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Textilproduktion in Bangladesch
Arbeiten, ohne Angst haben zu müssen
von Stefan Weber
Die REWE Group verlängert ihr Engagement im Accord und sorgt für mehr Sicherheit in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch. Im one_Interview erklären Torsten Stau und Marc Solesse die Hintergründe.

Es war die größte Katstrophe in der Geschichte der Textilindustrie: 1135 Menschen starben, als im April 2013 in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, ein achtstöckiges Gebäude der Textilfabrik Rana Plaza einstürzte. Mehr als 2.400 Mitarbeiter wurden verletzt. Das Stahlbetonskelett war unter dem Druck illegal errichteter Stockwerke und schwerer Maschinen eingestürzt. 

„Das Unglück von Rana Plaza war ein Weckruf“, stellt die Friedrich-Ebert-Stiftung in Dhaka fest. Weil die Behörden in Bangladesch den Brandschutz und die Statik unzureichend kontrollieren, taten sich Gewerkschaften und Unternehmen zum „Bangladesh Accord“ zusammen, einer Initiative für mehr Brandschutz- und Gebäudesicherheit in der Bekleidungsindustrie. Etwa 200 Textilhersteller und Handelsunternehmen überwiegend aus Europa traten dem Abkommen bei, darunter auch die REWE Group.

1.600 Fabriken untersucht, 90.000 Schwachstellen behoben

Christine Alfken, Referentin Nachhaltigkeit Ware Non Food, betreut für die REWE Group die Accord-Mitgliedschaft Der Accord ist eine rechtsverbindliche Vereinbarung. Ziel ist es, eine sichere Arbeitsumgebung zu schaffen, in der kein Arbeiter Brände, Gebäudezusammenbrüche oder andere Unfälle fürchten muss, die mit angemessenen Maßnahmen verhindert werden könnten. Von der Initiative profitieren etwa zwei Millionen Beschäftigte in Textilfabriken in Bangladesch.

Im Rahmen des Accord haben unabhängige Sachverständige seit 2013 etwa 1.600 Fabriken untersucht und Mängel identifiziert.  Mehr als 90.000 solcher Schwachstellen wurden seitdem behoben. „Es ist viel erreicht worden, um die Gebäudesicherheit zu erhöhen, gleichzeitig bleibt aber noch viel zu tun, um auch die täglichen Arbeitsbedingungen in den Bekleidungsfabriken zu verbessern“, stellt Amirul Hague Amin, Vorsitzender der größten bangladeschischen Bekleidungsgewerkschaft, fest.

In diesem Sommer ist der zunächst bis Juni 2018 laufende Accord verlängert worden. Die REWE Group ist auch dem neuen Accord beigetreten und drängt damit zusammen mit den anderen beteiligten Unternehmen auf eine konsequente Umsetzung der Bestimmungen und langfristig auf eine Übernahme der Kontrollen durch die lokalen Behörden (siehe Interview). 

Accord – die Fakten
  • Alle Fabriken, die für Mitgliedsunternehmen produzieren, werden auf Brandschutz sowie elektrische Sicherheit und Gebäudesicherheit überprüft.
  • Bei Mängeln wird den Fabriken eine verbindliche Frist gesetzt, die Missstände zu beseitigen. Ist ein Gebäude so instabil, dass eine unmittelbare Gefahr für die Beschäftigten besteht, wird die Produktion unterbrochen und das Gebäude evakuiert.
  • Bei Betrug gilt Nulltoleranz: Fabriken, denen betrügerische Handlungen nachgewiesen werden, werden mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen.
  • Für die REWE Group betreut Christine Alfken, Referentin Nachhaltigkeit Ware Non Food, die Accord-Mitgliedschaft. Sie setzt sich dafür ein, dass die Anforderungen aus dem Accord in den Lieferketten der REWE Group umgesetzt werden. Hierzu steht sie in engem Austausch mit der REWE Far East.
one_Interview
„Es gibt weniger gefährliche Fabriken“
Torsten Stau, Geschäftsleitung Ware Non Food der REWE Group und Marc Solesse, General Manager Food / Apparel / Home Textiles der REWE Far East in Bangkok, zu den Motiven der REWE Group, den Accord zu unterzeichnen, die Sicherheit der Beschäftigten und die Beseitigung von Missständen.

Torsten Stau one: Warum hat sich die REWE Group entschieden, dem neuen Accord beizutreten?
Torsten Stau: Die REWE Group führt regelmäßig Risikoanalysen durch, um soziale und ökologische Auswirkungen innerhalb der Lieferkette zu messen und Warengruppen und Themen zu priorisieren. Im Rahmen der Risikoanalyse wurde die Warengruppe Textil als Risikowarengruppe identifiziert. Deshalb werden im Bereich Textil verschiedene Maßnahmen verfolgt, um den identifizierten Risiken zu begegnen. Der Accord ist dabei eine spezifische Maßnahme um dem Statik- und Feuer-Risiko in Bangladesch zu begegnen und so die Sicherheit der Arbeiter in der bangladeschischen Textilindustrie zu verbessern. Gemeinsam mit allen Beteiligten konnten im Rahmen des Accord grundlegende Veränderungen in den Fabriken bewirkt werden. 

one: Was zum Beispiel?
Marc Solesse: Wenn Sie heute durch die Fabriken in Bangladesch gehen, sehen Sie sehr viel weniger gefährliche Gebäudestrukturen. Auch gibt es mehr Fabriken mit automatischen Feuermeldern und Sprinkleranlagen. Außerdem können wir eine Zunahme der Health and Safety Committees beobachten. Das sind fabrikinterne Arbeitsgruppen, die Gesundheits- und Sicherheitsbelange vorantreiben. Diese Entwicklung möchten wir gemeinsam mit anderen Accord-Mitgliedern fortsetzen. Deshalb haben wir uns entschieden, unser Engagement im Accord zu verlängern. Stand jetzt haben 49 Unternehmen den neuen Accord unterzeichnet. Sie decken 1.200 Fabriken ab.

one: Mit wie vielen Lieferanten arbeitet die REWE Group in Bangladesch zusammen? 
Marc Solesse: Die REWE Group kauft Bekleidung aus zehn Fabriken in Bangladesch, die alle von Sachverständigen inspiziert wurden. Sie arbeiten kontinuierlich an Verbesserungen. Unsere Einkaufsteams und das Nachhaltigkeitsteam der REWE Far East stehen mit ihnen bei der Umsetzung der vereinbarten Renovierungen in ständigem Austausch.

„Die Katastrophe von Rana Plaza hat gezeigt, dass die lokalen Behörden alleine keine sichere Arbeitsumgebung garantieren können.“Marc Solesse Marc Solesse one: Ist es nicht Aufgabe der lokalen Behörden, die Gebäudesicherheit zu gewährleisten?
Marc Solesse: Die Katastrophe von Rana Plaza hat gezeigt, dass die lokalen Behörden alleine keine sichere Arbeitsumgebung garantieren können. Im Vergleich zu unseren Sicherheitsbestimmungen und Baubehörden in Deutschland sind die Institutionen in Bangladesch nicht funktionsfähig. Der Accord zeigt, wie Überwachungs- und Kontrollmechanismen funktionieren und zu besseren Bedingungen führen können. In den nächsten Jahren werden wir daran arbeiten, das Know how und die Überwachung an die lokalen Behörden weiterzugeben. Das ist ein wichtiger Schritt und auch ein Grund, weshalb wir dem neuen Abkommen beigetreten sind. Wir werden erst dann von der Vereinbarung zurücktreten, wenn ein System existiert, das die Sicherheit der Arbeitskräfte gewährleistet.

one: Gewerkschaften beklagen, die Inspektionen der Fabriken und die Beseitigung der festgestellten Mängel nur langsam vorangehen.  Können Sie das bestätigen – und wenn ja, woran liegt das?
Marc Solesse: Tatsächlich dauert die Umsetzung der Korrekturvorschläge lange. Einige einfache Maßnahmen wie die Anbringung von Notausgangshinweisen oder Feuerlöschern wurden schnell umgesetzt. Aber die Stabilisierung der Gebäude und die Installation effektiver Brandschutzsysteme erfordern Expertenwissen, Zeit und Geld. Daher müssen die Fabriken mit Beratern zusammenarbeiten, um die passenden Lösungen auszuarbeiten, die dann wiederum von Accord genehmigt werden.

„Lokale Dienstleister statten den Fabriken regelmäßige Besuche ab und geben Empfehlungen, wie die Sicherheit nachhaltig verbessert werden kann.“Marc Solesse one: Wie kooperativ sind die Lieferanten der REWE Group? Haben Sie bereits Geschäftsbeziehungen kündigen müssen, weil Lieferanten die Accord-Anforderungen nicht umgesetzt haben?
Marc Solesse: Im Allgemeinen sind wir mit der Kooperation unserer Fabriken zufrieden. Die Fortschritte liegen über dem Accord-Durchschnitt. Eine Fabrik hat bereits alle Maßnahmen umgesetzt. Dennoch gibt es einige Fabriken, die Schwierigkeiten bei der Umsetzung haben. In solchen Fällen suchen wir – in enger Abstimmung mit der Nachhaltigkeitsabteilung – den Dialog mit der Betriebsleitung, um sie an die Notwendigkeit zu erinnern. Darüber hinaus arbeiten wir mit einem lokalen Dienstleister zusammen, der in engem Kontakt zu den Fabriken steht, die nach Verbesserungen streben. Er stattet regelmäßige Besuche ab und gibt Empfehlungen, wie die Sicherheit in der Fabrik nachhaltig verbessert werden kann.

one: Kann der Accord dazu beitragen, dass sich neben der Gebäudesicherheit auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Textilindustrie verbessern?
Torsten Stau: Der Accord konzentriert sich auf den Brandschutz, die elektrische und die Gebäudesicherheit in den Fabriken. Die Vereinbarung deckt keine sozialen Themen wie Löhne und Sozialleistungen ab. Der Accord ist jedoch auch nur eine von vielen Maßnahmen, welche die REWE Group im Bereich Textil ergreift. Andere soziale Anforderungen, wie zum Beispiel Löhne werden seit vielen Jahren durch Zertifizierungen und Sozialaudits wie SA8000, BSCI oder SMETA überwacht. Fabriken in Risikoländern werden regelmäßig im Rahmen solcher Audits auf die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards geprüft. 

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