nach oben
nach oben
Geräuscharme Nachlogistik im Test
Operation Heinzelmännchen
von Stefan Weber // Fotos: Achim Bachhausen
Marco ist früh dran an diesem Abend. Es ist viertel vor neun, als er den Lkw auf den Parkplatz des REWE Marktes von Jürgen Maziejewski im Kölner Weidenbruch steuert. Angekündigt war er für 21 Uhr, aber Marco, ein fröhlicher Kroate, der auch bei 13 Grad kurze Hosen trägt, ist gut durchgekommen vom REWE-Lager in Langel im Kölner Norden bis hier nach Dellbrück. „Um diese Zeit geht’s meistens sehr flott. Ganz anders als morgens oder mittags. Da stehe ich oft im Stau“, erzählt der Lkw-Fahrer.
Wenn sich tagsüber Fahrzeug um Fahrzeug durch die Nadelöhre in der Innenstadt quält, wird die Marktbelieferung für Marco und seine Kollegen in der Logistik zur Geduldsprobe. Und die Situation wird nicht besser. Im Gegenteil. Mit dem zu erwartenden weiter steigenden Verkehrsaufkommen verlängern sich die Fahrzeiten der Lkw bei der Marktbelieferung immer mehr. „Wir müssen dringend heute nach Lösungen suchen, wie wir in fünf oder zehn Jahren Ware in die Märkte bekommen – zumal nicht auszuschließen ist, dass der Gesetzgeber die Nutzung von Diesel-Lkw in den Innenstädten wegen zu hoher Feinstaubbelastung irgendwann einschränkt“, betont Birgit Heitzer, Leiterin Logistik Konzern der REWE Group.
Ist es möglich, die Märkte am späten Abend oder in der Nacht zu beliefern, wenn weniger Verkehr auf den Straßen ist – und zwar ohne, dass die Anwohner um ihre Ruhe gebracht werden? Das versucht das Forschungsprojekt GeNaLog unter Leitung des Fraunhofer Instituts herauszufinden. Das Kürzel steht für „Geräuscharme Nachtlogistik für Innenstädte durch den Einsatz von Elektromobilität“. Einer der Praxispartner ist die REWE Group. Fünf Wochen lang erprobte der Konzern im März und April bei der Belieferung mehrerer Märkte in Köln ein besonderes, zuvor fein ausgetüfteltes Logistikkonzept. Oberste Maxime: Leise sein!
 „Es ist ungewohnt, wenn man nichts hört.“

Der 18-Tonner, den Marco steuert, ist auch kein herkömmlicher dieselgetriebener Lkw sondern ein Elektrofahrzeug. Genauer gesagt, eine teure Spezialanfertigung. „Die namhaften Nutzfahrzeughersteller haben noch keine serienreifen Elektro-Lkw im Schwerlastbereich im Programm. Diese Fahrzeuge sind nur über Spezialisten zu beziehen, die Serienfahrzeuge zu vollelektrischen Lkw umbauen. Entsprechend sind die Investitionskosten dreimal so hoch wie bei einem vergleichbaren Diesel-Lkw, erläutert Birgit Heitzer. Hinzu kommt: Die Reichweite der Fahrzeuge ist begrenzt. Abhängig von Faktoren wie dem Einsatzgebiet, Fahrverhalten und den Wetterbedingungen muss die Batterie nach 200 bis 350 Kilometern aufgeladen werden. Für die zwei Märkte, die Marco an diesem Abend beliefert, reicht das jedoch allemal. Er hat sich rasch an das geräuscharme Fahrzeug gewöhnt, sagt aber: „Es ist ungewohnt, wenn man nichts hört.“

Rückwärts surrt der Elektro-Lkw über den Parkplatz des Marktes von Jürgen Maziejewski. Vorbei an dreistöckigen Wohnhäusern, die gleich an die Parkbuchten grenzen. Zu hören ist – nahezu nichts! Die Geräusche der Straße übertönen das Schnurren des Lieferfahrzeugs. Die Belieferung des Marktes erfolgt an der seitlich zum Markt liegenden Anlieferrampe. Marco stoppt den Lkw, springt heraus und lässt die Ladebordwand herunterfahren. Als der Kompressor des Fahrzeugs anspringt, wird es etwas lauter. Sebastian Schuhmann, Funktionsbereichsleiter Logistik Konzern, beobachtet die Szene und bemerkt: „Für die Geräuschreduzierung des Kompressors gibt es bereits einen Lösungsansatz.“ Sonst bleibt der Lärmpegel gering.
Im Eiltempo lädt Marco, unterstützt von Mitarbeitern des Marktes, die geräuschreduzierten roten Rollcontainerboxen für Kühlware sowie die offenen silbernen Rollcontainer für Obst, Gemüse und Trockenprodukte ab und schiebt sie in den Markt. Dank der glatten Oberfläche des Parkplatzes geht das ohne großes Scheppern. Bei holprigen Belägen rollt Marco die Containerwagen über Spezialmatten, die er für solche Fälle stets dabei hat. Sie dämpfen die Rollgeräusche. Gesprochen wird wenig, allenfalls ein paar kurze Sätze in halblautem Ton. „Neben den technischen Anpassungen hat das Arbeitsverhalten einen großen Einfluss auf den Geräuschpegel. Die Fahrer sind daher angewiesen, die Arbeit möglichst leise durchzuführen“, erläutert Jörg Ruhnke, Mitarbeiter im Funktionsbereich Logistik Systeme. Lärm-Kontrolleure hatten nichts zu beanstanden Eine gute Viertelstunde – dann ist die Belieferung abgeschlossen. Marco macht sich auf zur letzten Station an diesem Abend, dem REWE Markt von Holger Rohe, nur knapp zwei Kilometer entfernt auf der Steyler Straße. Wer hier wohnt, ist einen höheren Lärmpegel gewohnt. Etwa 35.000 Autos rauschen jeden Tag vorbei; in der Nachbarschaft befinden sich mehrere Fachmärkte, Fast-Food-Anbieter sowie eine Tankstelle. „Trotzdem dürfen wir bei der Belieferung 45 Dezibel nicht überschreiten“, sagt Sebastian Schumann. Insgesamt sechs Lärmmessungen werden im Rahmen des Projekts durchgeführt – bisher hatten die Kontrolleure nicht einmal etwas zu beanstanden. Gemessen wird nicht an der Geräuschquelle direkt, sondern beim nächstgelegenen Anwohner.
Anwohnerin ruft Hotline an – mit überraschender Frage

Schon vor Wochen hatte die REWE Group alle Anwohner der am Forschungsprojekt GeNaLog beteiligten Märkte im Umkreis von 200 Metern angeschrieben, den Testlauf erläutert und auf die veränderten Lieferprozesse hingewiesen. Während der Testphase konnten Betroffene über eine Hotline des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik Beschwerden anmelden oder auch nur ihre Meinung äußern. „Eine Rückmeldung haben wir bekommen – von einer Dame, die fragte, wann das Projekt starte. Dabei lief der Test zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Wochen“, sagt Sebastian Schumann schmunzelnd. Auch Birgit Heitzer ist erleichtert, dass die Anwohner sich durch die Spätbelieferung der Märkte offensichtlich nicht gestört fühlten. „Das war im Vorfeld unsere größte Sorge gewesen.“

Der Markt von Holger Rohe wird an diesem Abend von vorne, also durch den Kundeneingang, beliefert. Das bedeutet für Marco: häufiges, zentimetergenaues Rangieren.
Denn zwischen Markteingang, Nachbarhaus und geparkten Kundenfahrzeugen ist wenig Platz. Marktinhaber Rohe kommt hinzu. Er ist froh über die späte Belieferung. „Das schafft uns mehr Flexibilität. So können wir schon heute Abend ganz entspannt die Regale auffüllen und es gibt keine Lücken, wenn morgen um sieben Uhr die ersten Kunden kommen.“ Denn die Waren, die Marco jetzt um kurz vor 22 Uhr bringt, würden im anderen Fall am nächsten Tag in der Frühe geliefert – und die Marktmitarbeiter hätten Stress, im ersten Kundenansturm die Regale zu befüllen.

Rückweg zum Lager geht schnell – im Nachtverkehr


Die Belieferung geht ruckzuck. Ladebordwand runter, Kompressor geht an, Rollcontainer raus, rein in den Markt und entladen zurück. Ladebordwand hoch, kurze Verabschiedung. Es ist viertel nach zehn als sich Marco auf den Weg zurück zum Lager nach Langel macht. Das wird schnell gehen, es ist nicht viel Verkehr.
Mein Kommentar
Kommentieren
Auch interessant
Newsletter