Lena Mülhaupt, Head of Marketing „Haufe Talent“ bei der Haufe Group, einem international tätigen Anbieter von Software-, Beratungs- und Weiterbildungslösungen, über die Angst zu scheitern und die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen
one: Viele fühlen sich wohl, wenn alles so bleibt, wie es ist. Da wissen sie, was sie haben. Es gibt keine negativen Überraschungen. Warum also den Mut aufbringen, etwas Neues anzustoßen?
Lena Mülhaupt: Weil nur das einen Menschen oder ein Unternehmen weiterbringt. Neues kann nur entstehen, wenn Menschen bereit sind, ausgetretene Pfade zu verlassen. Dazu bedarf es Mut. Denn in dem Moment, in dem ich vom gewohnten Weg abweiche, weiß ich nicht, wohin er mich führt. Das birgt Risiken. Aber die muss ich bereit sein zu tragen, sonst droht Erstarren.
one: Wie schaffen es Unternehmen, ihre Mitarbeitenden zu ermutigen, Neues zu denken?
Lena Mülhaupt: Gute Ideen stecken in den Mitarbeitenden und nicht in den Prozessen. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen ihre Beschäftigten animieren, mutig zu sein, Dinge zu hinterfragen und keine Scheu zu haben, eigene Ideen einzubringen. Die gesamte Unternehmenskultur muss signalisieren: Wir fördern die Suche nach neuen Wegen und dabei sind Versuch und Irrtum ausdrücklich erwünscht.
one: Tatsächlich haben aber viele Mitarbeitende Angst, sich in unbekanntes Terrain zu wagen. Lieber erledigen sie alles wie immer, weil sie das Risiko scheuen und nicht für Misserfolge verantwortlich gemacht zu werden.
Lena Mülhaupt: Hier sind gute Führungskräfte gefragt. Wer seine Mitarbeitenden nach Fehlschlägen stark kritisiert, bremst ihren Mut. Sie werden sich dann kaum noch einmal mit einem ausgefallenen Vorschlag zu Wort melden. Wichtig ist Kommunikation auf Augenhöhe statt ein Vorgehen nach dem Prinzip „Befehl und Gehorsam“. Wer Mut gezeigt hat und nicht direkt erfolgreich war, muss aufgefangen werden. Er muss das Gefühl erhalten, dass es wertvoll war, neu gedacht zu haben, auch wenn er nicht auf Anhieb einen Treffer gelandet hat. Auch wenn der Satz abgedroschen ist: Der Weg ist das Ziel. Es ist wichtig, von jeder Etappe etwas mitzunehmen.
one: Kann Mut eher in kleineren Unternehmen als in Konzernstrukturen gedeihen?
Lena Mülhaupt: In hierarchisch geprägten Konzernstrukturen sind die Voraussetzungen sicherlich weniger gut. Aber im Grunde ist Mut keine Frage der Struktur, sondern der Kultur eines Unternehmens. Wenn die Führungskraft eines Konzerns ihren Mitarbeitenden ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen und mutig für ihre Ideen einzustehen und damit gute Ergebnisse erzielt, kann dieses Beispiel Schule machen. So lässt sich eine Unternehmenskultur Schritt für Schritt verändern.
one: Wer wirtschaftlich erfolgreich ist, kann es sich leichter erlauben, mutig zu sein. Wer dagegen mit dem Rücken zur Wand steht, kann sich keinen Fehler erlauben und vertraut eher auf Bewährtes - richtig?
Lena Mülhaupt: Ja, wer gut dasteht, ist eher bereit, Experimente einzugehen und seine Kultur entsprechend anzupassen. Aber gerade für weniger erfolgreiche Unternehmen wäre es häufig ein Gewinn, stärker auf ihre größte Ressource, die Schaffenskraft ihrer Mitarbeiter, zu setzen. Verharren in Angst ist keine Lösung. Es geht ja nicht immer um die eine große Innovation, um die one-million-Dollar-Idee. Aber andersherum gilt auch: Mut steht am Anfang jeder großen Geschichte.
„Geschichten von mutigen Menschen“Der Mensch sein, der man immer sein wollte, den Job machen, den man immer machen wollte, das Unternehmen gründen, an das man immer geglaubt hat: Drei Menschen erzählen von mutigen Schritten – und warum sie glücklich sind, sie gewagt zu haben.
Balian Buschbaum (40), Bestseller-Autor, Coach und Speaker war unter seinem Geburtsnamen Yvonne Buschbaum international erfolgreich im Stabhochsprung. 2007 ging er mit einer emotionalen Pressemitteilung an die Öffentlichkeit.
„Eine Sache war mir ganz klar: Ich bin mit einem männlichen Gehirn auf die Welt gekommen. Nur eben mit weiblichen Geschlechtsorganen. Der Bauplan war von Anfang an falsch. Schon mit fünf Jahren ist mir aufgefallen, dass da irgendetwas nicht stimmt. Ich wusste, dass ich nicht auf die Frauentoilette gehöre und bin heimlich bei den Jungs gegangen. Zum Glück hatte ich den Sport. Stabhochsprung. Das war mein Ding: Damit habe ich meine Zerrissenheit lange zugedeckt. Deutsche Meisterschaften, Platz sechs bei den Olympischen Spielen 2000 – doch alle Erfolge habe mich nicht glücklich gemacht.
Mit 28 Jahren habe ich den Mut gefasst, eine Geschlechtsangleichung vornehmen zu lassen. Testosteronspritzen sorgten dafür, dass sich Stimme und Aussehen veränderten. Auch der Vorname ist seitdem ein anderer: aus Yvonne wurde Balian. Damit war meine innere Schieflage beseitigt. Wenn ich heute Bilder von früher betrachte, erkenne ich in jeder Körperbewegung: Das bin nicht ich als vollständiger Mensch. Das war nur ein Teil von mir. Heute bin ich der Mensch, der ich bin – und wirke somit auch anders nach außen. Wenn innen alles heil ist, ist häufig auch außen alles heil.“
Silja Mahlow (50) lebt in Duisburg und arbeitet als Coach, Yogalehrerin und Bloggerin mit ihrem Podcast „Radikal glücklich mit Silja“.
„Eigentlich hatte es keinen Grund gegeben, mich beruflich zu verändern. Als diplomierte Wirtschaftspsychologin war ich bei einer Bank in Festanstellung als Trainerin für Führungskräfte tätig gewesen. Menschen zu helfen, im Job glücklicher zu sein – das war mein Antrieb.
In dieser Zeit habe ich nebenbei eine Ausbildung zur Yogaleherin gemacht. Aus privaten Gründen, für mein eigenes Wohlbefinden. Dass dies einmal eine Berufsalternative sein könnte, hatte ich nicht im Sinn. Doch schon bald gab es immer mehr nebenberufliche Anfragen für allgemeines Coaching und Yogaunterricht. Zwischendurch habe ich auch mehr und mehr Spaß daran gefunden zu bloggen. Das war die Verwirklichung meines Traums vom Schreiben und Erzählen. Irgendwann musste ich mich dann entscheiden zwischen dem sicheren Job bei der Bank und einer freiberuflichen Tätigkeit als Coach, Yogalehrerin und Bloggerin. Beides zusammen hätte zu viel Stress bedeutet.
Vor zweieinhalb Jahren habe ich beschlossen, mich selbstständig zu machen. Ein großer Schritt. Aber ich habe ihn nicht bereut. Mir geht es darum, Menschen zu unterstützen, glücklich und gesund zu leben. Das wollte ich nicht mehr nur im Unternehmenskontext tun. Mein „neuer“ Beruf macht mir sehr viel Spaß, ich bin total glücklich damit. Im Grunde ist das ja auch die Botschaft von Yoga: Ein Gefühl entwickeln für das, was man wirklich benötigt, um sich wohlzufühlen.“
Nikolaus Förster, Jahrgang 1968, war Chefredakteur des Unternehmermagazins impulse, als der Verlag Gruner + Jahr im Herbst 2012 entschied, den Titel zu verkaufen. Da fasste er den Entschluss, impulse im Zuge eines Managements-Buy-outs zu übernehmen.
„Ich hätte es mir einfach machen können. Dann hätte ich die angebotene komfortable Abfindung angenommen und einen neuen Job im Journalismus gesucht. Aber das wollte ich nicht. Impulse war ,mein‘ Magazin, ich hatte das Team zusammengestellt, ein neues Konzept entwickelt und ich glaubte an die Marke. So entstand die Idee, selbst Unternehmer zu werden.
Nie zuvor hatte in Deutschland ein Chefredakteur, also der für den Inhalt Verantwortliche und nicht ein Geschäftsführer, sein eigenes Blatt via Management-Buy-out übernommen. Natürlich gehörte Mut dazu, Wagemut. Aber ich wollte mir später nicht vorwerfen müssen, es nicht zumindest versucht zu haben. Ein Wagnis war es natürlich vor allem finanziell. Ich habe mein gesamtes Kapital eingesetzt und einen Unternehmer als Sparringspartner mit ins Boot geholt. Die 20 Festangestellten verzichteten auf ihre Abfindung – so ließ sich der von Gruner + Jahr geforderte Kaufpreis drücken. Im zweiten Jahr erwirtschaftete impulse einen Verlust von 421.000 Euro. Da habe ich schon kurz gezweifelt, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Zumal einige meiner engen journalistischen Weggefährten inzwischen sehr gut dotierte, sichere Jobs ergattert hatten. Ich dagegen stand voll im Risiko, verlor Geld und musste meinem Team immer wieder Mut machen, dass es weitergeht. Aber die Freiheit, selbst entscheiden und eigene Ideen umsetzen zu können, ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Deshalb habe ich den Entschluss nie bereut.
Heute ist impulse nicht bloß ein Magazin. Wir verstehen uns als Dienstleister für Unternehmer und möchten dazu beitragen, dass sie erfolgreich sind. Deshalb haben wir uns von herkömmlichen Verlagspraktiken verabschiedet: Es gibt weder Aboprämien noch Auflagenakrobatik. Seit 2019 geben wir keine vergünstigten oder kostenlosen Magazine mehr ab. So haben wir die Auflage um einen Schlag von 70.000 auf 10.000 voll bezahlte Exemplare reduziert. Für die Anzeigenkunden heißt das: keine Streuverluste. Unsere Zahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Seit einer schwarzen Null im Jahr 2016 sind wir profitabel und verbessern uns Jahr für Jahr. Keine Frage: Es hat sich gelohnt, mutig zu sein.“
Vom Autoverkauf im Internet bis zum Abschied vom Verbrennungsmotor – Volvo überraschte in jüngster Zeit mit radikalen Entscheidungen. Thomas Bauch, Geschäftsführer Volvo Car Germany, ist überzeugt, dass der Mut belohnt wird. Wie er seine Mitarbeitenden mitnehmen und neue Kunden gewinnen will, erklärt der Manager im Interview.
one: In jüngster Zeit überrascht Volvo mit radikalen Ankündigungen: Die erste bezog sich auf das freiwillige Downsizing bei den Pkw-Motoren. Nun gibt es keine Volvo-Modelle mehr mit mehr als vier Zylindern und zwei Litern Hubraum. Wie ist das bei den Kunden, insbesondere bei den US-amerikanischen Sechs- und Achtzylinderfans, angekommen?
Thomas Bauch: Die anfänglichen Diskussionen auf nahezu allen Märkten waren recht schnell beendet. Die moderne Technik mit Turboladern und Kompressor haben bei den Vier- und Dreizylinder-Motoren unverändert Top-Leistung und großen Fahrspaß bei gleichzeitig ausgezeichneter Effizienz mit niedrigen Verbräuchen und Emissionen gewährleistet. Das hat die Kunden überzeugt. Ein Imageproblem war ebenfalls nicht feststellbar, und die positive Entwicklung unserer Verkäufe seit dieser Entscheidung zeigen, dass wir eindeutig mehr Kunden gewonnen als verloren haben.
© Getty Images | FrankRamspott
one: Sehr mutig erscheint – vor allem für den deutschen Markt – auch das Vorhaben, die Höchstgeschwindigkeit freiwillig auf 180 km/h zu begrenzen. Befürchten Sie nicht, dass Ihre Kunden in Scharen zu anderen Premium-Herstellern wechseln, um ihr vermeintliches Recht auf „freie Fahrt für freie Bürger“ ausleben zu können?
Thomas Bauch: Die Absicherung der Höchstgeschwindigkeit war speziell in Deutschland ein sehr emotionales Thema. Nur auf deutschen Autobahnen darf man noch Vollgas fahren. Da wirkt die Entscheidung, eine Absicherung auf 180 km/h vorzunehmen, auf so manchen wie ein Eingriff in die persönliche Freiheit – obwohl die meisten Menschen nicht einmal mit 180 unterwegs sind. Wir haben so viele Reaktionen erhalten, wie nie zuvor. Wie gesagt, es war Emotion pur, rational konnte man kaum etwas dagegen vorbringen. Wir haben unsere Mitarbeiter und die Handelsorganisation intensiv geschult, ihnen die Vorteile in Sachen Sicherheit und Nachhaltigkeit erklärt und können es deshalb auch unseren Kunden transparent und ehrlich erklären. Die Akzeptanz ist noch nicht bei 100 Prozent, aber wir sehen keine Beeinträchtigung des Geschäfts.
„Die Reduzierung der Umweltverschmutzung ist eine der bedeutendsten Aufgaben überhaupt.“one: Ab dem Jahr 2030, so Ihre Ankündigung, wird es keinen Volvo-Pkw mit Verbrennungsmotor mehr geben. Was bedeutet das konkret? Setzen Sie voll auf den batterieelektrischen Antrieb, oder wird es übergangsweise noch Hybriden oder wasserstoffbetriebene Autos geben?
Thomas Bauch: Die Reduzierung der Umweltverschmutzung ist eine der bedeutendsten Aufgaben überhaupt. Volvo hat sein wichtigstes Unternehmensziel darauf ausgerichtet: Wir wollen bis 2040 ein klimaneutrales Unternehmen werden. Auf dem Weg dorthin ist für uns die Elektromobilität die nachhaltigste Lösung bei den Produkten. Bis alle Modelle rein elektrisch unterwegs sind, bieten wir ein Portfolio von Plug-in- und Mild-Hybriden an, also Antriebe mit Elektro- und Verbrennungsmotor, bis Letztgenannte ganz verschwinden werden.
one: Beim Vertrieb setzt Volvo verstärkt auf das online-Geschäft. Kann das bei einem so teuren, emotionalen und individuell konfigurierbaren Produkt wie dem Automobil funktionieren? Wollen die Kunden Ihre Autos nicht mit allen Sinnen erleben, probesitzen und -fahren?
Thomas Bauch: Auf die emotionalen, sinnlichen Erlebnisse müssen unsere Kunden nicht verzichten. Die Marke Volvo wird auch in Zukunft von ihren Vertragspartnern vertreten, lokal präsent und für Kunden zugänglich sein. Mit – auf Wunsch – dem Angebot der Beratung, der Probefahrt, der Hinführung zum Online-Kauf, der Fahrzeugübergabe und des Service. Das Ganze begleiten wir mit einem umfangreichen digitalen Auftritt über die Volvo-Website. Nur den Vertrag schließt der Kunde direkt mit dem Hersteller ab. Unsere Online-Angebote ermöglichen flexible und fixe Nutzungszeiten mit entsprechenden Monatsraten, aber bald auch den Barkauf. Unser Ziel ist eine höchstmögliche, einheitliche Preistransparenz.
„Wenn ein Unternehmen sich radikal verändert, ist Kommunikation ein wesentlicher Grundstein für die erfolgreiche Umsetzung.“one: Wie nehmen Ihre Mitarbeitenden diese sicher nicht ganz risikofreien Weichenstellungen wahr bzw. wie kommunizieren sie diese in die Belegschaft hinein?
Thomas Bauch: Die interne Kommunikation spielt eine bedeutende Rolle auf dem Weg in die Zukunft. Wir müssen die gesamte Handelsorganisation, das sind hierzulande über 3.500 Menschen, unsere eigenen Mitarbeiter an den Standorten Köln und Dietzenbach sowie auch die eng mit Volvo zusammenarbeitenden Dienstleister regelmäßig zu allen Schritten informieren, sie schulen und immer wieder trainieren. Wenn ein Unternehmen sich radikal verändert, ist diese Kommunikation ein wesentlicher Grundstein für die erfolgreiche Umsetzung. Wenn wir selbst diese Entscheidungen nicht verstehen und sie nicht richtig erklären können, sie deshalb in Folge auch nicht annehmen und nicht davon überzeugt sind, dann werden wir unsere Ziele nicht erreichen.
one: Wenn man diese Management-Entscheidungen zusammenfasst, kommt man zu der Frage: Fördert Ihre Unternehmenskultur Risikobereitschaft und begünstigt sie damit mutige Entscheidungen?
„Diese Veränderung begleiten wir mit einer Unternehmenskultur der Offenheit und des Selbstbewusstseins, Mut wird gefördert und internationaler Austausch forciert.“Thomas Bauch: Volvo hat eine wechselhafte Geschichte mit verschiedenen Besitzern und unterschiedlichen Freiheiten hinter sich. Seit dem Verkauf an die chinesische Geely Holding in 2010 hat sich sehr viel zum Positiven verändert. Volvo wird von einem multi-nationalen Vorstand wie ein unabhängiger, globaler Autohersteller geführt. Die schwedische Herkunft und die Markenidentität innerhalb des Mehrmarken-Konzerns werden gewahrt. Darauf basierend und mit modernen Produkten wurde Erfolgsgeschichte geschrieben, eine Position der Stärke eingenommen. Dennoch müssen wir uns weiter und schnell verändern. Diese Veränderung begleiten wir mit einer Unternehmenskultur der Offenheit und des Selbstbewusstseins, Mut wird gefördert und internationaler Austausch forciert.