatten wir vorher falsch eingeschätzt, wie der HSV das Spiel eröffnen würde – also seinen Spielaufbau gestalten würde. Das wurde dann ganz schwer für die Jungs. Zum Glück ging es mit einem 0:0 in die Pause. Da konnten wir reagieren und die Mannschaft mit einer besseren Spielidee in die zweite Hälfte schicken.

one: Untergräbt es Ihre Autorität, wenn Sie Fehler zugeben?
Peter Stöger: Nein, überhaupt nicht. Ich gebe ja auch der Mannschaft mit, dass im Spiel Fehler erlaubt sind. Das gibt auch uns im Trainerteam die Basis, offen darüber zu sprechen, wenn wir mal danebengegriffen haben. Die Spieler verstehen das. Das ist bei uns intern gar kein großes Thema. Die Spieler kennen uns Trainer inzwischen schon lange genug um zu wissen, dass wir nicht glauben, immer alles richtig zu machen.

one: Was halten Sie davon, wenn Trainer ihre Mannschaft in aller Öffentlichkeit pauschal kritisieren – die berüchtigte Wutrede?
Peter Stöger: Ich finde es vor allem wichtig, authentisch zu sein. Wenn man jeden Tag zusammenarbeitet, kann man den Jungs nichts vorspielen. Bei uns würde es ganz seltsam rüberkommen, wenn ich plötzlich öffentlich über die Mannschaft herziehen würde. Das wäre nicht stimmig und das würde ich auch nicht machen. Da würden die Jungs eher denken: Jetzt ist mit dem Alten irgendwas passiert. Vielleicht soll so etwas den Zweck haben, kurzfristig die Sinne zu schärfen? Ich weiß es nicht.

Peter Stöger
Der gebürtige Wiener kam im Sommer 2013 als Cheftrainer zum 1. FC Köln. In seiner ersten Saison gelang ihm die Meisterschaft in der Zweiten Liga und der Aufstieg ins Fußball-Oberhaus. Der 50-Jährige begann seine Fußball-Karriere als Spieler in Österreich bei Austria Wien. Als Spieler lief Stöger auch 65 Mal für das österreichische Nationalteam auf und spielte unter anderem bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Als Trainer führte er Austria Wien in der Saison 2012/2013 mit einem Punkterekord zum Meistertitel, bevor er im Sommer 2013 nach Köln wechselte. Seinen Vertrag mit dem FC hat er Anfang des Jahres bis 2020 verlängert.
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